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Sie steht im Zentrum des Prozesses: Beate Zschäpe.
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Update

438 Tage: Die Chronik des NSU-Prozesses

In München wurde seit Mai 2013 gegen Beate Zschäpe und andere verhandelt. Unser Autor war an fast allen Prozesstagen dabei. Ein Blick zurück auf 438 Prozesstage.

Unser Reporter Frank Jansen begleitete den NSU-Prozess in München von Beginn an. Er war bei fast jedem Prozesstag dabei und hat über die meisten auch etwas geschrieben. Seine Reportagen sind dann jeweils verlinkt. Klicken Sie dafür einfach auf den Tag. 500 Zeugen, juristische Scharmützel. Lesen Sie hier alle Entwicklungen zur Urteilsverkündung. Und hier, warum unser Reproter findet, dass das Urteil im NSU-Prozess nicht das letzte Wort ist.

Tag 1 / 6. Mai 2013: Turbulenter Auftakt. Vor dem Eingang zum Gerichtsbunker stehen Zuschauer und Journalisten in langen Schlangen. Manche Besucher sind schon in der Nacht gekommen, um sich einen der 100 Plätze auf der Tribüne im Saal A 101 zu sichern. Kurz vor zehn Uhr kommen die Angeklagten Beate Zschäpe, Ralf Wohlleben, Carsten S., Holger G. und André E.. Im Mittelpunkt steht Zschäpe, sie wird von Fotografen und Kameraleuten bedrängt und abgelichtet wie ein Filmstar. Die Frau reagiert, wie sie es nun täglich machen wird: sie dreht den Journalisten den Rücken zu.

Die Verhandlung dauert am ersten Tag nicht lange. Einer der drei Verteidiger Zschäpes, Wolfgang Stahl, verliest einen Befangenheitsantrag gegen den Vorsitzenden Richter des 6. Strafsenats, Manfred Götzl. Die Anwälte stört, dass sie sich wie die Besucher abtasten und durchsuchen lassen müssen. Götzl überrascht mit seiner Reaktion: er setzt die weitere Prozesswoche komplett ab. Der Befangenheitsantrag wird wie alle weiteren, die bis heute gestellt wurden, von Richtern des OLG abgelehnt.

Tag 2 / 14. Mai 2013: Bundesanwalt Herbert Diemer verliest den 35-seitigen Anklagesatz. Zschäpe wird der Mittäterschaft bei allen Verbrechen der Terrorzelle beschuldigt. Die Angeklagten Ralf Wohlleben und Carsten S. sollen die Pistole Ceska 83 besorgt haben, mit der die NSU-Mörder Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt neun Migranten erschossen. Holger G. und André E. sollen den NSU unterstützt haben. Zschäpes Verteidiger Wolfgang Heer beantragt, den Prozess auszusetzen.

Tag 3 / 15. Mai 2013: Wohllebens Verteidigerin Nicole Schneiders fordert ebenfalls, die Verhandlung auszusetzen. Laut Schneiders fehlen ihr Akten zur Waffe Ceska 83.

Tag 4 / 16. Mai 2013:  Der Strafsenat lehnt die von Zschäpes Verteidigern beantragte Aufzeichnung der Aussagen von Zeugen ab. Die Anwälte der Hauptangeklagten kündigen an, Zschäpe werde sich nicht zur Anklage äußern. Auch die Verteidiger Wohllebens und die von André E. erklären, ihre Mandanten würden sich nicht einlassen. Nur Carsten S. und Holger G. wollen Angaben

zu den Tatvorwürfen machen.

Tag 5 / 4. Juni 2013: Der Angeklagte Carsten S. gesteht, er habe im Frühjahr 2000 die Pistole Ceska 83 nach Chemnitz an Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt gebracht. Die beiden Neonazis versteckten sich dort mit Beate Zschäpe. Carsten S. belastet zudem Ralf Wohlleben. Der soll den Kauf der Waffe eingefädelt und das Geld dafür gegeben haben.

Tag 6 / 5. Juni 2013: Carsten S. setzt sein Geständnis fort. Er gibt zu, sich in seiner Zeit in der rechten Szene in Jena an gewaltsamen Angriffen auf Nazi-Gegner und türkische Imbisse beteiligt zu haben.

Tag 7 / 6. Juni 2013: Holger G. verliest sein schriftlich formuliertes Geständnis. Er habe für Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe 10 000 D-Mark aufbewahrt, Böhnhardt bei der Beschaffung eines Reisepasses und Fü

hrerscheins geholfen und für Zschäpe eine AOK-Karte besorgt, sagt G. in hektischem Ton. Außerdem habe er 2000 oder 2001 von Wohlleben eine Schusswaffe bekommen und sie nach Zwickau zu Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe gebracht. In Zwickau hatten die drei vom Sommer 2000 an bis zum Ende der Terrorzelle im November 2011 gelebt. Fragen zum Geständnis will G.zunächst nicht beantworten. Er hat es bis jetzt nicht getan. 

Tag 8 / 11. Juni 2013: Carsten S. gesteht weiter und berichtet zudem unter Tränen von einem bislang nicht bekannten Sprengstoffanschlag, den Mundlos und Böhnhardt im Juni 1999 in Nürnberg begangen haben sollen. Dort explodierte in einem türkischen Lokal ein Sprengsatz, der in einer Taschenlampe eingebaut war. Ein Angestellter erlitt Verletzungen im Gesicht. Mundlos und Böhnhardt hatten Carsten S. in Chemnitz von der Tat erzählt, wollten aber nicht, dass Zschäpe etwas davon mitbekommt.

Tag 9 / 12. Juni 2013: Carsten S. berichtet, Mundlos und Böhnhardt seien davon ausgegangen, der Anschlag in Nürnberg habe „nicht geklappt“. Warum die beiden Terroristen das glaubten, bleibt unklar. Sicherheitsexperten kritisieren am Rande des Prozesses, dass die Nürnberger Behörden den Anschlag nicht nochmal untersuchten, nachdem die Terrorzelle NSU im November 2011 aufgeflogen war.

Tag 10 / 13. Juni 2013: Carsten S. will keine Fragen von den Verteidigern Wohllebens beantworten, weil der schweigt. Der geständige Angeklagte betont, ihm sei wichtig, dass auch Wohlleben die Geschichte zur Ceska 83 erzähle „und nicht nur ich mich nackig mache“. Wohlleben schweigt weiter.

Tag 11 / 18. Juni 2013: Bundesanwalt Herbert Diemer verkündet, seine Behörde habe Ermittlungen zum Sprengstoffanschlag in Nürnberg aufgenommen. Carsten S. bestreitet bei Fragen von Anwälten der Nebenkläger, die Ceska 83 bei einem Mittelsmann gezielt mit einem Schalldämpfer bestellt zu haben.

Tag 12 / 19. Juni 2013: Ein Nebenklage-Anwalt wirft Wohllebens Verteidiger Olaf Klemke vor, der rechtsextremen Szene nahezustehen. Es gibt Streit, den der Vorsitzende Richter nur mühsam beenden kann. Carsten S. sagt am Ende der Befragung durch die Anwälte der Nebenkläger, er wolle den Opfern des NSU und den Hinterbliebenen der Ermordeten „sein tiefes Mitgefühl ausdrücken“.

Tag 13 / 20. Juni 2013: Wohllebens Verteidiger verlangen die sofortige Aufhebung des Haftbefehls gegen ihren Mandanten. Wohlleben sitzt seit November 2011 in Untersuchungshaft. Aus Sicht der Anwälte hat Carsten S. in seinem Geständnis die Ceska 83 nicht eindeutig als die Waffe identifziert, die er in Chemnitz Mundlos und Böhnhardt übergab.

Tag 14 / 24. Juni 2013: Die Beweisaufnahme zu den zehn Morden des NSU beginnt. Zunächst geht es um den Tod des türkischen Schneiders Abdurrahim Özüdogru. Mundlos und Böhnhardt hatten ihn am 13. Juni 2001 in seinem Ladenlokal in Nürnberg erschossen. Im Gerichtssaal werden Fotos der Leiche und des Tatorts auf zwei Wände projiziert. Ein Polizist erläutert die Bilder in kaltschnäuzigem Ton und erwähnt, Werkstatt und Wohnung des Türken hätten einen „unaufgeräumten Eindruck“ gemacht.

Tag 15 / 25. Juni 2013: Ein Brandsachverständiger der sächsischen Polizei beschreibt den Zustand der Wohnung in Zwickau, die mutmaßlich Beate Zschäpe am 4. November 2011 angezündet hatte. Der Beamte beschreibt die Verwüstung und berichtet von den Waffen, die in den Räumen lagen.

Tag 16 / 26. Juni 2013: Der ehemalige Verwalter des zerstörten Hauses in der Zwickauer Frühlingsstraße sagt, Zschäpe habe sich im Spätsommer 2011 vehement dagegen gewehrt, dass ein Handwerker die Tür zu ihrem Keller öffnet. In dem Raum waren möglicherweise Waffen und Munition gelagert.

Tag 17 / 2. Juli 2013: Ein Beamter der Zwickauer Polizei sagt, Zschäpe habe vor ihrer Festnahme am 8. November 2011 in Jena an Selbstmord gedacht. Das habe sie ihm am Abend des 8. November erzählt. Die Polizei hatte Zschäpe zur Direktion Zwickau gebracht.

Tag 18 / 3. Juli: Ein Beamter des BKA schildert, wie er im Juni 2012 versuchte, Zschäpe zum Reden zu bringen. Der Polizist, Typ rheinländisches Schlitzohr, begleitete die Angeklagte bei einer Fahrt von der JVA Köln-Ossendorf zum Gefängnis in Gera, wo Zschäpe ihre im nahen Jena lebende Mutter und Großmutter treffen konnte. Scheinbar beiläufig sprach der BKA-Mann mit Zschäpe über die ehemalige RAF-Terroristin Susanne Albrecht, die ein umfassendes Geständnis abgelegt hatte und schon nach drei Jahren Haft Freigängerin wurde. Doch Zschäpe ließ sich nicht erweichen. 

Tag 19 / 4. Juli 2013: Etwas wirre Waffenanalyse eines Beamten des BKA. Der Mann mit dem Irokesenschnitt hat zudem seine Lesebrille vergessen, ein Verteidiger von Carsten S. leiht ihm eine Taschenlupe.´

Die Tage 20 bis 39

Sie steht im Zentrum des Prozesses: Beate Zschäpe.
Sie steht im Zentrum des Prozesses: Beate Zschäpe.
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Tag 20 / 9. Juli 2013: Der Strafsenat verlängert bereits jetzt die Liste der vorgesehen Termine um ein Jahr bis zum Dezember 2014. Allein die Vernehmung des geständigen Carsten S. hatte neun Tage gedauert. In der Verhandlung beschreibt ein pensionierter Polizist, wie er den sterbenden Blumenhändler Enver Simsek in dessen Transporter fand. Simsek hatte an einer Straße seine Ware verkauft. Mundlos und Böhnhardt hatten am 9. September 2000 in Nürnberg auf den Türken geschossen, er war das erste Mordopfer des NSU.

Tag 21 / 10. Juli 2013: Zwei Polizisten schildern grauenhafte Details der Schussverletzungen, die Enver Simsek erlitt. Mundlos und Böhnhardt hatten neunmal auf den Türken gefeuert.

Tag 22 / 11. Juli 2013: Ein ehemaliger Beamter der Münchner Polizei beschreibt den Mord an dem Türken Habil Kilic als „absolut professionelle Hinrichtung“. Mundlos und Böhnhardt erschossen Kilic am  29. August 2001 in seinem Lebensmittelgeschäft in München – nur 100 Meter von einer Polizeidienststelle entfernt. Der Ex-Beamte betont, es sei legitim gewesen, in Richtung Drogenhandelt zu ermittlen. Kilics Ehefrau und seine Schwiegermutter sagen aus, wie stark die polizeilichen Ermittlungen sie belastet haben.

Tag 23 / 16. Juli 2013: Ein BKA-Mann berichtet, wie der Angeklagte Holger G. im Ermittlungsverfahren Beate Zschäpe und Ralf Wohlleben belastet hat. Holger G. sagte der Polizei, wenn er von Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe Geld bekommen habe, „war es immer über Frau Zschäpe“. Außerdem erzählte Holger G. der Polizei, wie er eine Waffe, die Wohlleben beschafft habe, nach Zwickau brachte. Dort habe ihn Zschäpe vom Bahnhof abgeholt.

Tag 24 / 17. Juli 2013: Der Brandgutachter der sächsischen Polizei schildert weitere Details zum Feuer in der Wohnung in der Zwickauer Frühlingsstraße. Es habe eine „Durchzündung bis zum Obergeschoss“ gegeben. Dort arbeiteten üblicherweise zwei Handwerker. Als der Brand ausbrach, machten sie jedoch Mittagspause in der Nähe des Gebäudes.

Tag 25 / 18. Juli 2013: Tino Brandt, früherer V-Mann des Thüringer Verfassungsschutzes, gerät in Verdacht, Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe radikalisiert zu haben. Ein BKA-Beamter erinnert sich an Aussagen des Angeklagten Holger G. zu Diskussionen im rechtsextremen Freundeskreis über Militanz. Der Polizist geht davon aus, „dass Tino Brandt auf seiten der Gewalt war“. Brandt hatte die Neonazi-Truppe „Thüringer Heimatschutz (THS)“ geführt, der auch Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe angehörten. Parallel spitzelte Brandt für den Verfassungsschutz.

Tag 26 / 23. Juli 2013: Ein Waffenexperte des bayerischen Landeskriminalamts gibt zu, die Behörde sei erst zwei Jahre nach dem Mord an dem Blumenhändler Enver Simsek in der Lage gewesen, ein Gutachten zu den verwendeten Pistolen zu erstellen. Als Grund nennt der Beamte Personalmangel.

Tag 27 / 24. Juli 2013: Ein ehemaliger Mieter des abgebrannten Hauses in der Frühlingsstraße in Zwickau erzählt, bei Trinkabenden in seinem Keller habe ein Bild von Adolf Hitler auf dem Fernseher gestanden. „Das ist im Osten so“, sagt der Zeuge. Zschäpe habe ab und zu mitgetrunken, das Bild habe sie nicht gestört.

Tag 28 / 25. Juli 2013: Eine frühere Nachbarin aus der Frühlingsstraße schildert, wie Zschäpe nach der Explosion der Wohnung und dem Ausbruch des Feuers auf die Straße kam, mit überraschtem, erschrockenem Gesicht. Zschäpe habe zwei Körbe mit ihren beiden Katzen abgestellt und sei gegangen. 

Tag 29 / 30. Juli 2013: Das Schicksal von Charlotte E. wird Prozessthema. Die alte, gebrechliche Frau lebte in der Frühlingsstraße in der Wohnung gleich neben der von Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe. Bei dem Brand geriet die 89-Jährige in große Gefahr, sie wurde von Verwandten gerettet. Die Bundesanwaltschaft wertet den Brand auch als versuchten Mord Zschäpes an der Rentnerin. Deren Verwandte berichten, dass Charlotte E. den Verlust der Wohnung nicht verkraftet hat. Sie liege meist teilnahmslos im Bett.

Tag 30 / 31. Juli 2013: Grausige Aussagen zum Tod von Habil Kilic. Zeugen sahen, wie er in seinem Geschäft in einer Blutlache lag und starb.

Tag 31 / 1. August 2013: Im Fall des erschossenen Blumenhändlers Enver Simsek erzählt ein Kripo-Beamter aus Nürnberg eine abenteuerliche Geschichte. Eine V-Person habe behauptet, ein Konkurrent des Türken habe einen Killer gesucht, „um Simsek zu beseitigen“. Die Polizei ging dem Hinweis nach. Außerdem wurden Telefonate von Simseks Familie überwacht.

Tag 32 / 6. August 2013: In schnoddrigem Ton berichtet eine Polizistin vom Einsatz nach dem Mord an dem Türken Ismail Yasar in Nürnberg. Mundlos und Böhnhardt hatten ihn am 9. Juni 2005 in seinem Imbiss erschossen. Die Beamtin spricht von „Dönerbude“ und sagt, ein Kollege habe bei dem blutüberströmten Opfer festgestellt, „dass die Person ex ist“.

Tag 33 / 5. September 2013: Eine Zeugin hat die Schüsse auf Ismail Yasar gehört und vermutet, da werde mit einem Schalldämpfer gefeuert. Da die Frau „einen engen Terminplan“ hatte, fuhr sie weiter und unternahm nichts.

Tag 34 / 6. September 2013: Die Polizei hatte einen Hinweis, dass Yasar von zwei nordeuropäisch aussehenden Männern erschossen wurde. Eine Augenzeugin vom Tatort sagt, sie habe der Polizei die beiden Täter als „nicht südländisch, Hautfarbe sehr hell, nördliche Region“ beschrieben. Dennoch hätten die Beamten sie gefragt, ob sie sich „türkische Mafia, Waffengeschäfte, Geldwäsche“ vorstellen könne.

Tag 35 / 17. September 2013: Zschäpes Verteidiger stellen zwei Befangenheitsanträge gegen die Richter des 6. Strafsenats. Es geht vor allem um den von Anwalt Wolfgang Stahl geforderten Vorschuss für seine Arbeit als Pflichtverteidiger Zschäpes vor dem Prozess. Stahl fordert 77 000 Euro. Der Strafsenat hatte 5000 Euro Vorschuss festgesetzt.

Tag 36 / 19. September 2013: Der Mord an Mehmet Kubasik in Dortmund wird Thema. Ein Polizist berichtet, wie er am 4.April 2006 den erschossenen Türken in dessen Kiosk fand.

Tag 37 / 23. September 2013: Ali Tasköprü, Vater des am 27. Juni 2001 in Hamburg erschossenen Süleyman Tasköprü, sagt aus. „Sie haben mir mein Herz abgerissen“, sagt er über die Mörder. Die er kurz zuvor in der Nähe des Gemüsegeschäfts seines Sohnes gesehen hatte. Der Vater beschrieb die Männer der Polizei als Deutsche. Dennoch ermittelte die Polizei nicht in Richtung Rechtsextremismus.

Tag 38 / 24. September 2013: Resigniert berichtet der ehemalige Geschäftspartner des in München erschossenen Theodoros Boulgarides von den Folgen der Tat und den Ermittlungen der Polizei. Mundlos und Böhnhardt hatten den Griechen am 15. Juni 2005 in dessen Schlüsselladen getötet. Die Polizei habe ständig gefragt, ob Boulgarides „sexsüchtig oder spielsüchtig“ gewesen sei, sagt der Zeuge.

Tag 39 / 25. September 2013: Nach dem Mord an dem Deutschtürken Halit Yozgat habe die Polizei „sehr kooperativ“ und „sehr vertrauensvoll“ in dessen Familie ermittelt, sagt ein pensionierter Beamter. Er gibt dann auf Fragen von Richter Götzl einen „verdeckten Einsatz“ und Telefonüberwachung gegen die Hinterbliebenen zu. Mundlos und Böhnhardt hatten Yozgat am 6. April 2006 in dessen Internetcafé in Kassel erschossen.

Tag 40 bis 59

Sie steht im Zentrum des Prozesses: Beate Zschäpe.
Sie steht im Zentrum des Prozesses: Beate Zschäpe.
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Tag 40 / 30. September 2013: Eine Zeugin will in Dortmund kurz vor dem Mord an Mehmet Kubasik die späteren Täter Mundlos und Böhnhardt gesehen haben – gemeinsam mit Beate Zschäpe und einem „bulligen Skinhead“.

Tag 41 / 1. Oktober 2013: Zitternd und weinend berichtet Ismail Yozgat, wie er seinen sterbenden Sohn Halit fand. Der Vater ruft den Angeklagten zu, „mit welchem Recht haben Sie das getan? Warum haben Sie mein Lämmchen getötet?“ Nach Ismail Yozgat sagt der ehemalige Verfassungsschützer Andreas T. aus. Er war mutmaßlich zur Tatzeit im Internetcafé von Halit Yozgat. Von dem Mord habe er aber nichts gemerkt, sagt er.

Tag 42 / 2. Oktober 2013: Die Mutter von Halit Yozgat appelliert an Beate Zschäpe, ihr Schweigen zu beenden. „Ich bitte Sie um Aufklärung“, sagt Ayse Yozgat. Die Angeklagte bleibt stumm.

Tag 43 / 8. Oktober 2013: Der Angeklagte André E. wird mit unangenehmen Details konfrontiert. Eine Beamtin des BKA berichtet von einer Festplatte, die im Schutt des mutmaßlich von Zschäpe angezündeten Hauses in Zwickau gefunden wurde. Die Festplatte enthält private Bilder von Eminger und seiner Familie sowie  ein Schreiben mit der Parole „Sieg Heil“.

Tag 44 / 9. Oktober 2013: Eine Polizistin belastet Zschäpe. Im Brandschutt des Hauses in Zwickau seien auf zwei Zeitungsausschnitten Fingerabdrücke der Angeklagten gesichert worden. In den Artikeln ging es um den Mord an Habil Kilic und den Sprengstoffanschlag vom 9. Juni 2004 in der Kölner Keupstraße.

Tag 45 / 10. Oktober 2013: Der Angeklagte Carsten S. lässt sich nun doch von Wohllebens Verteidigern befragen. Carsten S. bleibt jedoch bei seiner Aussage, Wohlleben habe an der Beschaffung der Mordwaffe Ceska 83 mitgewirkt.

Tag 46 / 15. Oktober 2013: Ein Ermittler im Fall des ermordeten Theodoros Boulgarides gibt zu, er habe dessen Freundin gefragt, ob sie die Pille nimmt. Der Beamte vermutete, der in Scheidung von seiner Frau lebende Boulgarides könne aus Eifersucht getötet worden sein – obwohl der Polizei bekannt war, dass die Tat zu einer Serie von Morden an Migranten zählte.

Tag 47 / 16. Oktober 2013: Ein früherer Waffenhändler aus der Schweiz äußert sich zum Verkauf der Ceska 83. Die Pistole habe der Schweizer Peter G. erworben, sagt der Zeuge und meint lapidar, „wenn er eine illegale Absicht damit hatte, hat er sie uns nicht auf die Nase gebunden“. 

Tag 48 / 22. Oktober 2013: Im Fall des in Nürnberg erschossenen Ismail Yasar sagt eine Zeugin, sie habe Beate Zschäpe am Tatort gesehen.

Tag 49 / 23. Oktober 2013: Polizeibeamte aus Rostock rechtfertigen ihre Ermittlungen im Mordfall Mehmet Turgut. Am 25. Februar 2004 hatten Mundlos und Böhnhardt den Türken in einem türkischen Imbiss erschossen. Die Polizisten sprechen von Hinweisen auf Rauschgiftdelikte. Ein rassistisches Motiv sahen sie nicht.

Tag 50 / 24. Oktober 2013: Jacqueline Wohlleben, die Ehefrau des Angeklagten Ralf Wohlleben, sitzt als „Beistand“ neben ihn. Ein BKA-Mann berichtet, nach dem Ende des NSU am 4. November 2011 seien bundesweit 15 Exemplare der Bekenner-DVD der Terrorzelle verschickt worden.

Tag 51 / 5. November 2013: Tochter und Ehefrau des in Dortmund getöteten Mehmet Kubasik berichten von schikanösen Ermittlungen der Polizei. Die Witwe sagt, ein Beamter habe einem Nachbarn erzählt, der Ermordete habe mit Drogen zu tun gehabt.

Tag 52 / 6. November 2013: Ein Psychiater schlägt vor, die gebrechliche Zeugin Charlotte E. von München aus in ihrem Pflegeheim in Zwickau per Video zu vernehmen. Der Facharzt hat die ehemalige Nachbarin von Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe in der Zwickauer Frühlingsstraße untersucht.

Tag 53 / 7. November 2013: Der ehemalige Betreiber des „Madley“, eines Ladens für rechte Szenekleidung in Jena, gibt zu, der Angeklagte Wohlleben habe ihn im Frühjahr 2000 nach einer Waffe gefragt.

Tag 54 / 12. November 2013: Eine Zeugin gibt zu, im Jahr 2006 ihre AOK-Karte dem Angeklagten Holger G. für 300 Euro verkauft zu haben. Dass Holger G. die Karte für die untergetauchte Zschäpe brauchte, die offenbar an Zahnschmerzen litt, will die Zeugin nicht gewusst haben.

Tag 55 / 13. November 2013: Ein früherer Mitarbeiter des Jenaer Szeneladens „Madley“ will sich ohne Anwalt nicht äußern. Beim BKA hatte der Mann zugegeben, die Mordwaffe Ceska 83 dem Angeklagten Carsten S. verkauft zu haben.

Tag 56 / 14. November 2013: Erster Hinweis, wie Zschäpe im Untergrund an ein Prepaid-Handy gekommen sein könnte. Eine Zeugin sagt, sie habe 2004 in Zwickau auf die Bitte einer Frau für sie einen Kaufvertrag unterschrieben. Die Frau habe behauptet, ihren Ausweis vergessen zu haben. Eine früherer Nachbar Zschäpes in Zwickau sagt, Zschäpe sei so schlecht auf Ausländer zu sprechen gewesen, dass sich sein Bruder nicht getraut haben, zu einem Besuch zu kommen. Der Bruder war mit einer Vietnamesin verheiratet. Die Ehefrau des Zeugen sagt jedoch, sie habe bei Zschäpe keine Ausländerfeindlichkeit bemerkt.

Tag 57 / 19. November 2013: Bizarrer Auftritt der Mutter des NSU-Mörders Uwe Böhnhardt. Die Polizei habe ihrem Sohn bei Durchsuchungen vor dessen Gang in den Untergrund Waffen untergeschoben, behauptet Brigitte Böhnhardt. Sie hält Uwe zudem für ein Opfer des Umbruchs nach dem Ende der DDR. Freimütig berichtet die Mutter, sie und ihr Mann hätten den Sohn, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe mehrmals  getroffen, nachdem die drei untergetaucht waren.

Tag 58 / 20. November 2013: Mutter Böhnhardt wird weiter befragt. Sie spricht Zschäpe direkt an und bedankt sich bei ihr für den Anruf nach dem Tod der beiden Uwes. Die Angeklagte zeigt das übliche Pokerface.

Tag 59 / 21. November 2013: Der Neonazi André K., in den 1990er Jahren einer der Wortführer der Szene in Jena, äußert sich rassistisch über Migranten und bezeichnet den Angeklagten Wohlleben als „Friedenstaube“. Der Zeuge gibt zu, nach dem Untertauchen von Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe im Jahr 1998 mit den beiden Männern telefonisch Kontakt gehalten zu haben. Allerdings nicht über 1998 hinaus.

Tag 60 bis 79

Sie steht im Zentrum des Prozesses: Beate Zschäpe.
Sie steht im Zentrum des Prozesses: Beate Zschäpe.
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Tag 60 / 26. November 2013: Frühere Urlaubsbekannte von Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe berichten, immer noch konsterniert, von harmonischen Tagen auf Fehmarn. Die Zeugen hatten die drei von 2007 bis 2011 auf einem Campingplatz getroffen. Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe tarnten sich allerdings mit falschen Namen und gaben wenig von sich preis. Eine Ex-Bekannte sagt, Zschäpe habe die Finanzen der drei verwaltet. Andere Zeugen können sich daran nicht erinnern.

Tag 61 / 27. November 2013: Zschäpes Mutter weigert sich, im Prozess auszusagen. Ein Cousin von Zschäpe berichtet über sein „Lotterleben“ als Skinhead und dass er vom stramm rechten Uwe Mundlos als „Assi“ beschimpft wurde.

Tag 62 / 28. November 2013: Zschäpes Cousin wird weiter befragt. Er sagt, Zschäpe sei nicht so die Person für Rohrbomben gewesen, eher die beiden verrückten Uwes.

Tag 63 / 3. Dezember 2013: Der frühere hessische Verfassungsschützer Andreas T. wird erneut von Richter Götzl befragt. Doch T. bleibt dabei: er habe von dem Mord an Halit Yozgat in dessen Internetcafé nichts mitbekommen und auch die Leiche nicht gesehen. Andreas T. behauptet, er habe für die Benutzung eines Computers 50 Cent auf den Tresen gelegt und sei gegangen.

Tag 64 / 4. Dezember 2013: Andreas T. sei bei einem Telefonat kurz nach dem Mord an Halit Yozgat nervös gewesen, sagt ein ehemaliger Rechtsextremist aus Kassel, den der Verfassungsschützer als V-Mann geführt hatte. Über die Tat sei aber nicht gesprochen worden.

Tag 65 / 5. Dezember 2013: Weiterer Befangenheitsantrag gegen Richter Götzl. Wohllebens Verteidiger Olaf Klemke hält ihm vor, er habe zugelassen, dass eine Nebenklage-Anwältin aus Akten zitiert, die der Verteidigung Wohlleben nicht vorliegen. Der Verhandlungstag endet vorzeitig, da Zschäpe nach Angaben ihres Verteidigers Wolfgang Heer unter Kopfschmerzen leidet.

Tag 66 / 9. Dezember 2013: Eine weitere Zeugin berichtet, für eine fremde Frau, mutmaßlich Zschäpe, in Zwickau einen SIM-Karten-Vertrag für ein Prepaid-Handy unterschrieben zu haben. Die Zeugin sagt, sie habe dafür 50 Euro bekommen und nennt ihr Verhalten „jugendlicher Leichtsinn“. Ein Zwickauer Polizist berichtet, 2007 Zschäpe zu einem Diebstahl in dem Haus in der Polenzstraße befragt zu haben. Dort lebte Zschäpe damals unter falschem Namen mit Mundlos und Böhnhardt. Zschäpe erschien mit dem Angeklagten André E. bei der Polizei und gab sich als „Susann Eminger“ aus. Den Beamten irritierte nicht, dass an der Wohnungstür der Frau der (ebenfalls falsche) Name „Dienelt“ stand.

Tag 67 / 10. Dezember 2013: Zschäpe bekommt Rückendeckung von einer Ex-Nachbarin aus der Polenzstraße. Die Angeklagte sei ihre beste Freundin gewesen, sagt die Zeugin. Sie kannte Zschäpe als „Susann Dienelt“, Spitzname „Lisa“. Zschäpe habe für sie eingekauft, sagt die Zeugin.

Tag 68 / 11. Dezember 2013: Weitere Zeugen von Urlauben auf Fehmarn sagen aus. Uwe Mundlos galt als „Frauenversteher“, die drei hätten wie eine Familie gewirkt.

Tag 69 / 18. Dezember 2013: Rüde und unbeherrscht tritt der Vater von Uwe Mundlos auf. Siegfried Mundlos, Ex-Informatik-Professor, beleidigt Richter Götzl als „Klugsch…“ Götzl droht ihm Ordnungsmittel an. Vater Mundlos attackiert auch den Thüringer Verfassungsschutz und die Bundesanwaltschaft. Außerdem behauptet er, es seien nicht zehn, sondern zwölf Tote zu beklagen. Siegfried Mundlos zählt seinen Sohn und Uwe Böhnhardt mit den Mordopfern der beiden zusammen.

Tag 70 / 19. Dezember 2013: Die Einvernahme von Siegfried Mundlos geht weiter. Der Vater betont, für ihn sei „noch unbewiesen“, dass sein Sohn, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe die in der Anklage aufgelisteten Taten begangen haben.

Tag 71 / 20. Dezember 2013: Die Videovernehmung von Charlotte E. scheitert. Die alte Frau, aus ihrem Pflegeheim in Zwickau zugeschaltet, wirkt verwirrt. Richter Götzl bricht die Befragung ab. Was Charlotte E. erlebt hat, als die Wohnung ihrer Nachbarn Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe in Flammen aufging, kommt gar nicht erst zur Sprache. Auch eine kommissarische Vernehmung durch einen Zwickauer Richter im Mai 2014 im Pflegeheim misslingt.

Tag 72 / 8. Januar 2014:  Seltsame Aussage eines Freundes des Angeklagten Holger G. Der Zeuge ist mit der Frau verheiratet, die ihre AOK-Karte an G. verkaufte. Den Deal bestätigt der Ehemann. Und er behauptet, der Angeklagte sei drogensüchtig. Der Zeuge, selbst zumindest früher rechtsextrem eingestellt, spricht aber auch von aktuellen Kontakten zu Holger G.

Tag 73 / 14. Januar 2014: Ein Polizist aus Zwickau schildert, was Zschäpe bei ihrer Festnahme am 8. November 2011 bei sich trug: Pfefferspray, Tabletten, eine Geldbörse mit 12,23 Euro, einen Service-Pass für ein Mountain-Bike, ausgestellt auf den Namen „Susann Eminger“, ein Wochenend-Ticket der Bahn auf denselben Namen. Eine heroinsüchtige Zeugin berichtet ebenfalls vom Kauf eines Pre-Paid-Handys für eine fremde Frau in Zwickau, mutmaßlich Zschäpe.

Tag 74 / 15. Januar 2014:  Erschreckende Angaben zu Explosion und Brand in der Zwickauer Frühlingsstraße. Ein Gutachter des BKA spricht von zehn Litern Benzin, die in der Wohnung verschüttet wurden. Die Dämpfe verursachten eine Verpuffung, bei der das Dachgeschoss, direkt über der Wohnung, mit einer Wucht von 150 Tonnen auf einer Fläche von 50 Quadratmetern „gelupft“ wurde, wie der Kriminaltechniker sagt.

Tag 75 / 16. Januar 2014: Die Beweisaufnahme zum Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter beginnt. Polizisten berichten, wie sie am 25. April 2007 ihre erschossene Kollegin im Streifenwagen auf der Heilbronner Theresienwiese fanden. Und den Beamten Martin A., der auch im Auto saß und einen Kopfschuss abbekam, aber überlebte. Martin A. tritt dann auch als Zeuge auf. „Ich bin gottfroh darüber, dass ich noch lebe“, sagt er. Aber er habe schlaflose Nächte, „auch weil Michèle weg ist“. An die Tat kann er sich kaum erinnern. Martin A. ist weiter bei der Polizei, befindet sich allerdings auch jetzt noch in „traumatherapeutischer Behandlung“.

Tag 76 / 21. Januar 2014: Es bleibt unklar, ob Mundlos und Böhnhardt den Anschlag auf Kiesewetter und Martin A. lange geplant hatten oder ob sie spontan handelten. Die Aussage eines Zeugen tendiert zur zweiten Vermutung. Der Pensionär berichtet, nahe der Theresienwiese habe er zwei Männer mit Mountainbikes beobachtet, die sich angeregt unterhielten und möglicherweise stritten. Eine halbe Stunde später habe es geknallt. Mundlos und Böhnhardt waren bei ihren Taten meist mit Mountainbikes unterwegs.

Tag 77 / 22. Januar 2014: Mundlos und Böhnhardt waren gleich nach dem Mord an Kiesewetter im Visier der Polizei. Bei der Ringalarmfahndung, berichtet ein Polizist, wurde auch das Kennzeichen des Wohnmobils notiert, in dem die beiden NSU-Terroristen unterwegs waren. Die Polizei verzeichnete allerdings ingesamt 33 000 Fahrzeuge. Auf die Spur von Mundlos und Böhnhardt kamen die Beamten nicht.

Tag 78 / 23. Januar 2014:Der Vater von Uwe Böhnhardt macht sich Vorwürfe. „Ich habe den Ernst der Lage nicht erkannt“, sagt der gebrochen wirkende Jürgen Böhnhardt. Im Unterschied zu seiner Frau und dem Vater von Uwe Mundlos tritt der Rentner leise auf.

Tag 79 / 28. Januar 2014: Der Ex-Mitarbeiter des Jenaer Szeneladens „Madley“, der dem Angeklagten Carsten S. die Mordwaffe Ceska 83 verkauft hatte, verweigert endgültig die Aussage.

Tag 80 bis 99

Sie steht im Zentrum des Prozesses: Beate Zschäpe.
Sie steht im Zentrum des Prozesses: Beate Zschäpe.
© dpa

Tag 80 / 29. Januar 2014: Dritte Vernehmung des ehemaligen Verfassungsschützers Andreas T. zum Mordfall Halit Yozgat. Auch jetzt bleibt Andreas T. dabei, im Internetcafé von der Tat nichts bemerkt zu haben.

Tag 81 / 30. Januar 2014: Das Landeskriminalamt Baden-Württemberg gerät im Fall Kiesewetter ins Zwielicht. Ein pensionierter Beamter gibt zu, in einen Bericht rassistische Äußerungen eines Psychologen über Roma übernommen zu haben. Das LKA hatte nach dem Mord an Kiesewetter gegen Roma ermittelt, einige hielten sich auf dem Festplatz Theresienwiese auf, als die Tat geschah.

Tag 82 / 3. Februar 2014: Eine ehemalige Nachbarin aus der Polenzstraße in Zwickau beschreibt Zschäpe als kinderlieb. Auf Fragen eines Nebenklage-Anwalts gibt die Zeugin Sympathien für den Rechtsextremismus zu erkennen.

Tag 83 / 4. Februar 2014: Ein Sachverständiger des BKA berichtet, Mundlos und Böhnhardt hätten bei mindestens fünf Morden mit der Ceska 83 einen Schalldämpfer eingesetzt.

Tag 84 / 5. Februar 2014: Befangenheitsantrag gegen den beisitzenden Richter Peter Lang. Zschäpes Verteidiger Wolfgang Heer hatte vor Beginn der Verhandlung gesehen, dass Lang einen Ordner mit der Aufschrift „HV NSU“ trug. HV steht für Hauptverhandlung. Damit bringe der Richter zum Ausdruck, „dass er das Bestehen einer terroristischen Vereinigung namens NSU bereits als erwiesen betrachtet“, sagt Heer. Der Antrag wird später, wie alle Ablehnungsgesuche zuvor, von anderen Richtern zurückgewiesen.

Tag 85 / 18. Februar 2014: Ein Ermittler beschreibt das Brettspiel „Pogromly“, das Uwe Mundlos entworfen haben soll. In der antisemitisch pervertierten Version von Monopoly sollen die Spieler möglichst viele Juden eliminieren. Das Spiel verkauften Unterstützer von Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe, um den drei Untergetauchten finanziell zu helfen.

Tag 86  / 19. Februar 2014: Ein Beamter des BKA berichtet von einer Durchsuchung der Wohnung Zschäpes in Jena nach ihrer Flucht. In den Räumen wurden unter anderem eine Reichskriegsflagge, das Pogromly-Spiel, ein Luftgewehr mit Zielfernrohr, ein Wurfstern, ein Jagdmesser und ein Buschmesser sichergestellt.

Tag 87 / 20. Februar 2014: Max-Floran B., ein mutmaßlicher Unterstützer des NSU, weigert sich auszusagen. Der Mann soll 1998 Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe nach ihrer Flucht aus Jena geholfen haben, in Chemnitz unterzukommen.

Tag 88 / 25. Februar 2014: Die Betreiberin eines Caravan-Verleihs beschreibt, wie ein „Holger Gerlach“ bei ihr Wohnmobile mietete. Bei dem Kunden handelte es sich um Uwe Böhnhardt, er trat unter dem Namen eines der Angeklagten im NSU-Prozess auf. Die Wohnmobile seien immer sauber zurückgekommen, sagt die Frau.

Tag 89 / 26. Februar 2014: Auftritt einer Unterstützerin von Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe. Mandy S., einstiger Spitzname „White Power Mandy“, gibt zu, die drei 1998 in Chemnitz in der Wohnung von Max-Florian B. einquartiert zu haben. Mit B. war Mandy S. damals befreundet. Die Frau ging auch zur Stadtverwaltung Chemnitz, um einen Ausweis für Böhnhardt abzuholen, der mit falschen Angaben erschlichen wurde.

Tag 90 / 27. Februar 2014: Weitere Befragung von Mandy S. Die Frau spricht über ihre Verbindungen zur rechtsextremen Szene in Nürnberg. Es bleibt allerdings offen, ob die Kontakte für die Taten des NSU in der Stadt genutzt wurden. Die Terrorzelle verübte in Nürnberg drei Morde und  den Sprengstoffanschlag mit der präparierten Taschenlampe.

Tag 91 / 11. März 2014: Richter Götzl lässt ein Video zeigen, mit dem die Polizei in Kassel das Verhalten des Verfassungsschützers Andreas T. nach dem Mord an Halit Yozgat rekonstruieren wollte. In dem Film aus dem Jahr 2006 zeigt Andreas T., wie er sich am Tattag im Internetcafé von Yozgat bewegt haben will. Nach der Vorführung bleibt aber erst recht zweifelhaft, dass der groß gewachsene T. den hinter einem niedrigen Tresen in einer Blutlache liegenden Yozgat nicht gesehen hat.

Tag 92 / 12. März 2014: Der frühere Chef des hessischen Verfassungsschutzes, Lutz Irrgang, äußert sich zum Fall Andreas T. Er habe nach dem Mord an Halit Yozgat von Andreas T. eine dienstliche Erklärung gefordert und schließlich eine „Suspension bis auf Weiteres“ ausgesprochen, sagt Irrgang. Nach ihm kommt nochmal Andreas T. als Zeuge. Er ändert seine bisherige, mehrmals wiederholte Aussage auch diesmal nicht.

Tag 93 / 13. März 2014: Der Vater von Halit Yozgat fordert in einer sehr emotionalen Erklärung, die Straße nach seinem Sohn zu benennen, in der die Tat stattfand. Richter Götzl reagiert sanft. Anschließend berichtet eine Zeugin, die einst in Jena in der rechten Szene war, über einen „Mädchenabend“ in Zschäpes Wohnung. Zschäpe habe unter der Jacke eine Pistole in einem Holster getragen und die Waffe „Wally“ genannt.

Tag 94 / 18. März 2014: Anwälte der Nebenklage beantragen, den Neonazi Thomas G. und den ehemaligen V-Mann Michael von D. als Zeugen zu laden. Die beiden sollen sich zu Unterstützern des NSU äußern.

Tag 95 / 19. März 2014: Ein Zeuge gibt zu, für Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe nach ihrem Verschwinden aus Jena einen Mietvertrag für eine Wohnung in Chemnitz abgeschlossen zu haben.

