167. Tag im NSU-Prozess: Das schizophrene Leben des V-Mann "Piatto"
Carsten Sz. hatte mit der rechten Szene gebrochen, war aber als V-Mann des Brandenburger Verfassungsschutzes mit großer Energie weiter bei den Neonazis aktiv. Nur zum NSU fällt ihm heute nicht mehr viel ein.
Er kommt vermummt mit einem Halstuch, zwei Personenschützer begleiten ihn. Carsten Sz. setzt sich rasch auf den Zeugenstuhl und blickt starr geradeaus zu den Richtern. Ob der Mann eine Perücke trägt oder die dunkle, wuschelige Frisur echt ist, lässt sich von der Empore der Zuschauer und Journalisten nicht erkennen. Doch der Auftritt des 44-jährigen Ex-Neonazis und Ex-Spitzels wirkt auch so leicht dramatisch. Und die Erwartungen an Carsten Sz. sind hoch. So viele Opferanwälte und soviel Publikum wie am Mittwoch waren schon länger nicht mehr beim NSU-Prozess im Saal A 101 des Oberlandesgerichts München.
So um „1991 rum“ habe er den Brandenburger Verfassungsschutz aus der Untersuchungshaft kontaktiert, sagt Carsten Sz. mit brüchiger Stimme. „Als ich abgeschaltet worden bin, das war 2000 rum“. Das Datum 1991 scheint nicht zu stimmen, Carsten Sz, gibt auch zu, ihm seien Jahreszahlen „ein bisschen entfallen“. Das Potsdamer Innenministerium führte ihn von 1994 bis 2000 als Quelle „Piatto“. Jedenfalls gilt Carsten Sz. noch heute als einst markante Figur.
Als der V-Mann im Sommer 2000 in einem Medienbericht enttarnt wurde, nahm ihn das Ministerium in ein Zeugenschutzprogramm auf. Die Behörden halten auch jetzt noch die Gefahr rechtsextremer Rache für so groß, dass Carsten Sz. weiter bewacht wird und mit einer neuen Identität an einem geheimgehaltenen Ort lebt. Das Ministerium wollte zunächst nur eine audiovisuelle Vernehmung gestatten, ließ aber dann auf Bitte des 6. Strafsenats die Aussage in München zu.
Schillernder Grenzgänger zwischen Rechtsextremismus und Spitzelei
Carsten Sz. war in Ostdeutschland einer der schillerndsten Grenzgänger zwischen fanatischem Rechtsextremismus und intensiver Spitzelei für den Verfassungsschutz. Mit 14 Jahren in West-Berlin in die rechte Szene gedriftet, nach der Wiedervereinigung Wortführer der Rechten im brandenburgischen Königs Wusterhausen, Aktivist eines deutschen Ablegers des Ku Klux Klan, verurteilt wegen versuchten Mordes an einem Nigerianer, in der Haft Beginn der intensiven Kooperation mit dem Nachrichtendienst, gleichzeitig Betreiber eines Szeneladens in Königs Wusterhausen und deshalb bei den braunen Kameraden gut vernetzt und informiert. Eine schizophren anmutenden Existenz.
Carsten Sz. sagt, er habe in der Gefängniszelle nach dem versuchten Mord über sein Leben nachgedacht und mit der rechten Szene gebrochen. Um eine Rückkehr unumgänglich zu machen habe er per Brief mit dem Verfassungsschutz Kontakt aufgenommen. Und Carsten Sz. begab sich dann, nachdem er schon früh ein Freigänger wurde, für den Nachrichtendienst in die rechte Szene zurück. Um sie auszuspionieren.
„Mit dem Gedanken, Sachen wieder gut zu machen“, sagt er, „aus Reue“. Carsten Sz. unterzeichnete sogar pro forma einen Arbeitsvertrag in einem Laden für rechtsextreme Musik und Textilien in Sachsen. So kam er früher aus dem Gefängnis heraus. Der Brandenburger Verfassungsschutz, der Carsten Sz. kräftig unterstützte, schätzte ihn bald als einer der ergiebigsten V-Leute aus der rechten Szene.
Er kam sogar Ende der 1990er Jahre an an Informationen über die in Sachsen untergetauchten Thüringer Neonazis Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe heran. Und berichtete dem Brandenburger Verfassungsschutz von der Absicht eines sächsischen Neonazis, Waffen für die drei zu beschaffen.
Trio war Carsten Sz. "persönlich nicht bekannt"
„Waffen wurden in der Szene verherrlicht“, sagt Carsten Sz., „jeder wollte sie gerne haben, jeder hat darüber gesprochen“. Das klingt wild, entspricht aber der Stimmung in den jungbraunen Milieus, Ende der 1990er Jahre wie heute noch. „Die Szene war der Ansicht, dass das jetzige System der Bundesrepublik irgendwann zusammenbricht und es zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen kommt“, die Stimme schleppt sich mit fast schon fatalistischem Unterton voran, „für den Tag X wollte man sich vorbereiten“. Auf konkrete Fragen des Vorsitzenden Richters Manfred Götzl zur Beschaffung von Waffen für den NSU weiß Carsten Sz. allerdings wenig zu sagen. Sehr wenig.
Im Sommer 1998 hatte er dem Verfassungsschutz berichtet, der Neonazi Jan W., Anführer der sächsischen Sektion der Skinhead-Vereinigung „Blood & Honour“, habe den Auftrag gehabt, „die drei Skinheads“ mit Waffen zu versorgen. Mit den drei Skins waren offenkundig Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe gemeint, obwohl sie eher dem politisierten Neonazi-Spektrum zuzurechnen waren. An die Meldung kann sich Carsten Sz. heute nicht mehr erinnern. Es sei zu lange her, sagt er, „das ist für mich ’n komplett anderes Leben gewesen“. Es klingt wie eine Entschuldigung.
Auch zu einer SMS von Jan W. an ihn, was mit den „Bums“ sei, gespeichert auf dem vom Verfassungsschutz zur Verfügung gestellten Handy, fällt Carsten Sz. nichts ein. Womöglich weiß er tatsächlich nicht mehr, was er im Detail alles dem Brandenburger Verfassungsschutz berichtet hat. Und Carsten Sz. beteuert, Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe „waren mir persönlich nicht bekannt“.
So bleibt der Eindruck, da habe ein Mann längst mit seinem einstigen Fanatikerleben abgeschlossen und müsse doch heute noch einen hohen Preis dafür zahlen. Vielleicht gibt Carsten Sz. deshalb weniger preis, als er weiß. Auch andere Ex-Spitzel im NSU-Prozess waren erinnerungsschwach, wenn es konkret wurde. Jedenfalls wirkt Carsten Sz., einst als Neonazi und Spitzel enorm umtriebig, jetzt eher müde.