160. Tag im NSU-Prozess: "Beleidigend und verletzend"
Die Empore ist voll besetzt, mehr als 70 Zuschauer sind an diesem Dienstag ins Oberlandesgericht München zum NSU-Prozess gekommen. Einen besonderen Grund für die vergleichsweise hohe Zahl gibt es nicht, kein bekannter Zeuge ist geladen. Dennoch wird das Publikum diesen Tag so schnell nicht vergessen.
Am 160. Verhandlungstag gegen die Terrorzelle "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) lässt der Vorsitzende Richter Manfred Götzl vier Versionen des Bekennervideos des NSU zeigen. Da sind mehrere der von den NSU-Killern Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt erschossenen und dann noch fotografierten Türken zu sehen, ebenso wie Bilder von den Zerstörungen nach den zwei Sprengstoffanschlägen in Köln – und im letzten Video der Auftritt von Paulchen Panther, dessen lustige Sprüche als Kommentare der Verbrechen missbraucht werden. Danach herrscht Stille auf der Tribüne.
Viele Zuschauer sind bedrückt. Auch wenn die Taten des NSU seit drei Jahren bekannt sind, der Schrecken ist jetzt schmerzhaft präsent. "Das ist sehr beleidigend und verletzend", sagt eine junge Türkin. Die Videos hätten sie "gepackt". Sie könne jetzt noch besser nachvollziehen, "wie es den Angehörigen erging", den Familien der Ermordeten. Eine ältere Kroatin sagt nur in empörtem Ton, die Filme seien "kindisch", dann wendet sie sich ab. Eine weitere Zuschauerin blickt erstarrt vor sich hin. Auf die Frage, wie sie die Filme empfindet, macht sie kurz den Mund auf, sagt aber nichts. Sie schweigt, schüttelt den Kopf, sie bringt kein Wort heraus. Ein jüngerer Deutscher, der häufig auf der Empore sitzt, sagt kurz, "das ist emotional, das ergreift schon, definitiv". Auch wenn er die letzte Version des NSU-Videos bereits im Fernsehen gesehen hat, "ist das jedes Mal sehr aufwühlend".
Anlass für die Vorführung der Filme ist die Vernehmung eines BKA-Beamten, der Texte aus den Videos "verschriftet" hat. Die Filme hat die Terrorzelle nach und nach produziert, die ersten Versionen waren Entwürfe. Bundesweit verschickt wurden nur, mutmaßlich von Beate Zschäpe, nach dem dramatischen Ende des NSU die DVDs mit dem zynischen Auftritt von Paulchen Panther. Die Bundesanwaltschaft wirft der Hauptangeklagten vor, sie habe in den vier Tagen ihrer Flucht 15 Briefe mit dem NSU-Video abgesandt. Empfänger waren unter anderem die Linkspartei in Halle, das Türkische Generalkonsulat in München, eine Moschee in Hamburg und mehrere Zeitungsredaktionen.
Zschäpe selbst schaut am Dienstag nicht zu den Videos hin. Sie fixiert die ganze Zeit ihr aufgeklapptes Laptop. Die langen, offenen Haare hängen an der rechten Seite herab wie eine blickdichte Gardine. Und Zschäpe schweigt natürlich auch an diesem Verhandlungstag. Es ist der 160. Als Richter Götzl im Juni 2013, kurz nach Beginn des Prozesses, bereits die Endfassung des Paulchen-Panther-Videos vorführen ließ, zeigte sich Zschäpe noch interessiert.
Frank Jansen