Tag 96 / 20. März 2014: Nochmal der Neonazi André K. aus Jena. Er behauptet, die Kameradschaft „Thüringer Heimatschutz“, in der Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe mitmachten, sei keine feste Organisation gewesen. Der Name sei „bierlaunig“ entstanden. 

Tag 97 / 25. März 2014: Polizisten berichten über die Vernehmung von Max-Florian B., in dessen Chemnitzer Wohnung Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe 1998 unterschlüpfen konnten. B. habe erzählt, die drei hätten ihm später aus Zwickau zur Geburt seines Sohnes ein Päckchen mit einem Plüschkrokodil geschickt.

Tag 98 / 26. März 2014: Eine ehemalige Freundin von Ralf Wohlleben berichtet wirr vom Tag der Flucht von Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe aus Jena. Die Frau will am 26. Januar 1998 nach Erfurt gefahren sein, um Wohlleben zu „informieren“, der dort eine Ausbildung machte. Vermutlich ging es aber eher darum, dass Wohlleben seinen Wagen für die drei zur Verfügung stellte.

Tag 99 / 27. März 2014: Ein  pensionierter Verfassungsschützer aus Thüringen lobt den ehemaligen Spitzel Tino Brandt. Der V-Mann sei sehr kooperativ gewesen und habe zum rechten Spektrum ehrlich berichtet. Zum möglichen Doppelspiel des Neonazis im Fall des NSU äußert sich der Zeuge nicht.

Tag 100 bis 119

Sie steht im Zentrum des Prozesses: Beate Zschäpe.
Sie steht im Zentrum des Prozesses: Beate Zschäpe.
© dpa

Tag 100 / 1. April 2014: Ein früherer Skinhead aus Chemnitz gibt zu, Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe in seiner Wohnung beherbergt zu haben. 

Tag 101 / 2. April 2014: Thomas S., eine mutmaßlich zentrale Figur im frühen Unterstützerkreis für Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe, verweigert die Aussage, da gegen ihn noch ermittelt wird. Ein BKA-Beamter berichtet jedoch über eine Vernehmung von Thomas S. Der gab da zu, Mundlos vor dessen Untertauchen Sprengstoff beschafft zu haben. Am Nachmittag hat Zschäpe wieder Kopfschmerzen. Ein Arzt untersucht sie, Richter Götzl beendet vorzeitig die Verhandlung.

Tag 102 / 3. April 2014: Die Mutter von Uwe Mundlos sagt aus und äußert Selbstkritik. Sie habe sich nur wenig um Uwe kümmern können, berichtet Ilona Mundlos. Als Gründe nennt sie ihre Arbeit in einer Kaufhalle in Jena und die Pflege für den schwer behinderten Bruder von Uwe.

Tag 103 / 8. April 2014: Eine Ex-Freundin des Angeklagten André E. erzählt, dass sie mit ihm die untergetauchten Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe kennenlernte, als die sich 1998 in einer Chemnitzer Wohnung versteckten.

Tag 104 / 9. April 2014: Der ehemalige Leiter der Außenstelle des hessischen Verfassungsschutzes in Kassel berichtet von einer Lüge seines damaligen Mitarbeiters Andreas T. Der hatte nach dem Mord an Halit Yozgat behauptet, er kenne das Internetcafé nicht, in dem die Tat geschehen war.

Tag 105 / 10. April 2014: Mandy S., einst Unterstützerin von Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe, sagt nochmal aus. Sie gibt an, einen Text für das rechtsextreme Heft „Landser“ geschrieben zu haben, in dem sie die Szene zur Einigkeit aufrief.

Tag 106/15. April 2014: Der Vater des ermordeten Halit Yozgat befragt selbst den Ex-Verfassungsschützer Andreas T. „Haben Sie nicht nach meinem Sohn gesucht, als Sie die 50 Cent auf den Tisch gelegt haben?“, ruft Ismail Yozgat. Andreas T. antwortet, „ich konnte nicht ahnen, dass so was Entsetzliches passiert war, dass ich unter dem Tisch gesucht hätte!.

Tag 107/ 16. April 2014: Mundlos und Böhnhardt seien manchmal in braunen Uniformen herumgelaufen, sagt eine ehemalige Rechtsextremistin. Das habe etwas Bedrohliches gehabt, „aber auch etwas Lächerliches“.

Tag 108 / 28. April 2014: Mutmaßlicher Mittelsmann bei der Beschaffung der Mordwaffe Ceska 83 sagt, er wisse von der Pistole nichts.

Tag 109 / 29. April 2014: Tino Brandt, der Anführer der Kameradschaft „Thüringer Heimatschutz“, sei für Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe „ein Gott“ gewesen, zitiert ein BKA-Beamter aus der Vernehmung von Thomas S., einer mutmaßlichen Hauptfigur der Unterstützer des NSU.

Tag 110/ 6. Mai 2014: Am ersten Jahrestag des Prozesses fühlt sich Zschäpe so schlecht, dass sie am Vormittag mit ihren Anwälten den Saal verlässt – und nicht mehr wiederkommt. Die Verteidiger streiten dann noch mit einem Arzt und stellen gegen ihn einen Befangenheitsantrag. Der nächste Termin fällt wegen Erkrankung Zschäpes aus.

Tag 111/ 8. Mai 2014: Zschäpe kommt zum Prozess, leidet aber weiter unter Übelkeit. Richter Götzl bricht die Verhandlung am Mittag ab.

Tag 112/ 19. Mai 2014: Ein früherer Rechtsextremist gibt konspirative Telefonate mit den untergetauchten Mundlos und Böhnhardt und Kurierdienste zu.

Tag 113 / 20. Mai 2014: Mitarbeiter der Eisenacher Sparkasse berichten vom Raubüberfall des NSU am 4. November 2011. Ein Rentner schildert, wie er an dem Tag der Polizei den entscheidenden Tipp zu Mundlos und Böhnhardt gab. Die beiden erschossen sich in Eisenach  in ihrem gemieteten Wohnmobil, als die Polizei näher kam. Zuvor hatte einer oder beide das Fahrzeug angezündet.

Tag 114 / 21. Mai 2014: Der Angeklagte André E. provoziert mit einem szenetypischen Kapuzenpulli. Auf einem Ärmel steht „Satanic Warmaster“. Es ist der Name einer rechtsextremen Rockband. Richter Götzl lässt den Angeklagten mit seinem Kleidungsstück von einem Polizisten fotografieren.

Tag 115 /  26. Mai 2014: Ein Profi-Bankräuber wird zu einem möglichen Waffendeal mit dem Angeklagten Wohlleben befragt. Der Häftling sagt, er wisse von nichts.

Tag 116 / 28. Mai 2014: Eine Mitarbeiterin der Eisenacher Sparkasse ist nach dem Überfall von Mundlos und Böhnhardt im November 2011 noch heute traumatisiert. Mutmaßlich Böhnhardt hatte die Frau mit einer Waffe bedroht und den Filialleiter niedergeschlagen.

Tag 117 / 3. Juni 2014: Polizisten sagen zum Anschlag auf ein iranisches Lebensmittelgeschäft in der Kölner Probsteigasse aus. Mundlos oder Böhnhardt soll im Dezember 2000 eine präparierte Christstollendose in dem Laden stehen gelassen haben. Die Tochter des Einzelhändlers erlitt schwere Verletzungen, als sie den Behälter am 19. Januar 2001 öffnete.

Tag 118 / 4. Juni 2014: Das Opfer des Anschlags berichtet über die Verbrennungen und weiteren Wunden. Und sie sagt, „so leicht lasse ich mich aus Deutschland nicht wegjagen“.

Tag 119 / 5. Juni 2014: Der Vater des Opfers sagt, er sei arbeitslos, der Anschlag habe ihn ruiniert.

Tag 120 bis 139

Sie steht im Zentrum des Prozesses: Beate Zschäpe.
Sie steht im Zentrum des Prozesses: Beate Zschäpe.
© dpa

Tag 120 / 26. Juni 2014: Ein Sprengstoffexperte der bayerischen Polizei schildert, wie knapp das Opfer des Anschlags in Köln mit dem Leben davon kam.

Tag 121 / 1. Juli 2014: Die Verteidiger von Ralf Wohlleben stellen einen Befangenheitsantrag gegen den 6. Strafsenat. Die Richter hatten beschlossen, der Angeklagte müsse in Untersuchungshaft bleiben.

Tag 122 / 2. Juli 2014: Ein mutmaßlicher Mittelsmann bei der Beschaffung der Mordwaffe Ceska 83 präsentiert stundenlang Erinnerungslücken.

Tag 123 / 3. Juli 2014: Ein Beamter der Dortmunder Polizei berichtet, eine Zeugin habe nach dem Mord an Mehmet Kubasik die Täter als Rechtsradikale „oder  Junkie-Typen“ beschrieben.

Tag 124 / 8. Juli 2014: Eine Frau aus Eisenach will Zschäpe zwei Tage nach dem Selbstmord  von Mundlos und Böhnhardt an der Stelle gesehen haben, wo deren Wohnmobil gebrannt hatte.

Tag 125 / 9. Juli 2014: Zschäpe hat wieder Kopfschmerzen, hält dann aber doch den Tag durch. Der ältere Bruder von Uwe Böhnhardt nennt ihn „aufgeweckter Junge“, der „irgendwann ausgerissen“ sei.

Tag 126 / 10. Juli 2014: Ein Neonazi weigert sich, zur rechtsextremen Vereinigung „Hammerskins“ auszusagen. Richter Götzl droht Ordnungsgeld an, belässt es aber dabei.

Tag 127 / 15. Juli 2014: Auftritt Tino Brandt. Uwe Mundlos sei „wirklich ein lustiger Typ gewesen“ und Zschäpe „keine dumme Hausfrau“, sagt der Ex-Chef der Kameradschaft „Thüringer Heimatschutz“ und ehemalige V-Mann. Böhnhardt beschreibt er als „schweigsamer“. Brandt behauptet, er habe mit den dreien nicht über Gewalt diskutiert.

Tag 128 / 16. Juli 2014: Eklat im Prozess. Zschäpe lässt über einen Polizisten dem Strafsenat mitteilen, sie habe kein Vertrauen mehr in ihre Verteidiger. Götzl bricht den Verhandlungstag ab.

Tag 129 / 22. Juli 2014: Götzl verkündet, Zschäpes Antrag zur Ablösung ihrer Verteidiger sei abgelehnt. Die schriftliche Begründung der Angeklagten war zu dünn.

Tag 130 / 23. Juli 2014: Ein früherer Informant des Thüringer Verfassungsschutzes sagt aus. Er hatte kurz nach dem Untertauchen von Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe das defekte Fluchtfahrzeug, mutmaßlich der Wagen von Ralf Wohlleben, von Sachsen nach Jena abgeschleppt.

Tag 131 / 29. Juli 2014: Zschäpes Verteidiger stellen einen Befangenheitsantrag gegen alle Richter des 6. Strafsenats. Als Grund nennt Anwalt Wolfgang Heer die Befragung eines Zeugen durch Götzl. Der Richter habe Sachverhalte ignoriert, die Zschäpe entlasten würden.

Tag 132 / 30. Juli 2014: Eine Studentin, früher Punkerin, sagt, sie sei 1996 in Jena von Zschäpe attackiert worden und habe sich einen Fuß gebrochen.

Tag 133 / 31. Juli 2014: Ein BKA-Beamter berichtet, Charlotte E. befragt zu haben. Der Polizist vergaß aber, die betagte Ex-Nachbarin von Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe in Zwickau zu fragen, ob Zschäpe vor dem Brand am 4. November 2011 bei ihr geklingelt habe.

Tag 134 / 5. August 2014: Götzl hat den Prozessbeteiligten einen erweiterten Terminplan bis Juni 2015 geschickt. Ein weiterer mutmaßlicher Mittelsmann bei der Beschaffung der Ceska 83 bezeichnet belastende Aussagen gegen ihn, die ein Zeuge bei der Polizei machte, als gelogen.

Tag 135 /  6. August 2014: Ein Polizist aus Kassel sagt, die Version des Ex-Verfassungsschützers Andreas T., vom Mord an Halit Yozgat nichts mitbekommen zu haben, sei „sehr, sehr unglaubwürdig“.

Tag 136 / 4. September 2014: Ein Thüringer Kriminalbeamter berichtet von rechtsextremen Straftaten, die Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe vor ihrer Flucht begangen haben sollen.

Tag 137 / 5. September 2014: Der Angeklagte André E. erscheint mit einem Shirt, auf dem der RAF-Terrorist Andreas Baader abgebildet ist. Ein Bruder von André E. verweigert die Aussage.

Tag 138 / 16. September 2014: zwei Schweizer Polizisten berichten von den wenig erhellenden Vernehmungen des ersten Käufers der Mordwaffe Ceska 83, Peter G., im Kanton Bern.

Tag 139 / 17. September 2014: Ein weiterer Schweizer Beamter sagt zu den Befragungen von Peter G. aus. Der Erstkäufer der Ceska 83 war mutmaßlich ein Strohmann für seinen Bekannten Hans-Ulrich M., auch ein

Schweizer. Er soll laut Bundesanwaltschaft die Pistole nach Deutschland verkauft haben. Weder Peter G. noch Hans-Ulrich M. sind bereit, im NSU-Prozess auszusagen.

Tag 140 bis 159

Sie steht im Zentrum des Prozesses: Beate Zschäpe.
Sie steht im Zentrum des Prozesses: Beate Zschäpe.
© dpa

Tag 140 / 17. September 2014: Ein Schweizer Polizist berichtet, Hans-Ulrich M. habe ausgesagt, Zschäpe nur aus den Medien zu kennen.

Tag 141 / 22. September 2014: Ein früherer Freund von Uwe Böhnhardt schildert gemeinsame kriminelle Aktivitäten. Böhnhardt sei beim Autoknacken in Jena, „gut durchdacht“ vorgegangen.

Tag 142 / 23. September 2014: Ein Zwickauer Polizist sagt, er gehe davon aus, dass Zschäpe am 4. November 2011 erst das Benzin in der Wohnung in der Frühlingsstraße verschüttete und dann bei der Nachbarin Charlotte E. klingelte, um sie zum Verlassen des Hauses aufzufordern.

Tag 143 / 24. September 2014: Tino Brandt bestreitet, sich an Schießübungen beteiligt zu haben.

Tag 144 / 30.September 2014: Ein ehemaliger V-Mann-Führer von Tino Brandt sagt, dieser habe bei Fragen in der Szene nach den drei Untergetauchten „vorsichtig operieren“ müssen und nicht „allzu direkt insistieren“ können.

Tag 145 / 1. Oktober 2014: Götzl bricht den Verhandlungstag früh ab, da er selbst erkrankt ist.

Tag 146 / 7. Oktober 2014: Der ehemalige Skinhead aus Chemnitz, der Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe bei sich aufgenommen hatte, berichtet von seinen Verbindungen zur rechtsextremen Organisation „Blood & Honour“.

Tag 147 / 8. Oktober 2014: Auf die Frage nach der ausgeschliffenen Seriennummer bei der Ceska 83 habe Hans-Ulrich M. behauptet, er habe dazu keine technischen Möglichkeiten, sagt ein Schweizer Polizist.

Tag 148 /  9. Oktober 2014: Ein Schweizer Staatsanwalt berichtet über mysteriöse Angaben von Peter G. Ihm soll Hans-Ulrich M. erzählt haben, beim Verkauf einer Waffe in Deutschland sei er an einen V-Mann geraten.

Tag 149 / 14. Oktober 2014: Zschäpes Verteidiger werfen dem 6. Strafsenat und der Bundesanwaltschaft vor, sie hätten die Vernehmung von Charlotte E. behindert und damit eine Aussage zugunsten der Angeklagten.

Tag 150 / 15. Oktober 2014: Richter verlesen Urteile Thüringer Gerichte zu Straftaten von Uwe Böhnhardt vor dem Gang in den Untergrund. Trotz vieler Delikte saß Böhnhardt nur kurz in Haft.

Tag 151 / 16. Oktober 2014: Der Angeklagte André E. muss sich erneut auf Anordnung von Richter Götzl fotografieren lassen. Der Rechtsextremist trägt ein Shirt mit der Aufschrift „Brüder Schweigen“. Das war der zweite Name der rechtsextremen, US-amerikanischen Terrororganisation „The Order“.

Tag 152 / 21. Oktober 2014: Die ehemalige Thüringer Lebensgefährtin von Hans-Ulrich M. schildert ihn als Waffennarr.

Tag 153 / 22. Oktober 2014: Der Nebenklage-Anwalt Turan Ünlücay, er vertritt Mitglieder der Familie des ermordeten Mehmet Kubasik, wird als Zeuge befragt. Ünlücay hatte in der Schweiz mit Hans-Ulrich M. gesprochen. Der erzählte dem Anwalt, der zwielichtige, ehemalige Betreiber eines Eiscafés im thüringischen Apolda habe die Mordwaffe Ceska 83 erworben.

Tag 154 / 23. Oktober 2014: Zschäpe habe kurz vor ihrer Festnahme am 8. November 2011 berichtet, am Tag des Brandes in Zwickau bei der Nachbarin Charlotte E. geklingelt zu haben, sagt der Jenaer Anwalt Gerald Liebtrau. Die Aussage klingt indirekt wie ein Hinweis Zschäpes, das Feuer verursacht zu haben. Liebtrau begleitete Zschäpe, als sie sich der Polizei stellte.

Tag 155 / 5. November 2014: Der frühere Betreiber des Eiscafés in Apolda spickt seine Aussage mit Kalauern. Der Zeuge will niemals in der Schweiz eine Waffe erworben haben. Der für den 4. November, den dritten Jahrestag des NSU-Schocks geplante Prozesstag ist ausgefallen, weil Zschäpe wieder krank war.

Tag 156 / 6. November 2014: Nebenklage-Anwälte der Familie des erschossenen Mehmet Kubasik stellen umfangreiche Beweisanträge zu möglichen Kontakten zwischen dem NSU und Dortmunder Rechtsextremisten.

Tag 157 / 11. November 2014: Ein früherer V-Mann-Führer von Tino Brandt gibt zu, der Spitzel habe im März 1999 erfahren, Carsten S. halte Kontakt zu Mundlos und Böhnhardt. Carsten S., der die Ceska 83 zu Mundlos und Böhnhardt, wurde jedoch vom  Verfassungsschutz nur kurz observiert.

Tag 158 / 12. November 2014: Der frühere Neonazi-Anführer Kai D. schwadroniert in seiner Aussage über militante Aktivitäten der Kameradschaft „Thüringer Heimatschutz“, bleibt aber vage.

Tag 159 / 13. November 2014: Nochmal die ehemalige Thüringer Lebensgefährtin des Schweizers Hans-Ulrich M. Keine Neuigkeiten zur Ceska 83.

Tag 160 bis 179

Sie steht im Zentrum des Prozesses: Beate Zschäpe.
Sie steht im Zentrum des Prozesses: Beate Zschäpe.
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Tag 160 / 18. November 2014: Richter Götzl lässt die vier Versionen des Bekennervideos der Terrorzelle vorführen. Grausige Bilder der von Mundlos und Böhnhardt erschossenen und dann noch fotografierten Türken.

Tag 161 / 19. November 2014: Weitere Befragung von Kai D. Keine neuen Erkenntnisse.

Tag 162 / 20. November 2014: Dreister Auftritt einer Zeugin aus Sachsen. Die Frau war bei Blood & Honour aktiv und verharmlost die braune Skinheadtruppe als familienfreundliche Vereinigung. Die Zeugin bestreitet, ihren Reisepass angeboten zu haben, damit Zschäpe mit Mundlos und Böhnhardt ins Ausland hätte flüchten können.

Tag 163 / 25. November 2014: Oberstaatsanwalt Jochen Weingarten, einer der Vertreter der Bundesanwaltschaft im Prozess, wird als Zeuge befragt. Die Verteidiger Zschäpes und Wohllebens haben seine Vernehmung beantragt. Der Oberstaatsanwalt soll einen  mutmaßlichen Mittelsmann in der Lieferkette der Ceska 83 von der Schweiz über Jena zum NSU im Verhör lautstark unter Druck gesetzt haben. Weingarten berichtet von energischen Fragen, mehr war nicht.

Tag 164 / 26. November 2014: Ein ehemaliger Rechtsextremist bestreitet, seinen Personalausweis der Terrorzelle gegeben zu haben. Das Dokument fand die Polizei im Schutt des ausgebrannten Hauses in Zwickau.

Tag 165 / 27. November 2014: Weiterer Befangenheitsantrag der Verteidiger Zschäpes und Wohllebens gegen Richter Götzl. Er wollte einem Thüringer Polizisten Auszüge aus dem Protokoll einer früheren Vernehmung Zschäpes vorhalten, obwohl der Beamte sich an nichts erinnern konnte.

Tag 166 / 2. Dezember 2014: Zwei ehemalige Polizisten aus der Schweiz berichten über Ermittlungen gegen einen Kriminellen, der 1998 Waffen nach Deutschland verkauft hatte. Keine Neuigkeiten zur Ceska 83.

Tag 167 / 3. Dezember 2014: Ein ehemaliger V-Mann des Brandenburger Verfassungsschutzes wird zur Beschaffung von Waffen für den NSU befragt. Der Zeuge kann oder will sich an nichts erinnern.

Tag 168 / 9. Dezember 2014: Polizisten berichten von Verhören eines früheren Blood & Honour-Aktivisten zu Waffen für die Terrorzelle. Die Befragungen brachten keinen Durchbruch.

Tag 169 / 10. Dezember 2014: Die frühere Aktivistin der sächsischen Sektion von Blood & Honour beteuert erneut, sie habe ihren Pass nicht Zschäpe zur Verfügung stellen wollen.

Tag 170 / 11. Dezember 2014: Ein Kriminalbeamter erläutert Fotos, auf denen Uwe Mundlos in Stuttgart zu sehen ist. Möglicherweise wollte der Neonazi gemeinsam mit Böhnhardt Anschlagsziele ausspähen.

Tag 171 / 16. Dezember 2014: Ein Richter am Bundesgerichtshof sagt, er sei bei der Vernehmung von Carsten S. überrascht gewesen, dass er von sich aus den Schalldämpfer zur Ceska 83 erwähnt habe.

Tag 172 / 17. Dezember 2014: Ein früherer Sprengstoffermittler der bayerischen Polizei berichtet über die Ermittlungen zum Anschlag mit einer sprengstoffgefüllten Taschenlampe in Nürnberg. Der Raum in dem türkischen Lokal sei mit Splittern übersät gewesen.

Tag 173 / 12. Januar 2015: Beginn der Beweisaufnahme zum Nagelbombenanschlag vom 9. Juni 2004 in der Keupstraße in Köln. Polizisten beschreiben die Verwüstung.

Tag 174 / 13. Januar 2015: Ein Polizist zeigt Fotos mit Nägeln, die beim Anschlag umherflogen.

Tag 175 / 20. Januar 2015: Opfer des Anschlags, meist türkischer Herkunft, sagen zu ihren körperlichen und psychischen Schäden aus.

Tag 176 / 21. Januar 2015: Weitere Opfer aus der Keupstraße berichten über ihre Qualen.

Tag 177 / 22. Januar 2015: Wieder Opfer des Bombenanschlags.

Tag 178 / 27. Januar 2015: Opfer sagen aus.

Tag 179 / 28. Januar 2015: Opfer des Anschlags.

Tag 180 bis 199

Sie steht im Zentrum des Prozesses: Beate Zschäpe.
Sie steht im Zentrum des Prozesses: Beate Zschäpe.
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Tag 180 / 29. Januar 2015: Opfer Keupstraße. Einer ihrer Anwälte gerät in Verdacht, das Schicksal eines potenziellen Mandanten übertrieben zu haben.

Tag 181 / 3. Februar 2015: Ein Rechtsextremist sagt aus, Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe hätten sich in Chemnitz „normal in der Szene bewegt“.

Tag 182 / 4. Februar 2015: Tatortvermesser der Polizei verheddert sich mehrmals bei den Angaben zum Anschlag Keupstraße.

Tag 183 / 5. Februar 2015: Jugendgerichtshelfer schildert Biografie des zur Tatzeit im Jahr 2000 noch heranwachsenden Angeklagten Carsten S., von der Strenge des Vaters über die Zeit in der rechten Szene in Jena bis hin zum Ausstieg und dem Coming out als Schwuler. Zschäpes Verteidiger beantragen, einer Nebenklägerin aus der Keupstraße und ihrem Anwalt die Zulassung zum Verfahren zu entziehen. Die Frau sei nicht verletzt worden, sagen die Anwälte der Angeklagten.

Tag 184 / 10. Februar 2015: Der betroffene Nebenklage-Anwalt beantragt, den Antrag der Verteidiger Zschäpes zurückzuweisen. Auch die Bundesanwaltschaft sieht für einen Widerruf der Zulassung keinen Grund.

Tag 185 / 11. Februar 2015: Schriller Auftritt eines rechtsextremen Skinheads aus Kassel. Er bestreitet, was er der Polizei gesagt hat: dass er Mundlos und Böhnhardt im März 2006, kurz vor dem Mord an Halit Yozgat, in Kassel vom Bahnhof abholte. Die Beamten hätten ihm Worte in den Mund gelegt.

Tag 186 / 24. Februar 2015: Eine Zeugin aus Zwickau erzählt vom gemeinsamen Alkoholkonsum mit Zschäpe alias „Lisa“. Der Verhandlungstag wird vorzeitig abgebrochen, da Zschäpe sich schlecht fühlt.

Tag 187 / 25. Februar 2015: Zwei ehemalige Skinheads aus Chemnitz, Zwillingsbrüder, berichten von ihrer Hilfe für die drei Untergetauchten. Einer der beiden überließ Böhnhardt seinen Reisepass.

Tag 188 / 26. Februar 2015: Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe seien in der Thüringer Szene wie Helden verehrt worden, sagt eine frühere Rechtsextremistin.

Tag 189 / 4. März 2015: Da Zschäpe in der vergangenen Woche erneut krank wurde, lässt Götzl vorläufig nur noch an zwei statt an drei Tagen verhandeln. Außerdem dürfen Fotografen und Kamerateams nur noch am ersten und siebten Sitzungstag im Monat und bei „besonderen Prozesssituationen“ Aufnahmen im Sitzungssaal machen. Der Richter will Zschäpe verhandlungsfähig halten. Ein ehemaliger Rechtsextremist aus Jena sagt, er habe den Bau von Bomben für den falschen Weg gehalten, aber aus „Kadavergehorsam“ nicht verurteilt.

Tag 190 / 5. März 2015: Mutter und Bruder des im April 2012 in Berlin von einem Unbekannten erschossenen Burak Bektas sind als Zuschauer im Prozess. Die beiden vermuten, Burak sei nach dem Muster der Morde des NSU getötet worden. Später bedroht auf der Tribüne für Zuschauer der Begleiter eines rechtsextremen Zeugen einen Journalisten. Der stellt Strafanzeige.

Tag 191 / 11. März 2015: Ein früherer Aktivist von Blood & Honour bestreitet, für den Verfassungsschutz gespitzelt zu haben – obwohl die Behörde für seinen Auftritt in München eine Aussagegenehmigung erteilt hat.

Tag 192 / 12. März 2015: Ein weiteres Opfer berichtet vom Anschlag in der Kölner Keupstraße. Ein früherer Freund von Mundlos erzählt, dieser habe sich zu DDR-Zeiten für die Rote Armee Fraktion interessiert und „wie man untertaucht“.

Tag 193 / 18. März 2015: Der psychiatrische Gutachter Norbert Leygraf bescheinigt dem  Angeklagten Carsten S., er sei im Frühjahr 2000 in seiner Persönlichkeitsbildung beeinträchtigt gewesen. Carsten S. könnte demnach noch nach Jugendstrafrecht verurteilt werden.

Tag 194 / 19. März 2015: Zschäpe alias „Liese“ sei immer freundlich und aufgeschlossen gewesen, sagt eine frühere Nachbarin aus der Zwickauer Polenzstraße. Am Rande der Verhandlung wird bekannt, dass der Bundesgerichtshof eine Beschwerde der Verteidiger Wohllebens gegen die Fortdauer der Untersuchungshaft abgewiesen hat.

Tag 195 / 25. März 2015: Zeugen berichten zum Überfall von Mundlos und Böhnhardt auf eine Filiale der Sparkasse im thüringischen Arnstadt am 7. September 2011. Mutmaßlich Böhnhardt schlug eine Angestellte. Die Neonazis erbeuteten 15 000 Euro.

Tag 196 / 26. März 2015: Erste Zeugen zu den beiden Überfälle von Mundlos und Böhnhardt auf dieselbe Filiale der Sparkasse in Stralsund. Die beiden raubten am 7. November 2006 und am 18. Januar 2007 insgesamt 254 965 Euro. Eine Angestellte berichtet weinend von anhaltenden Angstzuständen.

Tag 197 / 14. April 2015: Der Angeklagte Holger G. fehlt am Morgen. Götzl gibt den Prozesstag dennoch nicht auf, G. muss noch für die aktuelle Verhandlung aus Niedersachsen anreisen. Sie startet dann um 16.20 Uhr. Holger G. entschuldigt sich, in seinem Terminplan sei „die Woche verrutscht“. Götzl vernimmt noch sieben der für den Tag geladenen neun Zeugen. Es geht vor allem um die Banküberfälle in Stralsund.

Tag 198 / 15. April 2015: Ein Zeuge sagt, wegen seines bulgarischen Vaters sei er von Uwe Böhnhardt „sehr unfreundlich“ behandelt worden. Uwe Mundlos hingegen sei mit ihm befreundet gewesen, habe ihm von einer Bombenattrappe erzählt - und angekündigt, er werde untertauchen.

Tag 199 / 22. April 2015: Der Präsident des sächsischen Verfassungsschutzes, Gordian Meyer-Plath, bescheinigt dem früheren V-Mann Carsten Sz., seine Berichte hätten eine "hohe Qualität" gehabt. Carsten Sz. hatte von 1994 bis 2000 für den Brandenburger Verfassungsschutz in der rechten Szene gespitzelt. Der V-Mann mit dem Decknamen "Piatto" berichtete 1998 von "drei untergetauchten sächsischen Skinheads", damit waren offenkundig Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe gemeint. Carsten Sz. gab auch an, der sächsische Rechtsextremist Jan W. wolle Waffen für die drei besorgen.

Tag 200 bis 220

Sie steht im Zentrum des Prozesses: Beate Zschäpe.
Sie steht im Zentrum des Prozesses: Beate Zschäpe.
© dpa

Tag 200 / 23. April 2015: Ein Szenezeuge kommt nicht, eine Szenezeugin erinnert sich an fast nichts. Auch am 200. Prozesstag wird das Gericht mit der Dreistigkeit des braunen Milieus konfrontiert. Und Anwälte der Nebenkläger werfen Verfassungsschutz und Bundesanwaltschaft vor, die Aufklärung im NSU-Komplex massiv zu behindern.

Tag 201 /28. April 2015: Ein üppig tätowierter Skinhead provoziert mit der Parole "Blut und Ehre", sie zieht sich über sein linkes Ohr. Die Polizei fotografiert den Zeugen, er muss mit einem Verfahren rechnen. Es ist strafbar,öffentlich  Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen zu zeigen. "Blut und Ehre" war ein Leitmotiv der Hitlerjugend. Als weiterer Zeuge tritt Stephan L. auf, der ehemalige Anführer der "Deutschland-Division" der internationalen Skinhead-Vereinigung Blood & Honour. Der heute am Kopf wieder beharrte Stephan L. schwärmt von der Zeit vor dem Verbot der Deutschland-Division: "Für mich war es ein absolut geiles Machtgefühl, viele Leute um mich herum, die auch mich hören".

Tag 202/29. April 2015: Ein ehemaliger rechter Skinhead belastet überraschend Zschäpe und Wohlleben - und sich selbst. Der Zeuge sagt, er sei im April 1996 mit Zschäpe, Wohlleben sowie Mundlos und Böhnhardt 1996 bei einer Straftat dabei gewesen. An einer Autobahnbrücke nahe Jena wurde ein Puppentorso aufgehängt, der als "Jude" gekennzeichnet und mit einer Bombenattrappe verbunden war.

Tag 203/11. Mai 2015: Zeugen schildern den mutmaßlich ersten Raubüberfall des NSU. Mundlos und Böhnhardt erbeuteten am 18. Dezember 1998 in einer Edeka-Filiale in Chemnitz 30 000 D-Mark. Der Hauptkassiererin wurde im Eingangsbereich eine Tasche mit dem Geld entrissen, das die Frau gerade bei den Kassen eingesammelt hatte. Auf der Flucht schossen die Neonazis auf einen Jugendlichen, der sie verfolgte. Eine Zeugin berichtet von Einschusslöchern in der Außenwand des Supermarkts.

Tag 204/12. Mai 2015: Ein Zeuge schildert, wie Beate Zschäpe in Jena einen Mann mit einem Glas attackiert und verletzt haben soll. Es ist nicht das erste Mal, dass der Angeklagten im Prozess Gewalttätigkeit vorgeworfen wird. Zschäpe fällt das Schweigen dabei offensichtlich schwer. Schon in einem psychiatrischen Gutachten deutete sich an, dass Zschäpe die Schweigestrategie ihrer Verteidiger sehr belastet.

Tag 205/14. Mai 2015: Zeuginnen berichten vom brutalen Überfall, den Mundlos und Böhnhardt am 23. September 2003 auf eine Filiale der Sparkasse in Chemnitz verübten. Einer der beiden Neonazis schlug seine Waffe einer Angestellten auf den Kopf. Dennoch verhinderte die Frau, dass der Tresor geöffnet wurde. Mundlos und Böhnhardt flüchteten mit lediglich  435 Euro. 

Tag 206/19. Mai 2015: Der Konflikt zwischen Zschäpes Verteidigern und dem psychiatrischen Gutachter Henning Saß eskaliert. Die Anwälte und Zschäpe fühlen sich von Saß, der im Auftrag des Gerichts die Angeklagte zu beobachten hat, belauscht. Den Antrag der Verteidiger, Saß teilweise aus dem Prozess herauszuhalten, weist der  Strafsenat jedoch ab.

Tag 207/20. Mai 2015: Ein rechtsextremer Zeuge leugnet, für den Verfassungsschutz gespitzelt zu haben. Die Aussage ist offenkundig falsch - und empört Anwälte der Nebenklage derart, dass sie von Aussageverweigerung sprechen und Zwangsmittel bis hin zur Ordnungshaft fordern.

Richter und Bundesanwaltschaft reagieren scharf. Sie halten den Antrag für einen rechtlich verkehrten und bedenklichen Versuch, eine wunschgemäße Aussage zu erzwingen. Bundesanwalt Herbert Diemer erwähnt sogar das Folterverbot der Menschenrechtskonvention. Der Strafsenat lehnt den Antrag denn auch ab. Daraufhin stellt kein einziger Anwalt der Nebenklage dem Zeugen noch eine Frage.

Tag 208/9. Juni 2015: Die Aussage eines BKA-Beamten stärkt den Verdacht, der NSU habe mehr Waffen gehabt als die 20, die von der Polizei nach dem Ende der Terrorzelle sichergestellt wurden. Der Experte spricht von untersuchter Munition, die drei weiterhin unbekannten Waffen zuzuordnen ist. 

Tag 209/10. Juni 2015: Beate Zschäpe will Verteidigerin Anja Sturm loswerden und stellt einen Entbindungsantrag. Richter Götzl bricht den Verhandlungstag ab.

Tag 210/16. Juni 2015: Eisiges Verhalten Zschäpes gegenüber ihren Anwälten im Gerichtssaal. Dennoch bringt Verteidiger Stahl mit seinen Fragen einen Zeugen des BKA in Bedrängnis.

Tag 211/17. Juni 2015: Zwei ehemalige und ein aktiver Verfassungsschützer aus Hessen äußern sich fürsorglich über ihren früheren Kollegen Andreas T., der mutmaßlich den Mord des NSU an Halit Yozgat in einem Kasseler Internetcafé mitbekommen hatte. Beate Zschäpe bittet im Konflikt mit ihrer Verteidigerin Anja Sturm um eine Verlängerung der Frist für eine Stellungnahme. Richter Götzl gewährt 24 Stunden.

Tag 212/23. Juni 2015: Der NSU hatte womöglich einen weiteren Komplizen. Ein Zeuge berichtet von drei Tätern beim Überfall auf einen Supermarkt in Chemnitz im Dezember 1998. Die Bundesanwaltschaft nennt nur Mundlos und Böhnhardt als Räuber. Die dritte Person könnte allerdings auch Zschäpe gewesen sein. Das wäre allerdings ebenfalls neu. In der Anklage der Bundesanwaltschaft wird Zschäpe bei keinem Verbrechen der Terrorzelle vorgehalten, am Tatort mitgewirkt zu haben.

Tag 213/24.Juni 2015: Gerald H., ehemaliger Geheimschutzbeauftragter des hessischen Verfassungsschutzes, weist Vermutungen zurück, er habe 2006 erfahren, dass sein Kollege Andreas T. schon vor dem Mord an Halit Yozgat in Kassel von der bevorstehenden Tat wusste. Am 9. Mai 2006, einen Monat nach dem Attentat, hatte Gerald H. in einem von der Polizei abgehörten Telefonat mit Andreas T. geäußert, "ich sage jedem Mitarbeiter, wenn der weiß, dass sowas passiert: nicht vorbeifahren". Als das Gespräch Anfang 2015 bekannt wurde, gab es Aufregung. Es schien sich der Verdacht zu bestätigen, Andreas T. habe sich in Kenntnis des zu erwartenden Mordes am Tattag und vermutlich auch zur Tatzeit in Yozgats Internetcafé aufgehalten. Gerald H. sagt nun, die Äußerung sei in dem Telefonat "eine etwas ironische Eröffnungsklausel" gewesen. Am Rande der Verhandlung wird bekannt, dass die Bundesanwaltschaft im Januar 2015 die Ermittlungen zu dem mutmaßlich vom NSU im Juni 1999 verübten Sprengstoffanschlag in einem türkischen Lokal in Nürnberg eingestellt hat. Aus Sicht der Behörde würde die Tat bei einer Verurteilung von Angeklagten im NSU-Prozess angesichts noch härterer Verbrechen nicht ins Gewicht fallen.

Tag 214/30.Juni 2015: Ein von der Polizei mitgeschnittenes Telefonat der Ehefrau des früheren Verfassungsschützers Andreas T. schockt den Gerichtssaal. Das Gespräch vom 19. April 2006 wird abgespielt und es ist deutlich zu hören, dass Eva S.-T. das Kasseler Internetcafé des zwei Wochen zuvor dort erschossenen Halit Yozgat eine "Asselbude" nennt - und das Opfer einen "Dreckstürken". Nachdem die letzten Worte verklungen sind, gibt sich die Frau erschrocken und bekennt, "ich bin nicht stolz darauf, dass ich mich so scheußlich geäußert hab' über türkische Menschen". Zur Aufklärung über die mysteriöse Rolle ihres Mannes bei dem Anschlag auf Yozgat trägt Eva S.-T. nichts bei.

Tag 215/1. Juli 2015: Es war ein Novum im NSU-Prozess: Erstmals seit Beginn des Prozesses schließt Richter Götzl die Öffentlichkeit aus. Der Antrag kam von den Verteidigern des Angeklagten Ralf Wohlleben. Anlass ist der Auftritt eines Beamten aus dem Brandenburger Innenministerium, der für den Verfassungsschutz den Spitzel Carsten Sz. geführt hatte. Carsten Sz. hatte 1998 einen Hinweis auf drei untergetauchte "sächsische Skinheads" gegeben, die sich bewaffnen wollten. Damit waren offenkundig Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe gemeint. Der vermummt auftretende Beamte gibt allerdings als Zeuge nur wenig von sich.

Tag 216/7. Juli 2015: Zschäpe hat einen vierten Pflichtverteidiger. Richter Götzl hat den jungen Münchner Anwalt Mathias Grasel der Angeklagten beigeordnet. Grasel beantragt, den Prozess für drei Wochen zu unterbrechen, um sich einarbeiten zu können. Götzl gewährt eine Woche und zwei weitere Tage im Juli.

Tag 217/14. Juli 2015: Eine Zeugin bringt Zschäpe mit einem kleinen Kind in Verbindung. Ein Mädchen soll dabei gewesen, als mutmaßlich Zschäpe und Böhnhardt im Oktober 2011 in einem Verleih das Wohnmobil abholten, in dem Böhnhardt und Mundlos im November in Eisenach starben. Das Kind habe "Mama" zu der Frau gesagt, hatte die Angestellte der Firma dem BKA erzählt. Im Prozess kann sich die Zeugin kaum noch an Details erinnern. Zschäpes neuer, vierter Pflichtverteidiger Mathias Grasel stellt der Frau nur eine Frage. Es bleibt die einzige an Grasels erstem vollen Verhandlungstag. Am Nachmittag sagt ein Rechtsextremist aus, der mit dem Angeklagten André E. bekannt ist. Der Zeuge gibt an, André E. und sein Zwillingsbruder Maik seien in der Szene "der Dumme und der Schlaue" genannt worden. André E. grinst.

Tag 218/15. Juli 2015: Obwohl sie im Untergrund lebten, verhielten sie sich nicht leise: Ein Zeuge berichtet im NSU-Prozess von wüsten Partys der Mitglieder der Terrorzelle in ihrer Chemnitzer Wohnung. Doch dann versucht ein zynischer Rechtsextremist, Zschäpe zu entlasten.

Tag 219/20. Juli 2015: Zschäpes Verteidiger Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm wollen nicht mehr. Sie stellen einen Antrag auf Entpflichtung, nennen aber kaum Gründe. Richter Götzl lehnt den Antrag ab. Die drei Anwälte betonen jedoch, sie sähen sich auch weiterhin außerstande, ihre Mandantin zu verteidigen.

Tag 220/21. Juli 2015: Zschäpe verlangt in einem Antrag die Ablösung von Verteidiger Heer. Außerdem setzt sie durch, dass sich ihre Anwälte Heer, Stahl und Sturm umsetzen müssen. Der neue Verteidiger Mathias Grasel nimmt den Platz von Heer ein und sitzt nun am nächsten zum Richtertisch. Grasel stellt jedoch keine Frage, als eine Beamtin des BKA Zschäpe belastet. Auf dem Umschlag einer der Bekenner-DVDs des NSU, die im November 2011 verschickt wurden, fanden sich Fingerabdrücke von Zschäpe.

Tag 221 bis 240

Sie steht im Zentrum des Prozesses: Beate Zschäpe.
Sie steht im Zentrum des Prozesses: Beate Zschäpe.
© dpa

Tag 221/28. Juli 2015: Alle warteten gespannt auf ein Zeichen des Vorsitzenden Richters, nachdem die Hauptangeklagte Beate Zschäpe Strafanzeige gegen drei ihrer Anwälte gestellt hatte. Doch Manfred Götzl führte den NSU-Prozess fort, als wäre nichts geschehen.

Tag 222/29. Juli 2015: Die Staatsanwaltschaft München lehnt es ab, gegen Zschäpes Verteidiger Heer, Stahl und Sturm zu ermitteln. Die Angeklagte hatte gegen die Anwälte Strafanzeige erstattet. Heer, Stahl und Sturm sollen die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht verletzt haben. Die Staatsanwaltschaft kann keine Straftat erkennen.

Tag 225/2. September 2015: Nach der Sommerpause agieren Wohllebens Verteidiger unvermindert aggressiv. Sie scheitern allerdings mit dem Antrag, einen Zeugen vereidigen zu lassen, der angeblich gelogen hat. Der ehemalige Skinhead Kay S. hatte berichtet, Wohlleben habe ihn mit einer Geldforderung des untergetauchten Uwe Böhnhardt konfrontiert.

Tag 226/3. September 2015: Der einzige Zeuge kommt nicht, die Richter verlesen sichergestellte Briefe und andere Dokumente. In einem Schreiben aus den 1990er Jahren an Uwe Mundlos berichtet ein inhaftierter Neonazi stolz, verhindert zu haben, dass er mit einem Türken, "solch einen Lumpen", die Zelle teilen muss.

Tag 227/15. September 2015: Ein ehemaliger Mitarbeiter des Thüringer Verfassungsschutzes gibt zu, den NSU-Untersuchungsausschuss des Thüringer Landtags falsch informiert zu haben. Der Beamte überführt im Prozess allerdings auch den einst von ihm geführten rechtsextremen V-Mann als Lügner. Der frühere Skinhead hatte als Zeuge in der Hauptverhandlung geleugnet, jemals Spitzel gewesen zu sein.

Tag 228/16. September 2015: Ein ehemaliger Nazi-Skinhead berichtet vom rigiden Gehabe der "Kameradschaft Jena", der Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe angehörten - Alkoholverbot bei Treffen, strenge Rügen für den Konsum von Haschisch. Außerdem fordern mehr als 30 Nebenklage-Anwälte, im Streit um Akten des Brandenburger Verfassungsschutzes sollten die Richter den Generalbundesanwalt einschalten und notfalls eine Razzia in den Räume des Nachrichtendienstes in Potsdam anordnen.

Tag 229/22. September 2015: Auch Banalitäten sind wichtig: Eine BKA-Beamtin berichtet von einer Postkarte, auf der ein Elefantenbaby zu sehen ist. Die Karte hatte im September 2005 mutmaßlich Uwe Böhnhardt nach Zwickau zu der Adresse geschickt, unter der er, Mundlos und Zschäpe mit falschen Namen lebten. Abgesandt wurde die Karte, versehen mit einem kurzen Gruß, möglicherweise für Zschäpe, aus Dortmund. Offenbar waren Mundlos und Böhnhardt in der Stadt unterwegs, um ein Opfer für einen ihrer Mordanschläge auf Migranten zu suchen. Ebenfalls im September 2005, berichtet die BKA-Frau, hatte mutmaßlich Mundlos eine Notiz auf eine Tabelle mit sechs Dortmunder Adressen geschrieben. Im April 2006 erschossen Mundlos und Böhnhardt in der Stadt den Türken Mehmet Kubasik in seinem Kiosk.

Tag 230/23. September 2015: Ein Sachverständiger des BKA berichtet, bei einer der Waffen des NSU seien DNA-Spuren einer unbekannten Person entdeckt worden. Damit wird der schon lange anhaltende Verdacht stärker, die Terrorzelle sei von Komplizen unterstützt worden, die auch heute noch unbehelligt unterwegs sind. Die Aussage des BKA-Beamten ist Teil der Einführung eines umfangreichen Gutachtens zu DNA-Spuren in den Prozess.

Tag 231/24. September 2015: Im Gutachten des BKA zu DNA-Spuren gibt es weitere Hinweise auf eine enge Verbindung von Zschäpe zur Familie des Angeklagten André E. Aus dem Vortrag des Sachverständigen geht hervor, dass es an einer Figur im Cockpit eines Spielzeughubschraubers die "Anhaftung" einer Mischspur von Zschäpe und einem der Kinder von André E. gab. Das Spielzeug wurde in dem Haus in Zwickau gefunden, das mutmaßlich Zschäpe angezündet hat. Ihr Verteidiger Stahl bezweifelt allerdings in einer Erklärung den Beweiswert solcher Spuren.

Tag 232/29. September 2015: Dem Strafsenat geht offenbar die Geduld aus. Richter Götzl verkündet in elf Beschlüssen und einer Verfügung die Ablehnung von Anträgen, die Nebenklage-Anwälte und Verteidiger gestellt haben. Mehrfach betont Götzl, eine Beweisaufnahme zu den Fällen, die in den Anträgen genannt werden, sei für die "Entscheidung" bedeutungslos. Mit "Entscheidung" ist das Urteil gemeint. Die Richter scheinen nach fast zweieinhalb Jahren Prozess genug zu wissen, um sich ein Bild über Schuld oder Unschuld der fünf Angeklagten zu machen. So wird nun auch nicht mehr dem Antrag von Opfer-Anwälten nachgegangen, einen Dortmunder Rechtsextremisten zu hören, der sich bei der Polizei immerhin zu zwei Mordwaffen des NSU geäußert hatte. Die Anwälte wollen dennoch die Ladung des Mannes erzwingen.

Tag 233/30. September 2015: Ein BKA-Beamter erläutert die Tätowierungen des Angeklagten André E. Dessen Bauch ist mit einer Art Hass-Gemälde verunziert. Der Spruch "Die Jew Die" wird umrahmt von Dienstpistolen der Wehrmacht, einer NS-Parolen in Runenschrift und der Zahl 88, einer Chiffre der rechten Szene für "Heil Hitler". Auf die von Beamern an zwei Wände projizierten Lichtbilder reagiert André E. mit einem spöttischen Grinsen.

Tag 234/7. Oktober 2015: Richter Götzl und zwei Kollegen geraten unter Druck, nachdem vergangene Woche bekannt geworden ist, dass es die Nebenklägerin "Meral Keskin" gar nicht gibt und der Anwalt des Phantoms sein Mandat niedergelegt hat. Drei der vier Verteidiger Zschäpes zählen nun in einem Antrag die Versäumnisse der Richter auf, die dazu führten, dass 2013 ein nicht existentes Opfer des Bombenanschlags in der Kölner Keupstraße als Nebenklägerin zugelassen werden konnte. So unterblieben beispielsweise die von der Bundesanwaltschaft angeregten Nachermittlungen zu der ominösen "Meral Keskin", die in keiner Ermittlungsakte auftauchte. Die Anwälte verlangen von Götzl und den zwei beisitzenden Richtern dienstliche Äußerungen. Mit ihrem Vorstoß bringen sich die Verteidiger allerdings auch in Konflikt mit dem neuen, vierten Anwalt Zschäpes, Mathias Grasel. Er sagt, von dem Antrag der drei Kollegen hätten weder er noch Zschäpe vorher Kenntnis gehabt. Götzl fragt nach, geht dann aber zur Tagesordnung über und vernimmt zwei Zeugen.

Tag 235/8. Oktober 2015: Die Verteidiger von Ralf Wohlleben nutzen den schwelenden Konflikt zwischen Zschäpes Anwälten und stellen einen Antrag auf Aussetzung des Prozesses. Aus Sicht der Anwälte Wohllebens wird Zschäpe nicht mehr ordnungsgemäß verteidigt, das wirke sich auch auf die Situation ihres Mandanten aus. Die Verteidiger fordern auch, den Haftbefehl gegen Wohlleben aufzuheben. Richter Götzl unterbricht die Verhandlung bis zu dem für die nächste Woche terminierten Prozesstag.

Tag 236/13. Oktober 2015: Der Strafsenat lehnt den Antrag der Verteidiger Wohllebens auf Aussetzung des Verfahrens ab. Götzl verkündet den Beschluss und macht erneut deutlich, dass sich die Verhandlung der Endphase nähert. Aus Sicht der Richter ist die Beweisaufnahme so weit fortgeschritten, dass der von Wohllebens Verteidigern als Grund für eine Aussetzung genannte Konflikt von Zschäpes Anwälten Heer, Stahl und Sturm mit der Angeklagten unerheblich erscheint. Wohllebens Anwälte kontern mit einer Gegenvorstellung. Sie verweisen darauf, dass drei der vier Anwälte Zschäpes im Juli selbst beantragt hatten, die Bestellung als Pflichtverteidiger aufzuheben, weil eine ordnungsgemäße Vertretung Zschäpes nicht mehr möglich sei. Götzl bricht den Verhandlungstag am Mittag ab.

Tag 237/14. Oktober 2015: Die Verteidiger von Ralf Wohlleben stellen einen Befangenheitsantrag gegen alle fünf Richter des 6. Strafsenats. Zuvor hatte Götzl einen Beschluss verkündet, wonach die "Gegenvorstellung" der Anwälte zur Ablehnung der von ihnen in der vergangenen Woche geforderten Aussetzung des Prozesses zurückgewiesen wird. Den Befangenheitsantrag begründen die Verteidiger mit dem Vorwurf, die Richter würden nicht erkennen, dass die Angeklagte Zschäpe nicht mehr sachgerecht verteidigt werde. Götzl setzt die Hauptverhandlung ungerührt fort und befragt erneut den arrogant auftretenden Rechtsextremisten Mario B., früher einer der Anführer der Neonazi-Truppe "Thüringer Heimatschutz".

Mario B. war bereits im Juli als Zeuge aufgetreten. Er gibt an, er habe sich darüber geärgert, dass Zschäpe in den 1990er Jahren in Jena eine Demonstration für eine "Initiative Thüringer Heimatschutz" angemeldet hatte. Zschäpe sei nicht autorisiert gewesen, für den "Thüringer Heimatschutz" zu sprechen. Außerdem sei der THS fälschlich "Initiative" genannt worden. Und dann kommt noch eine Überraschung: Mario B. bringt sich mit konfusen Antworten selbst in Verdacht, für einen Nachrichtendienst gespitzelt zu haben. Sollte er V-Mann gewesen sein, wäre der Thüringer Heimatschutz womöglich von zwei Spitzeln geführt worden. Im Jahr 2001 war der THS-Chef Tino Brandt als langjähriger V-Mann des Thüringer Verfassungsschutzes enttarnt worden.

Tag 238/20. Oktober 2015: Ein BKA-Mann erläutert Filme aus den vier Überwachungskameras, mit denen Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe von ihrer Wohnung in der Zwickauer Frühlingsstraße aus die Umgebung beobachteten. Die gezeigten Szenen sind bieder: Zschäpes Katze läuft ins Treppenhaus, Zschäpe selbst trifft eine Mutter mit zwei Kindern. Mutmaßlich handelt es sich um die Familie des Mitangeklagten André E. Zu sehen sind auch Mundlos und Böhnhardt, beide nahezu kahlgeschoren.

Der Strafsenat führt zudem die Vernehmung des ehemaligen rechtsextremen V-Mannes Michael von D. in den Prozess ein. Zwei Richterinnen verlesen das Protokoll des 2014 von BKA und Bundesanwaltschaft geführten Verhörs. Der Ex-Spitzel berichtete, er sei 1998 von einem Thüringer Neonazi gefragt worden, ob er einen Platz wisse, wo drei flüchtige Szeneangehörige hinkönnten.

Sie würden "wegen Sprengstoffgeschichten" gesucht. Michael von D. will sofort das Bundesamt für Verfassungsschutz informiert haben. Der V-Mann-Führer soll ihn jedoch angewiesen haben, keinen Kontakt zu den drei aufzunehmen, da sich "schon andere" darum kümmerten. Im November 2011, kurz nach dem Ende des NSU, wurden beim Bundesamt in der umstrittenen Schredderaktion auch Akten zu dem früheren Spitzel mit dem Decknamen "Tarif" vernichtet.

Tag 239/21. Oktober 2015: Mundlos und Böhnhardt planten offenbar auch einen Anschlag auf ein Asylbewerberheim in Nürnberg. Hinweise hätten sich auf einem Stadtplan und einer elektronischen Datei gefunden, sagt ein Beamter des BKA. Auf dem Stadtplan war der Standort der Unterkunft markiert, in der Datei fanden sich passend dazu Bemerkungen wie "Tür offen". Die NSU-Terroristen oder lokale Helfer waren vermutlich in das Flüchtlingsheim eingedrungen, um es auszuspähen. Der BKA-Mann und eine Kollegin erläutern zudem anhand weiterer Stadtpläne und Computerausdrucke, welche Ziele der NSU im Blick hatte.

Die Papiere hatte die Polizei im Brandschutt der mutmaßlich von Beate Zschäpe angezündeten Wohnung in Zwickau sichergestellt. In den teilweise beschädigten Unterlagen entdeckten die Ermittler auch Hinweise auf Taten des NSU. So ist in einem Ausdruck zu Nürnberg handschriftlich "Scharrerstraße" und "Imbiß" vermerkt. Nahe der Scharrerstraße hatten Mundlos und Böhnhardt am 9. Juni 2005 den Türken Ismail Yasar in seinem Imbiss erschossen. In Auszügen von Stadtplänen von Arnstadt und Eisenach (beide Thüringen) sind die zwei vom NSU im Jahr 2011 überfallenen Filialen der Sparkasse markiert. Mutmaßlich Mundlos und Böhnhardt zeichneten zudem Skizzen mit dem Grundriss der Bankinstitute und mehreren Details, beispielsweise dem Standort eines Tresors.

Tag 240/22. Oktober 2015: Ein Ex-Beamter des BKA und eine aktive Polizistin erläutern weiteres Kartenmaterial, das im Brandschutt des Hauses Frühlingsstraße 26 in Zwickau gefunden wurde. Stadtpläne und Adressenlisten verweisen auf Ausspähaktionen des NSU gegen türkische Einrichtungen, aber auch die DKP und weitere potenzielle Anschlagsziele, sowie gegen Geldinstitute. Die beiden Zeugen nennen unter anderem die Städte Kiel, Chemnitz, Stuttgart, Dortmund, Ludwigsburg und Greifswald. Der frühere BKA-Mann vergreift sich allerdings im Ton. Er nennt muslimische Einrichtungen grundsätzlich "islamistisch". Als Richter Götzl ihn fragt, was er damit meint, sagt der Ruheständler "orientalisch, osmanisch" und "wir haben Mitbürger, die nicht zum deutschen Volke gehören".

Tag 241 bis 260

Sie steht im Zentrum des Prozesses: Beate Zschäpe.
Sie steht im Zentrum des Prozesses: Beate Zschäpe.
© dpa

Tag 241/27. Oktober 2015: Der Fall des Phantom-Opfers "Meral Keskin" wird noch mysteriöser. Ein Beamter des BKA berichtet, das reale Opfer Atilla Ö. habe nach eigenen Angaben Post des Oberlandesgerichts München für "Meral Keskin" erhalten. Der Polizist konnte am Wohnhaus von Atilla Ö. allerdings weder am Briefkasten noch am Klingelschild den Namen des Phantom-Opfers feststellen. In der bizarren Geschichte um "Meral Keskin" dringen zudem drei der vier Verteidiger Zschäpes weiter auf dienstliche Äußerungen von Richter Götzl und zwei Kollegen. Sie hatten 2013 die Nebenklage der nicht existenten Frau auf Antrag eines Anwalts zugelassen.

Am Nachmittag verkündet Götzl wieder mehrere Beschlüsse. Anträge von Verteidigern und Nebenklage-Anwälten werden abgelehnt. So bleiben unter anderem die geforderten Zeugenauftritte des hessischen Ministerpräsidenten Volker Bouffier (CDU) und des früheren bayerischen Innenministers Günter Beckstein (CSU) aus. Mehrere Nebenklage-Anwälte wollten die beiden Politiker zum Fall des früheren hessischen Verfassungsschützer Andreas T. befragen, der sich mutmaßlich während des NSU-Mordes an dem Türken Halit Yozgat am Tatort, einem Internet-Café in Kassel, aufgehalten hatte.

Tag 242/28. Oktober 2015: Der Angeklagte Holger G., bislang meist eine Randfigur im Prozess, wird von mehreren Opferanwälten attackiert. Sie stellen Beweisanträge, in denen Holger G. vorgehalten wird, er sei nicht, wie von ihm behauptet, 2004 aus der rechtsextremen Szene ausgestiegen. Holger G. habe weiterhin in Kontakt zu Neonazis gestanden und an einschlägigen Veranstaltungen teilgenommen. Der Angeklagte hatte am 7. Verhandlungstag die ihm von der Bundesanwaltschaft vorgeworfene Unterstützung des NSU gestanden und angegeben, er habe mit dem rechten Milieu gebrochen. Die Opferanwälte fordern vom Strafsenat, Zeugen zu laden, die rechtsextreme Aktivitäten von Holger G. bestätigen könnten. Der Angeklagte selbst folgt der Verlesung der Beweisanträge mit einem spöttischen Grinsen.

Tag 243/10. November 2015: Die mit großer Spannung für den morgigen Tag erwartete Einlassung Zschäpes fällt erst einmal aus. Zschäpes Verteidiger Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm beantragen, ihre Bestellung zu Pflichtverteidigern aufzuheben. Die Anwälte fühlen sich von Richter Götzl übergangen, der bereits im August mit einem Kanzleikollegen des neuen, vierten Verteidigers Mathias Grasel über eine Aussage Zschäpes gesprochen hatte. Die Verteidiger des mitangeklagten Ralf Wohlleben nutzen die Gelegenheit für ein Ablehnungsgesuch gegen Götzl und die weiteren Richter des 6. Strafsenats. Zschäpe werde nicht mehr ordnungsgemäß verteidigt und das wirke sich auch auf Wohlleben aus, argumentieren die Anwälte. Götzl unterbricht die Verhandlung bis zur nächsten Woche, zwei Prozesstage fallen aus. Offen bleibt, ob dann die Aussage Zschäpes zu hören ist. Grasel will die Einlassung vortragen. Und er kündigt an, Zschäpe werde Fragen beantworten - aber nur die des Senats, keine der Nebenkläger.

Tag 245/24. November 2015: Zschäpes Anwälten Heer, Stahl und Sturm bleibt der Ausstieg verwehrt. Richter Götzl gibt in einer Verfügung bekannt, es lägen "keine Umstände vor, die den Zweck der Pflichtverteidigung ernsthaft gefährden". Zuvor hatten Götzl und seine Kollegen im 6. Strafsenat den Befangenheitsantrag der Verteidigung Wohlleben überstanden. Andere Richter wiesen das Ablehnungsgesuch zurück.

Tag 246/25. November 2015: Zwei Polizeibeamte belasten den Angeklagten Holger G. Nach der Festnahme des mutmaßlichen Unterstützers der Terrorzelle im November 2011 wurden bei einer Durchsuchung seiner Wohnung ein Handy und ein PC sichergestellt. Das Handy enthielt unter anderem eine rassistische SMS, die mutmaßlich von Holger G. stammte, "Nur Scheiße ist braun und Neger auch". Auf Handy und PC fand sich zudem Musik rechtsextremer Bands. Der Angeklagte hatte in seinem vom Blatt abgelesenen Geständnis behauptet, er habe lange vor 2011 die rechte Szene verlassen.

Tag 247/27. November 2015: Weiterhin nur Sparprogramm im Prozess. Götzl wartet offenbar auf Zschäpes Einlassung. Jetzt verlesen Richter lediglich Texte aus einem Heft der verbotenen, rechtsextremen Skinhead-Vereinigung "Blood & Honour" aus dem Jahr 1996. Zu In dem Fanzine finden sich brachiale rassistische Parolen, außerdem wird der Untergrundkampf in kleinen, führerlosen Zellen propagiert. Das Heft lag in der von Zschäpe gemieteten Jenaer Garage.

Dort entdeckte die Polizei im Januar 1998 auch Werkstatt zum Bau von Bomben. Am selben Tag tauchten Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt unter. Der für den Verhandlungstag geladene Zeuge kommt nicht.

Tag 248/8. Dezember 2015: Zschäpe kommt bleicher als sonst schon in den Gerichtssaal. Verteidiger Mathias Grasel kündigt die allseits mit Spannung erwartete Einlassung der Angeklagten für den morgigen Mittwoch an. Die bereits schriftlich formulierte Aussage hat Zschäpe in den vergangenen Tagen offenbar so sehr aufgewühlt, dass sie wieder psychische Probleme bekam - bis hin zum "Heulkrampf", wie ihr Wahlverteidiger Hermann Borchert dem Strafsenat schrieb. Dennoch soll die Einlassung nun kommen. Grasel bittet allerdings schon jetzt darum, die Verhandlung am Donnerstag ausfallen zu lassen. Und der Strafsenat möge seine Fragen schriftlich in einem Katalog zusammenfassen. Den will Grasel mit Zschäpe am Wochenende durcharbeiten, die Richter sollen dann auch schriftlich formulierte Antworten erhalten. Götzl verkündet zudem, Zschäpe habe beantragt, Borchert als Pflichtverteidiger beizuordnen. Er wäre dann der fünfte Anwalt, den der Staat bezahlt.

Der einzige für diese Woche geladene Zeuge, ein Polizeibeamter des Landeskriminalamts Baden-Württemberg, äußert sich zu drei Bahncards, die Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe womöglich nutzten. Eine war mit dem Lichtbild von Uwe Mundlos auf "Max Burkhardt" ausgestellt, eine mit dem Foto von Uwe Böhnhardt auf den Mitangeklagten André E. und eine auf dessen Ehefrau Susann E. Bei dieser Karte zeigt das Lichtbild Zschäpe, mit Sonnenbrille. André E. und seine Frau Susann stehen in Verdacht, der Terrorzelle bei der Beschaffung manipulierter Bahncards geholfen zu haben.

Tag 249/9. Dezember 2015: Die mit Spannung erwartete Einlassung Zschäpes bringt kaum neue Erkenntnisse. Verteidiger Grasel trägt im Namen der Angeklagten vor, sie habe von allen Taten gewusst, aber die Morde und die Sprengstoffanschläge nicht gebilligt. Zschäpe gibt zu, von dem Geld profitiert zu haben, das Mundlos und Böhnhardt bei 15 Raubüberfällen erbeuteten. Die Angeklagte gesteht auch, am 4. November 2011 das Haus in der Zwickauer Frühlingszelle angezündet zu haben, in dem sie zuletzt mit Mundlos und Böhnhardt lebte. Doch weder die gebrechliche Nachbarin Charlotte E. noch die Handwerker, die das Dachgeschoss renovierten, habe sie gefährden wollen. Das Verhältnis zu Mundlos und Böhnhardt war laut Einlassung geprägt von einer emotionalen Abhängigkeit Zschäpes. Die Uwes seien ihre Familie gewesen und sie habe befürchtet, die beiden würden sich umbringen, sollte sie aussteigen und zur Polizei gehen. Zum Schluss entschuldigt sich Zschäpe bei den überlebenden Opfern und den Angehörigen der Ermordeten für die Taten der beiden Männer.

Die Aussage stößt auf Kritik. Zschäpes Entschuldigung sei eine "Frechheit", sagt die zum Prozess gekommene Gamze Kubasik, Tochter des 2006 in Dortmund ermordeten Mehmet Kubasik. Zschäpe versuche, ihre Rolle herunterzuspielen. Auch die ebenfalls nach München gereisten Eltern des zwei Tage nach Mehmet Kubasik in Kassel erschossenen Halit Yozgat sprechen von großer Enttäuschung. Nach der Einlassung beantragt Grasel, die Co-Verteidiger Heer, Stahl und Sturm zu entpflichten. Grasel wirft ihnen "unkooperatives und unkollegiales Verhalten" vor. In scharfem Ton weisen Heer, Stahl und Sturm die Angriffe zurück.

Tag 250/15. Dezember 2015: Richter Götzl listet nach Zschäpes Einlassung zahlreiche Fragen auf, die für den Strafsenat offen geblieben sind. Das betrifft die Aussage selbst sowie Themen, die nach Ansicht der Richter allenfalls gestreift wurden. Götzl will beispielsweise wissen, was Zschäpe zur Herkunft der Waffen sagen kann, die in der ausgebrannten Wohnung in Zwickau lagen. Angesichts der Fülle der Fragen, es sind ungefähr 60, kündigt Zschäpes Anwalt Grasel eine Beantwortung erst für die Zeit nach der Weihnachtspause an. Außerdem sei Zschäpe heute nicht in der Lage, Fragen des Vorsitzenden Richters zur Person zu beantworten. Götzl wollte unter anderem wissen, ob sie wegen psychischer Probleme in ärztlicher Behandlung war und ob sie Alkohol und Drogen konsumiert hat.

Tag 251/16. Dezember 2015: Nun beendet auch Ralf Wohlleben sein jahrelanges Schweigen. In seiner zweistündigen Aussage, die er selbst vom Blatt abliest, bestreitet er den Vorwurf der Bundesanwaltschaft, an der Beschaffung der Mordwaffe Ceska 83 beteiligt gewesen zu sein. Allerdings gibt er zu, dass der Angeklagte Carsten S. mit einer Pistole zu ihm kam. Wohlleben erinnert sich auch, in einem "toten Winkel" seiner Wohnung - der Ex-NPD-Funktionär fühlte sich von den Sicherheitsbehörden überwacht - den Schalldämpfer auf die Waffe geschraubt zu haben. Aber er will weder gewusst haben, wofür der Schalldämpfer eingesetzt werden sollte, noch will er Geld für den Kauf der Pistole gegeben haben. Mit der Ceska hatten Mundlos und Böhnhardt neun Migranten erschossen. Wohlleben nutzt die Aussage auch für rechtsextreme Propaganda. Er lässt ein Szenevideo vorführen, in dem Rechtsextremisten gegen den Kapitalismus wettern. Die Richter lassen es geschehen.

Tag 252/17. Dezember: Der Tag ist schnell vorbei. Richter Götzl befragt Wohlleben zum persönlichen Werdegang. Der 40-Jährige wiederholt, was er am Tag zuvor in seiner Aussage schon geschildert hat: Kindheit in einem normalen, aber strengen Elternhaus. 1992 rissen er und Böhnhardt von zuhause aus und fuhren in einem gestohlenen Wagen bis nach Österreich, wo die Polizei sie aufgriff und nach Jena zurückbrachte. In der 9. Klasse blieb Wohlleben sitzen, eine Lehre als Verkäufer brach er ab, eine Ausbildung zum Handelsfachpacker gelang, ebenso eine Umschulung zum Fachinformatiker. 2003 verweigerte ihm sein Arbeitgeber eine Festanstellung, weil die Antifa einem Kunden der Firma von Wohllebens rechtsextremer Einstellung berichtet hatte. Jahre später bekam er dann eine Stelle als Feinelektroniker.

Auf Götzls Frage hin bezeichnet Wohlleben das Verhältnis zu Ehefrau Jacqueline als "sehr gut". Sie hatte am Tag zuvor neben ihm gesessen, als er seine Aussage verlas. Die ganzen zwei Stunden lag die linke Hand der Frau auf Wohllebens rechtem Bein. Alkohol konsumiert Wohlleben angeblich nur wenig, Drogen "niemals". Auf die Frage nach psychischen Erkrankungen antwortet der Angeklagte, "nein, wenn doch, sind sie bis jetzt nicht erkannt worden". Zu den Tatvorwürfen will Götzl erst im neuen Jahr Wohlleben einvernehmen. Die Hauptverhandlung wird bis zum 12. Januar 2016 unterbrochen.

Tag 253/12. Januar 2016: Frustrierte Mienen bei Prozessbeteiligten, Journalisten und Zuschauern: die mit Spannung erwarteten Antworten Zschäpes auf Fragen des Gerichts zu ihrer Einlassung vom Dezember werden erst kommende Woche zu hören sein. Der Strafsenat will sich zunächst mit Wohllebens Aussage befassen. Götzl verkündet zudem in der kurzen Sitzung mehrere Beschlüssse zu Anträgen von Opferanwälten. Die Anträge werden alle abgelehnt. Auch der, in dem die Ladung eines ehemaligen V-Mannes des Bundesamtes für Verfassungsschutz gefordert wurde. Im Sommer 1998 hatte den damaligen Neonazi ein mutmaßlicher Unterstützer von Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt gefragt, ob er ein Versteck für die drei wisse. Der V-Mann informierte das Bundesamt, das dem Spitzel anwies, sich aus der Sache herauszuhalten.

Tag 254/13. Januar 2016: Wohlleben stellt sich den Fragen Götzls zur Aussage von Dezember. Der Angeklagte beteuert, er habe mit der Beschaffung der Mordwaffe Ceska 83 nichts zu tun gehabt. Die Mitangeklagten Carsten S. und Holger G. sollen unabhängig von ihm Waffen für Böhnhardt und Mundlos besorgt haben. Wohllebens Antworten wirken jedoch teilweise widersprüchlich. Absolut glaubwürdig klingt hingegen sein Bekenntnis zu rechtsextremen Positionen. Wohlleben behauptet unter anderem, die offizielle Zahl der Opfer der Bombardierung Dresdens im Februar 1945 sei heruntergelogen.

Tag 255/14. Januar 2016: Götzl setzt die Befragung Wohllebens fort. Der präsentiert mehrmals Erinnerungslücken. Er berichtet zwar von den Treffen mit Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe, sagt aber auf Götzls Fragen nach deren Lebensverhältnissen im Untergrund, "da kann ich nur spekulieren". Er habe ja "so wenig wie möglich" wissen wollen. Andererseits will er eine Zeitlang sogar wöchentlich mit einem der Uwes telefoniert haben. Dass Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe etwa ein Jahr nach dem Untertauchen keine finanziellen Sorgen mehr hatten, will Wohlleben fraglos hingenommen haben. "Ich weiß, dass am Anfang über Geldnot geklagt wurde, dann war das kein Thema mehr", sagt er.

Laut Anklage verübten Mundlos und Böhnhardt im Dezember 1998, elf Monate nach dem Verschwinden aus Jena, den ersten Raubüberfall. In einem Supermarkt in Chemnitz erbeuteten sie 30 000 D-Mark. Wohlleben will 2001 die drei das letzte Mal getroffen haben, in Zwickau. Dorthin waren sie umgezogen. Auch das will er nicht gewusst haben. Dass der Treffpunkt von Chemnitz nach Zwickau verlegt wurde habe er als "Sicherheitsmaßnahme" angesehen. Bis zu dem angeblich letzten Wiedersehen hatten Mundlos und Böhnhardt bereits mindestens vier Raubüberfälle verübt - und zumindest einen Mord. Von alldem will Wohlleben nichts gewusst haben.

Tag 256/20. Januar 2016: Die Aussage eines Hamburger Staatsanwalts verdeutlicht, wieviel Glück die Ermittler in den Wochen nach dem Ende des NSU im November 2011 hatten. Ohne die Aussage des damals festgenommenen und jetzt auf der Anklagebank sitzenden Holger G. wären die Ermittler erst später oder nie auf die Spur der mutmaßlichen Beschaffer der Mordwaffe Ceska 83 gekommen, Ralf Wohlleben und Carsten S. Wohlleben wurde noch im November 2011 in Jena festgenommen, Carsten S. im Februar 2012 in Düsseldorf. Und es folgte der zweite Glücksfall: Auch Carsten S. packte aus. Er gestand, die Ceska nach Chemnitz zu Mundlos und Böhnhardt gebracht zu haben, außerdem belastete er Wohlleben schwer.

Tag 257/21. Januar 2016: Zschäpe überrascht mit belastenden Aussagen über den Mitangeklagten André E. In den Antworten auf die Fragen des Strafsenats zu ihrer Einlassung vom Dezember sagt Zschäpe, dass André E. sie, Mundlos und Böhnhardt unterstützt hat. Der weiterhin schweigende Angeklagte soll unter anderem in Zwickau eine Wohnung für die drei Untergetauchten gemietet haben. In den Antworten, die Zschäpes neuer Verteidiger Hermann Borchert vorliest, äußert die Frau auch Details zu Waffen. So nennt sie einen ehemaligen Anführer der verbotenen Skinhead-Vereinigung "Blood & Honour". Der Mann soll eine Pistole mit Schalldämpfer geliefert haben. Zschäpe nennt auch eine Person, die eine Pumpgun beschafft haben soll.

Dass Borchert an diesem Tag noch vortragen kann, ist auch eine Überraschung. Zuvor haben die Verteidiger Wohllebens einen Befangenheitsantrag gegen Richter Götzl gestellt, dann folgt noch ein Ablehnungsgesuch gegen die beisitzende Richterin Michaela Odersky. Der Anlass: Verteidiger Wolfram Nahrath fühlt sich am Vormittag von Götzl an einer spontanen Äußerung während der Vernehmung eines Zeugen aus dem BKA gehindert. Als Nahrath am Mittag den Befangenheitsantrag verliest, beobachtet seine Kollegen Nicole Schneiders angeblich, dass Richterin Odersky "geringschätzig lächelt". Prompt ist das nächste Ablehnungsgesuch fällig. Angesichts der stundenlangen Prozedur schickt Götzl zwei Zeugen nach Hause, lässt dann aber am Nachmittag unerwartet doch noch Zschäpes Aussage verlesen.

Tag 258/2. Februar 2016: Götzl stellt Zschäpe weitere Fragen zu ihren Aussagen. Der Richter will unter anderem wissen, wieviel Alkohol die Angeklagte zu sich genommen hatte, bevor sie am 4. November 2011 die Wohnung in Zwickau anzündete. Auch zu den neuen Fragen werden Zschäpe und ihre zwei neuen Anwälte schriftliche Antworten formulieren. Unterdessen sieht sich Götzl einem weiteren Ablehnungsgesuch ausgesetzt, es ist der neunte. Zschäpe und ihr Verteidiger Mathias Grasel halten dem Richter vor, er sei befangen, da er den Antrag auf Entbindung der drei Anwälte Heer, Stahl und Sturm abgelehnt hat.

Tag 259/4. Februar 2016: Die Verteidiger Wohllebens kündigen einen Befangenheitsantrag an. Richter Götzl gewährt den Anwälten zwei Stunden, um das Gesuch zu formulieren. Doch die Verteidiger stellen den Antrag dann doch nicht. Warum, bleibt unklar.

Tag 260/ 16. Februar 2016: Ein Zeuge aus dem Milieu der organisierten Kriminalität in Thüringen spricht von der "Erwägung" seiner Bande in den 1990er Jahren, die rechte Szene mit Waffen auszustatten. Ob er Mundlos und Böhnhardt kannte, will der Mann aber nicht sagen. Als bekannte Gesichter nennt er allerdings die Angeklagten Ralf Wohlleben, André E. und Holger G. Aber auch zu ihnen fällt ihm dann nichts mehr ein. Götzl unterbricht die Befragung, da der Zeuge seine Aussage nicht ohne enen Anwalt fortsetzen will.

Tag 261 bis 270

Sie steht im Zentrum des Prozesses: Beate Zschäpe.
Sie steht im Zentrum des Prozesses: Beate Zschäpe.
© dpa

Tag 261/ 17. Februar 2016: Ein ehemaliger Mitarbeiter der Sparkasse Zwickau schildert, wie er versuchte, Böhnhardt bei einem Banküberfall zu überwältigen. Der NSU-Terrorist war dem Auszubildenden jedoch überlegen, schoss ihm in den Bauch und floh dann, allerdings ohne Beute. Unter den Folgen der Tat leidet der Zeuge noch heute.

Der Strafsenat gibt zudem die Ablehnung weiterer Anträge von Nebenklage-Anwälten bekannt. Die Richter halten es für unter anderem für unnötig, der Schredder-Affäre des Bundesamtes für Verfassungsschutz nachzugehen. Nur Tage nach dem Ende des NSU im November 2011 hatte ein Referatsleiter des Bundesamtes angeordnet, Akten über V-Leute mit Bezug zur rechten Szene in Thüringen zu vernichten.

Tag 262/18. Februar 2016: Zum elften Mal sieht sich Richter Manfred Götzl im NSU-Prozess einem Befangenheitsantrag gegenüber. Diesmal weil er die für Angeklagte geltende Unschuldsvermutung in einem Passus aufgehoben haben soll. Mit dem Satz komme zum Ausdruck, die Richter seien „jetzt schon der Ansicht“, der Angeklagte Ralf Wohlleben habe die ihm vorgeworfenen Taten begangen, trug dessen Verteidiger Olaf Klemke in der Begründung des Befangenheitsantrags vor. Richter Manfred Götzl reagierte auf den Antrag gewohnt stoisch - und setzte die Hauptverhandlung fort.

Tag 263/23. Februar 2016: Mediziner beschreiben die Verletzungen, die ein Mitarbeiter der Zwickauer Sparkasse bei dem Überfall von Uwe Böhnhardt auf eine Filiale am 5. Oktober 2006 erlitt. Der von dem Neonazi abgegebene Schuss in den Bauch des Auszubildenden wird von einem Sachverständigen als potenziell lebensgefährlich bewertet. Außerdem berichtet ein Waffenexperte des BKA, das von den aufgefundenen Waffen der Terrorzelle nur zwei ein Gewinde für einen Schalldämpfer hatten, die Pistole Ceska 83 und eine Maschinenpistole. Damit scheinen kaum noch Zweifel möglich zu sein, dass es diese Pistole mit Schalldämpfer war, die der Angeklagte Carsten S. im Frühjahr 2000 zu Böhnhardt und Mundlos gebracht hatte. Mit der Waffe erschossen die beiden neun Migranten. Carsten S. hat die Lieferung zu Beginn des Prozesses gestanden und den Angeklagten Ralf Wohlleben beschuldigt, den Kauf der Pistole in Jena eingefädelt zu haben. Wohlleben bestreitet, außerdem ist für ihn angeblich gar nicht sicher, dass Carsten S. damals mit der Ceska unterwegs war.

Tag 264/24. Februar 2016: Richter Götzl übersteht auch den elften Befangenheitsantrag. Wohlleben und seine Verteidiger hatten Götzl und dessen vier Kollegen des 6. Strafsenats einen Fehler in einem Gerichtsbeschluss vorgehalten. „Die Vernichtung der Akten auf Anordnung des benannten Zeugen erfolgte nach der letzten Straftat der angeklagten Personen“, heißt es in dem Papier. "Nach der letzten Straftat der angeklagten Personen" werteten Wohllebens Verteidiger wie auch Zschäpes Anwalt Grasel als Ende der Unschuldsvermutung. Die Richter des Oberlandesgerichts München, die über das Ablehnungsgesuch zu entscheiden hatten, wollten jedoch eine "weniger geglückte Formulierung" nicht als Befangenheit werten. So geht der Prozess weiter. In der Verhandlung äußert sich ein Waffenexperte des BKA zu zwei Maschinenpistolen und weiteren Waffen der Terrorzelle.

Tag 265/25. Februar 2016: Wohllebens Verteidiger präsentieren einen weiteren Befangenheitsantrag. Er richtet sich gegen den gesamten Strafsenat. Für Richter Götzl ist es bereits das zwölfte Ablehnungsgesuch, mit dem er konfrontiert wird. Anlass für den Antrag ist ein Beschluss der Richter, die von den Verteidigern Wohllebens geforderte Aufhebung des Haftbefehls abzulehnen. Der Strafsenat hält Wohlleben weiterhin für dringend tatverdächtig, an der Beschaffung der Mordwaffe Ceska 83 für den NSU beteiligt gewesen zu sein. Aus Sicht der Richter hat auch Wohllebens Aussage, mit der er nach jahrelangem Schweigen im Dezember begann, nichts geändert. Ebenso wie die Einlassung von Beate Zschäpe. Sie hatte über ihren Anwalt Grasel mitteilen lassen, der sächsische Skinhead Jan W. könnte eine Waffe mit Schalldämpfer geliefert haben. Das ist den Richtern zu vage.

Tag 266/2. März 2016: Der zwölfte Befangenheitsantrag gegen Richter Götzl ist abgewiesen. Zeugen berichten zum Raubüberfall von Mundlos und Böhnhardt auf eine Postfiliale am 5. Juli 2001 in Zwickau. Die Neonazis versprühten Reizgas und erbeuteten 74 400 D-Mark. Anschließend wird der ehemalige V-Mann-Führer von Carsten S. alias "Piatto" befragt, einem früheren Neonazi aus Brandenburg. Der Beamte, der schon früher im Prozess auftreten musste, bleibt auch diesmal wortkarg. Zu einem Handy, auf dem der Anruf eines sächsischen Rechtsextremisten gespeichert war, der nach "den Bums" fragte, kann der Beamte des Brandenburger Verfassungsschutzes nur wenig sagen.
Tag 267/3. März 2016: Der Strafsenat hört Zeugen zu Überfällen des NSU auf Filialen der Sparkasse in Chemnitz. Mehrere Mitarbeiterinnen sind noch heute traumatisiert.

Tag 268/8. März 2016: Mehrere Kriminalpolizisten sagen zu Raubüberfällen von Mundlos und Böhnhardt auf Filialen von Post und Sparkasse in Chemnitz und Zwickau aus. Die Beamten sprechen auch über die Bilder der Überwachungskameras in den betroffenen Filialen. Die Neonazis waren gut zu erkennen, konnten aber angesichts ihrer Maskierung nicht ermittelt werden.

Tag 269/9. März 2016: Der Angeklagte Carsten S. betont noch einmal, Ralf Wohlleben sei die treibende Kraft bei der Beschaffung der Mordwaffe Ceska 83 gewesen. Wohlleben habe ihm gesagt, dass er die Pistole über den Jenaer Szeneladen "Madley" bekommen könne und Wohlleben habe das Geld für den Kauf der Pistole besorgt. Mit der Ceska erschossen Mundlos und Böhnhardt neun Migranten türkischer und griechischer Herkunft. Carsten S. hat bereits zu Beginn des Prozesses ein umfassendes Geständnis abgelegt. Seine Angaben werden von Wohlleben bestritten.

Am Rande der Verhandlung wird bekannt, dass schon zwei Stunden nach dem Bombenanschlag in der Kölner Keupstraße am 9. Juni 2004 erste Fernsehberichte vom Tatort auf dem Videorekorder in der Zwickauer Wohnung von Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe gespeichert wurden. Da Mundlos und Böhnhardt so schnell nicht aus Köln nach Zwickau zurückgekehrt sein konnten, fällt der Verdacht auf Zschäpe. Sollte sie den Rekorder betätigt haben, wäre sie vermutlich früher in die Anschlagspläne eingeweiht gewesen, als sie in ihrer Einlassung im Dezember 2015 behauptet hat. Zu Beginn des Verhandlungstages hat der Strafsenat weitere Termine für den Prozess mitgeteilt. Die Richter listen 39 zusätzliche Tage bis zum Januar 2017 auf. Ob sie alle benötigt werden, bleibt jedoch offen. Jedenfalls signalisiert der Senat, dass aus seiner Sicht der Prozess nicht, wie bislang geplant, spätestens im September 2016 zu Ende ist.

Tag 270/15. März 2016: Zwei Ermittler des Bundeskriminalamtes (BKA) sprechen vor Gericht über die Ermittlungen zum NSU-Bekennervideo mit der Zeichentrickfigur "Paulchen Panther". Anhand zahlreicher Einzeldateien war die genaue Produktion des Videos detailliert nachzuvollziehen. Ein BKA-Beamter sagt als Zeuge im Prozess, er habe sogar nachvollziehen können, an welchen Tagen einzelne Szenen aus dem Video produziert wurden. Gleichzeitig erheben Nebenkläger schwere Vorwürfe gegen den Verfassungsschutz in Brandenburg. Die Anwälte einer Familie, deren Sohn von 2006 in Kassel mutmaßlich von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt erschossen wurde, verlesen einen Beweisantrag, in dem es heißt, die Brandenburger Behörde habe 1998 die Festnahme von Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe verhindert. Nicht nur andere Opferanwälte schließen sich dem Antrag an, sondern auch die Verteidiger des mitangeklagten mutmaßlichen NSU-Helfers Ralf Wohlleben.

Tag 271 bis 279

Tag 271/16. März 2016: Beate Zschäpe beantwortet erneut Fragen des Gerichts. In einer in der Verhandlung verlesenen Aussage berichtet sie, dass sie mehrfach von ihrem mutmaßlichen NSU-Komplizen Uwe Böhnhardt geschlagen wurde. Das sei vor allem in der Anfangszeit des Untergrundlebens nach 1998 passiert. Nach Zschäpes Darstellung sei Böhnhardt sowohl ihr als auch Mundlos in Diskussionen unterlegen gewesen. Wenn er nicht weiter gewusst habe, sei er gewalttätig geworden. Zschäpe enthüllte erstmals auch Einzelheiten über den Kontakt zu ihrem mitangeklagten mutmaßlichen Helfer André E. und dessen Ehefrau. Das Paar habe über die Banküberfälle Bescheid gewusst, die Böhnhardt mit dem NSU-Komplizen Uwe Mundlos verübt haben soll. Von den Morden und Sprengstoffanschlägen soll das Ehepaar dagegen nichts gewusst haben. Zschäpe gab auch Auskunft über den Tag, an dem das NSU-Trio aufflog. Nachdem sie die Wohnung in Zwickau in Brand gesteckt hatte, habe sie sich mit André E. getroffen. Die beiden seien dann zu ihm gefahren, wo E. ihr frische Sachen seiner Frau gegeben habe, „da meine Kleidung stark nach Benzin roch“. Anschließend habe er sie zum Bahnhof gebracht. Nach einer mehrtägigen Irrfahrt mit der Bahn stellte sie sich letztlich der Polizei.

Tag 272/ 17. März 2016: Wohllebens Anwälte verlangen, dass Verfahren gegen ihren Mandanten abzutrennen und auszusetzen. Aus Sicht der Verteidiger hält die Bundesanwaltschaft Material zurück und reicht es "nach Gutdünken" zu den Gerichtsakten. Konkret geht es um ein T-Shirt mit der Aufschrift "Eisenbahnromantik", abgebildet ist auch die Zufahrt zum Konzentrationslager Auschwitz. Die Textilie wurde laut Bundesanwaltschaft bei der Durchsuchung der Wohnung Wohllebens sichergestellt. Die Bundesanwaltschaft hatte das Shirt zunächst für "nicht relevant" gehalten, doch nach der Aussage Wohllebens zu den Sachakten gegeben.

Da Wohlleben "tatferne ideologische Einstellungen" präsentiert habe, sei das T-Shirt nunmehr doch relevant, sagt Oberstaatsanwalt Jochen Weingarten. Wohlleben hatte in seiner Einlassung behauptet, er bedauere "jede Gewalttat, durch die Menschen getötet oder verletzt werden". Wie das zu einem T-Shirt mit einem Bild vom KZ Auschwitz passt, sagen die Verteidiger und ihr Mandant nicht. Richter Götzl bricht den Verhandlungstag ab.

Tag 273/5. April 2016: Richter Götzl verkündet den Beschluss, der Antrag des Angeklagten Wohlleben auf Aussetzung werde abgelehnt. Es treffe nicht zu, dass die Akten unvollständig seien. Wohllebens Anwälte erheben eine "Gegenvorstellung" und beantragen, den Prozess für eine Woche zu unterbrechen, um Einsicht in die Dateien eines USB-Sticks und die Fotos von aus der erkennungsdienstlichen Behandlung Wohllebens nehmen zu können. Götzl gibt nach und unterbricht die Hauptverhandlung, erst kommende Woche soll es weitergehen. Bevor die Prozessbeteiligten gehen können, stellt Götzl allerdings Zschäpe noch mehrere Fragen. Den Richter interessieren vor allem Details zu der Verbindung von Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt zu dem Mitangeklagten Holger G. Er hatte die Terrorzelle unterstützt, beteuert aber, von ihren Taten nichts gewusst zu haben. Die Antworten auf Götzls Fragen wird vermutlich, wie bereits üblich, Zschäpes Verteidiger an einem der nächsten Verhandlungstage verlesen.

Tag 274/12. April 2016: Wohllebens Verteidiger präsentieren einen weiteren Befangenheitsantrag. Er richtet sich gegen alle fünf Mitglieder des 6. Strafsenats. Anlass ist der Beschluss der Richter von vergangener Woche, einen Antrag auf Aussetzung des Verfahrens abzulehnen. Götzl befragt dennoch zwei Zeugen zu einem Raubüberfall des NSU auf eine Postfiliale in Zwickau im Jahr 2001. Außerdem stellen neun Opferanwälte den Antrag, den früheren Spitzel Ralf Marschner und seinen ehemaligen V-Mann-Führer vom Bundesamt für Verfassungsschutz als Zeugen zu laden. Vergangene Woche war der Verdacht bekannt geworden, der Rechtsextremist Marschner habe in seiner Baufirma zwischen 2000 und 2002 Uwe Mundlos beschäftigt. Marschner hatte 2013 dem Bundeskriminalamt gesagt, bei ihm habe ein Max Burkhardt gearbeitet. Max Burkhardt war der Tarnname von Mundlos nach dem Gang in den Untergrund. Möglicherweise war auch Böhnhardt für Marschners Baufirma tätig. Die Opferanwälte fordern vom Strafsenat auch, er solle dem Verdacht nachgehen, Zschäpe könnte in einem von Marschner betriebenen Szeneladen tätig gewesen sein.

Tag 275/13. April 2016: Noch einmal wird ein Zeuge aus dem Milieu der organisierten Kriminalität in Thüringen befragt. Der Mann gibt aber, wie schon am 260. Prozesstag, zum Thema Waffen für den NSU nur Andeutungen von sich.
Am Rand der Verhandlung wird ein weiterer, handschriftlich verfasster Brief von Zschäpe an Richter Götzl bekannt. In dem Schreiben "entschuldigt" sich Zschäpe für das Verhalten ihrer Anwälte Wolfgang Heer und Wolfgang Stahl. Diese hatten am 272. Tag einen Zeugen daran hindern wollen, eine persönliche Erklärung abzugeben. Den Bankkaufmann hatten Mundlos und Böhnhardt im Mai 2004 beim Überfall auf eine Filiale der Sparkasse in Chemnitz bedroht. Nach seiner Aussage forderte der Zeuge noch im Gerichtssaal eine offizielle Entschuldigung auch bei den Opfern, die den NSU-Terror überlebt haben. Der Mann nannte konkret den Bundespräsidenten und den Bundestagspräsidenten. Bei der Gedenkfeier für die Opfer des NSU im Februar 2012 in Berlin hatte Kanzlerin Angela Merkel nur die Angehörigen der Ermordeten um Verzeihung gebeten, weil diese zu Unrecht von der Polizei krimineller Machenschaften verdächtigt wurden.
Zschäpes Verteidiger Heer und Stahl versuchten, die Erklärung des Zeugen zu stoppen. Das nahm Zschäpe dann zum Anlass, die von ihr im Sommer 2015 geschassten Anwälte im Brief an Götzl wieder einmal hart zu kritisieren.

Tag 276/19. April 2016: Der Befangenheitsantrag Wohllebens gegen den Strafsenat ist abgelehnt. Richter Götzl stellt Zschäpe weitere Fragen. Der Strafsenat will unter anderem wissen, wer Zugriff auf das Geld aus den Banküberfällen hatte, seit wann Zschäpe die Mitangeklagten Wohlleben und Holger G. kennt und wie häufig sie Kontakt zu ihnen hatte, ob Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt ein Motorrad besaßen und ob bei den Straftaten Motorräder zum Einsatz kamen. Antworten gab es, wie üblich, noch nicht. Vermutlich werden wie schon zuvor bei Fragen des Senats Zschäpe und Verteidiger Mathias Grasel die Antworten formulieren, die dann Grasel vorträgt.

Tag 277/20. April 2016: Opferanwälte geraten mit der Bundesanwaltschaft aneinander. Diese hält es nicht für nötig, Ralf Marschner als Zeugen zu laden, den früheren V-Mann des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Der Rechtsextremist soll in seiner Baufirma in Zwickau Uwe Mundlos und womöglich auch Uwe Böhnhardt beschäftigt haben. Außerdem gibt es den Verdacht, Beate Zschäpe sei in einem Szeneladen Marschners tätig gewesen. Ein Nebenklage-Anwalt wirft der Anklagebehörde vor, sie wolle "den Verfassungsschutz schützen". Bundesanwalt Herbert Diemer weist den Vorwurf "aufs Schärfste" zurück.

Tag 278/21. April 2016: Zwei Kriminelle aus Jena verweigern die Aussage, um sich nicht selbst zu belasten. Die Zwillingsbrüder stehen in Verdacht, als ehemalige Chefs einer Bande mit Waffen gehandelt und womöglich auch den NSU versorgt zu haben.
Richter Götzl verkündet zudem, ein Beweisantrag von Nebenklägern zum früheren V-Mann "Corelli" und einer mysteriösen CD zu "NSU/NSDAP" werde abgelehnt. Der inzwischen verstorbene Thomas R. alias Corelli könnte mit Mitglieder der Terrorzelle in Kontakt gestanden haben.

Tag 279/27. April 2016: Ein Richter berichtet über eine Aussage der Ehefrau des Schweizers Anton G., der an der Beschaffung der Mordwaffe Ceska 83 beteiligt war. Die Frau hatte bei einer Vernehmung in der Schweiz angegeben, nicht viel mitbekommen zu haben. Ihr Mann habe mal ein Paket bekommen und ungeöffnet weitergereicht, sagte sie. In dem Paket lag wahrscheinlich die Waffe samt Schalldämpfer, es ging dann offenbar an den Schweizer Hans-Ulrich M. Von ihm aus soll die Pistole über mehrere Stationen zum NSU gelangt sein. Der Richter, der sich nun zu Frau G. äußert, war im Auftrag der Bundesanwaltschaft in die Schweiz gereist, um die Vernehmung dort zu beobachten. Weder Frau G. noch ihr Mann wollen zum NSU-Prozess nach München kommen, um dort auszusagen.

Tag 280 bis Tag 289

Sie steht im Zentrum des Prozesses: Beate Zschäpe.
Sie steht im Zentrum des Prozesses: Beate Zschäpe.
© dpa

Tag 280/28. April 2016: Zschäpes Wahlverteidiger Hermann Borchert fordert, den Prozess auszusetzen - für 100 Wochen. Solange, sagt Borchert, werde er brauchen, um zu prüfen, ob die vom Gericht digital übermittelten Akten zum Verfahren auch den Originalakten entsprechen. Bundesanwalt Herbert Diemer empfiehlt die Ablehnung des Antrags und hält Borchert "utopische Zeitansätze" vor.

Wohllebens Verteidiger beantragen, noch mal Tino Brandt als Zeugen zu laden. Der ehemalige Neonazi-Anführer und Ex-V-Mann des Thüringer Verfassungsschutzes solle gefragt werden, ob er dem Angeklagten Carsten S. das Geld für den Kauf der Mordwaffe Ceska 83 gegeben hat. Carsten S. beschuldigt Wohlleben, für die Finanzierung verantwortlich zu sein.

Tag 281/10. Mai 2016: Der Strafsenat lehnt den Antrag von Wahlverteidiger Hermann Borchert ab, den Prozess für 100 Wochen auszusetzen. Außerdem weisen die Richter weitere Beweisanträge von Nebenklägern zurück.

Tag 282/11. Mai 2016: Die Richter weisen den Antrag mehrerer Nebenkläger ab, den früheren V-Mann Ralf Marschner als Zeugen zu laden. Der Senat hält es beim aktuellen Stand des Prozesses nicht mehr für nötig, den früheren Spitzel des Bundesamtes für Verfassungsschutz zu hören. Marschner steht in Verdacht, in seiner Baufirma in Zwickau zwischen 2000 und 2002 Uwe Mundlos beschäftigt zu haben.

Nebenklage-Anwälte üben harte Kritik am Beschluss der Richter. "Eine Aufklärung des Netzwerkes NSU und der Möglichkeit der Verhinderung der Morde und Anschläge wird damit unterbunden: nicht weil man eine Aufklärung nicht betreiben könnte, sondern weil man sie nicht weiter betreiben will", teilen die Anwälte Sebastian Scharmer und Peer Stolle mit. Sie vertreten Angehörige des 2006 in Dortmund erschossenen Mehmet Kubasik. "Marschner wäre einer der wichtigsten Zeugen in diesem Prozess gewesen", heißt es. Über die Zeit des Untertauchens von Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe in Zwickau, über das Verhältnis zwischen den dreien und Zschäpe und ihre Vernetzung in die rechte Szene in der Stadt lägen bislang kaum Erkenntnisse vor.

Tag 283/12. Mai 2016: Zschäpes Verteidiger Borchert verliest erneut Antworten seiner Mandantin auf Fragen des Gerichts. Damit belastet sie ihren Mitangeklagten Holger G. Dieser habe gewusst, "dass wir von Banküberfällen lebten". Das erbeutete Geld sei zunächst "unter einer Couch" deponiert worden. Später hätten sich stets 5000 bis 10.000 Euro für alltägliche Ausgaben in einer Geldkassette "im Abstellraum" befunden, die von Böhnhardt und Mundlos immer aufgefüllt worden sei, während sie selbst kein eigenes Geld besessen habe. Von Morden und Sprengstoffanschlägen habe sie G. nichts gesagt. Allerdings wisse sie nicht, ob Böhnhardt ooder Mundlos mit ihm darüber gesprochen hätten.

Nach Zschäpes Angaben wäre das Trio auf seiner Flucht schon 1998 fast bei einer Polizeikontrolle geschnappt worden. Nach einem Fahndungsaufruf im Fernsehen habe der Besitzer der Chemniter Wohnung, in der sie untergekommen waren, sie zum Auszug gedrängt. Sie seien deshalb in einem Wagen mit gestohlenem Kennzeichen zu Holger G. nach Hannover gefahren. In der Innenstadt seien sie in eine "Drogenkontrolle" der Polizei geraten. Zwar sei ihr Kennzeichen "im Computer überprüft" worden, doch hätten die Drei "unbehelligt weiterfahren" können.

Tag 284/31. Mai 2016: Nach den Aussagen eines Campingplatzbetreibers und mehrerer Polizisten bleibt offen, ob Zschäpe im Sommer 2004 gemeinsam mit Mundlos und Böhnhardt einen harmonischen Urlaub in Schleswig-Holstein verbracht hat. Zschäpe hatte angegeben, nach dem Bombenanschlag vom Juni 2004 in der Kölner Keupstraße entsetzt gewesen zu sein und die beiden Uwes ohne sie zu einem Campingplatz fahren gelassen zu haben.

Tag 285/1. Juni 2016: Eine Beamtin des BKA berichtet von einer Vernehmung des Angeklagten Carsten S. Er hatte bereits vor dem Prozess gegenüber der Polizei den Mitangeklagten Ralf Wohlleben im Fall der Mordwaffe Ceska 83 schwer belastet. Wie später im Oberlandesgericht München sagte Carsten S. dem BKA, Wohlleben habe ihn zu Andreas S. geschickt, einem der Betreiber des Jenaer Szeneladen "Madley". Andreas S. beschaffte dann die Pistole.

Tag 286/2. Juni 2016: Mehrere Opferanwälte verlangen in einer "Gegenvorstellung", der Strafsenat müsse doch den früheren V-Mann Ralf Marschner als Zeugen laden. Die Richter hatten einen Antrag von Nebenklägern abgelehnt. Aus Sicht der Anwälte klammert das Gericht die Aufklärung staatlicher Mitverantwortung für die Taten des NSU aus. Das gelte auch für weitere Fälle, in denen die Anwälte ebenfalls Gegenvorstellung erheben. Opferanwalt Yavuz Narin droht sogar mit dem Gang zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.

Tag 287/7. Juni 2016: Der ehemalige Szene-Anführer und Ex-V-Mann Tino Brandt wird erneut befragt. Bei dem zentralen Thema, ob er dem Angeklagten Carsten S. Geld für den Kauf der Ceska 83 gegeben hat, gibt es jedoch keine klare Antwort. Brandt sagt, er habe mit Carsten S. viel Kontakt gehalten. Brandt will auch "viel Geld" weitergegeben haben, das er vom Thüringer Verfassungsschutz bekommen habe. An Details kann oder will sich Brandt nicht erinnern. Die Aussage des früheren Spitzels entlastet den Angeklagten Ralf Wohlleben nicht. Er bestreitet, Carsten S. das Geld für den Kauf der Ceska überreicht zu haben. Carsten S. hingegen hat in seinem Geständnis Wohlleben als den Financier dargestellt.

Tag 288/8. Juni 2016: Der psychiatrische Gutachter Norbert Leygraf wird noch einmal zu Carsten Schultze gehört. Leygraf sagt, Schultze habe seine Aktivitäten in der rechten Szene "mehr als Pfadfinderromantik dargestellt". Wohllebens Verteidiger Olaf Klemke stellt Leygraf die Frage, warum dieser die Band "Radikahl", deren Musik Schultze damals hörte, als rechtsextrem bezeichnet hat. Radikahl hatte in einem ihrer Songs dazu aufgerufen, Adolf Hitler den Nobelpreis umzuhängen. Klemkes Versuch, die Bewertung rechtsextremer Musik als rechtsextrem in Zweifel zu ziehen, deutet auf seine Nähe zur Gesinnung seines Mandanten und der beiden weiteren Verteidiger Nicole Schneiders und Wolfram Nahrath hin.

Tag 289/15. Juni 2016: Der Vorsitzende Richter, Manfred Götzl, weist einen Berliner Kripobeamten im Zeugenstand scharf zurecht. Der Beamte macht in seiner Vernehmung immer wieder Erinnerungslücken geltend und weist eigene Verantwortung von sich. Auf die Frage einer Nebenklägerin erwidert der Ermittler, dies habe er ja schon vor einem der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse zu den NSU-Verbrechen beantwortet. Darauf fährt Götzl ihn an und erinnert den Polizisten an seine Verpflichtung, wahrheitsgemäß zu antworten.

Tag 290 bis Tag 299

Tag 290/17. Juni 2016: Ein Beamter des Brandenburger Verfassungsschutzes, einst V-Mann-Führer des Spitzel Carsten S. alias "Piatto", erscheint auch diesmal wieder vermummt zu einer weiteren Befragung. Der Mann nennt zwei Beamte, die 1998 an einer Besprechung im Potsdamer Innenministerium teilnahmen. Es ging um die Freigabe einer Meldung von Piatto zur möglichen Waffenbeschaffung für die untergetauchten Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe. Das Ministerium verweigerte dem Thüringer Landeskriminalamt Informationen zu Piatto, um ihn vor einer Enttarnung zu schützen. Zschäpe beantragt zum wiederholten Mal die Entpflichtung ihrer Verteidigerin Anja Sturm. Die Bundesanwaltschaft widerspricht.

Tag 291/28. Juni 2016: Ein Beamter des BKA berichtet von einem Fingerabdruck Zschäpes auf einem Zeitungsartikel zu einem Mord des NSU. Es handelt sich um einen Text aus dem Münchner Boulevardblatt "tz", darin ging es um die Tötung des türkischen Gemüsehändlers Habil Kilic am 29. August 2001 in München-Ramersdorf durch Mundlos und Böhnhardt. Der Zeitungsartikel taucht in einem Video des NSU auf. Der Film war eine frühe Version des Bekennervideos der Terrorzelle.

Tag 292/29. Juni 2016: Ein früherer V-Mann des Thüringer Verfassungsschutzes weigert sich wie schon bei einem früheren Zeugenauftritt, seine Spitzeltätigkeit zuzugeben. Ein Beamter des Nachrichtendienstes hatte den früheren Anführer der Thüringer Sektion der in Deutschland seit dem Jahr 2000 verbotenen, rechtsextremen Skinheadvereinigung "Blood & Honour" eindeutig als ehemaligen V-Mann identifiziert. Die Bundesanwaltschaft hatte nach dem ersten Auftritt des Zeugen die Münchner Staatsanwaltschaft mit einer Strafanzeige zu einem Ermittlungsverfahren gegen den Mann wegen des Verdachts auf uneidliche Falschaussage animiert. Richter Götzl schickt nun den Zeugen wieder weg, er soll im Juli wiederkommen. Damit bekommt er nochmal Zeit zu überlegen, doch die Wahrheit über seine Tätigkeit für den Thüringer Verfassungsschutz zu sagen.

Tag 293/30. Juni 2016: Ein BKA-Beamter äußert sich zur polizeilichen Vernehmung von Carsten S., der im Frühjahr 2000 die Mordwaffe Ceska 83 beschafft und nach Chemnitz zu Mundlos und Böhnhardt gebracht hatte. Der Angeklagte selbst wiederholt zudem noch einmal, er habe von Ralf Wohlleben das Geld für den Kauf der Pistole erhalten. An Details der Übergabe kann sich Carsten S. nicht mehr erinnern.

Tag 294/5. Juli 2016: Ein ehemaliger Mithäftling von Tino Brandt berichtet, dieser habe sich in der JVA Stadelheim damit gebrüstet, die Richter im NSU-Prozess hereingelegt zu haben. Brandt habe eine Krankheit vorgetäuscht, um nicht als Zeuge aussagen zu müssen. Der Ex-Anführer der Neonazi-Kameradschaft "Thüringer Heimatschutz" und einstige Spitzel des Thüringer Verfassungsschutzes hatte sich tatsächlich im Februar 2014 krank gemeldet. Später sagte er dann doch aus.

Brandt soll in der JVA auch erzählt haben, dass er Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe zwei Jahre nach ihrem Gang in den Untergrund zurückholen wollte. Die drei hätten aber nicht gewollt.

Tag 295/6.Juli 2016: Bis heute quält die Angehörigen der Mordopfer der Terrorzelle NSU die Frage, warum ausgerechnet ihr Familienmitglied sterben musste. Die Hinterbliebenen und ihre Anwälte haben nun im NSU-Prozess am Oberlandesgericht München einen aufwendigen Versuch unternommen, von der Hauptangeklagten Beate Zschäpe Antworten zu bekommen. Zschäpe will bisher nicht mit den Nebenklägern kommunizieren. Dennoch brachten mehrere Anwälte am Mittwoch einen langen Fragenkatalog mit.
„Wissen Sie, warum und wie Enver Simsek, Abdurrahim Özüdogru, Süleyman Tasköprü, Habil Kilic, Mehmet Turgut, Ismail Yasar, Theodoros Boulgarides, Mehmet Kubasik, Halit Yozgat und Michèle Kiesewetter als Mordopfer ausgesucht wurden?“ lautet die erste der mehr als 140 Fragen, die allein eine Gruppe der Opferanwälte vortrug. Sie und ihre Mandanten wollen auch wissen, ob Zschäpe von weiteren Morden, Sprengstoffanschlägen und Raubüberfällen jenseits der in der Anklage benannten Taten Kenntnis hat. Und warum Mundlos und Böhnhardt nach den Attentaten auf die neun Migranten, „soweit bekannt, nicht mehr mit der Waffe Ceska 83 getötet haben sollen“. Ob Zschäpe antwortet, bleibt offen. Sollte sie die Fragen ignorieren, hätte das Gericht womöglich noch mehr Anlass, am Wert der von Zschäpes 2015 begonnenen Einlassung zu zweifeln.

Tag 296/12. Juli 2016: Der Strafsenat hat keine Zeugen geladen und befasst sich mit alten Beweisanträgen und anderen Dokumenten. Zur Sprache kommt unter anderem der "NSU-Brief" an den Neonazi David Petereit, der heute für die NPD im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern sitzt. In dem Brief hatte die Terrorzelle im Jahr 2002 Geld geschickt. Petereit bedankte sich später in dem von ihm herausgegebenen Fanzine "Der Weisse Wolf" für die Spende. Petereit soll am morgigen Verhandlungstag als Zeuge gehört werden.

Der Strafsenat lehnt Beweisanträge zur Rolle des hessischen Verfassungsschutzes im Fall Andreas T. ab. Der Verfassungsschützer war 2006 am Tag des NSU-Attentats auf Halit Yozgat in Kassel zeitnah in dessen Internetcafé, will aber vom Mord nichts mitbekommen haben. Die Richter halten das für glaubhaft, obwohl selbst die Polizei starke Zweifel an der Aussage von Andreas T. äußerte.

Tag 297/13. Juli 2016: Der Neonazi David Petereit sagt als Zeuge, er könne sich an den "NSU-Brief" nicht erinnern. Das Bundeskriminalamt hatte 2012 das Schreiben der Terrorzelle in der Wohnung Petereits gefunden, der für die NPD seit 2011 im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern sitzt. Der NSU hatte den Brief im Jahr 2002 dem Szene-Blatt "Der Weisse Wolf" geschickt, zusammen mit Geld. Petereit sagt nun im Gericht, er habe den Brief erstmals gesehen, als ihn die BKA-Beamten in seiner Wohnung entdeckten.

Am Rande der Hauptverhandlung wird ein neuer Terminplan bekannt. Götzl teilt den Prozessbeteiligten vorsorglich weitere Verhandlungstage bis September 2017 mit. Viele Anwälte sind überrascht, da allgemein das Ende der Beweisaufnahme für diesen Sommer erwartet wird. Möglicherweise wollen die Richter aber noch die vielen Fragen beantwortet haben, die Zschäpe von den Opferanwälten gestellt bekam.

Tag 298/14. Juli 2016: Nun beantragen wie zuvor schon mehrere Opferanwälte auch die Verteidiger von Ralf Wohlleben, die V-Mann-Akte des früheren Spitzels Ralf Marschner beizuziehen. Wohllebens Anwälte glauben ebenfalls, der Verfassungsschutz sei in den NSU-Komplex verstrickt. Im Fall Marschner gehen die Verteidiger davon aus, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz über den V-Mann wusste, wo sich die untergetauchten Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe aufhielten, aber nicht die Polizei informierte.

Im Gegensatz zu den Opferanwälten hoffen die Verteidiger allerdings, eine Mitschuld des Verfassungsschutzes an den Verbrechen des NSU könnte zumindest Wohlleben entlasten. Den Anwälten der Nebenkläger hingegen geht es nur darum, staatliches Verhalten zu klären, nicht aber die Tatvorwürfe gegen die Angeklagten zu relativieren.

Tag 299/19. Juli 2016: Die Richter weisen mehrere Beweisanträge von Ralf Wohlleben ab. Damit scheinen die zuvor schon mutmaßlich geringen Chancen des Angeklagten und seiner drei Verteidiger, ein hartes Urteil abzuwenden, sich beinahe verflüchtigt zu haben. Die Bundesanwaltschaft wirft Wohlleben vor, maßgeblich an der Beschaffung der Mordwaffe Ceska 83 beteiligt gewesen zu sein. Mehrere Versuche der Verteidiger, die Entlassung Wohllebens aus der Untersuchungshaft zu erreichen, sind bereits gescheitert. Die Richter deuten nun in den Gründen zur Ablehnung der Beweisanträge an, dass sie den von der Bundesanwaltschaft geschilderten Weg der Pistole von der Schweiz über Jena zu Mundlos und Böhnhardt in Chemnitz für glaubhaft halten.

Tag 300 bis Tag 309

Sie steht im Zentrum des Prozesses: Beate Zschäpe.
Sie steht im Zentrum des Prozesses: Beate Zschäpe.
© dpa

Tag 300/20. Juli 2016: Der einstige Anführer der Thüringer Sektion der Skinhead-Vereinigung Blood & Honour, Marcel D., "revidiert" seine Aussage, nie V-Mann des Thüringer Verfassungsschutzes gewesen zu sein. Aber nach dieser kurzen Feststellung verweigert er eine weitere Aussage. Das darf er als Zeuge nicht. Da der Anwalt, der Marcel D. als Zeugenbeistand zur Seite steht, seinen Mandanten offenbar schlecht berät, bricht Götzl die Befragung des früheren Skinheads ab. Er soll nun noch einmal geladen werden.

Tag 301/25. Juli 2016: Ein ehemaliger Rechtsextremist kann sich nicht an eine Gewalttat aus den 1990er Jahren erinnern, an der Wohlleben beteiligt gewesen sein soll. Der Angeklagte Carsten S. hatte in seiner Aussage angegeben, Wohlleben habe in Jena bei einer Schlägerei mit zwei Personen einem Opfer ins Gesicht getreten. Ein weiterer Zeuge, auch einst in der rechten Szene, hat nur eine vage Erinnerung.

Tag 302/26. Juli 2016: Der frühere Herausgeber des Neonazi-Blättchens "Fahnenträger" erinnert sich, im Jahr 2002 vom NSU einen Brief bekommen zu haben. Im Schreiben habe ein 500-Euro-Schein gelegen. An mehr kann sich der Zeuge angeblich nicht erinnern. Richter Götzl lässt ihn gehen, aber im September muss der Mann nochmal im NSU-Prozess aussagen.

Tag 303/27. Juli 2016: Zschäpe und der mitangeklagte Holger G. kommen in Bedrängnis. Eine Beamtin des BKA erklärt detailliert, dass auf einem der Fotos eines Ostsee-Urlaubs von Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt Holger G. zu erkennen sei, trotz Sonnenbrille. Die Polizistin berichtet, mindestens 26 Merkmale im Gesicht der Person stimmten mit Holger G. überein. Das Foto und weitere Urlaubsbilder stammen aus dem Sommer 2006. Holger G. hatte in seinem Geständnis zu Beginn des Prozesses den gemeinsamen Urlaub mit Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt nicht erwähnt. Zschäpe hat zudem in ihrer Einlassung behauptet, von 2005 bis 2009 hätten sich Mundlos und Böhnhardt ohne sie mit Holger G. getroffen.

Tag 304/1. August 2016: Wieder einmal geraten Zschäpes neue und alte Verteidiger aneinander. Der Münchener Anwalt Hermann Borchert unterbricht seinen Kollegen Wolfgang Heer, als dieser Einwände gegen die Fragen der Nebenkläger an Zschäpe vorträgt. Götzl unterbricht die Sitzung. Danach kann Heer aber doch seinen Vortrag fortsetzen. Der für diesen Tag geladene Zeuge erscheint nicht. Er hätte sich zu einer Schlägerei aus den Neunzigerjahren in Jena äußern sollen.

Tag 305/2. August 2016: Am letzten Tag vor der inzwischen vierten Sommerpause im Prozess sagt ein ehemaliger Beamter der Jenaer Polizei über Wohllebens Aktivitäten in der rechten Szene aus. Der frühere Staatsschützer betont, Wohlleben habe ausländerfeindliche Aktionen mitorganisiert, sei aber ab 1996 clever im Hintergrund geblieben.

Der Prozess wird jetzt für vier Wochen unterbrochen. Am 31. August geht es weiter.

Tag 306/31. August 2016: Die von Zschäpe geschassten Verteidiger Heer, Stahl und Sturm begründen, warum sie Fragen der Nebenkläger an die Angeklagte beanstanden. Bei einigen Fragen nehmen die Anwälte jedoch die Beanstandungen zurück, die sie vor der Sommerpause geäußert hatten. Der Strafsenat lehnt zudem einen Beweisantrag aus den Reihen der Nebenkläger zu Erkenntnissen des Verfassungsschutzes zu einer Spende des NSU an das Neonazi-Blatt "Der weisse Wolf" ab. In dem Heft war 2002 eine Danksagung an den NSU erschienen.

Tag 307/1. September 2016: Während das Geschehen im Prozess nur noch wenige Medien interessiert, erregt eine eher randständige Geschichte Aufmerksamkeit. OLG-Sprecherin Andrea Titz teilt offiziell mit, der Caterer, der den für Besucher der Hauptverhandlung abgetrennte Sicherheitsbereich neben der Zuschauertribüne mit Snacks beliefert hat, gebe wegen eines Verlusts von mehreren tausend Euro auf. Aus den Reihen der Besucher wurden offenbar Semmeln, Schokoriegel und andere essbaren Kleinigkeiten ohne Bezahlung konsumiert. Möglicherweise verschwand auch Geld direkt aus der Schale, in die Zuschauer und Journalisten Münzen und Scheine legten.

In der Hauptverhandlung berichtet ein Beamter des BKA über den Versuch, eine Aussage des Angeklagten Carsten S. zu prüfen. Carsten S. hatte angegeben, der Mitangeklagte Wohlleben habe ihm Ende der 1990er Jahre nach einem Telefonat mit den untergetauchten Mundlos und Böhnhardt erzählt, diese hätten eine Person angeschossen. Das BKA konnte aber nun nicht ermitteln, um welche Tat es sich gehandelt haben könnte.

Tag 308/13.September 2016: Ein Zeuge, der ein rechtsextremes Heft namens "Fahnenträger" herausgegeben und dafür 2002 eine Geldspende des NSU erhalten hatte, kann sich angeblich nicht an die ideologischen Inhalte der Publikation erinnern. Richter Götzl verkündet in einem Beschluss, ein Teil der Fragen der Nebenklage-Anwälte an Zschäpe sei unzulässig. Verteidiger der Hauptangeklagten hatten viele Fragen beanstandet. Offen bleibt, ob Zschäpe doch bereit sein könnte, auf die Fragen zu antworten, die der Strafsenat für zulässig hält.

Tag 309/14. September 2016: .Zschäpe weigert sich laut einer Erklärung, die Verteidiger Mathias Grasel vorträgt, die mehreren hundert Fragen der Nebenkläger zu beantworten. Auch zu den sieben Fragen, die der vom Gericht beauftragte psychiatrische Gutachter Henning Saß gestellt hat, will die Angeklagte nichts sagen. Zschäpe will nur dann antworten, wenn der Strafsenat Fragen übernimmt und selbst stellt.

Richter Götzl schließt kurzzeitig die Öffentlichkeit aus, als (ab hier neu:) Opferanwälte einen Beweisantrag zu einem Brief stellen wollen, den Zschäpe 2013 aus der Haft dem mit ihr befreundeten Rechtsextremisten Robin S. geschrieben hatte. Zschäpes Verteidiger, die neuen und die alten ausnahmsweise gemeinsam, widersprechen. Aus Sicht der Anwälte wurde der Brief nicht rechtmäßig beschlagnahmt. Richter Götzl setzt den Prozessparteien eine Frist bis kommende Woche für Stellungnahmen.

Ein ehemals führendes Mitglied der Blood & Honour-Sektion Thüringen bestreitet erneut, für den Verfassungsschutz gespitzelt zu haben. Anschließend verweigert er die weitere Aussage, da in München ein Ermittlungsverfahren gegen ihn anhängig sei. Der Zeuge nutzt damit ausgerechnet das Verfahren, das die Staatsanwaltschaft wegen seiner mutmaßlichen Falschaussagen zu der Zusammenarbeit mit dem Verfassungsschutz eingeleitet hatte.

Tag 310 bis Tag 319

Sie steht im Zentrum des Prozesses: Beate Zschäpe.
Sie steht im Zentrum des Prozesses: Beate Zschäpe.
© dpa

Tag 310/20. September 2016: Die Anwälte der Angehörigen des im April 2006 in Kassel ermordeten Halit Yozgat geben im Fall des Ex-Verfassungsschützers Andreas T. nicht auf. Sie beantragen ein Sachverständigengutachten zur Lautstärke der Schüsse, die Mundlos und Böhnhardt aus der schallgedämpften Ceska 83 auf Yozgat abgegeben hatten. Aus Sicht der Anwälte kann es nicht stimmen, dass Andreas T. nichts hörte, obwohl er am Tatort war und das vermutlich auch zur Tatzeit.

Yozgat betrieb in Kassel ein Internetcafé, in dem der damalige Verfassungsschützer am Tag des Mordes an einem Computer saß und mit einer Frau chattete. Andreas T. hat bei mehreren Auftritten im Prozess beteuert, er habe von den Schüssen nichts mitbekommen und auch keine Leiche gesehen. Die Richter haben inzwischen signalisiert, dass sie ihm glauben, obwohl Götzl zuvor mehrmals bei Fragen an T. Zweifel an dessen Angaben geäußert hatte.

Um zu prüfen, ob T. die Wahrheit gesagt hat, haben sich zwei Anwälte der Angehörigen Yozgats in einer Schießanlage Schüsse aus einer ähnlichen Waffe angehört. Die Geräusche sollen trotz Schalldämpfer selbst durch eine geschlossene Tür zu hören gewesen sein.

Tag 311/21. September 2016: Ein Polizeibeamter berichtet, das Handy des Angeklagten André E. sei am Vormittag des 4. November 2011 in der Nähe der Zwickauer Frühlingsstraße festgestellt worden. Das habe eine Auswertung von Funkzellendaten ergeben. Demnach war André E. möglicherweise bei Zschäpe wenige Stunden bevor sie die Wohnung in der Frühlingsstraße in Brand setzte. Bei der Aussage des Polizisten bleibt allerdings offen, warum die Funkzellendaten erst jetzt, fast fünf Jahre nach dem letzten Tag des NSU, ausgewertet wurden.

Tag 312/22. September 2016: Erstmals zeichnet sich das Ende der Beweisaufnahme ab. Richter Götzl fragt den psychiatrischen Gutachter Henning Saß, ob er Mitte Oktober den Bericht zu Zschäpe vorstellen könne. Saß will sich "bemühen". Die Präsentation des Gutachtens zur Hauptangeklagten gilt bei den Prozessparteien als mutmaßlicher Schlusspunkt der Beweisaufnahme. Danach könnten die Plädoyers beginnen.

Der Strafsenat hatte Saß vor Beginn des Prozesses beauftragt, Zschäpe während der Hauptverhandlung regelmäßig zu beobachten. Die Angeklagte weigert sich allerdings, mit dem psychiatrischen Gutachter zu sprechen. Saß hatte bereits im März 2013, zwei Monate vor Beginn des Prozesses, ein vorläufiges Gutachten erstattet. Als Grundlage dienten ihm Ermittlungsakten. In dem Gutachten bescheinigte Saß der Angeklagten, sie habe sich trotz einer schwierigen Kindheit zu einer "lebhaften, selbstbewussten, burschikosen und eher auf männlichen Umgang ausgerichteten Frau entwickelt".

Tag 313/29. September 2016: Überraschend spricht Zschäpe selbst. Mit entschlossener, sogar recht tiefer Stimme verliest sie eine persönliche Erklärung, die an den Strafsenat gerichtet ist. Zschäpe behauptet, sie hege keine Sympathien mehr für nationalistisches Gedankengut, mit dem sie sich früher in Teilen identifiziert habe. Außerdem beurteile sie Menschen heute nicht nach Herkunft oder politischer Einstellung, "sondern nach ihrem Benehmen". Sie spricht auch kurz davon, was Mundlos und Böhnhardt den Opfern angetan haben und erwähnt "eigenes Fehlverhalten". Zuvor hat Verteidiger Hermann Borchert Antworten auf Fragen des Strafsenats an die Angeklagte vorgetragen.
Zschäpe macht jedoch die Hoffnung von Nebenklägern, nun würde sie auch deren Fragen beantworten, zunichte. Seine Mandantin habe ihre Einstellung nicht geändert, sagte Verteidiger Hermann Borchert. Nebenklage-Anwalt Sebastian Scharmer sagt nach dem Ende der Verhandlung, die Erklärung habe nichts Neues gebracht. Zschäpe stehe offenbar mit dem Rücken zur Wand und wolle womöglich die von der Bundesanwaltschaft angeregte Sicherungsverwahrung vermeiden.

Tag 314/6. Oktober 2016: Der Opferanwalt Yavuz Narin beantragt, einen früheren Berliner Polizisten als Zeugen zu hören. Der Beamte hatte im Mai 2000 im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg die Synagoge in der Rykestraße bewacht und in einem nahen Lokal mutmaßlich Zschäpe und Mundlos gesehen.

Tag 315/12. Oktober 2016: Richter Götzl fragt Zschäpe, ob sie sich am 7. Mai 2000 in Berlin aufgehalten habe. Und wenn ja, wo genau und mit wem. Götzl reagiert damit erstaunlich rasch auf die in der vergangenen Woche bekannt gewordene Aussage des inzwischen pensionierten Polizisten Frank G., der an jenem Tag Zschäpe und Mundlos in Berlin nahe der Synagoge in der Rykestraße beobachtet haben will. Der Beamte hatte die beiden nach eigenen Angaben am Abend des 7. Mai 2000 wiedererkannt, als in der MDR-Sendung "Kripo live" über die untergetauchten Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe berichtet wurde.
Dass Götzl nun Zschäpe zu Berlin befragt, dürfte in erster Linie mit dem Erkenntnisinteresse des Richters zu tun haben. Von Berlin aus hat zudem der frühere Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde der Stadt, Andreas Nachama, an das Münchner Gericht appelliert, Zschäpe zur möglichen Berliner Spur einzuvernehmen. Nachama geht es auch um drei ungeklärte Sprengstoffanschläge auf den jüdischen Friedhof in Charlottenburg.
Zschäpe antwortet zunächst nicht. Verteidiger Mathias Grasel will mit seiner Mandantin Antworten formulieren, die er dann irgendwann vorträgt.
Götzl macht jedoch Druck in der Geschichte zur mutmaßlichen Spur des NSU nach Berlin. Schon vor dieser Prozesswoche und damit nur Tage nach dem Beweisantrag von Opferanwalt Yavuz Narin hat der Richter den Ex-Polizisten als Zeugen geladen. Frank G. soll am 26. Oktober gehört werden.

Tag 316/13.Oktober 2016: Die Verteidiger von Ralf Wohlleben stellen einen weiteren Befangenheitsantrag gegen die Richter. Diese hatten den Antrag der Anwälte abgelehnt, Einblick in die weiteren Ermittlungsverfahren der Bundesanwaltschaft im NSU-Komplex nehmen zu können.

Tag 317/26. Oktober 2016: Zschäpe gibt zu, "etwa im Sommer 2000" mit Mundlos und Böhnhardt in Berlin gewesen zu sein. Sie bestreitet aber, dass die Synagoge in der Rykestraße ausgespäht wurde. Ein Polizist, der im Mai 2000 bei dem jüdischen Gotteshaus als Objektschützer eingesetzt war, hatte damals dem Berliner Landeskriminalamt berichtet, Zschäpe und Mundlos in einem benachbarten Lokal gesehen zu haben.

Der Fall der 2001 in Oberfranken verschwundenen Peggy K. kommt auch zur Sprache. Richter Götzl fragt Zschäpe, ob sie etwas zu dieser Geschichte sagen kann. Und zu dem Computer, der in der von Zschäpe angezündeten Wohnung in Zwickau stand und auf dessen Festplatte Kinderpornografie gespeichert war. Bei der Leiche von Peggy K. die im Juli 2016 in Thüringen gefunden wurde, entdeckte die Polizei eine DNA-Spur von Uwe Böhnhardt.

Zschäpe wird, wie üblich, die Antwort erst mit ihren neuen Verteidigern schriftlich formulieren und dann von diesen vortragen lassen. Das reicht mehreren Opferanwälten nicht. Sie beantragen, sämtliche Akten der Staatsanwaltschaft Bayreuth zum Fall Peggy K. im NSU-Verfahren beizuziehen.

Tag 318/27. Oktober 2016: Am Rande der Hauptverhandlung wird das Gutachten des Psychiaters Henning Saß zu Zschäpe bekannt. Auf 173 Seiten schildert Saß die Angeklagte als eine Frau, die möglicherweise mental immer noch tief in der Gedankenwelt des NSU steckt. Saß, der seit Beginn der Hauptverhandlung an vielen Tagen Zschäpe beobachtet hat, konnte allerdings mit ihr selbst nicht sprechen. Zschäpe verweigert den Kontakt. Saß hält die Angeklagte allerdings aufgrund seiner Beobachtungen für uneingeschränkt schuldfähig.

Tag 319/08. November 2016: Das Opfer eines Angriffs von Neonazis in Jena sagt aus. Der Mann war 1998 an einer Endhaltestelle der Straßenbahn im Plattenbauviertel Winzerla von mehreren Rechtsextremisten zusammengeschlagen worden und leidet noch heute unter der Tat. Von der Attacke hatte im Prozess der Angeklagte Carsten S. berichtet und zugegeben, bei der Schlägerei mitgemacht zu haben. Carsten S. belastete auch den Angeklagten Ralf Wohlleben, einer der Täter gewesen zu sein. Das haben Wohlleben und seine Verteidiger bestritten. Mit hartnäckigen Anträgen, Zeugen zu hören, wollten die Anwälte die Glaubwürdigkeit der Aussage von Carsten S. erschüttern. Das Opfer der Prügelei hat die Tat nun bestätigt, konnte sich allerdings nicht mehr daran erinnern, ob Wohlleben einer der Angreifer war.

Tag 320 bis Tag 329

Sie steht im Zentrum des Prozesses: Beate Zschäpe.
Sie steht im Zentrum des Prozesses: Beate Zschäpe.
© dpa

Tag 320/09. November 2016: Ein rechtsextremer Zeuge und zumindest früherer Freund von Ralf Wohlleben will mit diesem nie über das Verschwinden von Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe gesprochen haben. Bei der Aussage bleibt zudem offen, ob der Zeuge ein V-Mann des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) war.

Mit Empörung reagieren Opferanwälte auf die Weigerung der Staatsanwaltschaft Köln, ein Verfahren gegen einen früheren Referatsleiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz einzuleiten. Damit verjähren heute um 0 Uhr mögliche Straftaten des Beamten. Er hatte am 11. November 2011, nur eine Woche nach dem Ende des NSU, Unterlagen zu sieben rechtsextremen Thüringer V-Leuten der Behörde schreddern lassen. Die Affäre war im Juli 2012 bekannt geworden, der damalige Präsident des BfV, Heinz Fromm, trat zurück.

Die Opferanwälte hatten am 5. Oktober 2016 bei der Staatsanwaltschaft Köln den ehemaligen Referatsleiter wegen des Verdachts auf Strafvereitelung, Urkundenunterdrückung und Verwahrungsbruch angezeigt. Zuvor war bekannt geworden, dass der Beamte in einer Vernehmung zugegeben hatte, die Akten zu den Thüringer V-Leuten gezielt vernichtet zu haben. Die Staatsanwaltschaft sieht aber keinen "Anfangsverdacht eines strafrechtlich relevanten Handelns". Eine Beschwerde der Opferanwälte bei der Generalstaatsanwaltschaft Köln bleibt erfolglos.

Tag 321/16. November 2016: Drei Hamburger Opferanwälte werfen einem Brandenburger Verfassungsschützer vor, im Prozess gelogen zu haben. Der Beamte hatte ausgesagt, der von ihm geführte V-Mann mit dem Decknamen "Piatto" habe im August 1998 keine SMS des sächsischen Neonazis Jan W. erhalten, in der sich dieser "nach den Bums" erkundigte, also mutmaßlich nach Waffen für den NSU fragte. Die Anwälte sagen nun, aus einem geheimen Vermerk des Brandenburger Verfassungsschutzes gehe hervor, dass der V-Mann die SMS doch erhalten haben dürfte. Mit dem Fall wird sich im Januar auch der NSU-Untersuchungsausschuss des Brandenburger Landtags befassen.

Tag 322/18. November 2016: Wohllebens Verteidiger stellen einen Befangenheitsantrag, weil der Strafsenat trotz des von den Anwälten am Tag zuvor präsentierten Befangenheitsantrags die Verhandlung fortsetzt. Richter Götzl lässt sich jedoch weiterhin nicht beeindrucken, am Nachmittag wird noch ein Zeuge zu einer rechten Prügelattacke vom Juni 1998 in Jena gehört. Wohlleben meldet sich dann auch selbst zu Wort und beteuert, er sei an der Tat nicht beteiligt gewesen.

Tag 323/22. November 2016: Einer der beiden Befangenheitsanträge Wohllebens gegen den Strafsenat ist abgelehnt. Die Richter hören einen weiteren Zeugen zu der rechten Prügelattacke auf einen jungen Mann im Juli 1998 an einer Straßenbahn-Endhaltestelle in Jena. Wohlleben soll sich nach Angaben des Mitangeklagten Carsten S. an dem Angriff beteiligt haben. Carsten S. hatte zugegeben, auch selbst dabei gewesen zu sein. Der Zeuge kann sich allerdings nur teilweise an die Örtlichkeit erinnern.

Die Richter verlesen zudem Dateien, die auf einer Festplatte Wohllebens entdeckt wurden. Gespeichert sind unter anderem Lieder rechtsextremistischer Bands, wie der Song "Judenschwein" der Gruppe "Kommando Freisler".

Tag 324/23. November 2016: Ein weiterer Befangenheitsantrag der Verteidigung Wohlleben ist abgewiesen.

Die Richter hören als Zeugen einen Berliner Polizisten zum Verdacht, Zschäpe und Böhnhardt hätten im Mai 2000 in Berlin die Synagoge in der Rykestraße ausgespäht. Der Beamte hatte damals einen Kollegen vernommen, der die untergetauchten Rechtsextremisten nahe dem Gotteshaus gesehen haben will. Der jetzt im Oberlandesgericht befragte Polizist kann sich an die damalige Aussage seines Kollegen allerdings nur teilweise erinnern.

Wohllebens Anwälte versuchen weiter, über Beweisanträge rechtsextreme Propaganda in den Prozess einzuführen. Die Verteidiger beantragen, den NPD-Funktionär und "Historiker" Olaf Rose zum vermeintlichen "Friedensflug" von Hitlers Stellvertreter Rudolf Heß nach Großbritannien zu vernehmen.

Am Rande des Prozesses wird bekannt, dass die Kölner Staatsanwaltschaft nun doch gegen einen ehemaligen Referatsleiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz wegen des Verdachts auf Urkundenunterdrückung und Verwahrungsbruch ermittelt. Der Beamte hatte im November 2011, kurz nach dem Ende des NSU, im Bundesamt Akten zu Thüringer V-Leuten schreddern lassen.

Tag 325/29. November 2016: Eine Beamtin des BKA spricht kurz über den Song "Türken raus" der Band "Böhse Onkelz", der auf der Festplatte eines Computer von Ralf Wohlleben gefunden wurde. Die Bundesanwaltschaft lehnt zudem in einer Stellungnahme den Beweisantrag der Verteidiger Wohllebens aus der vergangenen Woche zu Hitlers Stellvertreter Rudolf Heß ab.

Tag 326/30. November 2016: Richter Götzl befragt erneut den früheren Polizisten Frank G., der im Mai 2000 in Berlin mutmaßlich Zschäpe und Böhnhardt nahe der Synagoge in der Rykestraße beobachtet hat. Frank G. hatte bereits im Oktober 2016 ausgesagt, konnte sich aber kaum noch an den Vorgang erinnern. So ist es auch an diesem Tag, dennoch liest Götzl ihm passagenweise seine Aussage vom Mai 2000 beim Berliner Landeskriminalamt vor. Der Richter scheint den Angaben größere Bedeutung beizumessen. Warum, sagt Götzl nicht. Opferanwälte bewerten jedenfalls die Aussage von Frank G. aus dem Jahr 2000 als Beleg für eine Teilnahme Zschäpes an der Ausspähung des jüdischen Gotteshauses des NSU, um eventuell einen Anschlag zu verüben.

Tag 327/1. Dezember 2016: Wohlleben beantragt über seine Verteidiger erneut, ihn aus der Untersuchungshaft zu entlassen. Der Angeklagte sitzt seit November 2011 in einer Zelle. Die Anwälte verweisen auf seinen engen Kontakt zur Ehefrau und den beiden Töchtern. Fluchtgefahr bestehe nicht. Der Strafsenat hat allerdings bereits mehrmals Wohllebens Anträge auf Haftentlassung abgelehnt. Die Verteidiger scheiterten auch, als sie sich beim Bundesgerichtshof beschwerten. Die Karlsruher Richter halten Wohlleben für dringend verdächtig, Beihilfe zu neunfachem Mord geleistet zu haben. Der BGH prophezeite zudem schon im Februar 2015 Wohlleben eine Strafe, die deutlich über die Jahre in der Untersuchungshaft hinausgeht.

Tag 328/8. Dezember 2016: Zschäpe lässt über ihren Wahlverteidiger Hermann Borchert mitteilen, dass sie zum Fall der kleinen Peggy nichts weiß. Das Mädchen war im Mai 2001 im nordbayerischen Lichtenberg verschwunden, im Juli 2016 entdeckte die Polizei in einem nahen Wald in Thüringen die Leiche des Kindes. Im Oktober wurde bekannt, dass die Ermittler dort auch einen Stofffetzen mit DNA von Uwe Böhnhardt gefunden hatten. Möglicherweise war aber ein Messstab der Polizei verunreinigt.
In ihrer Einlassung behauptet Zschäpe auch, nichts von kinderpornografischem Material auf einem Computer gewusst zu haben, der im Brandschutt des Hauses in Zwickau gefunden wurde. Sie habe von den Bildern auf der Festplatte erst bei der Einsicht in Ermittlungsakten erfahren.
Im Fall Berlin geht der Strafsenat offenbar weiter dem Verdacht nach, Zschäpe könnte gemeinsam mit Böhnhardt im Mai 2000 die Synagoge in der Rykestraße ausgespäht haben. Auf Antrag des Opferanwalts Yavuz Narin hat Richter Manfred Götzl für den 14. Dezember eine Zeugin geladen, die damals mit ihren Kindern und mutmaßlich mit Zschäpe und Böhnhardt in einem Lokal nahe dem jüdischen Gotteshaus saß. Zschäpe hat im Prozess zugegeben, "etwa im Sommer 2000" mit Böhnhardt und Mundlos in Berlin gewesen zu sein. An eine Gaststätte in der Nähe der Synagoge wollte oder konnte sie sich jedoch nicht erinnern.

Tag 329/13. Dezember 2016: Ein weiteres Detail aus dem Geständnis des Angeklagten Carsten S. scheint sich zu bestätigen. Ein Beamter des Bundeskriminalamts berichtet, in Chemnitz hätten zwei Personen ausgesagt, sich daran erinnern zu können, dass im Juni 2000 in der Wolgograder Allee ein Mann angeschossen wurde. In der Straße hatten damals Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe unter falschen Namen in einer Wohnung gelebt.
Carsten S. hatte zu Beginn des Prozesses berichtet, der Mitangeklagte Wohlleben habe nach einem konspirativen Telefonat mit Mundlos und Böhnhardt gesagt, "die Idioten haben jemanden angeschossen". Die Aussage von Carsten S. gehörte zu einem umfassenden Geständnis. Der Angeklagte gab zu, die Mordwaffe Ceska 83 nach Chemnitz zu Mundlos und Böhnhardt gebracht zu haben. Carsten S. belastete zudem Wohlleben, der die Beschaffung der Pistole eingefädelt haben soll.

Tag 330 bis Tag 339

Sie steht im Zentrum des Prozesses: Beate Zschäpe.
Sie steht im Zentrum des Prozesses: Beate Zschäpe.
© dpa

Tag 330/14. Dezember 2016: Eine Zeugin sagt, sie wisse nichts von einem gemeinsamen Aufenthalt mit Zschäpe und Böhnhardt in einem Lokal in Berlin nahe der Synagoge in der Rykestraße. Für das BKA ist die Zeugin allerdings mutmaßlich die Frau, die im Mai 2000 mit Zschäpe und Böhnhardt im Biergarten der Gaststätte gesessen hat. Ein Mitarbeiter der Polizei, der die Synagoge bewachte, hatte damals wahrscheinlich Zschäpe und Böhnhardt sowie weitere Personen in dem Biergarten gesehen. Der Wachschützer erkannte noch am selben Abend Zschäpe und Böhnhardt wieder, als in der MDR-Sendung Kripo live über die untergetauchten Rechtsextremisten Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe berichtet wurde. Opferanwälte im NSU-Prozess gehen davon aus, der NSU habe die Synagoge ausgespäht, um einen Anschlag zu planen. Das Gotteshaus blieb allerdings von einem Angriff der Terrorzelle verschont.

Tag 331/20. Dezember 2016: Die "Alt-Anwälte" von Zschäpe verhindern, dass der psychiatrische Sachverständige Henning Saß sein Gutachten zur Hauptangeklagten vorträgt. Aus Sicht der Verteidiger ist Saß fachlich ungeeignet. Sie beantragen, Saß von seinem Auftrag zur Begutachtung Zschäpes zu entbinden. Außerdem präsentieren die Anwälte ein "methodenkritisches Gutachten" des Neurologen Pedro Faustmann von der Ruhr-Universität Bochum. In dem Papier listet Faustmann die Punkte auf, die er in dem Gutachten von Saß für fragwürdig hält. Richter Götzl beendet dann den Prozesstag.

Tag 332/21. Dezember 2016: Der Strafsenat lehnt den Antrag von Zschäpes Verteidigern Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm ab, den psychiatrischen Sachverständigen Henning Saß vom Auftrag des Gerichts zu entbinden, das Gutachten zur Angeklagten zu erstatten. Die Richter haben keine Zweifel an der fachlichen Qualifikation des renommierten Psychiaters.

Die Anwälte reagieren mit einem Befangenheitsantrag gegen den Strafsenat - "im Interesse von Frau Zschäpe". Im Namen der Angeklagten können die drei Verteidiger nicht sprechen, da Zschäpe sie ablehnt. Doch einer der beiden neuen Anwälte der Angeklagten, Hermann Borchert, stellt dann für Zschäpe ein Ablehnungsgesuch und nennt als Begründung den Inhalt des Befangenheitsantrags von Heer, Stahl und Sturm. Das ist das erste Mal, dass die neue und alte Verteidigung Zschäpes gemeinsame Sache machen. Der letzte Prozesstag im Jahr 2016 endet, ohne dass Psychiater Saß sein Gutachten vortragen kann.

Tag 333/10. Januar 2017: Zschäpe lässt über den Verteidiger Mathias Grasel eine Stellungnahme zu ihren Emotionen im Prozess verlesen. Der Eindruck "fehlenden Leidens" oder "fehlender Bedrücktheit" sei damit zu erklären, "dass ich mich auf anwaltlichen Rat hin so verhalten habe". Gemeint sind die Verteidiger Heer, Stahl und Sturm, mit denen sich Zschäpe im Sommer 2015 überworfen hat. Manche Zeugen und Beweismittel seien ihr jedoch "sehr nahe" gegangen. Sie erwähnt die Aussage der Mutter des in Kassel erschossenen Halit Yozgat. Die Mutter hatte im Oktober 2013 an Zschäpe "von Frau zu Frau" appelliert, zur Aufklärung der Morde beizutragen. Die Angeklagte blieb jedoch stumm.

In der Erklärung sagt Zschäpe auch, sie sei bei der Vorführung des Paulchen-Panther-Videos und der Vorgängerversionen im Prozess "wie versteinert" gewesen und haben nicht glauben können, was sie sah. Die Filme will sich Zschäpe nie zuvor angeschaut haben. Ihre Regungslosigkeit im Prozess erklärt die Angeklagte allerdings auch mit den "Jahren des Untertauchens". Da habe sie sich "das Verbergen und Unterdrücken von Gefühlsregungen jeglicher Art" angewöhnen müssen, "um einerseits nicht aufzufallen und um andererseits die damalige Lebenssituation überhaupt ertragen zu können".

Zschäpe äußert sich auch zu ihrer Weigerung, Fragen der Nebenklage-Anwälte zu beantworten. Das sei "keinesfalls als Missachtung gegenüber den Opfern und den Angehörigen der Opfer zu verstehen". Sie habe "alle prozessrelevanten Fragen" mit ihrer Einlassung im Dezember 2015 sowie den weiteren Stellungnahmen beantwortet. Die Angeklagte belehrt zudem die Opferanwälte, viele Fragen sollten "eher in einem Untersuchungsausschuss und nicht in einem Strafprozess gestellt werden".

Anwälte der Nebenkläger halten Zschäpes Erklärung für unglaubwürdig. Nichts sei "emotional unterfüttert", kritisieren Sebastian Scharmer und Peer Stolle. Die Berliner Juristen vertreten die Familie des in Dortmund erschossenen Mehmet Kubasik. Aus Sicht der Anwälte ist die Erklärung nur "ein rein taktischer Versuch", das Ergebnis der psychiatrischen Begutachtung durch den Sachverständigen Henning Saß "im letzten Moment noch zu ändern". Saß hatte in seinem vorläufigen Gutachten, dass er im Oktober beim Gericht eingereicht hatte, Zschäpe als mutmaßlich ideologisch verhärtete Frau charakterisiert.

Tag 334/11. Januar 2017: Der psychiatrische Gutachter Norbert Leygraf sieht beim Angeklagten Carsten S. keine Hinweise auf psychische Krankheiten. Die Verteidiger des Angeklagten Ralf Wohlleben hatten insinuiert, Carsten S. könnte gestört sein. Die Anwälte wollten die Glaubwürdigkeit von Carsten S. in Zweifel ziehen. Der Angeklagte hatte Wohlleben im Fall der Mordwaffe Ceska 83 schwer belastet.

Das psychiatrische Gutachten zu Zschäpe bleibt auch an diesem Tag im Prozess außen vor. Der Strafsenat muss erst über die am Vortag von den Verteidigern Heer, Stahl und Sturm gestellten Anträge entscheiden. Die Anwälte halten das von Psychiater Henning Saß erstellte und im Oktober 2016 beim Gericht eingereichte Gutachten für mangelhaft.

Am Rande der Hauptverhandlung wird bekannt, dass der Angeklagte André E. sich in einem weiteren Strafverfahren verantworten muss. Der Neonazi soll im Mai 2016 in einem Parkhaus in Zwickau einen 18-Jährigen bedroht, geschlagen und getreten haben. Das Opfer erlitt Prellungen und Hämatome. Der 18-Jährige soll zuvor mit dem 14 Jahre alten Sohn von André E. in Streit geraten sein. Der Neonazi soll dann den 18-Jährigen zu einer "Aussprache" ins Parkhaus bestellt und dort aber gleich zugeschlagen haben. Die Staatsanwaltschaft Zwickau wirft André E. Körperverletzung und Bedrohung vor. Einen Strafbefehl über 40 Tagessätze hatte der Neonazi nicht akzeptiert. Nun kommt es im Mai zum Prozess am Amtsgericht Zwickau.

Tag 335/12.Januar 2017: Weiteres Hickhack um das psychiatrische Gutachten zu Zschäpe. Richter Götzl gibt dem Sachverständigen Henning Saß vage Hinweise, unter anderem zur Unterscheidung von objektiven Feststellungen und subjektiven Bewertungen. Die Verteidiger Heer, Stahl und Sturm hatten beantragt, Saß entsprechend anzuleiten. Die Forderung der drei Anwälte, die mündliche Anleitung auch schriftlich zu dokumentieren, lehnt Götzl ab. Er liest jedoch noch langsamer vor. Saß wird nun vermutlich kommende Woche das Gutachten erstatten, jedenfalls sind für die Verhandlungstage keine Zeugen geladen.

Tag 336/17. Januar 2017: Der psychiatrische Gutachter Henning Saß beginnt, sein Gutachten zu Zschäpe vorzutragen. Aus Sicht von Saß ist bei Zschäpe ein Mangel an Empathie zu erkennen sowie eine Tendenz, die Verantwortung für problematisches Verhalten auf andere Personen abzuwälzen. Außerdem verharmlose Zschäpe ihre Zeit in der rechten Szene vor dem Gang in den Untergrund. Der Gutachter hält Zschäpe zudem für egozentrisch.
Richter Götzl bricht den Prozesstag ab, weil Zschäpes Verteidiger Heer, Stahl und Sturm monieren, sie könnten nicht genug mitschreiben, um den von ihnen beauftragten Gegengutachter Pedro Faustmann komplett über die Angaben von Saß zu informieren. Außerdem lässt Wohlleben verlauten, er habe Kopfschmerzen.

Tag 337/18. Januar 2017: Henning Saß setzt die Erstattung des psychiatrischen Gutachtens zu Zschäpe fort. Er betont, Zschäpe sei uneingeschränkt schuldfähig. Psychische Störungen seien nicht zu erkennen. Saß spricht von dissozialen und antisozialen Zügen in Zschäpes Persönlichkeit. Der Gutachter hält zudem die Voraussetzungen für eine Sicherungsverwahrung für gegeben, sollte die Beweiaufnahme ergeben, dass Zschäpe bei den Verbrechen des NSU die Mittäterin war - wie es in der Anklage der Bundesanwaltschaft steht. In diesem Fall sieht Saß sogar die Gefahr, dass Zschäpe selbst nach langer Haft noch Personen findet, mit denen sie wieder Straftaten begeht. Damit geht Saß noch über seine Angaben im schriftlichen Gutachten hinaus, das er im Oktober beim Oberlandesgericht eingereicht hatte.

Der Gutachter will allerdings nicht ausschließen, dass Zschäpes Angaben zu ihrer Rolle im Untergrund stimmen könnten. Die Angeklagte hatte in ihrer Einlassung betont, sie habe von den Morden und Sprengstoffanschlägen immer erst hinterher erfahren und sei schockiert gewesen. Saß lässt allerdings durchblicken, dass er diese Variante für weniger wahrscheinlich hält.

Tag 338/19. Januar 2017: Richter Götzl berichtet dem psychiatrischen Gutachter Norbert Leygraf, wie sich Mitangeklagte und Zeugen über den Angeklagten Carsten S. geäußert haben. Die Unterrichtung von Leygraf erscheint eigentlich überflüssig, da er bereits Carsten S. bescheinigt hat, es gebe keine Hinweise auf psychische Anomalien. Die Verteidiger Wohllebens drängen jedoch darauf, Leygraf weiter in die Hauptverhandlung einzubinden - in der Hoffnung, doch noch die Glaubwürdigkeit von Carsten S. erschüttern zu können. Carsten S. hat Wohlleben massiv belastet. Wohlleben soll der Drahtzieher bei der Beschaffung der Mordwaffe Ceska 83 gewesen sein. Der Strafsenat glaubt Carsten S., Wohlleben und seine Verteidiger wollen das nicht hinnehmen. Leygraf soll nochmal im Prozess gehört werden.

Tag 339/24. Januar 2017: Zschäpe antwortet unerwartet auf eine Frage von Richter Götzl. "Die Worte sind nicht meine eigenen, die sind nicht von mir", sagt sie. Götzl wollte wissen, ob eine Erklärung ihres Verteidigers Hermann Borchert zutreffe, wonach Zschäpe nicht alle Passagen geschrieben habe, die in einem emotionalen Brief von ihr an den Neonazi Robin S. stehen. Das Schreiben hatte Zschäpe 2013 an den damals in Bielefeld inhaftierten Rechtsextremisten geschickt. Welche Worte Zschäpe sich nicht zu eigen macht, sagt sie allerdings nicht.

Laut Borchert hat Zschäpe die Worte sowie die Zeichnung einer Ente, die sich im Brief auch findet, von einer Karte aus dem Internet übernommen. Die Karte habe Zschäpe, die in der Untersuchungshaft keinen Zugang zum Internet hat, per Post erhalten. Trotz der Erläuterung von Borchert und Zschäpes Wortmeldung erscheint der Vorgang rätselhaft. Anlass für Borcherts Erklärung ist der Unmut Zschäpes und ihrer Verteidiger über das psychiatrische Gutachten des Sachverständigen Henning Saß. Er hat Zschäpes Verhalten im Gericht als gefühlsarm beschrieben. Saß wies jedoch daraufhin, dass Zschäpe durchaus zu emotionalen Äußerungen fähig sei. Das zeige der Brief an Robin S.

Dass Zschäpe und ihr Verteidiger nun den Brief relativieren, erscheint widersprüchlich. Zschäpe hat in ihrer im Dezember 2015 begonnenen Einlassung mehrmals betont, sie sei im Untergrund von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos emotional abhängig gewesen. Sie will auch über die Morde empört gewesen sein. Damit wollte Zschäpe sich trotz ihrer meist starren Miene im Prozess als Frau präsentieren, die zu emotionalen Regungen fähig ist. Weshalb jetzt aber der Inhalt des emotionalen Schreibens an Robin S. in Frage gestellt wird, bleibt unklar.

Tag 340 bis Tag 349

Sie steht im Zentrum des Prozesses: Beate Zschäpe.
Sie steht im Zentrum des Prozesses: Beate Zschäpe.
© dpa

Tag 340/25. Januar 2017: Die Verteidiger von Ralf Wohlleben provozieren einen Eklat. Opferanwälte verlassen den Saal A 101, als die Verteidiger beantragen, ein demografischer Sachverständiger solle dazu gehört werden, dass der Begriff "Volkstod" zulässig sei. Die Vokabel ist zentraler Begriff einer Neonazi-Kampagne, in der behauptet wird, das deutsche Volk sei angesichts massiver Einwanderung zum Sterben verurteilt.

Die Verteidiger reagieren mit dem Antrag auf eine Durchsuchung Wohllebens, bei der ein Feuerzeug mit der Aufschrift "Volkstod stoppen" gefunden wurde. Opferanwälte werfen Wohllebens Verteidigern vor, mit dem Antrag zur angeblichen Zulässigkeit des Kampfbegriffs "Volkstod" die Morde des NSU an neun Migranten zumindest indirekt zu rechtfertigen.

Tag 341/26. Januar 2017: Richter Götzl befragt Psychiater Henning Saß zu dessen Gutachten über Zschäpe. Saß schildert nochmal, wie er den Prozess erlebt hat. Am Rande der Hauptverhandlung wird bekannt, dass der Strafsenat vorsorglich weitere Termine bis Januar 2018 vorgeschlagen hat. Sollten sie notwendig sein, würde der Prozess mehr als viereinhalb Jahre dauern.

Tag 342/31. Januar 2017: Der Strafsenat verliest eine vom BKA zusammengestellte Liste von 233 jüdischen Adressen, die in den Unterlagen des NSU gefunden wurden. Eine Anschrift ist die der Synagoge in der Berliner Rykestraße. In einem Lokal neben dem Gotteshaus hatte ein Polizist am 7. Mai 2000 mutmaßlich Zschäpe und Mundlos mit weiteren Begleitern gesehen. Der Wachmann war für den Schutz der Synagoge abgestellt. Am Abend des Tages sah er zufällig die MDR-Sendung "Kripo live" und war sicher, in einem Bericht über die untergetauchten Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt die zwei Personen wiederzuerkennen, die ihm Stunden zuvor in dem Lokal aufgefallen waren.

Zschäpe hat im Oktober 2016 zugegeben, "etwa im Sommer 2000" mit Mundlos und Böhnhardt in Berlin gewesen zu sein. An einen Besuch der Gaststätte neben der Synagoge konnte oder wollte sie sich jedoch nicht erinnern. Die jetzt vom BKA erstellte Liste der vom NSU gesammelten jüdischen Adressen und die Angaben des Polizisten vom Mai 2000 legen nach Ansicht von Opferanwälten jedoch nahe, dass zumindest Zschäpe und Mundlos die Synagoge als potenzielles Anschlagsziel ausspähten. Einen Angriff auf das von der Polizei bewachte Gotteshaus gab es allerdings nicht.

Auf der Liste steht auch der jüdische Friedhof in der Heerstraße im Berliner Stadtteil Charlottenburg. 1998 wurden zwei Sprengstoffanschläge auf das Grab von Heinz Galinski, dem ehemaligen Präsidenten des Zentralrats der Juden, verübt. 2002 flog eine Rohrbombe in den Eingangsbereich des Friedhofs. Bei der Explosion wurde die Trauerhalle beschädigt. Wer für die Anschläge verantwortlich ist, konnte die Polizei bis heute nicht klären.

Tag 343/7. Februar 2017: Der psychiatrische Gutachter Henning Saß weigert sich, im Prozess seine handschriftlichen Notizen zu Zschäpe vorzulegen. Zschäpes Verteidiger Heer, Stahl und Sturm verlangen, Saß müsse die nach seinen Angaben insgesamt 773 Seiten zur Verfügung stellen. Die Notizen bewahrt Saß in seinem Arbeitszimmer in Aachen auf. Richter Götzl deutet an, dass auch er es nicht für notwendig hält, dass Saß das Konvolut mitbringt.

Tag 344/8. Februar 2017: Der Strafsenat lehnt den Antrag von drei Verteidigern Zschäpes ab, der psychiatrische Gutachter Henning Saß solle seine handschriftlichen Notizen zur Beobachtung der Angeklagten vorlegen. Die Anwälte reagieren mit einer "Gegenvorstellung".

Tag 345/9. Februar 2017: Die drei Verteidiger Zschäpes kommen auch mit ihrer Gegenvorstellung zur Ablehnung des Antrags auf Vorlage der Notizen von Psychiater Saß nicht durch. Als die Anwälte Heer, Stahl und Sturm einen Befangenheitsantrag stellen wollen, legt Zschäpe ihr Veto ein.

Tag 346/14. Februar 2017: Alle fünf Verteidiger Zschäpes befragen nun den psychiatrischen Gutachter Henning Saß. Zschäpes neuer Anwalt Hermann Borchert spricht das Gutachten des Müncher Psychiaters Norbert Nedopil an, der die Angeklagte im März 2015 untersucht hatte. Zschäpe klagte damals, sie sei zermürbt und leide unter Übelkeit und Kopfschmerzen.
Die Angeklagte deutete gegenüber Nedopil auch einen Konflikt mit ihren Verteidigern Heer, Stahl und Sturm über die Strategie des beharrlichen Schweigens an. Im Sommer 2015 überwarf sich Zschäpe dann mit den drei Anwälten und wandte sich Borchert sowie dessen Kollegen Mathias Grasel zu.
Nedopils Gutachten war bislang nicht Bestandteil der Prozessakten, es galt als Privatsache. Da Borchert es nun ansprach, wurde das Papier jetzt doch noch allen Prozessbeteiligten zugänglich gemacht. Ob das im Sinne Zschäpes ist, bleibt unklar.

Tag 347/15. Februar 2017: Der Strafsenat verliest Dokumente zu der von Zschäpe gemieteten Garage in Jena, in der die Polizei am 26. Januar 1998 halbfertige Rohrbomben entdeckte. In den Unterlagen ist von sechs Zigarettenresten die Rede, an denen sich DNA-Material fand, das mutmaßlich von der Angeklagten stammt. Damit wird Zschäpes Einlassung, sie habe damals nicht gewusst, womit sich Mundlos und Böhnhardt in der Garage beschäftigten, zweifelhaft.

Tag 348/16. Februar 2017: Am Rande der Hauptverhandlung wird bekannt, dass Zschäpe nun doch mit einem psychiatrischen Gutachter reden möchte. Verteidiger Mathias Grasel hat in einem Schreiben an den Strafsenat beantragt, dem Freiburger Psychiater Joachim Bauer eine Dauerbesuchserlaubnis für Gespräche mit Zschäpe in der JVA München-Stadelheim zu erteilen. Laut Grasel ist Zschäpe auch bereit, sich "gegebenenfalls" von Bauer explorieren zu lassen. Sollte sich das Gericht darauf einlassen, wäre ein zweites psychiatrisches Gutachten zur Hauptangeklagten zu erwarten.
Das von dem Aachener Psychiater Henning Saß im Januar in den Prozess eingebrachte Gutachten missfällt Zschäpe und ihren Verteidigern. Saß hält Zschäpe für uneingeschränkt schuldfähig und bescheinigt ihr "dissoziale und antisoziale Züge". Der Psychiater will auch die Notwendigkeit einer Sicherungsverwahrung nicht ausschließen. Saß konnte allerdings Zschäpe nicht explorieren, sie hat jedes Gespräch mit ihm verweigert.
In der Hauptverhandlung selbst präsentieren die Verteidiger von Ralf Wohlleben mehrere Anträge, die belegen sollen, der Angeklagte sei nicht ausländerfeindlich. Die Anwälte sprechen von einer ethnopluralistischen Einstellung. Ethnopluralismus ist eine Propagandaformel der rechtsextremen Szene, die Rassismus verschleiern soll.

Tag 349/21. Februar 2017: Zschäpes Verteidiger Grasel und Borchert können erneut nicht den schon angekündigten Beweisantrag zu Zschäpes Verhalten in der JVA München stellen. Richter Götzl will aber nicht länger warten und lädt für den nächsten Prozesstag die Vizechefin der JVA, Mariona Hauck, als Zeugin.

Tag 350 bis Tag 359

Sie steht im Zentrum des Prozesses: Beate Zschäpe.
Sie steht im Zentrum des Prozesses: Beate Zschäpe.
© dpa

Tag 350/22. Februar 2017: Die stellvertretende Leiterin der JVA München, Mariona Hauck, sagt, Zschäpe verhalte sich in der Untersuchungshaft unauffällig und sei bei den Mitgefangenen "gut integriert". Medienberichte über rabiates, autoritäres Auftreten Zschäpes bestätigt Hauck nicht. Auf Fragen des Berliner Opferanwalts Sebastian Scharmer berichtet Hauck, Zschäpe werde von ihren Angehörigen sowie von einem Enrico Kiesewetter regelmäßig finanziell unterstützt. Der Mann aus München war bislang nicht als Unterstützer der Angeklagten bekannt. Bei Facebook und Twitter propagiert er "Freiheit für Bea" und verbreitet rechte Parolen. Zschäpe hatte hingegen im September 2016 im Prozess behauptet, sie hege keine Sympathie mehr für "nationalistisches Gedankengut". Richter Götzl beendet die Einvernahme des psychiatrischen Gutachters Henning Saß und schließt damit auch vorzeitig die Sitzungswoche. Zschäpes Verteidiger Heer, Stahl und Sturm widersprechen allerdings der Verwertung der Angaben des Psychiaters.

Tag 351/7. März 2017: Der Strafsenat strebt das Ende der Beweisaufnahme und den Beginn der Plädoyers an. Richter Götzl verkündet zunächst die Ablehnung aller noch offenen Beweisanträge. Dann stellt er den überraschten Prozessparteien eine Frist. Bis zum 14. März sollen sie ihre letzten Beweisanträge stellen. Ob das klappt, bleibt offen. Die Verteidiger der Angeklagten beraten, wie sie reagieren sollen. Es zeichnet sich ab, dass Wohllebens Anwälte einen Befangenheitsantrag stellen werden.

Tag 352/8. März 2017: Wohllebens Verteidiger stellen den erwarteten Befangenheitsantrag gegen den Strafsenat. Die Anwälte begründen den Antrag mit der von Götzl am Tag zuvor verkündeten Frist für letzte Beweisanträge.

Tag 353/9. März 2017: Die alten und die neuen Verteidiger Zschäpes präsentieren erstmals gemeinsam einen Befangenheitsantrag. Er richtet sich gegen Richter Götzl, wegen der von ihm verkündeten Frist für letzte Beweisanträge. Die Anwälte halten die Zeit bis zum 14. März für zu kurz. Der Strafsenat unterbricht dann wegen der vorliegenden Befangenheitsanträge von Zschäpe und dem Mitangeklagten Ralf Wohlleben die Hauptverhandlung für knapp zwei Wochen. Nächster Prozesstag soll der 23. März sein.

Tag 354/28. März 2017: Nachdem zwei Sitzungswochen wegen mehrerer Befangenheitsanträge ausgefallen sind, kündigt die Verteidigung Wohllebens ein weiteres Ablehnungsgesuch an. Es zielt auf drei Richter, die die letzten Befangenheitsanträge abgelehnt haben. Wohllebens und Zschäpes Verteidiger wehren sich mit dem Trommelfeuer gegen die Frist, die Richter Götzl am 7. März für letzte Beweisanträge gestellt hatte. Die Frist ist allerdings längst hinfällig, Götzl hatte damals den 14. März genannt.
Angesichts der Befangenheitsanträge kommt es allerdings auch wieder zu einem schweren Zerwürfnis zwischen Zschäpe und ihren drei Alt-Verteidigern Heer, Stahl und Sturm. Diese hatten wegen Götzls Frist drei Befangenheitsanträge gestellt. Das kam überraschend, weil die Verteidiger nur mit Zschäpes Zustimmung ein Ablehnungsgesuch präsentieren können. Zschäpe soll aber, trotz ihres Dauerkonflikts mit den drei Anwälten, zugestimmt haben. Jedenfalls verließen sich Heer, Stahl und Sturm nach eigenen Angaben auf entsprechende Äußerungen der neuen Verteidiger Zschäpes, Grasel und Borchert. Doch Zschäpe zog in einem Schreiben an den Strafsenat die drei Befangenheitsanträge von Heer, Stahl und Sturm zurück. Die Angeklagte behauptet, sie habe diesen Ablehnungsgesuchen nicht zugestimmt. Die drei Anwälte beantragten dann, von ihrem Mandat als Pflichtverteidiger entbunden zu werden. Zschäpe selbst stellte über ihre neuen Anwälte auch einen Antrag, Heer, Stahl und Sturm zu entlassen.

Tag 355/30. März 2017: Zschäpes neue Verteidiger stellen einen bizarr anmutenden Antrag. Darin behaupten Grasel und Borchert, ihre Mandantin sei "bei sämtlichen angeklagten Tatzeitpunkten" schuldunfähig oder wenigstens vermindert schuldfähig gewesen. "Zum Beweis der Tatsache" solle das Gericht den Freiburger Psychotherapeuten Joachim Bauer als Sachverständigen bestellen.

Bauer hat mehrmals mit Zschäpe gesprochen und ein 48-seitiges Gutachten geschrieben. Laut Grasel und Borchert fand Bauer heraus, dass bei Zschäpe eine "schwere dependente Persönlichkeitsstörung" vorlag, als sie mit Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos im Untergrund lebte. Demnach war Zschäpe emotional so stark abhängig von den beiden Mördern, dass sie das Unrecht der Straftaten nicht einsehen konnte. Als mutmaßlichen Beleg erwähnen die Verteidiger im Antrag auch fortgesetzte schwere körperliche Misshandlungen Zschäpes durch Böhnhardt.

Der Antrag überrascht, da Zschäpe bislang in ihren Aussagen betont hat, sie habe die Morde und Sprengstoffanschläge abgelehnt und sich darüber mit Böhnhardt und Mundlos gestritten. Außerdem hat Zschäpe angegeben, die Raubüberfälle gebilligt zu haben, weil mit dem erbeuteten Geld das Leben im Untergrund finanziert wurde. Auch war bislang nie von "fortgesetzten schweren körperlichen Misshandlungen" durch Böhnhardt die Rede. Zschäpe erwähnte lediglich vereinzelt Schläge von Böhnhardt.

Der Antrag konterkariert das psychiatrische Gutachten, dass der vom Gericht bestellte Sachverständige Henning Saß erstellt hat. Er bescheinigte Zschäpe, uneingeschränkt schuldfähig zu sein.

Tag 356/5. April 2017: Die Bundesanwaltschaft hält es für überflüssig, den Freiburger Psychiater Joachim Bauer als Sachverständigen zu Zschäpe zu hören. Genau das wollen die beiden neuen Verteidiger der Hauptangeklagten aber durchsetzen. Da der Strafsenat aber Bauer nur als Zeugen für den morgigen Prozesstag geladen hat, verweigert Zschäpe die Aufhebung der Schweigepflicht des Freiburger Psychotherapeuten.

Richter Götzl sieht sich gezwungen, Bauer und den ebenfalls für morgen geladenen, gerichtlich bestellten psychiatrischen Sachverständigen Henning Saß, wieder abzuladen. Zschäpes Verteidiger Grasel kündigt an, er selbst werde nun Bauer als Sachverständigen laden. Das ist strafprozessual möglich. Bauer soll in der ersten Maiwoche nach München kommen.

Zschäpe und ihre neuen Verteidiger wollen mit einem Sachverständigen Bauer das Gutachten von Henning Saß kontern. Dieser hatte der Angeklagten uneingeschränkte Schuldfähigkeit bescheinigt und sogar angedeutet, Sicherungsverwahrung könnte notwendig sein. Zschäpe hatte allerdings jedes Gespräch mit Saß verweigert. Bauer hingegen, mit dem Zschäpe geredet hat, kommt nach Angaben von Grasel zu dem Ergebnis, die Angeklagte sei während der Jahre im Untergrund von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos so stark abhängig gewesen, dass sie nur vermindert oder gar nicht schuldfähig sei.

Tag 357/6. April 2016: Der Verhandlungstag ist kurz. Wohllebens Verteidiger beantragen, mehrere Zeugen zu laden. Diese sollen bekunden, dass sie Wohlleben kannten und es für ihn nicht absehbar war, dass sich die Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos zu Mördern entwickelten. Der Prozess wird dann wegen der Osterferien für zweieinhalb Wochen unterbrochen.

Tag 358/25. April 2017: Der Strafsenat lehnt mehrere Beweisanträge ab. Darunter ist einer von mehreren Nebenklägern, die staatliche Verantwortung für Ermittlungen gegen Opfer nach dem Bombenanschlag in der Kölner Keupstraße zu thematisieren. Außerdem verkündet Richter Götzl erneut eine Frist für letzte Beweisanträge. Sie sollen nun bis zum 17. Mai gestellt werden.

Tag 359/26. April 2017: Zschäpes Anwälte Heer, Stahl und Sturm streiten mit den Vertretern der Bundesanwaltschaft über deren ablehnende Stellungnahme zum Antrag der Verteidiger, den Neurologen und Hirnforscher Pedro Faustmann zu laden. Der Professor der Ruhr-Universität Bochum hatte im Auftrag der drei Anwälte ein "methodenkritisches" Gutachten erstellt, mit dem das Gutachten des vom Gericht bestellten Psychiaters Henning Saß zu Zschäpe angezweifelt wird.

Tag 360 bis Tag 369

Sie steht im Zentrum des Prozesses: Beate Zschäpe.
Sie steht im Zentrum des Prozesses: Beate Zschäpe.
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Tag 360/27. April 2017: Der Bochumer Neurologe Pedro Faustmann trägt sein "methodenkritisches" Gutachten zum psychiatrischen Gutachten von Henning Saß zu Zschäpe vor. Faustmann kritisiert, an einigen Stellen argumentiere Saß suggestiv.

Tag 361/3. Mai 2017: Der Freiburger Psychiater Joachim Bauer erstattet sein Gutachten zu Zschäpe. Für Bauer ist die Angeklagte wegen einer schweren dependenten Persönlichkeitsstörung nur vermindert schuldfähig. Zschäpe soll sich derart an Uwe Böhnhardt geklammert haben, dass sie mit ihm und Mundlos in den Untergrund ging, trotz der von ihr angeblich abgelehnten Morde nicht weglief und sich auch schwere Misshandlungen durch Böhnhardt gefallen ließ. Der Psychiater hatte Zschäpe insgesamt 14 Stunden befragt.

Das Gutachten widerspricht in zentralen Punkten dem des vom Gericht bestellten Aachener Psychiaters Henning Saß, der Zschäpe für uneingeschränkt schuldfähig hält und vermutet, sie habe sich von der mörderischen Ideologie des Rechtsextremismus noch lange nicht getrennt. Die Angeklagte hatte sich allerdings geweigert, mit Saß zu reden. Der Strafsenat hat nun zwei psychiatrische Gutachten vorliegen, die sich widersprechen. Bauers Papier hat den Makel, dass Angaben von Zschäpes Mutter gegenüber der Polizei herangezogen wurden, obwohl die Frau im Prozess das Protokoll nicht freigab und keine Aussage machte.

Tag 362/16. Mai 2017: Der Bochumer Neurologe Pedro Faustmann erläutert seine Kritik am Gutachten des Psychiaters Henning Saß zu Zschäpe. Aus Faustmanns Sicht hat Saß unsauber gearbeitet und methodische Fehler gemacht. Zschäpes Verteidiger Heer, Stahl und Sturm hatten bei dem Professor der Bochumer Ruhr-Universität ein Gutachten bestellt.

Tag 363/17. Mai 2017: Zschäpes Verteidiger Heer, Stahl und Sturm beantragen ein neues psychiatrisches Gutachten zu ihrer Mandantin. Die Anwälte reagieren damit auf die methodische Kritik des von ihnen engagierten Bochumer Neurologen Pedro Faustmann zu dem Gutachten, das der vom Gericht bestellte Aachener Psychiater Henning Saß erstattet hatte.

Außerdem zeichnet sich ab, dass der Makel des zweiten psychiatrischen Gutachtens zu Zschäpe, das der Freiburger Professor Joachim Bauer Anfang Mai vorgetragen hatte, behoben werden kann. Zschäpes Mutter gibt das Protokoll ihrer Aussage frei, die sie 2011 bei der Polizei kurz nach der Festnahme ihrer Tochter gemacht hatte.

Bauer hatte sich in seinem Gutachten auf die Aussage bezogen, obwohl Zschäpes Mutter im November 2013 im Prozess die Freigabe verweigert hatte. Richter Götzl verliest nun ein Schreiben von Annerose Zschäpe, in dem sie erlaubt, ihre Aussage in die Hauptverhandlung einzuführen. Die Mutter möchte aber nicht selbst als Zeugin im Prozess auftreten. 2013 hatte sie in München keine Angaben zu ihrer Tochter gemacht. Richter Götzl lädt sie aber dennoch für kommende Woche als Zeugin.

Tag 364/18. Mai 2017: Der Freiburger Psychiater Joachim Bauer stellt sich Fragen zu seinem Gutachten über Zschäpe. Bauer lobt sich selbst, muss aber zugeben, die Mindestanforderungen für ein solches Gutachten nicht zu kennen. In der Sitzung wird zudem bekannt, dass Bauer versucht hat, Zschäpe eine Packung Pralinen in die JVA Stadelheim mitzubringen. Das ist nicht erlaubt, außerdem weckt Bauers Verhalten Zweifel an seiner Neutralität.

Tag 365/24. Mai 2017: Zschäpes Mutter ist noch einmal im Prozess geladen, verweigert aber weiterhin die Aussage. Allerdings gibt Annerose Zschäpe das Protokoll ihrer Angaben frei, die sie am 15. November 2011 gegenüber der Polizei in Jena gemacht hatte - eine Woche nach der Festnahme von Tochter Beate und elf Tage nach dem Selbstmord von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos. Die erneute Ladung der Mutter war notwendig geworden, da der Freiburger Psychiater Joachim Bauer in seinem Gutachten zur Hauptangeklagten die Aussage der Mutter verwandt hatte, ohne dass sie freigegeben war.

Ein Polizeibeamter aus Zwickau, der damals bei der Vernehmung anwesend war, äußert sich nun zur Aussage der Mutter. Annerose Zschäpe berichtete demnach, sie habe Böhnhardt und Mundlos gemocht. Deren Springerstiefel seien auch immer geputzt gewesen, wenn sie vorbeikamen. Die Mutter sagte damals allerdings auch, sie glaube nicht, dass Tochter Beate leicht zu beeinflussen gewesen sei. Vielmehr habe sie ihre Ansichten durchgesetzt, wenn sie von etwas überzeugt war.

Dieses Detail könnte Beate Zschäpe schaden. Bauer beschreibt in seinem Gutachten die Angeklagte als eine schwache Person, die derart abhängig von Böhnhardt und Mundlos gewesen sei, dass sie sich selbst nur noch eingeschränkt steuern konnte und deshalb vermindert schuldfähig sei.

Bauers Gutachten ist umstritten und er selbst gerät unter Druck. Mehrere Nebenklage-Anwälte stellen einen Befangenheitsantrag gegen den Psychiater. Die Anwälte empört, dass Bauer in einer Mail  an die Mediengruppe "Welt/N24", der das Gutachten beigefügt war, die Vorwürfe gegen Zschäpe als "Hexenverbrennung" bezeichnet, die "ja schließlich Spaß machen soll". Die Anwälte empfinden Bauers Äußerung als "unfassbare Entgleisung" des Sachverständigen und halten ihm vor, er verstehe sich als "einseitiger Sachwalter der Interessen der Angeklagten Zschäpe".

Tag 366/30. Mai 2017: Der vom Gericht bestellte psychiatrische Gutachter zu Zschäpe, Henning Saß, gibt eine ergänzende Stellungnahme ab. Saß bleibt bei seiner Bewertung Zschäpes. Er hält sie weiterhin für schuldfähig und vermutlich für so gefährlich, dass eine Sicherungsverwahrung in Betracht kommen könnte. Die Kritik an seinem Gutachten, die der Bochumer Neurologe Pedro Faustmann äußerte, weist Saß zurück. Er widerspricht auch dem psychiatrischen Gutachten des Freiburger Professors Joachim Bauer, der Zschäpe für vermindert schuldfähig hält.

Tag 367/31. Mai 2017: Wohllebens Verteidiger stellen wieder einen Befangenheitsantrag gegen alle Richter. Grund ist die Ablehnung des Beweisantrags, den die Anwälte vergangene Woche gestellt hatten. Die Verteidiger des Rechtsextremisten hatten gefordert, ein psychiatrischer Gutachter solle feststellen, dass Mundlos und Böhnhardt an einer psychopathischen Persönlichkeitsstörung litten. Sie sei für andere Personen nicht zu erkennen gewesen, da Psychopathen ihre Störung manipulativ verbergen könnten. Demnach hätte Wohlleben bei seinen Kontakten zu Mundlos und Böhnhardt, auch noch lange nach deren Untertauchen, nicht gemerkt, mit welchen Charakteren er es zu tun hatte.

Der Strafsenat tritt nun in die Pfingstpause ein. Sie dauert bis Mitte Juni. Da auf Antrag der drei Alt-Verteidiger Zschäpes der psychiatrische Gutachter Henning Saß nochmal gehört werden soll - Termin ist der 29. Juni - ist ein Ende der Beweisaufnahme frühestens im Juli zu erwarten. Weil die Plädoyers der Prozessparteien lange dauern dürften, erscheint ein Urteil vor der Sommerpause, die Anfang August beginnt, kaum noch möglich.

Tag 368/20. Juni 2017: Der Befangenheitsantrag Wohllebens gegen den Strafsenat ist abgelehnt. Offen bleibt allerdings, was aus dem Ablehnungsgesuch der Angehörigen des in Kassel erschossenen Halit Yozgat gegen den Freiburger Psychiater Joachim Bauer wird. Die Bundesanwaltschaft hält den Befangenheitsantrag ebenfalls für notwendig.

Tag 369/21. Juni 2017: Der Polizeikonvoi, in dem Zschäpe von der JVA Stadelheim ins Oberlandesgericht gebracht wird, gerät in einen Unfall. Zschäpe erleidet eine leichte Gehirnerschütterung, bleibt aber verhandlungsfähig.

Eine Opferanwältin stellt einen Antrag der Zschäpe in Bedrängnis bringen könnte. Es geht um eine Wohnung von Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos in Zwickau, in der mutmaßlich Böhnhardt die Bombe gebaut hat, die im Januar 2001 in einem iranischen Lebensmittelladen in Köln explodierte. Die Opferanwältin geht davon aus, dass Zschäpe die Herstellung des Sprengsatzes mitbekommen haben muss. Verteidiger Grasel hingegen sagt, zwischen den Zimmern von Zschäpe und Böhnhardt habe eine Trennwand gestanden.

Um die Geschichte zu klären, lädt der Strafsenat für den 5. Juli zwei Zeugen. Damit verschiebt sich das Ende der Beweisaufnahme weiter in Richtung Sommerpause, die Anfang August beginnt.

Tag 370 bis Tag 379

Sie steht im Zentrum des Prozesses: Beate Zschäpe.
Sie steht im Zentrum des Prozesses: Beate Zschäpe.
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Tag 370/29. Juni 2017: Der Strafsenat drängt auf ein Ende der Beweisaufnahme. "Nach nunmehr über vier Jahren kommt dem Beschleunigungsgebot besondere Bedeutung zu", mahnt Richter Götzl die Prozessparteien. Das Gericht habe schon vor mehreren Monaten mitgeteilt, dass seine Fragen beantwortet seien. Die Beweisaufnahme werde inzwischen "nur noch von Verfahrensbeteiligten gesteuert". Unbeeindruckt stellen Wohllebens Verteidiger einen Befangenheitsantrag gegen die Richter. Diese hatten zuvor einen Beweisantrag des Angeklagten abgelehnt. Beendet werden kann allerdings die Befragung von Psychiater Saß. Da die Prozessbeteiligten keine Fragen mehr an ihn haben, ist die Anhörung nach mehreren Monaten abgeschlossen.

Tag 371/5. Juli 2017: Zschäpe beschädigt offenkundig ihre Glaubwürdigkeit. Nach Angaben der Angeklagten hat sie in der Wohnung in der Zwickauer Heisenbergstraße in einem winzigen Zimmer ohne Fenster und Heizung gelebt, das angeblich mit einer Paneele vom kaum größeren Raum ihres Geliebten Uwe Böhnhardt getrennt war. Deshalb will Zschäpe nicht mitbekommen haben, dass Böhnhardt die Bombe baute, die im Januar 2001 in einem iranischen Lebensmittelgeschäft in Köln explodierte.

Tag 372/11. Juli 2017: Erstmals im NSU-Prozess kommt ein Befangenheitsantrag durch. Der Strafsenat lehnt auf Antrag mehrerer Nebenkläger den Freiburger Psychiater Joachim Bauer ab, der mit Zschäpe gesprochen und ihr eine eingeschränkte Schuldfähigkeit bescheinigt hatte. Bauer habe den Eindruck der Parteilichkeit nicht beseitigen können, sagte Richter Götzl.

Der Psychiater hatte versucht, Zschäpe in die JVA Stadelheim Pralinen mitzubringen. Außerdem bezeichnete Bauer gegenüber WeltN24 den Prozess als "Hexenverbrennung". Die Feststellung der Befangenheit ist eine schwere Niederlage für Zschäpe und ihre neuen Verteidiger Hermann Borchert und Mathias Grasel. Der Strafsenat wird sich nur auf das vom Gericht bestellte psychiatrische Gutachten des Aachener Professors Henning Saß stützen. Er hält Zschäpe für uneingeschränkt schuldfähig. Aus Sicht von Saß geht von der Angeklagten vermutlich immer noch eine Gefahr aus.

Tag 373/18. Juli 2017: Nach mehr als vier Jahren Prozess schließt Richter Götzl die Beweisaufnahme. Trocken verkündet er, "wir würden dann morgen zu den Schlussvorträgen kommen". Die Bundesanwaltschaft wird den Reigen der Plädoyers beginnen. Bundesanwalt Diemer kündigt an, er und seine beiden Kollegen würden etwa 22 Stunden benötigen. Jedes Detail des Prozesses solle beleuchtet werden.

Vor dem Ende der Beweisaufnahme hat Richter Götzl noch einen Antrag von Verteidigern Zschäpes abgelehnt, die Angeklagte erneut psychiatrisch begutachten zu lassen. Die Anwälte von Ralf Wohlleben fordern erneut, ihren Mandanten aus der Untersuchungshaft zu entlassen. Wohlleben sitzt seit November 2011 in einer Zelle.

Tag 374/19. Juli 2017: Der von Götzl angekündigte Start der Plädoyers fällt aus. Als der Richter am Morgen den Antrag von Verteidigern Zschäpes ablehnt, das Plädoyer der Bundesanwaltschaft per Tonband aufzuzeichnen, beginnt ein stundenlanges Hickhack. Die Anwälte Wohllebens präsentieren mittags eine "Gegenvorstellung", Verteidiger von Zschäpe, Holger G. und André E. schließen sich an. Die Bundesanwaltschaft, die am Dienstag einen ungefähr 22-stündigen Schlussvortrag angekündigt hatte, will keinen Mitschnitt. Am Nachmittag gibt Götzl entnervt bekannt, der Senat müsse die Gegenvorstellung beraten, die Hauptverhandlung werde erst in der nächsten Woche fortgesetzt. Der für morgen geplante Prozesstag fällt aus.

Tag 375/25. Juli 2017: Die Plädoyers beginnen. Zuvor haben die Verteidiger Zschäpes und Wohllebens trotz einer beantragten, längeren Pause auf den angedeuteten Befangenheitsantrag verzichtet. Am Morgen hatte Richter Götzl nochmal bekräftigt, es werde keine Aufzeichnung des Plädoyers der Bundesanwaltschaft geben. Bundesanwalt Herbert Diemer sagt zu Beginn des Schlussvortrags, die Beweisaufnahme habe alle Anklagepunkte bestätigt. Er betont, Zschäpe sei Mitgründerin des NSU und Mittäterin bei allen Verbrechen gewesen. Auch bei den vier weiteren Angeklagten habe sich der "Sachverhalt" bestätigt. Oberstaatsanwältin Anette Greger zeichnet dann nach, wie Zschäpe schon vor dem Gang in den Untergrund in rechtsextreme Kriminalität abdriftete.

Das Plädoyer muss kurz unterbrochen werden, da Wohllebens Verteidiger Wolfram Nahrath angibt, sein Mandant habe schon früh dem Vortrag der Bundesanwaltschaft nicht mehr folgen können und schreibe auch nicht mehr mit. Nahrath moniert auch, Wohlleben habe sich in der Mittagspause nicht in der Zelle erholen können, weil es dort eng, stickig und laut sei, "Schlachthaus-Atmosphäre". Götzl lässt einen Landgerichtsarzt rufen, der Wohlleben untersucht. Dann geht es weiter. Wohllebens Anwälte einigen sich mit dem Strafsenat darauf, dass bei den Plädoyers nach jeweils 50 Minuten Vortrag zehn Minuten Pause eingelegt werden.

Tag 376/26. Juli 2017: Die Bundesanwaltschaft setzt ihr Plädoyer fort. Oberstaatsanwältin Anette Greger erwähnt zahlreiche Zeugenaussagen, Asservate und weitere Erkenntnisse, die Zschäpes Einbindung in die Terrorgruppe belegen sollen. Die Angeklagte soll unter anderem Mobiltelefone und SIM-Karten für die Gruppe besorgt und die Finanzen verwaltet haben.

Zschäpe soll auch an der Übergabe einer Waffe durch den Mitangeklagten Holger G. beteiligt gewesen sein. Die Oberstaatsanwältin nennt Aussagen von Holger G. mehrmals als Beleg für Zschäpes Funktion in der Gruppe. Als ein zentrales Argument nennt Greger zudem die gemeinsame Nutzung des "Hauptcomputers" des NSU durch Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt. Der PC soll in der Wohnung in der Zwickauer Frühlingsstraße in Zschäpes Zimmer gestanden haben.

Greger sagt allerdings auch, es sei nicht nachzuweisen, dass Zschäpe an den Tatorten der Verbrechen des NSU war. Und auch nicht, dass Zschäpe an Ausspähungsfahrten teilgenommen habe.

Tag 377/18. Juli 2017: Dritter Tag des Plädoyers der Bundesanwaltschaft. Oberstaatsanwältin Anette Greger befasst sich mit den zehn Morden und drei Sprengstoffanschlägen des NSU. Alle diese Taten seien eindeutig dem NSU zuzuordnen, sagt Greger und nennt zahlreiche Zeugenaussagen, Asservate und Indizien. Die Oberstaatsanwältin spricht auch über Zschäpes Brandstiftung in Zwickau. Die Bundesanwaltschaft wirft der Angeklagten vor, die Wohnung in Brand gesetzt zu haben, um Beweismittel zu vernichten. Dabei seien drei Menschenleben gefährdet worden.

Empört reagieren Opferanwälte auf eine Äußerung Gregers zu möglichen Helfer des NSU an den Schauplätzen der Morde und Sprengstoffanschläge. Eine Existenz von rechten Hintermännern an den Tatorten, "die einige Rechtsanwälte ihren Mandanten offensichtlich versprochen hatten", habe sich weder im Prozess noch bei den Beweiserhebungen der zahlreichen Untersuchungsausschüssen bewahrheitet, meint Greger. Nebenklage-Anwalt Sebastian Scharmer spricht von einer "unglaublichen Unterstellung", den Angehörigen der Ermordeten und den überlebenden Opfern seien "rechte Hintermänner" versprochen worden.

Vielmehr hätten Bundesanwaltschaft und Verfassungsschutzbehörden Hinweise auf Helfer des NSU an den Tatorten "nicht angemessen verfolgt". Informationen würden nicht herausgegeben, es werde "vertuscht und geschreddert", moniert Scharmer.

Tag 378/31. Juli 2017: Oberstaatsanwalt Jochen Weingarten trägt ausführlich die Erkenntnisse zur Pistole Ceska 83 vor, mit der Böhnhardt und Mundlos neun Migranten türkischer und griechischer Herkunft erschossen. Für die Bundesanwaltschaft ist es zweifelsfrei erwiesen, dass der NSU mit dieser Waffe gemordet hat. Weingarten erläutert auch die Lieferkette der Ceska. Der Schweizer Hans-Ulrich M. hatte demnach die Pistole 1996 über seinen Strohmann Anton G. erworben, um sie illegal nach Deutschland zu verkaufen. Die Gelegenheit kam, als sich die Angeklagten Ralf Wohlleben und Carsten S. 1999 oder Anfang 2000 im Auftrag von Böhnhardt und Mundlos um eine Waffe mit Schalldämpfer und Munition bemühten. Die Ceska gelangte dann mit Schalldämpfer sowie 50 Schuss Munition über zwei Thüringer Mittelsmänner zum Mitarbeiter eines rechten Szeneladens in Jena, der sie Carsten S. für 2500 D-Mark verkaufte. Das Geld gab laut Bundesanwaltschaft Ralf Wohlleben. Für "derartige Zwecke" habe Wohlleben von Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe 10.000 D-Mark erhalten, sagt Weingarten.

Er bezeichnet Wohlleben als "steuernde Zentralfigur der Unterstützerszene" des NSU. Der Angeklagte habe Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe bei der Flucht, beim Leben im Untergrund und bei der "Verwirklichung ihrer terroristischen Ziele" geholfen.Weingarten macht auch deutlich, welche Bedeutung das Geständnis hat, das Carsten S. bereits im Ermittlungsverfahren ablegte. Ohne die Aussagebereitschaft wären weder S. selbst noch Wohlleben Angeklagte dieses Verfahrens, sagt der Oberstaatsanwalt Weingarten hält Carsten S. allerdings vor, in puncto Schalldämpfer nicht die volle Wahrheit zu sagen. Der Angeklagte bestreitet, die Ceska ausdrücklich mit Schalldämpfer beim Lieferanten bestellt zu haben, auf Geheiß von Böhnhardt und Mundlos. Doch aus Sicht der Bundesanwaltschaft war der Schalldämpfer für die Strategie des NSU, Ausländer möglichst lautlos am helllichten Tag zu töten, unerlässlich.

Tag 379/1. August 2017: Oberstaatsanwalt Jochen Weingarten betont am fünften Tag des Plädoyers der Bundesanwaltschaft erneut die herausragende Rolle, die Ralf Wohlleben in der Unterstützerszene des NSU gespielt haben soll. Wohlleben sei der "Mastermind mit überlegenem Sonderwissen" gewesen. Der Angeklagte habe bestimmt, welcher "Handlanger" welche Aufgabe zu erfüllen hatte, wer mit Böhnhardt und Mundlos konspirativ telefonieren konnte und wer als Kurier den Untergetauchten die gewünschten Gegenstände brachte. Weingarten deutet an, dass Wohlleben für die Weitergabe von insgesamt drei Waffen an den NSU verantwortlich gewesen sein könnte. Dabei handelt es sich um die Pistole Ceska 83, mit der Böhnhardt und Mundlos neun Migranten türkischer und griechischer Herkunft erschossen, um die von Holger G. nach Zwickau gebrachte Waffe sowie um eine weitere, die mutmaßlich der Handlanger Jürgen H. in einem Beutel einem unbekannten Helfer der Terrorzelle gegeben haben soll

Die Bundesanwaltschaft wird allerdings am letzten Tag vor der vierwöchigen Sommerpause mit dem Plädoyer nicht fertig. Die rechtliche Würdigung der Taten von Wohlleben und dem Ceska-Kurier Carsten S. soll am 31. August erfolgen, dem ersten Tag nach dem Ende der Unterbrechung. Anschließend wollen sich Weingarten und seine beiden Kollegen mit den Vorwürfen gegen die Angeklagten Holger G. und André E. befassen. Das Plädoyer der Bundesanwaltschaft wird vermutlich erst Mitte September enden. Erst dann werden die anderen Prozessparteien erfahren, welche Strafen die Ankläger für Zschäpe, Wohlleben, Carsten S., Holger G. und André E. für notwendig halten.

Tag 380 bis Tag 389

Sie steht im Zentrum des Prozesses: Beate Zschäpe.
Sie steht im Zentrum des Prozesses: Beate Zschäpe.
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Tag 380/31. August 2017: Erstmals seit Beginn des NSU-Prozesses stören Protestierer die Verhandlung. Mehrere Frauen auf der Zuschauertribüne beschimpfen lautstark die Bundesanwaltschaft, Männer werfen Papierschnipsel hinunter zu den Prozessbeteiligten. Die Protestierer gehören zum "Aktionsbündnis NSU-Komplex auflösen", das zeitgleich eine Kundgebung vor dem Gerichtsgebäude abhält. Der Bundesanwaltschaft wird vorgeworfen, sie behindere eine vollständige Aufklärung des Netzwerks der Neonazi-Unterstützer des NSU sowie die Untersuchung der Rolle von V-Leuten und Behörden. Richter Götzl unterbricht die Verhandlung für zehn Minuten, Justizwachmeister geleiten die jungen Leute ins Treppenhaus.

Dann setzt Oberstaatsanwalt Jochen Weingarten das Plädoyer der Bundesanwaltschaft fort. Weingarten befasst sich mit den Angeklagten André E. und Holger G. Bei beiden sieht die Bundesanwaltschaft die Tatvorwürfe in vollem Umfang bestätigt. Der Oberstaatsanwalt hält André E. und Holger G. vor, sie hätten mit ihren Hilfsleistungen für Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos die Verbrechen des NSU wissentlich unterstützt. André E. soll dreimal Wohnmobile für die Terrorzelle gemietet und zwei Bahncards 25 beschafft haben. Weingarten hält André E. vor, Böhnhardt und Mundlos hätten die Wohnmobile für zwei Banküberfälle und den ersten Sprengstoffanschlag in Köln genutzt. Außerdem soll E. 2007 in Zwickau gegenüber der Polizei Zschäpe als seine Ehefrau ausgegeben haben, um eine Enttarnung der Mitglieder des NSU zu verhindern.

André E. grinst mehrmals während Weingartens Vortrag. Er ist der einzige Angeklagte, der seit Beginn des Prozesses schweigt. Dennoch geht Weingarten davon aus, André E. habe sich selbst belastet - mit einer "geständnisgleichen Wohnzimmergestaltung". Die Polizei stellte bei André E. nach dem Ende des NSU eine größere Zeichnung sicher, die im Wohnzimmer über dem Fernseher hing und Böhnhardt und Mundlos zeigt, kombiniert mit dem Wort "Unvergessen" und einer Rune.

Holger G. soll laut Anklage Böhnhardt einen manipulierten Reisepass sowie einen Führerschein beschafft haben. Die Fahrerlaubnis diente dem NSU laut Weingarten zum Mieten von Fahrzeugen, die bei 13 Verbrechen eingesetzt wurden. Für Zschäpe soll G. im Jahr 2006 eine AOK-Karte besorgt haben, da die Frau über Unterleibsschmerzen klagte. Im Prozess hat der Angeklagte schon früh ein Geständnis vorgetragen, danach aber nichts mehr gesagt. Weingarten erwähnt auch, dass Holger G. dem NSU eine Waffe überbracht und von Zschäpe 10.000 D-Mark bekommen haben soll, zur Aufbewahrung für die Terrorzelle. Diese beiden Taten sind allerdings verjährt. Holger G. hat nach Ansicht der Bundesanwaltschaft trotz der behaupteten Ablehnung des bewaffneten Kampfes den NSU tatkräftig unterstützt.

Tag 381/1. September 2017: Im Plädoyer der Bundesanwaltschaft zeichnet sich stärker noch als erwartet eine harte Gangart gegen Zschäpe ab. Oberstaatsanwältin Anette Greger hält ihr nicht nur die in der Anklage genannten Taten vor, sondern auch Mordversuch in zehn zusätzlichen Fällen sowie eine weitere Sprengstoffexplosion. Die Zahl der Mordversuche steigt von 29 auf 39, weil die Bundesanwaltschaft nach der Beweisaufnahme von 32 Personen ausgeht, die im Juni 2004 bei der Explosion der Nagelbombe in der Kölner Keupstraße in Lebensgefahr geraten waren. In der Anklage werden "nur" 22 Verletzte genannt.

Greger beantragt zudem beim Strafsenat, einen rechtlichen Hinweis zu erteilen, dass der von Zschäpe am 4. November 2011 gelegte Brand in der Wohnung der Terrorzelle in Zwickau auch als "Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion" zu werten sei. Zschäpe hatte zehn Liter Benzin in die Räume geschüttet und angezündet, es kam zu einer Verpuffung. Das Haus in der Frühlingsstraße wurde massiv beschädigt.

Aus Sicht der Bundesanwaltschaft steht nach der Beweisaufnahme fest, dass Zschäpe sich auch aller angeklagten Straftaten schuldig gemacht hat. Greger betont, die formellen Voraussetzungen einer Sicherungsverwahrung "liegen grundsätzlich vor". Zschäpe hört mit starrem Blick zu.

Zuvor hat Greger die von Böhnhardt und Mundlos begangenen 15 Raubüberfälle beschrieben. Die Oberstaatsanwältin weist mehrmals daraufhin, dass Opfer der brutalen Attacken noch heute unter den Taten leiden.

Tag 382/12. September 2017: Bundesanwalt Herbert Diemer schließt das achttätige Plädoyer seiner Behörde mit den Strafanträgen ab. Für Zschäpe fordert Diemer lebenslänglich mit besonderer Schwere der Schuld sowie Sicherungsverwahrung. Überraschend beantragt Diemer für den Angeklagten André E. zwölf Jahre Haft und damit weit mehr, als die Prozessparteien erwartet haben. Der Bundesanwalt sieht zudem Fluchtgefahr angesichts der hohen Strafforderung und fordert, E. wieder in Untersuchungshaft zu nehmen. Der Neonazi hat bislang nur knapp sieben Monate in U-Haft verbracht. Der Strafsenat steckt E. zunächst in Gewahrsam, am nächsten Tag soll über U-Haft entschieden werden.

Ebenfalls zwölf Jahre soll der seit November 2011 in U-Haft sitzende Ralf Wohlleben büßen. Bei Carsten S., der wie Wohlleben wegen der Beschaffung der Mordwaffe Ceska 83 angeklagt ist, reichen der Bundesanwaltschaft hingegen drei Jahre Jugendstrafe. Carsten S. hatte gegenüber der Polizei und dann auch zu Beginn des Prozesses ein Geständnis abgelegt und Wohlleben schwer belastet. Dieser bestreitet die Tat, Diemer schreibt ihm aber im Fall Ceska eine "bestimmende Rolle" zu.

Bei Holger G., der ebenfalls geständig ist, hält die Bundesanwaltschaft fünf Jahre Haft für ausreichend. Obwohl G. nur ein halbes Jahr in U-Haft verbracht hat und ihm angesichts der geforderten Strafe wieder ein längerer Aufenthalt im Gefängnis droht, sieht die Bundesanwaltschaft bei ihm keine Fluchtgefahr.

Tag 383/04. Oktober 2017: Die Verteidiger von André E. und Ralf Wohlleben decken den Strafsenat mit weiteren Befangenheitsanträgen ein. Zusätzlich zu den noch offenen drei Ablehnungsgesuchen aus dem September werden fünf weitere gestellt und noch zwei angekündigt. Die Anwälte blockieren den Fortgang der Plädoyers, weil sie mit der U-Haft für ihre Mandanten nicht einverstanden sind. Der Strafsenat hatte am 13. September auf Antrag der Bundesanwaltschaft André E. wegen Fluchtgefahr in die JVA Stadelheim geschickt.

Die Ankläger fordern für den schwer tätowierten Neonazi zwölf Jahre Haft. Die Verteidiger Wohllebens, der bereits fast sechs Jahre hinter Gittern sitzt und vergeblich seine Entlassung verlangt, agieren nun parallel zum Anwalt von André E. Die Richter geraten durch die Kaskade von Befangenheitsanträgen vor allem zeitlich unter Druck. Nach dem Ende der Plädoyers der Bundesanwaltschaft am 12. September fielen drei Prozesswochen wegen der Ablehnungsgesuche aus.

Mehr als drei Wochen Unterbrechung sind derzeit laut Strafprozessordnung auch nicht erlaubt, da nach der vierwöchigen Sommerpause an weniger als zehn Tagen verhandelt wurde. Angesichts der nun gestellten und angekündigten, insgesamt zehn Befangenheitsanträge blieb Richter Götzl jedoch nichts anderes übrig, als den Prozess erneut zu unterbrechen. Am 24. Oktober soll es weitergehen. Eine der jetzt wieder drei Wochen Pause war allerdings schon aus anderen Gründen eingeplant.

Tag 384/24. Oktober 2017: Auch nach der zweiten dreiwöchigen Unterbrechung des Prozesses seit September kommt es nicht zum Fortgang der Plädoyers. Richter Götzl teilt zu Beginn des Verhandlungstages mit, ein vergangene Woche eingereichter Befangenheitsantrag gegen ihn und weitere Richter sei abgewiesen. Auch alle weiteren Ablehnungsgesuche der Verteidiger von André E. und Ralf Wohlleben aus dem Oktober sind gescheitert. Somit ist nur noch ein Befangenheitsantrag gegen einen Urkundsbeamten des Oberlandesgerichts offen. Der Beamte hatte die Eröffnung des Haftbefehls gegen André E. protokolliert.

Obwohl dieser Befangenheitsantrag für die Hauptverhandlung weitgehend unbedeutend ist, verzichtet Richter Götzl darauf, die Plädoyers der Nebenkläger beginnen zu lassen. Die beim Verhandlungstag am 4. Oktober wieder mit rechtlichen Hinweisen an die Angeklagten begonnene Beweisaufnahme wird fortgesetzt. Ein beisitzender Richter verliest Passagen aus Ermittlungsakten, konkret geht es um den Fund von mehr als 3800 Euro im November 2011 bei Maik E., dem Zwillingsbruder von André E. Die Polizei hatte André E. im Brandenburger Bauernhof von Maik E. festgenommen, bei einer Durchsuchung wurde ein Plastikbeutel mit dem Geld entdeckt.

Die Verlesung der Dokumente und die Präsentation von Lichtbildern dazu führen auch gleich wieder zu Streit zwischen dem Anwalt von André E. und Götzl. Der Richter setzt sich aber durch. Am Ende des Verhandlungstages bleibt allerdings unklar, ob beim morgigen Termin die Plädoyers der Nebenkläger beginnen. Ein Opferanwalt sagt, "wir sind völlig desorientiert".

Tag 385/25. Oktober 2017: Ein Verteidiger von André E. kündigt einen weiteren Befangenheitsantrag an, diesmal gegen zwei Richter, und erzwingt damit eine weitere Prozesspause. Götzl verkündet, die Verhandlung werde bis zum 9. November unterbrochen. Worum es in dem Ablehnungsgesuch gehen soll, sagte der Verteidiger des Angeklagten, der Berliner Anwalt Herbert Hedrich, nicht.

Vor der Unterbrechung des Prozesses stellt Nebenklage-Anwalt Eberhard Reinecke einen Beweisantrag. Reinecke will den Besitzer der Garage hören, die Beate Zschäpe 1996 in Jena gemietet hatte und in der die Polizei im Januar 1998 eine Werkstatt zum Bombenbau entdeckte. Die Bundesanwaltschaft hält den Antrag für überflüssig und vermutet ein taktisches Manöver des Anwalts angesichts der vielen Befangenheitsanträge der Verteidiger von André E. und Ralf Wohlleben. Oberstaatsanwältin Anette Greger äußert den Verdacht auf Prozessverschleppung.

Tag 386/ 09. November 2017: Auch mehr als acht Wochen nach dem Ende des Plädoyers der Bundesanwaltschaft können die Nebenkläger noch immer nicht mit ihren Schlussvorträgen beginnen. Zschäpes Verteidiger Wolfgang Heer und Anja Sturm streiten sich mit dem Strafsenat über einen rechtlichen Hinweis, den Richter Götzl am 383. Verhandlungstag verkündet hatte. Anknüpfend an das Plädoyer der Bundesanwaltschaft teilte Götzl der Angeklagten Zschäpe damals mit, dass neben den in der Anklageschrift genannten Fällen der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung "ein weiterer dazu in Tatmehrheit stehender Fall der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung in Betracht kommt". Heer, Sturm und ihr Kollege Wolfgang Stahl beantragten dann am 384. Verhandlungstag, der Strafsenat solle mitteilen, aufgrund welcher "konkreten Tathandlungen" Zschäpe der nunmehr tatmehrheitlich verstandene Vorwurf der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung gemacht werden soll, "ohne dass diese in der Anklageschrift Erwähnung gefunden haben".

Am heutigen Verhandlungstag gibt zunächst Oberstaatsanwältin Anette Greger eine Stellungnahme ab. Sie verweist unter anderem auf den Sprengstoffanschlag vom 23. Juni 1999 auf ein türkisches Lokal in Nürnberg. Dieser Fall wurde erst bekannt, als ihn der Angeklagte Carsten S. in seinem Geständnis in der Anfangsphase des Prozesses erwähnte. Götzl erteilt danach lapidar einen rechtlichen Hinweis zu seinem rechtlichen Hinweis vom 383. Tag. Alle Tathandlungen, die als Vorwurf für das in Tatmehrheit zu allen weiteren Taten stehende "Grunddelikt" der Bildung einer terroristischen Vereinigung in Betracht kämen, "sind im Sachzusammenhang in der Anklageschrift thematisiert". Heer und Sturm (Stahl ist nicht da) schütteln die Köpfe. Heer sagt, er und Sturm beabsichtigten, auf den soeben erteilten rechtlichen Hinweis "prozessual zu reagieren". Götzl beendet den Verhandlungstag. Ob beim nächsten Termin die ersten Opferanwälte ihre Plädoyers vortragen können, bleibt offen.

Tag 387/15. November 2017: Mehr als zwei Monate nach dem Abschluss des Plädoyers der Bundesanwaltschaft können die Nebenkläger mit ihren Vorträgen beginnen. Den Anfang macht die Kölner Anwältin Edith Lunnebach. Sie vertritt die Iranerin, die im Januar 2001 bei der Explosion einer Sprengfalle in einem iranischen Lebensmittelgeschäft in der Kölner Probsteigasse schwer verletzt wurde. Die Anwältin äußert scharfe Kritik an der Theorie der Bundesanwaltschaft, der NSU sei nicht mehr als das Trio Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos gewesen.

Nach Lunnebach beginnt der Berliner Anwalt Mehmet Daimagüler mit seinem erheblich umfangreicheren Plädoyer. Daimagüler vertritt Angehörige der in Nürnberg erschossenen Türken Abdurrahim Özüdogru und Ismail Yasar. Der Anwalt hält der Bundesanwaltschaft vor, sie "entthematisiere" das Versagen der Polizei bei den Ermittlungen nach den Morden an den neun Migranten und wolle auch vermeiden, dass über die Verstrickungen des Verfassungsschutzes und seiner V-Leute gesprochen werde.

Als Daimagüler weitere umstrittene Fälle nennt, darunter die Ermittlungen zum Anschlag auf das Münchner Oktoberfest im Jahr 1980, wird er von Zschäpes Verteidigern Heer und Stahl unterbrochen. Sie monieren, diese Geschichte habe mit dem NSU-Verfahren nichts zu tun und dürfe nicht Gegenstand des Plädoyers sein. Richter Götzl lässt Daimagüler jedoch weiter vortragen.

Tag 388/ 16. November 2017: Zwei Verteidiger Zschäpes stoppen schon nach wenigen Minuten den Nebenklage-Anwalt Mehmet Daimagüler, der sein Plädoyer fortsetzt. Als Daimagüler über institutionellen Rassismus bei der Polizei spricht, intervenieren Wolfgang Heer und Wolfgang Stahl mit einer "Beanstandung". Die Verteidiger halten dem Opferanwalt vor, er halte eine "politische Rede". Es folgt ein mehrstündiges Gehakel zwischen den Verteidigern, Daimagüler und weiteren Nebenklage-Anwälten sowie Richter Götzl. Er teilt schließlich in einem von Heer und Stahl beantragten Beschluss mit, Daimagülers Plädoyer sei zulässig. Zuvor hatte auch die Bundesanwaltschaft, die am Vortag von Daimagüler hart kritisiert worden war, den Anwalt vor den Attacken von Heer und Stahl in Schutz genommen. Die beiden Verteidiger und ihre Kollegin Anja Sturm geben jedoch nicht auf. Sie reagieren auf den Beschluss des Strafsenats mit einer "Gegenvorstellung". Erst nach vier Stunden kann Daimagüler dann sein Plädoyer weiter vortragen.

Der Anwalt spricht im Zusammenhang mit den Ermittlungen der Polizei zu den Morden an den neun Migranten türkischer und griechischer Herkunft von einer "Kernschmelze des Rechtsstaats". Außerdem übt er scharfe Kritik am Verfassungsschutz. Dieser habe rechtsextreme V-Leute gefördert und damit unter anderem in Thüringen den Aufbau von Neonazi-Strukturen gefördert. Daimagüler fragt auch, ob der NSU mit Geld des Thüringer Verfassungsschutzes die Pistole Ceska 83 gekauft haben könnte. Die Waffe hatten Böhnhardt und Mundlos bei den Morden an den Migranten eingesetzt.

Angesichts der mehrstündigen Blockade wird Daimagüler mit seinem Plädoyer nicht fertig und soll es am nächsten Verhandlungstag fortsetzen.

Tag 389/21. November 2017: Der Berliner Opferanwalt Mehmet Daimagüler beendet sein Plädoyer mit der Forderung nach hohen Strafen. Er verlangt für Zschäpe lebenslänglich mit besonderer Schwere der Schuld und für Wohlleben 14,5 Jahre Haft. Daimagüler übertrifft bei Wohlleben die Forderung der Bundesanwaltschaft, die zwölf Jahre für nötig hält.

Im Fall des geständigen Angeklagten Carsten S. plädiert Daimagüler auf eine Bewährungsstrafe. Daimagüler sagt, seine Mandanten, die Angehörigen der in Nürnberg erschossenen Türken Abdurrahim Özüdogru und Ismail Yasar, würden Carsten S. vergeben. Der Angeklagte hatte zugegeben, an der Beschaffung der Mordwaffe Ceska 83 beteiligt gewesen zu sein. Mit der Pistole erschossen Böhnhardt und Mundlos außer Özüdogru und Yasar sieben weitere Migranten. Bei den Angeklagten André E. und Holger G. verzichtet Daimagüler nach Protesten ihrer Verteidiger genervt darauf, ein Strafmaß zu nennen.

Elif Kubasik, die Ehefrau des 2006 in Dortmund erschossenen Türken Mehmet Kubasik, trägt einen Teil des Plädoyers zu ihrer Nebenklage selbst vor. Sie wolle, dass alle Angeklagten verurteilt werden, sagt Elif Kubasik. Sie wirft Zschäpe vor, ihre Aussage im Prozess sei ekelhaft gewesen. "Es ist alles Lüge, was sie sagte, ich hatte das Gefühl, sie macht sich lustig über uns." Kubasik kritisiert, der Prozess habe viele ihrer Fragen nicht beantwortet. Vor allem nicht, warum ausgerechnet ihr Mann Mehmet ermordet wurde. Und ob es Helfer gab. Kubasik betont, die Täter und ihr Umfeld sollten nicht denken, "dass wir dieses Land verlassen". Die Familie Kubasik werde hier weiterleben.

Tag 390 bis Tag 399

Sie steht im Zentrum des Prozesses: Beate Zschäpe.
Sie steht im Zentrum des Prozesses: Beate Zschäpe.
© dpa

Tag 390/22. November 2017: Weitere Opferanwälte tragen ihre Plädoyers vor. Erneut wird die Bundesanwaltschaft hart attackiert. Der Berliner Anwalt Sebastian Scharmer zeigt 15 Schaubilder, sie sollen die Nähe von V-Leuten der Sicherheitsbehörden zum Umfeld von Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos verdeutlichen. Die Bundesanwaltschaft habe die Spitzel mit Samthandschuhen angefasst, sagt Scharmer. Er vertritt Gamze Kubasik, die Tochter des 2006 in Dortmund erschossenen Türken Mehmet Kubasik.

Gamze Kubasik äußert sich auch selbst und richtet sich an Zschäpe. "Ich habe immer noch soviele Fragen, auf die ich keine Antwort habe", sagt Kubasik. Anwalt Scharmer sagt zu Zschäpe, sollte sie die Personen nennen, die jetzt auf der Anklagebank fehlen, werde Gamze Kubasik sich persönlich bei dem Gericht, das über die Länge von Zschäpes Mindestverbüßungsdauer entscheide, dafür einsetzen, dass die spätere Aufklärung der Taten honoriert werde.

Sollte Zschäpe zu lebenslanger Haft verurteilt werden, könnte sie frühestens nach 13 Jahren eine Entlassung auf Bewährung beantragen.

Tag 391/23. November 2017: Der Berliner Nebenklage-Anwalt Peer Stolle sagt in seinem Plädoyer, der NSU sei wahrscheinlich schon zwei Jahre vor dem Untertauchen von Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos gegründet worden. Die drei hatten vor ihrer Flucht aus Jena im Januar 1998 bereits mehrere Straftaten verübt, auch mit Attrappen von Bomben. Stolle, der einen Sohn des 2006 in Dortmund erschossenen Mehmet Kubasik vertritt, geht auch davon aus, dass der NSU mehr Mitglieder hatte als die drei Neonazis. An den Straftaten vor dem Januar 1998 waren weitere Rechtsextremisten beteiligt. Zum engeren Umfeld von Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos zählte auch damals schon der Angeklagte Ralf Wohlleben.
Richter Götzl beendet den Verhandlungstag vorzeitig, weil der Angeklagte André E. über Migräne klagt. Zuvor hatte ihn ein Arzt untersucht und dann mitgeteilt, André E. sei für diesen Prozesstag nicht mehr verhandlungsfähig.

Tag 392/28. November 2017: Zwei Opfer des Nagelbombenanschlags in der Kölner Keupstraße beteiligen sich an den Plädoyers. Damit treten bei den Schlussvorträgen erstmals Überlebende des NSU-Terrors auf. Die beiden Kleinunternehmer türkischer Herkunft machen Ex-Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) Vorwürfe. Schily hatte am 10. Juni 2004, dem Tag nach dem Anschlag, öffentlich geäußert, Erkenntnisse der Sicherheitsbehörden deuteten nicht auf einen terroristischen Hintergrund hin, "sondern auf ein kriminelles Milieu". Die beiden Opfer, die noch heute unter psychischen Problemen als Folge des Anschlags und auch der Ermittlungen der Polizei leiden, machen Schily mitverantwortlich dafür, dass Bewohner der Keupstraße in einen falschen Verdacht gerieten. Die Polizei schrieb den Anschlag unter anderem einem angeblichen Machtkampf türkischer Krimineller zu. Eines der Opfer schildert, bei seiner Vernehmung habe er gesagt, die Täter seien Neonazis gewesen, doch der Polizeibeamte habe mit "Psscht" reagiert.

Der Anwalt eines der Opfer hält Schily vor, er habe mit seiner Äußerung vom 10. Juni 2004 die "an rassistischen Vorstellungen und Mythen orientierte Vorgehensweise" der Ermittler legitimiert. Schily selbst hatte sich nach dem Ende des NSU selbstkritisch gezeigt. 2012 bezeichnete er die Bewertung der Sicherheitsbehörden vom Tag nach dem Anschlag als "gravierenden Irrtum". Da der Anwalt des Opfers in seinem Vortrag auch sagt, der Verteidiger des Angeklagten André E. habe seinen Mandanten "Idiot" genannt, kommt es zu einer weiteren Verzögerung der Plädoyers. Der Verteidiger wirft dem Opferanwalt vor, aus dem nicht öffentlichen Termin vom September zur Verkündung der Untersuchungshaft gegen André E. zitiert zu haben. Nach längerem Hickhack - der Verteidiger kündigt sogar einen Befangenheitsantrag gegen den gesamten Strafsenat an - unterbricht Richter Götzl die Verhandlung bis zum nächsten Tag. Zuvor hat André E. allerdings auf das Ablehnungsgesuch gegen die Richter verzichtet.

Tag 393/29. November 2017: Eine weitere Anwältin der Nebenklage erhebt schwere Vorwürfe gegen Verfassungsschutz, Polizei und Justiz. Den Thüringer Sicherheitsbehörden seien die "Umstände des Abtauchens" von Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos im Januar 1998 "weitgehend bekannt" gewesen und ebenso der Aufenthaltsort, sagt die Berliner Anwältin Antonia von der Behrens. Sie vertritt den jüngsten Sohn des 2006 in Dortmund von Böhnhardt und Mundlos getöteten Mehmet Kubasik. Der Sohn war zum Zeitpunkt der Tat sechs Jahre alt.

Die Anwältin hält dem Thüringer Verfassungsschutz, der Staatsanwaltschaft Gera und dem Thüringer Landeskriminalamt vor, sie hätten i1998 eine Festnahme von Böhnhardt vor oder während der Durchsuchung einer von Zschäpe gemieteten Garage "aktiv behindert". In der Garage in Jena hatten zumindest Böhnhardt und Mundlos Rohrbomben gebastet. Am Tag der Razzia, dem 26. Januar 1998, setzte sich Böhnhardt gemeinsam mit Mundlos und Zschäpe von Jena nach Chemnitz ab.

Von der Behrens zählt zudem V-Leute auf, die großen Einfluss in rechtsextremen Organisationen hatten, aus denen die drei Untergetauchten unterstützt wurden. Die Anwältin nennt unter anderem Tino Brandt, den Anführer der Gruppierung "Thüringer Heimatschutz", und Marcel D., der die sächsische Sektion der Skinhead-Vereinigung "Blood & Honour" leitete.

Die Bundesanwaltschaft hat aus Sicht der Juristin den NSU jedoch als weitgehend isoliertes Trio dargestellt. Für von der Behrens ist das eine Strategie, die den Staat entlasten soll. "Wer von einer im Geheimen agierenden, vom politischen Umfeld abgeschotteten Kleingruppe vom sogenannten Trio ausgeht, kann sehr viel einfacher sagen, dass auch die staatlichen Stellen diese geheime Kleingruppe nicht kannten, als derjenige, der meint, dass ein Netzwerk von Personen in verschiedenen Städten von den Taten wusste und diese unterstützt hat", trägt die Anwältin vor. "Dies gilt natürlich erst recht, wenn man zusätzlich davon ausgeht, dass zu diesem Netzwerk von Personen auch V-Leute des Verfassungsschutzes zählten."

Tag 394/5. Dezember 2017: Bei den Plädoyers der Nebenkläger geht die Serie der Vorwürfe gegen Bundesanwaltschaft und Verfassungsschutz weiter. Aus Sicht der Berliner Anwältin Antonia von der Behrens, die den jüngsten Sohn des 2006 in Dortmund erschossenen Mehmet Kubasik vertritt und nun den zweiten Tag in Folge plädiert, hat die Bundesanwaltschaft den Verfassungsschutz "aktiv geschützt". Die Juristin nennt unter anderem die geringe Zahl von V-Leuten, die in der Anklageschrift erwähnt werden, und die Schredder-Affäre beim Bundesamt für Verfassungsschutz. Dort hatte ein Referatsleiter 2011 kurz nach dem Auffliegen des NSU Unterlagen zu sieben V-Leuten aus der rechtsextremen Szene in den Reißwolf stecken lassen. Von der Behrens hält der Bundesanwaltschaft vor, sie habe die später zum Teil rekonstruierten Akten "zu keinem Zeitpunkt eingesehen oder angefordert".

Zschäpes Verteidiger Wolfgang Heer unterbricht auch das Plädoyer der Anwältin. Es gehe in der Hauptverhandlung nicht um eine Anklage gegen den Staat, sagt Heer. Doch die von der Opferanwältin geprügelte Bundesanwaltschaft wie auch Richter Götzl betonen, dieses Plädoyer sei ebenfalls zulässig. Der Strafsenat fordert zudem, die Schlussvorträge nicht zu stören.

Tag 395/6. Dezember 2017: Die Eltern des 2006 in Kassel erschossenen Halit Yozgat äußern sich nach zwei ihrer Anwälte auch selbst beim Plädoyer. Mutter Ayse Yozgat spricht, wie schon bei ihrem Auftritt als Zeugin im Oktober 2013, Zschäpe direkt an. „Können Sie einschlafen, wenn sie den Kopf auf das Kissen legen? Ich kann es seit elf Jahren nicht, denn ich vermisse meinen Sohn so sehr“, sagt Ayse Yozgat. Die Angeklagte blickt ungerührt. Vater Yozgat trägt ebenfalls vor, noch emotionaler als seine Frau. Er behauptet, der „Agent“ Andreas T. „hat meinen Sohn ermordet oder er hat den Täter arrangiert“.

Gemeint ist der Verfassungsschützer Andreas T., der mutmaßlich zur Tatzeit im Internetcafé von Halit Yozgat saß. Andreas T. beteuert bis heute, er habe vom Mord nichts mitbekommen. Vater Yozgat macht zudem Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier mitverantwortlich. Der CDU-Politiker hatte 2006 als Landesinnenminister verhindert, dass Polizei und Staatsanwaltschaft bei den Ermittlungen zum Mord an Halit Yozgat direkt V-Leute des hessischen Verfassungsschutzes vernehmen konnten. Bouffier erlaubte nur schriftliche Fragen. Ismail Yozgat wirft nun Bouffier vor, er habe Andreas T. in Schutz genommen.

Vor den Eltern Yozgat hatten zwei Anwälte der Familie ihre Plädoyers vorgetragen. Die Juristen attackieren, wie viele ihrer Kolleginnen und Kollegen, die Bundesanwaltschaft und den Verfassungsschutz. Vorwürfe gehen auch gegen die Richter. Sie seien ihrer Aufklärungspflicht nicht genügend nachgekommen, monieren die Anwälte.

Tag 396/12. Dezember 2017: Drei Anwälte der Familie des 2001 in Hamburg erschossenen Süleyman Tasköprü plädieren. Andreas Thiel und Gül Pinar kritisieren die Ermittlungen der Polizei. Beide Anwälte fordern, die Hamburger Bürgerschaft solle einen NSU-Untersuchungsausschuss einsetzen.
Konsterniert reagieren die meisten Opferanwälte auf das Plädoyer von Angela Wierig. Sie nimmt den Angeklagten Ralf Wohlleben in Schutz. An dessen Schuld gebe es erhebliche Zweifel, sagt die Hamburger Juristin. Wohlleben ist dringend verdächtig, die Beschaffung der Mordwaffe Ceska 83 geleitet zu haben. Mit der Pistole erschossen Böhnhardt und Mundlos außer Tasköprü acht weitere Migranten.
Wierig gilt im Spektrum der Nebenkläger und ihrer Anwälte schon lange als Außenseiterin. Der Tagesspiegel beobachtete nach Beginn des Prozesses, wie sie sich mit Wohllebens Anwälten, die der rechten Szene zumindest nahestehen, in einem Münchner Biergarten amüsierte.

Tag 397/13. Dezember 2017: Der Kieler Nebenklage-Anwalt Alexander Hoffmann setzt sein Plädoyer fort. Er vertritt zwei Opfer des Nagelbombenanschlags in der Kölner Keupstraße. Hoffmann befasst sich mit der braunen Gesinnung in den mutmaßlichen Unterstützerkreisen des NSU. Nach dem Juristen spricht auch einer seiner Mandanten. Es sei unfassbar, dass Polizisten beim Verhör nach dem Anschlag "die Ereignisse absichtlich in eine andere Richtung lenkten und uns verdächtigten", sagt Arif S. Der psychische Druck habe sein Leben ruiniert.

Tag 398/14. Dezember 2017: Der Kölner Opferanwalt Eberhard Reinecke attackiert in seinem Plädoyer Beate Zschäpe. Deren Aussage sei rechtlich wenig wert, schon weil Zschäpe Fragen der Nebenkläger nicht beantwortet hat, sagt Reinecke, der Opfer des Nagelbombenanschlags in der Kölner Keupstraße vertritt.Reinecke hält Zschäpe Einlassung auch für in sich widersprüchlich und in Teilen für widerlegt. Dann gibt es, wie schon mehrmals bei den Plädoyers der Nebenklage-Vertreter, Streit mit Verteidigern Zschäpes. Wolfgang Heer und Wolfgang Stahl kritisieren, dass Reinecke über einen Polizei-Vermerk spricht, der nicht in die Hauptverhandlung eingeführt wurde. Der Kölner Anwalt wird unwirsch und hält den Verteidigern vor, "wenn es mir gelingen würde, dass das Gericht etwas im Urteil verwerten würde, was nicht eingeführt ist, dann hätten Sie doch für Ihre Revision mehr gewonnen als mit den ganzen beknackten Befangenheitsanträgen, die Sie in den letzten Jahren gestellt haben“. Richter Götzl rügt das Wort "beknackt".

Tag 399/19. Dezember 2017: Opferanwalt Eberhard Reinecke setzt sein Plädoyer fort. Er äußert die Vermutung, der NSU habe 2011 einen größeren Anschlag geplant, womöglich auf das Jüdische Krankenhaus in Berlin. Der Angriff könnte jedoch durch den Selbstmord von Böhnhardt und Mundlos in Eisenach am 4. November 2011 verhindert worden sein. Reinecke begründet seine Theorie mit dem Indiz, die Bekenner-DVD der Terrorzelle sei im November 2011 schon "eingetütet" gewesen. Zschäpe habe sie möglicherweise nach dem Tod der beiden Uwes verschickt, weil das ohnehin als Teil eines größeren Plans vorgesehen war.
Reinecke äußert sich auch zum umstrittenen Plädoyer der Hamburger Nebenklage-Anwältin Angela Wierig. Deren Mandantin, eine Schwester des im Juni 2001 in Hamburg erschossenen Süleyman Tasköprü, habe in einem Schreiben ans Gericht mitgeteilt, sie wolle von Wierig nicht mehr vertreten werden, sagt Reinecke. Die Anwältin hatte vergangene Woche in ihrem Schlussvortrag den Angeklagten Ralf Wohlleben in Schutz genommen. Wohlleben ist auch aus Sicht des Gerichts dringend tatverdächtig, dem NSU die Pistole Ceska 83 geliefert zu haben. Mit der Waffe erschossen Böhnhardt und Mundlos sowohl Tasköprü wie auch acht weitere Migranten.

Tag 400 bis Tag 409

Tag 400/20. Dezember 2017: Der 400. Tag beginnt, wie viele zuvor, mit Komplikationen. Wohllebens Anwalt Olaf Klemke trägt eine "Beanstandung" gegen Richter Götzl vor. Die Verteidiger des Angeklagten ärgert, dass Götzl nicht einschritt, als die Nebenklage-Anwälte Reinhard Schön und Eberhard Reinecke Strafen für alle Angeklagten forderten. Aus Sicht von Klemke hätten Schön und Reinecke in dem Punkt nur etwas zu Zschäpe sagen dürfen. Die beiden Anwälte vertreten Opfer des Bombenanschlags in der Kölner Keupstraße. Wohlleben wird in diesem Fall im Anklagesatz der Bundesanwaltschaft nicht genannt.

Es kommt zu einer kontroversen Debatte mit Nebenklage-Anwälten. Die Bundesanwaltschaft möchte zudem eine vierstündige Pause, um eine Stellungnahme zur Beanstandung zu erarbeiten. Vier Stunden sind Zschäpes Verteidiger Wolfgang Heer jedoch zuviel, er protestiert. Letztlich gelingt es Götzl, die Diskussion zu beenden und den nächsten Opferanwalt plädieren zu lassen. Hardy Langer, er vertritt zwei Schwestern des 2004 in Rostock erschossenen Mehmet Turgut, hält die Tat für einen speziellen Fall. Der Mord war das einzige Tötungsverbrechen des NSU in Ostdeutschland. Langer vermutet, Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe hätten den Döner-Imbiss gekannt, in dem Turgut als Aushilfe tätig war. In dem Rostocker Viertel wohnten eine Cousine von Böhnhardt und ein Paar, mit denen Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe 1994 Silvester gefeiert haben sollen. Langer betont zudem, der Mord zeige, dass es dem NSU nicht um die gezielte Tötung bestimmter Personen ging, sondern um die Hinrichtung von Türken. Turgut war am Tag der Tat zufällig im Imbiss, der Betreiber kaufte woanders ein. Am Ende seines Plädoyers appelliert Langer an Zschäpe, sie solle umfassend aussagen und sich von der Strategie ihrer Verteidiger lösen. „Frau Zschäpe, Sie sind eine sehr starke Person, Sie sind kein Blättchen im Winde, dass andere hin und her pusten“, sagt Langer. „Sie sind nun an dem Punkt, an dem Ihnen kein Anwalt mehr helfen kann, Sie können nur noch sich selbst helfen.“ Zschäpe reagiert nicht.

Tag 401/21. Dezember 2017: Am letzten Verhandlungstag im Jahr werden wieder Bruchlinien im Spektrum der Nebenkläger und ihrer Vertreter sichtbar. Anwalt Bernd Behnke, er vertritt einen Bruder des im Februar 2004 in Rostock erschossenen Mehmet Turgut, nimmt die Bundesanwaltschaft gegen die häufigen Vorwürfe von Kollegen in Schutz und widerspricht einer zentralen These. "Es gibt in Deutschland auch keinen strukturellen oder institutionellen Rassismus", sagt Behnke.

Wenn es in Behörden Leute gebe, "die bestimmte Vorstellungen vertreten", könne man nicht daraus schließen, das sei institutioneller Rassismus. Und wer behaupte, es gebe sogar strukturellen Rassismus, "stiftet Unfrieden". Viele Opferanwälte und ihre Mandanten sehen in den jahrelangen Ermittlungen der Polizei gegen Angehörige von Ermordeten und überlebende Opfer der Anschläge des NSU rassistisch motivierte Schikanen.

Außer Behnke tragen vier weitere Anwälte ihre Plädoyers vor. Die Juristin Monika Müller-Laschet, sie vertritt drei Opfer des Nagelbombenanschlags vom Juni 2004 in der Kölner Keupstraße, berichtet von den anhaltenden Problemen einer Mandantin. Die türkischstämmige Frau hätte nach ihrer Zeugenaussage im NSU-Prozess noch im Gericht einen "kompletten Zusammenbruch" erlitten und sei bis heute krank geschrieben, sagt Müller-Laschet. Im Januar 2015 war die Mandantin in der Hauptverhandlung aufgetreten und berichtete über massive psychische Probleme seit dem Anschlag.

Tag 402/09. Januar 2018: Zunächst trägt Anwalt Markus Goldbach sein Plädoyer vor. Er vertritt Opfer des Anschlags in der Kölner Keupstraße. Es habe seine Mandanten sehr belastet, dass Zschäpe keine echte Reue zeige, sagt Goldbach. Für ihn ist bedauerlich, dass die Angeklagten an die zwei neuen Verteidiger "geraten ist". Der Anwalt vermutet, vielleicht sei es gerade die "innere Leere" bei Zschäpe, die ihre Taten "so monströs erscheinen lasse".

Anwältin Seda Basay-Yildiz hält ihr Plädoyer im Namen der Familie des in Nürnberg erschossenen Enver Simsek. Im Ton nüchtern und klar, attackiert Basay-Yildiz in der Sache heftig die Polizei wegen der Ermittlungen gegen die Angehörigen des Ermordeten, vor allem gegen Ehefrau Adile Simsek. Die Anwältin beklagt, dass Beamte gegenüber Adile Simsek behaupteten, ihr Ehemann habe eine Geliebte gehabt, er habe mit Drogenhändlern in Kontakt gestanden und Streckmittel für Rauschgift transportiert. Wie bei den Ermittlungen zu den weiteren acht Morden an Migranten hätten Vorurteile die Polizeiapparate so sehr beherrscht, "dass ein rassistisches Motiv nicht denkbar war", sagt Basay-Yildiz.

Richter Götzl bricht den Verhandlungstag am Mittag ab, weil der Angeklagte Wohlleben über Rückenprobleme klagt.

Tag 403/10. Januar 2018: Opferanwältin Seda Basay-Yildiz setzt ihr Plädoyer für die Angehörigen des Mordopfers Enver Simsek fort. Sie nennt ein Indiz für eine mögliche Unterstützung aus der rechten Szene für Böhnhardt und Mundlos bei einem Mord in Nürnberg. Einige Monate vor dem Attentat auf den Imbissbetreiber Ismail Yasar habe dieser eine Auseinandersetzung mit einem Jürgen F. gehabt, sagt Basay-Yildiz. Sie beruft sich auf einen Vermerk des BKA aus dem Jahr 2012. Demnach verübte Jürgen F. im Jahr 2004 eine politisch motivierte Sachbeschädigung bei Ismail Yasar. Böhnhardt und Mundlos erschossen Yasar im Juni 2005. Zehn Jahre zuvor, im Februar 1995, seien Jürgen F., Mundlos sowie die Angeklagten Ralf Wohlleben und Holger G. gemeinsam bei einer Skinhead-Veranstaltung in dem Nürnberger Lokal "Tiroler Höhe" gewesen, sagt die Anwältin.
Nach ihr spricht Abdulkerim Simsek, Sohn des im September 2000 in Nürnberg erschossenen Enver Simsek. In drastischen Worten schildert Abdulkerim Simsek, wie er damals, im Alter von 13 Jahren, seinen sterbenden Vater im Krankenhaus sah. Und wie er und Verwandte den Leichnam in der Türkei ins Grab legten. Abdulkerim fordert, alle Angeklagten außer dem geständigen Carsten S. müssten bestraft werden. Die Entschuldigung von Carsten S. nehme er an, sagt der Sohn. Carsten S. hatte kurz nach Beginn des Prozesses umfassend ausgesagt und zugegeben, an der Beschaffung der Pistole Ceska 83 beteiligt gewesen zu sein. Mit der Waffe erschossen Böhnhardt und Mundlos Enver Simsek und acht weitere Migranten.
Richter Götzl beendet den Prozesstag, wie schon den gestrigen, vorzeitig. Grund sind die anhaltenden Rückenprobleme bei Ralf Wohlleben. Ein Arzt, der ihn untersucht hat, sagt dem Gericht, es handele sich um eine "typische Bandscheibensymptomatik".

Tag 404/11. Januar 2018: Die Nebenklage-Plädoyers können nicht fortgesetzt werden. Es geht nur um den Gesundheitszustand von Ralf Wohlleben. Dessen Verteidiger wollen, dass die Öffentlichkeit ausgeschlossen wird, wenn ein medizinischer Sachverständiger sein Gutachten zu Wohllebens Rückenbeschwerden vorträgt. Eine Entscheidung dazu gibt es nicht, Richter Götzl beendet die Verhandlung schon am Mittag. Bekannt wird zudem, dass der Strafsenat den Prozessparteien weitere Termine bis Januar 2019 mitgeteilt hat. Allerdings nur "vorsorglich". Dass der Prozess noch ein Jahr dauert, gilt als unwahrscheinlich.

Tag 405/23. Januar 2018: Wohllebens Verteidiger blockieren mit einem Beweisantrag die Fortsetzung der Plädoyers. Die Anwälte fordern, zwei Thüringer Skinheads als Zeugen zu laden. Die Männer sollen angeblich für die Beschaffung der Mordwaffe Ceska 83 verantwortlich sein. Aus Sicht der Verteidiger sind die Anklagevorwürfe der Bundesanwaltschaft falsch, wonach Wohlleben und der Mitangeklagte Carsten S. die Pistole für den NSU besorgt haben - obwohl Carsten S. gestanden hat, die Waffe zu Mundlos und Böhnhardt gebracht zu haben.

Dass der Beweisantrag erst jetzt kommt, nach dem die Beweisaufnahme längst abgeschlossen ist, wertet die Bundesanwaltschaft in ihrer Stellungnahme als Verschleppung des Prozesses. Der Antrag sei "ins Blaue hinein" gestellt, sagt Oberstaatsanwältin Anette Greger. Ähnlich argumentiert Opferanwalt Hardy Langer. Er äußert zudem die Sorge, sollte der Strafsenat die Forderungen der Verteidiger ablehnen, würden diese weitere Anträge stellen, womöglich auch wieder Ablehnungsgesuche gegen die Richter. Wie der Strafsenat nun reagiert, bleibt offen. Richter Götzl bricht den Verhandlungstag nach weniger als zwei Stunden ab.

Tag 406/24.Januar 2018: Das Gezerre um den Beweisantrag der Verteidigung Wohlleben zum Lieferweg der Mordwaffe Ceska 83 geht weiter, die Plädoyers bleiben unterbrochen. Als Reaktion auf die ablehnende Haltung bei Bundesanwaltschaft und Nebenklage präsentiert Wohllebens Anwalt Wolfram Nahrath eine Stellungnahme, die den Antrag vom Vortag noch erweitert. Die Verteidiger fordern nun auch, einen dritten Zeugen zu laden, Michael H. Er soll bekunden, im Jahr 2000 habe ihm der Rechtsextremist Sven R. eine Ceska 83 gezeigt. Sven R. gehörte zur Thüringer Neonazi-Szene und kannte mutmaßlich zumindest Böhnhardt.

Die Anwälte wollen ihre Behauptung aus dem Beweisantrag untermauern, über Sven R. und einen weiteren Skinhead aus Thüringen, Jug P., sei die Pistole zu Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt gelangt - und nicht über Wohlleben sowie den Mitangeklagten Carsten S. In dem am Vortag gestellten Beweisantrag wird gefordert, Sven R. und Jug P. sollten im Prozess als Zeugen gehört werden.

Die Bundesanwaltschaft und der Nebenklage-Anwalt Hardy Langer weisen in ihren Stellungnahmen zur Stellungnahme von Verteidiger Nahrath dessen Behauptungen zurück. Oberstaatsanwältin Anette Greger betont, die beantragte Ladung von Michael H. sei wegen Bedeutungslosigkeit abzulehnen. Dass Michael H. eine beliebige Ceska 83 bei Sven R. wahrgenommen haben will, sei für die Beweisführung im NSU-Verfahren ohne Belang. Außerdem soll Michael H. 2012 bei einer Vernehmung durch die Polizei von einer Ceska mit einem kurzen Lauf gesprochen habe. Die Pistole, mit der Mundlos und Böhnhardt neun Migranten erschossen, hatte jedoch einen längeren Lauf mit einem Gewinde für einen aufzuschraubenden Schalldämpfer.

Greger und Langer halten das Manöver der Verteidiger Wohllebens für Prozessverschleppung. Die Oberstaatsanwältin verweist darauf, dass sich die Angaben von Michael H. schon lange in einer Sachakte befinden. Greger verwahrt sich auch gegen den von Wohllebens Anwälten geäußerten Verdacht, ein aktuelles Verfahren beim Landeskriminalamt Baden-Württemberg gegen Jug P. sei von der Bundesanwaltschaft inszeniert. Die Verteidiger argumentieren sinngemäß so: In Baden-Württemberg solle insgeheim der wahre Weg der Ceska 83 zu Mundlos und Böhnhardt ermittelt werden. Die Bundesanwaltschaft wolle diese Geschichte jedoch aus dem NSU-Prozess heraushalten, um ihre Anklage gegen Wohlleben nicht zu gefährden. Greger bezeichnet die Theorie als "grotesk". Wohllebens Verteidiger wollen jedoch, dass die Akten des Verfahrens des LKA Baden-Württemberg im NSU-Prozess beigezogen werden.

Das würde allerdings bedeuten, dass sich angesichts der auch geforderten Vernehmung der drei Zeugen die Fortsetzung der Plädoyers um mehrere Wochen weiter verzögern würde. Schon jetzt ist die Hauptverhandlung blockiert. Richter Götzl setzt den für morgen geplanten Verhandlungstag ab, erst kommende Woche geht es weiter. Ob dann die noch ausstehenden Nebenklage-Plädoyers gehalten werden können, ist ungewiss.

Am Rande der Verhandlung wird bekannt, dass die Schwester des in Hamburg vom NSU erschossenen Süleyman Tasköprü ihre Nebenklage aufgibt. Anlass ist das Zerwürfnis zwischen der Frau und ihrer bisherigen Anwältin Angela Wierig. Diese hatte ein Plädoyer vorgetragen, das bei anderen Opferanwälten scharfe Kritik hervorrief. Wierig nahm in ihrem Vortrag Wohlleben in Schutz und verneinte institutionellen Rassismus bei der Polizei.

Tag 407/30. Januar 2018: Der Strafsenat lehnt die Beweisanträge der Verteidiger Wohllebens ab. Aus Sicht des Senats gibt es in den Anträgen keinen Hinweis, dass die Mordwaffe Ceska 83 von den Zeugen Jug P. und Sven R. beschafft worden sein könnte, wie Wohllebens Anwälte behaupten. Diese kündigen eine "Gegenvorstellung" an und beantragen eine Unterbrechung bis zum morgigen Verhandlungstag. Richter Götzl beendet dann die Sitzung.

Tag 408/31. Januar 2018: Der Verhandlungstag dauert nur anderthalb Stunden. Wohllebens Verteidigerin Nicole Schneiders verliest die Gegenvorstellung zu der vom Strafsenat gestern verkündeten Ablehnung der Beweisanträge. Die Richter hätten die Anträge "fehlerhaft ausgelegt", sagt Schneiders. Außerdem würden die Anforderungen an die Darlegungspflicht der Antragsteller "überspannt", sich zu den Informationen in den angeforderten Akten zu äußern. Das könne nur ein "Hellseher" oder ein Whistleblower, mokieren sich die Anwälte in der Gegenvorstellung. Die Verteidiger hatten die Beiziehung von Unterlagen eines aktuellen Verfahrens des Landeskriminalamts Baden-Württemberg gefordert. Außerdem wollen sie, dass zwei Zeugen geladen werden, die angeblich einen anderen Lieferweg der Mordwaffe Ceska 83 schildern können als den, der in der Anklage der Bundesanwaltschaft genannt wird und nach der längst abgeschlossenen Beweisaufnahme auch weitgehend schlüssig erscheint.

Die Bundesanwaltschaft unterstützt in ihrer Stellungnahme zur Gegenvorstellung den Ablehnungsbeschluss der Richter. Dieser sei richtig, sagt Oberstaatsanwalt Jochen Weingarten. Er betont, die von der Verteidigung benannten Zeugen könnten gar nicht bekunden, dass sie die zukünftige Tatwaffe an Mundlos und Böhnhardt übergeben haben. Das ist aus Sicht der Bundesanwaltschaft auch nicht den Beweisanträgen zu entnehmen, da selbst die Verteidiger sagen, die Zeugen wüssten die Serienummer der Waffe nicht. Wohllebens Anwälte argumentieren dennoch, der Zeuge Jug P. habe in der Schweiz die Mordwaffe Ceska 83 besorgt und der Zeuge Sven R. habe die Pistole an Mundlos und Böhnhardt weitergereicht. Richter Götzl schließt die Sitzung bereits um 11.14 Uhr. Morgen will sich der Strafsenat zur Gegenvorstellung äußern.

Tag 409/01. Februar 2018: Wohllebens Anwälte stellen wieder einen Befangenheitsantrag gegen den gesamten Strafsenat. Anlass ist ein Beschluss der Richter, auch die Gegenvorstellung der Verteidiger zurückzuweisen. Götzl trägt detailliert vor, warum es bei der Ablehnung der Beweisanträge zu einem angeblich anderen Lieferweg der Mordwaffe Ceska 83 an Mundlos und Böhnhardt bleibt. Trotz des Befangenheitsantrags verkündet Götzl, die Verhandlung werde kommende Woche gleich am Dienstag fortgesetzt. Bei vergangenen Ablehnungsgesuchen hatte das Oberlandesgericht manchmal mehrere Verhandlungstage ausgesetzt, um die Entscheidung zu den Anträgen zu formulieren.

Tag 410 bis Tag 419

Sie steht im Zentrum des Prozesses: Beate Zschäpe.
Sie steht im Zentrum des Prozesses: Beate Zschäpe.
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Tag 410/07. Februar 2018: Nach vier Wochen Unterbrechung werden die Plädoyers der Nebenkläger fortgesetzt. Rechtsanwalt Manuel Reiger, er vertritt ein Opfer des Bombenanschlags in der Kölner Keupstraße, fordert für Zschäpe die Höchststrafe: lebenslänglich mit besonderer Schwere der Schuld plus anschließende Sicherungsverwahrung. Angesichts der Gefährlichkeit Zschäpes sei auch die Sicherungsverwahrung "dringend geboten", sagt Reiger.

Rechtsanwältin Barbara Kaniuka, sie spricht für die Tochter des in München erschossenen Habil Kilic, macht Zschäpe schwere Vorwürfe. Es sei eine Zumutung, was die Angeklagte "hier aufgetischt hat". Kaniuka hält die Aussage Zschäpes, sie habe die Morde verabscheut, für unglaubwürdig. Würde die Geschichte stimmen, hätte Zschäpe nicht noch jahrelang mit Mundlos und Böhnhardt "in einer waffenstarrenden Wohnung" leben und mit ihnen unbeschwert Urlaub machen können, sagt Kaniuka. Sie beklagt zudem, wie viele ihrer Kolleginnen und Kollegen zuvor, die Ermittlungen der Polizei nach dem Mord gegen die Familie des Toten. "Eine irgendwie geartete Unschuldsvermutung hat für Herrn Kilic nicht gegolten", sagt die Anwältin. Die Ermittler hätten mit einer Art Tunnelblick nach Verbindungen zum Drogenmilieu und zur organisierten Kriminalität gesucht.

Am Ende des Verhandlungstages spricht Richter Götzl die Verteidiger der fünf Angeklagten auf ihre bevorstehenden Plädoyers an. Zschäpes Anwälte halten eine längere Pause nach dem Ende der Schlussvorträge der Nebenkläger für notwendig. Morgen werden vermutlich die letzten Opferanwälte ihre Plädoyers vortragen.

Tag 411/08. Februar 2018: Drei Monate nach dem Beginn enden die Plädoyers der Nebenkläger. Als letzte Hinterbliebene eines Mordopfers tritt die Ehefrau des in München erschossenen Griechen Theodoros Boulgarides auf, zusammen mit ihrem Anwalt. Yvonne Boulgarides äußert ihre Enttäuschung über den Prozess, "die angeblich lückenlose Aufklärung ist uns so viele Fragen schuldig geblieben". Sie spricht von einem "kompletten Organversagen" der Sicherheitsbehörden. Die Ehefrau erwähnt allerdings auch ein Treffen mit dem Angeklagten Carsten S., der die Mordwaffe Ceska 83 zu Mundlos und Böhnhardt gebracht hatte. Mit der Pistole töteten die Neonazis auch Theodoros Boulgarides. Sie habe Carsten S. bei dem Gespräch "als einen Menschen erlebt, der sein Mitwirken zutiefst bereute", sagt Yvonne Boulgarides.

Richter Götzl vereinbart mit den Verteidigern der fünf Angeklagten die weiteren Termine. Am 20. Februar will Götzl noch die Entscheidung zur möglichen Abtrennung des Verfahrens um die Einziehung von Beute des NSU verkünden, dann sollen am 13. März die Plädoyers der Verteidiger beginnen. Den Anfang werden die beiden neuen Anwälte von Beate Zschäpe machen, Hermann Borchert und Mathias Grasel. Die knapp fünf Wochen zwischen dem Ende der Nebenklage-Plädoyers und den Schlussvorträgen der Verteidiger ist aus Sicht mehrerer Verteidiger nötig, um sich angemessen vorzubereiten. Die drei weiteren Anwälte Zschäpes kündigen zudem an, vermutlich würden sie auch eine Unterbrechung nach dem Plädoyer von Borchert und Grasel brauchen, bevor sie selbst auftreten. Die meisten Verteidiger der anderen Angeklagten wollen mit eintägigen Schlussvorträgen auskommen.

Tag 412/27.Februar 2018: Zschäpes Alt-Verteidiger Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm beantragen erneut, von ihrem Mandat entbunden zu werden. Die Anwälte ärgert, dass Götzl in der vergangenen Woche alle drei Verhandlungstermine absetzte, weil sich der neue Verteidiger Mathias Grasel krank gemeldet hatte - und nur für einen Tag. In seiner Verfügung hatte Götzl auch Grasels Kanzleikollegen Hermann Borchert genannt, obwohl der nur selten in der Verhandlung auftaucht.

Wohllebens Verteidiger reagieren mit einer Gegenvorstellung auf den am Morgen von Götzl verkündeten Beschluss des Strafsenats, das Verfahren zur Einziehung der Beute des NSU abzutrennen. Die Richter wollen vermeiden, dass aufwändig nach Erben von Mundlos und Böhnhardt gesucht werden muss, um sie in das Verfahren einzubeziehen. Die Anwälte Wohllebens monieren, dass im Beschluss die Angeklagten Zschäpe, Wohlleben, Holger G. und André E. genannt werden, nicht aber Carsten S.

Außerdem versuchen Wohllebens Anwälte noch einmal, ihren Mandanten zu entlasten, indem sie den Thüringer Rechtsextremisten Sven R. als mutmaßlichen Beschaffer der Mordwaffe Ceska 83 präsentieren. Die Verteidiger beantragen, Sven R. als Zeugen zu hören. Sven R. werde bekunden, Uwe Böhnhardt habe ihn im Juni oder Juli 2000 telefonisch gefragt, ob er eine scharfe Schusswaffe besorgen könne. Später habe Sven R. von dem Thüringer Jürgen L. eine Ceska 83 mit Schalldämpfer gekauft. Einen ähnlichen Antrag hatten Wohllebens Verteidiger bereits im Januar 2018 gestellt und waren gescheitert. Das Manöver verzögerte allerdings die Fortsetzung der Plädoyers der Nebenkläger und ihrer Anwälte.

Tag 413/28. Februar 2018: Ein kurzer Verhandlungstag. Die Bundesanwaltschaft fordert, den Beweisantrag der Verteidiger von Ralf Wohlleben abzulehnen, den Thüringer Sven R. als Zeugen zu einem angeblich anderen Lieferweg der Mordwaffe Ceska 83 zu laden. Richter Götzl teilt mit, sollte der Zeuge gehört werden, würde das am 8. März geschehen. Wenn nicht, gehe die Verhandlung am 13. März weiter. Dann sollen die neuen Verteidiger Zschäpes plädieren. Über den Antrag der drei Alt-Verteidiger der Hauptangeklagten, von ihrem Mandat entbunden zu werden, entschied der Strafsenat noch nicht.

Tag 414/13. März 2018: Richter Götzl wirft den Verteidigern von Ralf Wohlleben erstmals "Prozessverschleppung" vor. Die Beweisanträge zum angeblich anderen Lieferweg der Mordwaffe Ceska 83 an den NSU seien "aufs Geradewohl ins Blaue gestellt", trägt Götzl in den ablehnenden Beschlüssen zu Beweisanträgen der Anwälte vor. Der Strafsenat weist auch den Antrag der drei Alt-Verteidiger Zschäpes zurück, vom Mandat entbunden zu werden. Wohllebens Anwälte reagieren prompt mit der Ankündigung, am morgigen Prozesstag einen Befangenheitsantrag zu stellen. Die Verteidiger fordern dafür eine Unterbrechung bis zum Mittag des nächsten Tages. Götzl gibt dem Antrag statt und beendet die Sitzung.

Tag 415/14. März 2018: Die Verteidiger Wohllebens präsentieren einen weiteren Befangenheitsantrag gegen die Richter des Strafsenats. In hartem Ton kontern die Anwälte den Vorwurf von Götzl, ihre Beweisanträge zum Lieferweg der Mordwaffe Ceska83 seien Prozessverschleppung. Die Verteidiger nennen die Ansicht des Strafsenats "willkürlich", "unredlich", "ins Blaue hinein" und "haltlos". Götzl bricht die Sitzung ab, der für morgen geplante Verhandlungstag entfällt.

Am Rande der Sitzung wird bekannt, dass ein weiterer Szene-Anwalt in den Prozess einsteigen will. Björn Clemens, ehemaliger Vizevorsitzender der Partei "Die Republikaner", hat dem Oberlandesgericht München in einem Schreiben mitgeteilt, für den Angeklagten André E. sei ein dritter Pflichtverteidiger notwendig. Clemens erwähnt den Gleichbehandlungsgrundsatz des Grundgesetzes und verweist darauf, dass Zschäpe von vier Pflichtverteidigern und Wohlleben von drei vertreten wird.

Tag 416/21. März 2018: Nachdem ihre drei Befangenheitsanträge aus der vergangenen Woche alle abgelehnt wurden, verzichten Wohlleben und seine Anwälte am 416. Tag auf neue Manöver. Der Weg zum Beginn des Plädoyers der beiden neuen Verteidiger Zschäpes scheint frei zu sein, vor Anwalt Hermann Borchert sind bereits Stehpult und Mikrofon aufgebaut. Doch Zschäpe klagt über Kopfschmerzen und Übelkeit. Richter Götzl lässt sie von einem Arzt untersuchen und verkündet dann, aufgrund der Beschwerden der Angeklagten "ist heute ein Weiterverhandeln nicht angezeigt". Nun bleibt nur noch der morgige Donnerstag, um vor der zweiwöchigen Osterpause in den dritten Block der Plädoyers, die Schlussvorträge der Verteidiger, einzusteigen.

Tag 417/10. April 2018: Der neue Anwalt von André E., Daniel Sprafke, nimmt erstmals am Prozess teil. Sprafke führt sich gleich mit einem Befangenheitsantrag gegen Richter Götzl ein. Der Anwalt will seinem Mandanten als dritter Pflichtverteidiger beigeordnet werden, der Strafsenat lehnt das ab. Die Richter meinen, André E. sei in den fast fünf Jahren Prozess von seinen Verteidigern Herbert Hedrich und Michael Kaiser "sachgerecht" vertreten worden. Das sieht der Angeklagte inzwischen anders. André E. ist irritiert, weil die Bundesanwaltschaft im September 2017 in ihrem Plädoyer zwölf Jahre Haft gefordert hat, das ist weit mehr als allgemein erwartet wurde. Der Angeklagte wollte dann im März den Düsseldorfer Anwalt Björn Clemens, Ex-Vizechef der Partei "Die Republikaner", ins Verfahren holen. Clemens hätte allerdings nur punktuell zur Verfügung gestanden. André E. tat sich schließlich mit Sprafke zusammen, der aus Karlsruhe kommt.

In der Hauptverhandlung liefert sich Sprafke ein längeres Hickhack mit Götzl, schreibt in der Mittagspause einen ersten Befangenheitsantrag gegen den Vorsitzenden Richter und kündigt zudem für den morgigen Tag drei Ablehnungsgesuche an. Damit ist wieder einmal der Beginn der Plädoyers der Verteidiger blockiert. Zschäpes Anwalt Hermann Borchert, der schon vor der Osterpause starten wollte, kann sein Manuskript erneut einpacken. Der Strafsenat gibt dennoch den Versuch nicht auf, das Tempo der Verhandlung etwas zu beschleunigen. Gleich nach dem Ende des Verhandlungstages soll die mündliche Anhörung zum Befangenheitsantrag Sprafkes beginnen. Die meisten Journalisten sind noch im Saal, Götzls Richterkollegen stört das nicht. Doch Zschäpes Verteidiger Wolfgang Heer beantragt den Ausschluss der Öffentlichkeit. Der beisitzende Richter Konstantin Kuchenbauer, er sitzt auf Götzls Platz, verkündet dann nach einer Pause, die Anhörung könne auch schriftlich erledigt werden, und schließt die Sitzung.

Tag 418/17. April 2018: Auch heute bleibt der Start der Verteidiger-Plädoyers aus, obwohl die Befangenheitsanträge des Angeklagten André E. und seines neuen Anwalts Daniel Sprafke gegen die Richter gescheitert sind. Zschäpes neuer Verteidiger Hermann Borchert, der den Reigen der Schlussvorträge beginnen soll, kann wegen eines familiären Notfalls weder an diesem Tag noch morgen zum Prozess kommen.

Richter Götzl fragt dann den Verteidiger von Holger G., Stefan Hachmeister, ob er sein Plädoyer vortragen könne. Hachmeister weigert sich, weil er auf der vorgesehenen Reihenfolge besteht: erst plädieren die Verteidiger der Hauptangeklagten Zschäpe, dann die der weiteren Angeklagten. Hachmeister betont, er wolle abwarten, ob Zschäpes Anwälte sich zu Holger G. äußern. Er hatte zu Beginn des Prozesses ein Geständnis verlesen und schon im Ermittlungsverfahren Zschäpe belastet. Sie soll ihn in Zwickau am Bahnhof abgeholt haben, als er dem NSU eine Waffe brachte.

Götzl hält es nicht für zwingend, die Reihenfolge beizubehalten, kann aber Hachmeister nicht zwingen. Der Richter wendet sich dann an Wohllebens Verteidiger. Die wollen aber erst kommende Woche plädieren. Bei Eminger kommt ebenfalls heute kein Plädoyer infrage, weil Anwalt Sprafke wegen eines Klinikaufenthalts nicht nach München kommen kann. Und beim Angeklagten Carsten S. fehlt Verteidiger Johannes Pausch, er ist erkrankt. Götzl bricht dann die Prozesswoche ab und vertagt die Verhandlung auf kommenden Dienstag.

Tag 419/24. April 2018: Elf Wochen nach dem Ende der Plädoyers der Nebenkläger und ihrer Anwälte beginnen die Schlussvorträge der Verteidiger. Zschäpes Wahlverteidiger Hermann Borchert macht den Anfang. Er überhäuft die Bundesanwaltschaft mit Vorwürfen. Die Ankläger hätten in ihrem Plädoyer eine fehlerhafte und einseitige Beweiswürdigung vorgenommen, Zschäpes Angaben nicht berücksichtigt und viel spekuliert. Aus Sicht des Verteidigers ist der Vorwurf der Bundesanwaltschaft nicht zu belegen, Zschäpe sei Mitglied einer terroristischen Vereinigung und Mittäterin bei allen Straftaten von Mundlos und Böhnhardt gewesen.

Für den Anwalt ist es auch nur Theorie, dass mit den Morden an türkischstämmigen Migranten Türken vom Besuch in Deutschland abgeschreckt und die hier lebenden Türken zum Verlassen der Bundesrepublik gedrängt werden sollten. Borchert schildert Zschäpe als charakterstark, dennoch sei sie von den beiden Uwes abhängig gewesen. Auch finanziell, weshalb die Mandantin die Raubüberfälle akzeptiert habe. Borchert kommt erst gegen Mittag dazu, sein Plädoyer zu starten, weil der neue Verteidiger von André E. am Morgen einen Zeugen präsentiert. Der Bauunternehmer erinnert sich jedoch nicht daran, am 4. November 2011, dem Tag des dramatischen Endes des NSU, André E. in Zwickau zu einer Besprechung in einem Imbiss getroffen zu haben.

Verteidiger Daniel Sprafke hatte angekündigt, der Zeuge werde bekunden, an dem Tag mit André E. zusammengesessen und über Bauprojekte gesprochen zu haben. Damit sollte der Vorwurf der Bundesanwaltschaft widerlegt werden, André E. habe zur fraglichen Zeit gemeinsam mit Zschäpe im Internet recherchiert, wo Böhnhardt und Mundlos stecken könnten. Die beiden Uwes hatten in Eisenach eine Filiale der Sparkasse beraubt und sich, wie nach Überfällen und Anschlägen üblich, in einem Wohnmobil versteckt gehalten. Die Polizei entdeckte die beiden jedoch, Mundlos und Böhnhardt erschossen sich dann gegenseitig. Als Zschäpe wenige Stunden später davon erfuhr, zündete sie die gemeinsame Wohnung in Zwickau an und floh.

Als Anwalt Sprafke nach der Vernehmung des Zeugen weitere Beweisanträge andeutet, fordern Bundesanwalt Diemer und Wohllebens Verteidiger Klemke die Abtrennung des Verfahrens gegen André E. Diemer wirft Sprafke Prozessverschleppung vor. Der Strafsenat legt sich jedoch beim Thema Abtrennung nicht fest und will erst die Beweisanträge Sprafkes abwarten. Der Anwalt hingegen beantragt erstmal eine Unterbrechung bis zum nächsten Tag, um mit André E. über die Haltung der Richter zu sprechen. Da reicht es dann auch dem Strafsenat. Richter Götzl verkündet nach kurzer Beratung, der Antrag auf Unterbrechung sei abgelehnt. Sprafke und André E. nehmen es hin. Zschäpes Wahlverteidiger Borchert kann mit seinem Plädoyer beginnen. Ein Wachtmeister stellt ihm ein Pult auf den Tisch. Borchert richtet sich auf, legt den Aktenordner mit dem Manuskript auf das Pult und beginnt mit seinem Schlussvortrag. Am Nachmittag unterbricht er dann, morgen will Borchert das Plädoyer fortsetzen.

Tag 420 bis Tag 429

Tag 420/25. April 2018: Zschäpes Verteidiger Hermann Borchert setzt sein Plädoyer fort. Er führt jede einzelne Straftat auf, die Zschäpe vorgeworfen wird, und kritisiert die Beweiswürdigung der Bundesanwaltschaft. Der Anwalt attackiert vor allem Oberstaatsanwältin Anette Greger und beklagt immer wieder, die Ende 2015 begonnene, von ihm und seinem Kollegen Grasel verlesene Einlassung seiner Mandantin sei nie berücksichtigt worden. Die Glaubwürdigkeit der Einlassung hat Borchert allerdings selbst schon am gestrigen Tag in ein schiefes Licht gerückt. Er trug vor, die Wortwahl der Aussage Zschäpes bestimmt zu haben. Wenn die Einlassung nicht den Eindruck gemacht habe, authentisch zu sein, sei das auf seine "literarischen Fähigkeiten" zurückzuführen. Damit hat Borchert nach Ansicht anderer Anwälte den schon begrenzten Wert der umstrittenen Einlassung Zschäpes weiter gemindert.

Auch jetzt wirken Äußerungen Borcherts seltsam. So behauptet er, es passe ideologisch nicht zusammen, dass der NSU staatsfeindlich gewesen sein soll, aber auch Türken veranlassen wollte, den Staat zu verlassen. Zschäpes Altverteidiger Heer, Stahl und Sturm schütteln mehrmals den Kopf.

Am Nachmittag beendet Borchert seinen Part des Plädoyers. Kollege Grasel soll morgen weitere Kapitel vortragen. Wann Heer, Stahl und Sturm mit ihrem Schlussvortrag folgen, bleibt offen.

Tag 421/26. April 2018: Zschäpes Verteidiger Borchert und Grasel beenden ihr Plädoyer mit der Feststellung, eine "Gesamtfreiheitsstrafe von nicht mehr als zehn Jahren" erscheine tat- und schuldangemessen. Würde das Gericht dem folgen, käme Zschäpe angesichts der bereits sechseinhalb Jahre dauernden Untersuchungshaft bald frei. Aus Sicht der Verteidiger sollte Zschäpe nur wegen psychischer Beihilfe bei den 15 Raubüberfällen von Böhnhardt und Mundlos bestraft werden sowie für die besonders schwere Brandstiftung mit Explosion in Zwickau. Dass die Angeklagte einer terroristischen Vereinigung angehörte und Mittäterin bei den zehn Morden, zwei Sprengstoffanschlägen und den 15 Raubüberfällen war, wie es die Bundesanwaltschaft sieht, können Borchert und Grasel nicht erkennen. Sie glauben auch, Zschäpe habe sich längst vom Rechtsextremismus abgewandt.

Tag 422/2. Mai 2018: Die Verteidiger des Angeklagten Carsten S. tragen ihr Plädoyer vor und beantragen einen Freispruch. Der Angeklagte habe bei der Beschaffung der Mordwaffe Ceska 83 "im Rechtssinne nicht bedingt vorsätzlich gehandelt", sagt Anwalt Jacob Hösl. Für ihn und seinen Kollegen Johannes Pausch ist sicher, dass Carsten S. im Frühjahr 2000 nicht ahnte und auch nicht gewollt hätte, was Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos planten. Die beiden Männer erschossen mit der Pistole neun Migranten türkischer und griechischer Herkunft.

Die Verteidiger bestreiten auch, dass S. absichtlich einen Schalldämpfer mitgeliefert habe. Aus Sicht der Anwälte war S. lediglich der naive, beflissene "Adlatus" des Mitangeklagten Ralf Wohlleben. Dieser soll die Beschaffung der Waffe eingefädelt haben. Wohlleben streitet das ab. Carsten S. hatte gleich zu Beginn des Prozess 2013 ein umfassendes Geständnis vorgetragen. Außerdem berichtete er von einem Sprengstoffanschlag mit einer präparierten Taschenlampe in Nürnberg. Die Tat verübten Böhnhardt und Mundlos im Juni 1999. Bis zur Aussage von S. im Prozess hatten die Behörden den Fall nicht dem NSU zugerechnet.

Die Bundesanwaltschaft wirft Carsten S. und Wohlleben Beihilfe zu neunfachem Mord vor. Für den reuigen S. verlangten die Ankläger drei Jahre Haft, für Wohlleben zwölf Jahre. Wohlleben bestreitet die Tat, er präsentierte im Prozess Neonazi-Propgaganda und hatte mutmaßlich den NSU intensiver unterstützt als Carsten S.

Tag 423/8. Mai 2018: Die Verteidiger von André E. plädieren und fordern Freispruch. Und die Aufhebung des im September 2017 ergangenen Haftbefehls. Aus Sicht der Anwälte sind die Vorwürfe der Bundesanwaltschaft nicht stichhaltig. Der Angeklagte sei freizusprechen "mangels strafbarer Handlung", sagt Verteidiger Herbert Hedrich. Zu Beginn des Plädoyers streicht er heraus, sein Mandant sei "Nationalsozialist, der mit Haut und Haaren zu seiner politischen Überzeugung steht". Hedrich betont noch, "das Wort 'Ich bin ein Nationalsozialist' hat heute hier im Saal Premiere".

Mit dem provozierenden Einstieg ist die Richtung des Plädoyers schnell klar: die Verteidiger sehen André E. durch Bundesanwaltschaft und Medien vorverurteilt, weil er als Neonazi auftritt. Die Anwälte meinen aber, keine einzige der fünf E. vorgeworfenen Taten könne ihm nachgewiesen werden. Es gebe unter anderem keinen Beleg für den Vorwurf der Bundesanwaltschaft, André E. habe im Dezember 2000 ein Wohnmobil für Böhnhardt und Mundlos gemietet, damit die beiden den ersten Sprengstoffanschlag in Köln verüben konnten. Hedrich vermutet sogar, die terroristische Vereinigung habe von 2007 an, nach dem letzten Mord, gar nicht mehr existiert. Wenn überhaupt dann nur noch als eine kriminelle Vereinigung, die Raubüberfälle beging, um das Leben im Untergrund finanzieren zu können.

Tag 424/9. Mai 2018: Die Verteidiger von Holger G. sagen in ihrem Plädoyer, der Angeklagte habe nicht geahnt und auch nicht ahnen können, dass er einer terroristischen Vereinigung half. Holger G. sei nur wegen der Unterstützung einer kriminellen Vereinigung in einem Fall zu verurteilen. Die Bundesanwaltschaft hält dem Angeklagten hingegen vor, er habe dem NSU mit einem Führerschein und einem Reisepass auf seinen Namen sowie der AOK-Karte einer Bekannten geholfen. Der Führerschein soll es Uwe Böhnhardt ermöglicht haben, neun Wohnmobile und zwei Pkw zu mieten. Die Fahrzeuge nutzten Böhnhardt und Mundlos für sechs Morde, den Nagelbombenanschlag in Köln und sechs Raubüberfälle. Weitere Taten, darunter die Lieferung einer Waffe, sind verjährt.

Holger G. hat alle Taten gestanden, beteuert aber, von den Verbrechen nichts gewusst zu haben. Böhnhardt habe ihm auch versprochen, mit den Dokumenten werde "kein Scheiß" angestellt. Aus Sicht der Verteidiger Stefan Hachmeister und Pajam Rokni-Yazdi wollte Holger G. den drei abgetauchten Freunden Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe nur helfen, im Untergrund zu überleben. Die Anwälte appellierten an die Richter, nicht dem Verurteilungsdruck der Öffentlichkeit nachzugeben.

Tag 425/15. Mai 2018: Anwältin Nicole Schneiders beginnt das Plädoyer der drei Verteidiger Wohllebens. Sie wirft dem Strafsenat vor, die Verurteilung Wohllebens stehe längst fest. Die Richter seien befangen, "befangener geht's doch gar nicht". Schneiders wie dann auch ihr Kollege Olaf Klemke konstruieren eine Verschwörungstheorie: Der Strafsenat arbeitet nur die Anklage der Bundesanwaltschaft ab und gibt dem öffentlichen Druck, der "medialen Vorverurteilung" durch rot-grün infizierte Medien, nach. Schneiders attackiert auch den Verfassungsschutz und biedert sich bei der Kritik von Nebenklage-Anwälten am Nachrichtendienst an.

Klemke äußert sich zudem rassistisch. Er schwadroniert  über eine „Migrantenlobby“ und behauptet, das deutsche Volk habe sich „dem eigenen Untergang als Abstammungs- und Schicksalskultur zu fügen". Außerdem bezweifelt der Verteidiger, dass der Angeklagte Carsten S. 2012 die im Brandschutt des Hauses in der Zwickauer Frühlingsstraße gefundene Mordwaffe Ceska 83 als die Pistole wiedererkannt hat, die er zwölf Jahre zuvor in Chemnitz an Böhnhardt und Mundlos übergeben hatte. Richter Götzl beendet den Verhandlungstag vorzeitig, da Wohlleben über Kopfschmerzen und Konzentrationsprobleme klagt. Beide Anwälte fordern einen Freispruch für Wohlleben.

Tag 426/16. Mai 2018: Wohllebens Verteidiger Olaf Klemke gefällt sich auch am zweiten Tag seines Plädoyers in der Rolle des Provokateurs. Er drischt auf die Richter und die Bundesanwaltschaft ein und nennt ausgerechnet den als dezidiert links und staatskritisch geltenden Opferanwalt Alexander Hoffmann einen "Bundesnebenklagevertreter". Die meiste Zeit arbeitet sich Klemke allerdings an Oberstaatsanwalt Jochen Weingarten ab, der sich in seinem Schlussvortrag mit der Rolle Wohllebens im NSU-Komplex befasst hatte. Klemke schleudert Verbalgeschosse wie "Völlige Faktenfreiheit", "Beweiswürdigungsakrobatik" und "alternativfaktischer Beweissicherungssplitter Weingartens" ab. Der Verteidiger hält dem Oberstaatsanwalt auch vor, er hätte im Ermittlungsverfahren den Zeugen Andreas S. falsch über sein Rechte belehrt. Der Mann aus Jena hatte gegenüber Weingarten zugegeben, dem Beschuldigten Carsten S. eine Pistole mit Schalldämpfer verkauft zu haben. Die Bundesanwaltschaft ist sicher, dass es sich bei der Waffe um die Ceska 83 handelt, mit der Böhnhardt und Mundlos neun Migranten erschossen. Klemke meint, Weingarten hätte Andreas S. sagen müssen, er habe ein umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht und nicht nur das Recht, bei bestimmten Fragen keine Antwort zu geben, um sich nicht selbst zu belasten. Im Prozess selbst sagte Andreas S. nichts mehr. Eine Strafverfolgung droht ihm allerdings nicht, da sich nicht nachweisen lässt, dass Andreas S. die Waffe für den Terror des NSU beschaffte.

Klemke wird mit seinem Vortrag nicht fertig, außerdem will auch der dritte Verteidiger Wohllebens, der Rechtsextremist Wolfram Nahrath, noch plädieren. Offen bleibt zudem, was aus den Beweisanträgen wird, die Klemke und seine Kollegin Nicole Schneiders, die gestern plädierte, gestellt haben. Die Richter können sich im Urteil zu den Anträgen äußern, möglicherweise gehen Götzl und seine Kollegen aber schon vorher darauf ein.

Wohllebens Verteidiger verlangen unter anderem noch einmal, den Thüringer Neonazi Sven R. als Zeugen zu laden. Angeblich soll er die Ceska 83 an Böhnhardt übergeben haben. Sollte das stimmen, hätten Wohlleben und Carsten S. mit der Beschaffung der Mordwaffe nichts zu tun gehabt. Das ist jedoch unwahrscheinlich, da Carsten S. gestanden hat, dem NSU eine Pistole mit Schalldämpfer und damit mutmaßlich die Ceska 83 geliefert zu haben. Wohlleben soll den Auftrag erteilt und das Geld für den Kauf der Waffe gegeben haben. Die Richter haben in diesem Jahr bereits Anträge der Verteidiger Wohllebens abgelehnt, Sven R. als Zeugen zu laden.

Tag 427/17. Mai 2018: Ein Tag der Provokationen. Erst vergleicht Wohllebens Verteidiger Olaf Klemke in seinem Plädoyer Oberstaatsanwalt Weingarten mit Hermann Göring, einst der zweite Mann des NS-Regimes. So wie Göring gesagt habe, "wer Jude ist, bestimme ich", beanspruche Weingarten für sich, "wer Nazi ist, bestimme ich".

Dann präsentiert der dritte Verteidiger, Wolfram Nahrath, einen Schlussvortrag prallvoll mit rechtsextremer Agitation. Der ehemalige Anführer der 1994 verbotenen Wiking Jugend zitiert Adolf Hitler, Rudolf Heß und weitere Nazi-Größen, um die braunen Gewaltherrschaft als vermeintlich menschenfreundliche Veranstaltung erscheinen zu lassen. Leicht pathetisch verliest Nahrath Sprüche von Hitler wie "Unsere Bewegung hat Gewalt nicht nötig" und "Ich will den Frieden". Die Absicht ist unschwer zu erkennen: Nahrath will darlegen, dass ein Nationalsozialist nicht zwangsläufig zur Gewalt neigen muss. So ein friedfertiger Mensch soll denn auch der Angeklagte Ralf Wohlleben sein.

Nahrath versucht auch eine Kritik am NSU aus rechtsextremer Perspektive. Mundlos und Böhnhardt sind für ihn keine Nationalsozialisten, sondern Psychopathen, denen es um Nervenkitzel ging. "Ich wage die Wertung, dass der NSU gewiss U war, aber nicht NS", ruft Nahrath in den Saal. Am Ende seines Plädoyers fordert er, wie schon seine Kollegen Klemke und Nicole Schneiders, den Strafsenat auf, Wohlleben freizusprechen und unverzüglich aus der Untersuchungshaft zu entlassen.

Die Hauptverhandlung wird jetzt wegen der bayerischen Pfingstferien für knapp drei Wochen unterbrochen. Anfang Juni sollen dann die drei Altverteidiger Zschäpes ihr Plädoyer vortragen.

Tag 428/5. Juni 2018: Als letzte Verteidigergruppe beginnen Zschäpes Altanwälte Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm ihr Plädoyer. Heer trägt als erster vor und verkündet, Zschäpe sei keine Terroristin, keine Mörderin und keine Attentäterin. Der Anwalt fordert, Zschäpe im Falle aller Staatsschutzdelikte freizusprechen und sofort aus der Untersuchungshaft zu entlassen. Eine Strafe hält Heer nur für angesichts der Brandstiftung in Zwickau für notwendig. Aber auch da hält der Verteidiger Zschäpes Schuld für weit weniger gravierend, als es die Bundesanwaltschaft tut.
Heer geht auch auf die "Verteidiger-Krise" ein. Im Sommer 2015 hatte sich Zschäpe mit Heer, Stahl und Sturm überworfen. Richter Götzl ordnete dann den Münchner Anwalt Mathias Grasel der Angeklagten als vierten Pflichtverteidiger bei. Grasel und sein Kanzleikollege Hermann Borchert initiierten die Einlassung Zschäpes. Heer, Stahl und Sturm hatten zuvor konsequent eine Schweigestrategie verfolgt. Die Aussage Zschäpes halten die Altverteidiger für problematisch. Heer appelliert an den Strafsenat, eine "schlecht erarbeitete Erklärung zur Sache" nicht als Tatnachweis zu interpretieren.

Tag 429/6. Juni 2018: Zschäpes Altverteidiger Heer setzt sein Plädoyer fort. Er äußert sich umfassend zur Brandstiftung am 4. November 2011, dem letzten Tag des NSU, in Zwickau. Heer versucht, anhand der Aussagen von Zeugen und Sachverständigen die These der Bundesanwaltschaft zu erschüttern, Zschäpe habe vorsätzlich auch eine Explosion herbeigeführt und einen dreifachen Mordversuch begangen. Aus Sicht des Anwalts hat Zschäpe jedoch die Verpuffung der in der Wohnung verschütteten zehn Liter Benzin nicht vorhergesehen. Außerdem soll die Angeklagte gewusst haben, dass die das Dachgeschoss renovierenden Handwerker das Haus verlassen hatten. Zschäpe habe auch davon ausgehen können, dass die gebrechliche Nachbarin Charlotte E. nicht gefährdet war, da beim Klingeln an der Wohnungstür der Rentnerin keine Reaktion erfolgte. Ein Tötungsvorsatz ist für Heer weder im Fall Charlotte E. noch mit Blick auf die Handwerker zu erkennen.

Der Anwalt schafft es auch am zweiten Tag nicht, das gemeinsam mit den Co-Verteidigern Wolfgang Stahl und Anja Sturm erarbeitete Plädoyer zu beenden. Es soll morgen fortgesetzt werden. Stahl und Sturm werden dann jeweils ihren Part in der kommenden Woche vortragen.

Ab Tag 430

Sie steht im Zentrum des Prozesses: Beate Zschäpe.
Sie steht im Zentrum des Prozesses: Beate Zschäpe.
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Tag 430/7. Juni 2018: Zschäpes Alt-Verteidiger Wolfgang Heer wirft am dritten Tag seines Plädoyers der Bundesanwaltschaft und dem Strafsenat einen aus seiner Sicht gravierenden Fehler zum Nachteil der Angeklagten vor. Ankläger und Richter hätten es versäumt, frühzeitig die Zeugin Charlotte E. zum Brand in Zwickau zu vernehmen. Zschäpe soll, bevor sie am 4. November 2011 die Wohnung in der Frühlingsstraße 26 anzündete, bei der alten, gebrechlichen Nachbarin geklingelt haben, um sie vor dem Feuer zu bewahren. Damit ist für Heer der Vorwurf der Bundesanwaltschaft widerlegt, Zschäpe habe vorsätzlich den Tod von Charlotte E. in Kauf genommen.

Charlotte E. hatte noch im November 2011 einem Polizeibeamten gesagt, bei ihr sei geklingelt worden. Die Frau hatte allerdings nicht mitbekommen, wer an der Tür gestanden hatte und öffnete auch nicht. Charlotte E. entkam dank der Hilfe von Verwandten dem Flammeninferno. Der Strafsenat werde bei seiner Beweiswürdigung in besonderem Maße zu berücksichtigen haben, dass die Zeugin "aufgrund des Unterlassens" der Bundesanwaltschaft, eine ermittlungsrichterliche Vernehmung zu beantragen, "aber auch infolge seiner eigenen Passivität erst dann richterlich vernommen wurde, als sie längst nicht mehr vernehmungsfähig war", sagt Heer. Zschäpe sei somit "wesentlich in ihren Verteidigungsrechten beschränkt" worden.

Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl hatte erst im Dezember 2013, ein halbes Jahr nach Beginn des Prozesses, eine Befragung per Video versucht. Die in einem Pflegeheim sitzende Charlotte E. war jedoch aufgrund ihrer fortgeschrittenen Demenz nicht mehr in der Lage, dem Richter zu folgen. Heer vermutet, Bundesanwaltschaft und Strafsenat hätten die Vernehmung von Charlotte E. verschleppt, weil ihnen eine entlastende Aussage für Zschäpe gleichgültig war. Angesichts der "Rechtsverletzung" würden die Richter, argumentiert Heer, "nicht umhinkommen, sich der Beweiswürdigung der Verteidigung anzuschließen". Der Strafsenat dürfte demnach Zschäpe nicht, wie es die Bundesanwaltschaft fordert, wegen versuchten Mordes an Charlotte E. verurteilen.

Heer sieht auch keinen Anlass, Zschäpe wegen versuchten Mordes an den zwei Handwerkern zu bestrafen, die im November 2011 das Dachgeschoss über der Wohnung der Angeklagten und ihrer Kumpane Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos renovierten. Für Heer ist klar, dass Zschäpe vor der Brandstiftung die Abwesenheit der üblicherweise geräuschintensiv arbeitenden Handwerker mitbekommen hatte. Deshalb fällt auch in diesem Fall, meint der Verteidiger, ein Tötungsvorsatz weg.

Tag 431/12. Juni 2018: Wolfgang Stahl setzt das Plädoyer der Altverteidiger Zschäpes fort. Er wirft der Bundesanwaltschaft mangelnde Empathie für Zschäpe und einen Hang zum "Feindstrafrecht" vor. Die Angeklagte werde mit der "Grundprämisse" beurteilt, "wer über so lange Zeit mit Verbrechern zusammenlebt, muss selbst Verbrecher sein". Aus Sicht des Anwalts reichen die Indizien nicht aus, den Vorwurf der Mittäterschaft Zschäpes bei allen Verbrechen des NSU zu belegen. Stahl seziert unter anderem die Argumente der Bundesanwaltschaft zur Beteiligung Zschäpes an der Beschaffung von Waffen oder der Mitarbeit bei der Erstellung eines Zeitungsarchivs mit Pressetexten zu den Anschlägen des NSU.

Mehrmals verweist Stahl auf negative Entscheidungen des Bundesgerichtshofs zu Gerichtsurteilen, in denen es um die Mittäterschaft von Angeklagten ging. Ein Wink an die Richter in München - die Kollegen in Karlsruhe werden über die zu erwartende Revision von Verteidigern nach dem Urteil im NSU-Prozess entscheiden.

Tag 432/13. Juni 2018: Zschäpes Altverteidigerin Anja Sturm beginnt ihren Part des gemeinsamen Plädoyers mit Wolfgang Heer und Wolfgang Stahl. Sturm ist damit die letzte Verteidigerin, die plädiert. Die Anwältin, wie Heer und Stahl von Zschäpe im Sommer 2015 geschasst, lehnt selbst für den Fall einer Verurteilung der Angeklagten zur Höchststrafe eine anschließende Sicherungsverwahrung ab. Sturm betont, Zschäpe habe die innere Sicherheit der Bundesrepublik nicht gefährdet. Der NSU habe allein aus den "schwerstkriminellen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos bestanden".

Am Mittag bricht Sturm, gesundheitlich angeschlagen, das Plädoyer ab. Richter Götzl murrt, vertagt dann aber die Hauptverhandlung auf den morgigen Donnerstag. Dass Sturm am letzten Verhandlungstag dieser Woche ihr Plädoyer beenden kann, erscheint fraglich.

Tag 433/19. Juni 2018: Rechtsanwältin Anja Sturm setzt ihren Teil des Plädoyers der drei Altverteidiger Zschäpes fort. Sturm nennt zahlreiche Zeugenaussagen um zu belegen, dass Zschäpe in der rechten Szene nicht sonderlich aufgefallen sei und auch nicht den bewaffneten Kampf befürwortet haben soll. Letzteres hatte der Mitangeklagte Holger G. gegenüber der Polizei behauptet. Für die Verteidigerin ist auch nicht zu erkennen, dass Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos vor dem Gang in den Untergrund ein verschworenes "Trio" gebildet hätten. Außerdem sei unklar, wie eng die drei in der Illegalität zusammengelebt hätten.

Sturm will ihren Part des Plädoyers am morgigen Tag fortsetzen. Vergangene Woche hatte die Anwältin wegen eines Infekts den Vortrag abgebrochen, der Strafsenat setzte dann auch den nächsten Verhandlungstag ab. Ob diese Woche noch die letzten Worte der Angeklagten zu hören sind und dann der Termin für das Urteil festgesetzt werden kann, ist offen.

Tag 434/20.Juni 2018: Dritter Tag des Plädoyers von Zschäpes Altverteidigerin Anja Sturm. Sie bestreitet, wie zuvor schon die beiden anderen Altverteidiger Wolfgang Heer und Wolfgang Stahl, dass die Angeklagte einer Terrorgruppe angehört haben soll. "Frau Zschäpe war Mitglied einer Wohngemeinschaft, nicht Mitglied einer terroristischen Vereinigung", sagt Sturm. Für sie ist auch nicht zu erkennen, dass Zschäpe an den Taten von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos beteiligt war. Dass die Angeklagte mit falschem Namen auftrat und Nachbarn über Identität und Aktivitäten der beiden Uwes täuschte, hält Sturm für "sozialadäquate Alltagshandlungen". Die Legendierung habe Zschäpe nur zur Aufrechterhaltung der Anonymität gedient, nicht zur Begehung von Straftaten.

Sturm muss das Plädoyer am Mittag abbrechen, da der Angeklagte André E. nach Angaben seines Verteidigers akut unter Migräne leidet. Richter Götzl lässt André E. durch einen Arzt untersuchen. Dieser rät, den Hauptverhandlung für diesen Tag zu beenden. Missmutig unterbricht Götzl bis zum morgigen Tag.

Tag 435/21. Juni 2018: Zschäpes Verteidigerin Anja Sturm schließt ihr Plädoyer ab. Damit endet die Phase der Schlussvorträge, die im Juli 2017 begonnen hatte. Sturm sagt, sie sehe schon formell keine Voraussetzungen für eine Sicherungsverwahrung. Die Bundesanwaltschaft fordert, Zschäpe zu lebenslanger Haft mit Feststellung der besonderen Schwere der Schuld zu verurteilen und zusätzlich Sicherungsverwahrung zu verhängen.

Trotz des Endes der Plädoyers ist noch unklar, wann Richter Götzl das Urteil verkünden wird. Kommenden Dienstag soll nochmal kurz in die Beweisaufnahme eingetreten werden, zu einem von Heer, Stahl und Sturm gestellten Antrag. Ein Sachverständiger soll erneut zum Brand in der Zwickauer Wohnung gehört werden. Ob dann kommende Woche auch die Angeklagten ihre letzten Worte vortragen sollen, ist ebenfalls offen.

Tag 436/26. Juni 2018: Es zeichnet sich ab, dass in der ersten Juli-Hälfte das Urteil verkündet werden könnte. Richter Götzl verschiebt die letzten Worte der Angeklagten auf den kommenden Dienstag (3. Juli). Da der Senat gemäß Strafprozessordnung spätestens am elften Tag nach den Äußerungen der Angeklagten das Urteil sprechen muss, ist ein Termin in der zweiten Juli-Woche vorstellbar. Ob Götzl womöglich auch schon für kommende Woche die Verkündung plant, lässt er nicht durchblicken.

Von den fünf Angeklagten wollen bis auf André E. alle das Recht auf ein letztes Wort wahrnehmen. Beate Zschäpe, Ralf Wohlleben, Holger G. und Carsten S. werden aber, wie die Verteidiger ankündigen, jeweils nur Minuten brauchen. Bei Zschäpe wäre es erst das zweite Mal, dass sie im Prozess selbst spricht.

Am Vormittag dringen Zschäpes Verteidiger Heer und Sturm mit ihrem Versuch nicht durch, noch einen Gutachter zum Brandschutz im Haus Frühlingsstraße 26 in Zwickau laden zu lassen. Dort hatte Zschäpe am 4. November 2011 in der Wohnung, in der sie mit Böhnhardt und Mundlos lebte, zehn Liter Benzin verschüttet und angezündet. Götzl hält es für ausreichend, dass er an diesem Tag nun nochmal auf Antrag der Altverteidiger einen Brandsachverständigen des Landeskriminalamts Bayern hören lässt.

Christian Setzensack, der bereits im Januar 2014 in der Hauptverhandlung ausgesagt hatte, ergänzt jetzt, die Trennwand zur Wohnung der gebrechlichen Nachbarin Charlotte E. hätte dem Feuer standgehalten. Die Flammen wären allerdings ohne das rasche Eingreifen der Feuerwehr über Dachrinne und Dachüberstand in die zweite Haushälfte vorgedrungen.

Tag 437/3. Juli 2018: Die Richter weisen die Beanstandung von Nebenklage-Anwalt Adnan Erdal gegen den Beschluss vom Februar zurück, das Holzkreuz über der vorderen Tür im Saal A 101 nicht abzuhängen. Dann beginnt das vorletzte Kapitel des Prozesses: die Angeklagten haben das letzte Wort. Bis auf André E., der seine Schweigestrategie weiter durchhält, äußern sich alle Angeklagten. Zschäpe verliest ein mehrseitiges Papier, in dem sie nochmal die Verbrechen bedauert und eigene Fehler zugibt. Die Angeklagte behauptet auch, sie wisse nicht mehr, als sie schon gesagt habe, über die von Böhnhardt und Mundlos begangenen Morde. Der teilweise belehrend klingende Ton und das Ausbleiben der erhofften Informationen über die Auswahl der Opfer durch die beiden Uwes empört die Eltern des in Kassel erschossenen Halit Yozgat. Er glaube ihr kein Wort, sagt Vater Ismail Yozghat. Seine Frau zeigt sich enttäuscht.

Ralf Wohlleben schließt sich lediglich den Plädoyers seiner Verteidiger an. Holger G. entschuldigt sich für seine Taten, Carsten S. bekundet mit stockender Stimme seine Reue.

Richter Götzl verkündet dann das Ende der Verhandlung und den Termin des Urteils. Es ist für kommenden Mittwoch, den 11. Juli, geplant.

Tag 438/11. Juli 2018: Richter Götzl verkündet ein teilweise hartes und teilweise überraschendes Urteil. Der Strafsenat verurteilt Zschäpe als Mitglied der terroristischen Vereinigung "Nationalsozialistischer Untergrund" und Mittäterin bei allen Verbrechen zu lebenslanger Haft. Die Richter stellen zudem die besondere Schwere der Schuld fest. Damit kann Zschäpe nicht nach 15 Jahren auf Bewährung freikommen. Auf Sicherungsverwahrung wird hingegen verzichtet.

Ralf Wohlleben erhält zehn Jahre Haft. Das sind zwei weniger, als die Bundesanwaltschaft beantragt hatte. Eine noch größere Überraschung ist jedoch das Urteil zu André E. Der Strafsenat hält ihm nur die Beschaffung von zwei Bahncards als Unterstützung der Terrorzelle vor. Der Neonazi kommt mit zweieinhalb Jahren davon und wird aus der Untersuchungshaft entlassen. André E., seine neben ihm sitzende Ehefrau Susann und das halbe Dutzend Neonazis auf der Bühne jubeln.

Holger G. erhält drei Jahre Haft, auch zwei weniger, als von der Bundesanwaltschaft verlangt. Bei Carsten S. urteilen die Richter, wie es die Ankläger wollten. Der geständige Angeklagte bekommt drei Jahre Jugendhaft. Zur Tatzeit, im Frühjahr 2000, war S. noch Heranwachsender. S. hat nach Ansicht des Gerichts zusammen mit Wohlleben dem NSU die Mordwaffe Ceska 83 beschafft. Mit der Pistole töteten Böhnhardt und Mundlos neun Migranten türkischer und griechischer Herkunft.

Vor dem Justizbunker protestieren antirassistische Initiativen. Nach dem Ende der Verhandlung kommt es zu Rangeleien mit der Polizei.

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