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Die Hauptangeklagte Beate Zschäpe.
© dpa
Update

165. Tag im NSU-Prozess: Verteidiger von Beate Zschäpe gehen gegen Richter Manfred Götzl vor

Im NSU-Prozess am Oberlandesgericht München wird der Vorsitzende Richter Manfred Götzl erneut von Verteidigern attackiert. Die Anwälte der Hauptangeklagten Beate Zschäpe stellten am Donnerstag einen Befangenheitsantrag gegen Götzl, die Verteidiger des mitangeklagten Ex-NPD-Funktionärs Ralf Wohlleben schlossen sich an.

Zschäpes Anwalt Wolfgang Heer warf Götzl vor, er wolle  den Inhalt einer Ermittlungsakte "um jeden Preis" in der Hauptverhandlung "nachvollzogen wissen" und einen geladenen Polizisten als "Vehikel" nutzen.

Der Beamte war im Juni 1996 bei der Vernehmung Zschäpes zur möglichen Beteiligung an einer antisemitischen Straftat dabei, konnte sich aber am Donnerstag als Zeuge an fast nichts mehr erinnern. Dennoch fragte Götzl weiter und wollte ihm Passagen aus dem Protokoll der Befragung Zschäpes vorhalten. Prompt intervenierten die Verteidiger und stellten nach einer längeren Pause den Befangenheitsantrag.

Das Verhalten des Richters lasse  "nur den einen Schluss zu", das Ergebnis der Hauptverhandlung stehe für ihn bereits fest, trug Anwalt Heer aus dem Ablehnungsgesuch vor. Dass sich der Zeuge trotz seiner Erinnerungslücken zu dem Götzl bereits bekannten Protokoll äußern sollte, wertet Heer als "Mosaikstein" für eine in der Vorstellung des Richters "bereits vorhandene Argumentation".

Mehrere Anwälte der Nebenkläger kritisierten den Befangenheitsantrag. "Es läuft darauf hinaus, dass die Verfahrensführung durch die Verteidigung an sich gerissen werden soll", sagte ein Opferanwalt. Götzl unterbrach am frühen Nachmittag die Verhandlung. Der Prozess soll aber, wie geplant, kommende Woche fortgesetzt werden.

Der Polizist wusste am Donnerstag kaum mehr, als dass Zschäpe sich bei der Vernehmung normal verhalten habe. Zum Inhalt hätte er vermutlich nur sagen können, was er kürzlich bei der Durchsicht des damaligen Protokolls gelesen hatte. Aus Sicht der Verteidiger ist so eine Befragung unzulässig, da ein Zeuge die eigene Erinnerung wiederzugeben habe. Würde der Polizist  lediglich das Protokoll referieren, wäre er nicht mehr als ein "Zeuge vom Lesensagen", meinen die Anwälte Zschäpes und Wohllebens.

Zschäpe wurde damals vernommen, weil sie beschuldigt war, bei einem judenfeindlichen Delikt in Thüringen  mitgemacht zu haben. Mutmaßlich Zschäpes Freund, der spätere NSU-Terrorist Uwe Böhnhardt, hatte im April 1996 an einer Autobahnbrücke eine Puppe aufgehängt, die als "Jude" gekennzeichnet und mit einer Bombenattrappe verbunden war. Zschäpe gab bei der Polizei an, sie sei an der Tat nicht beteiligt gewesen, außerdem nahm sie Böhnhardt in Schutz. Knapp zwei Jahre nach dieser Geschichte gingen Böhnhardt, Zschäpe und Uwe Mundlos in den Untergrund.

Der Konflikt um die Befragung von Zeugen, die sich an lang zurückliegende Sachverhalte nicht erinnern können und dann von Götzl mit Vorhalten aus Protokollen konfrontiert werden, schwelt schon länger. Der Richter hat Kriminalbeamte und auch einen ehemaligen Gerichtspräsidenten aus der Schweiz anhand von Passagen aus Niederschriften ausdauernd vernommen, obwohl die Zeugen betonten, fast nichts oder gar nichts mehr zu wissen. So war es auch bei einer Polizistin, die ebenfalls Zschäpe zu der Puppe an der Autobahnbrücke befragt hatte. Bei dem früheren Gerichtspräsidenten ging es um eine kurze Vernehmung des mutmaßlich ersten privaten Besitzers der Pistole Ceska 83, mit der die NSU-Mörder Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt neun Migranten erschossen hatten.

Richter Götzl und seine Kollegen im 6. Strafsenat haben bereits mehrere Befangenheitsanträge der Verteidiger Zschäpes und Wohllebens überstanden.  Auch diesmal ist kaum zu erwarten, dass das Ablehnungsgesuch Götzl zu Fall bringen könnte. Für die Verteidiger geht es offenbar auch darum, Argumente für eine Revision zu sammeln, sollte der Strafsenat ein hartes Urteil gegen Zschäpe und Wohlleben verkünden.

Unterdessen bleibt die Beweisführung gegen Zschäpe schwierig. Ein Sprachgutachten des Bundeskriminalamts zu einem Pamphlet des NSU brachte kein verwertbares Ergebnis. Eine BKA-Expertin für forensische Linguistik hatte untersucht, ob Zschäpe als Autorin des "NSU-Briefs" in Frage komme. In dem Papier hatte die Terrorzelle über das "Ringen um die Freiheit der deutschen Nation" schwadroniert, garniert mit der martialischen Parole "Sieg oder Tod". Die Terrorzelle hatte das Manifest 2002 an zwei Publikationen der rechtsextremen Szene verschickt, zusammen mit Bargeld – offenbar um die Empfänger zu ermuntern, in den bewaffneten Kampf einzusteigen. Nach dem Ende des NSU im November 2011 entdeckte die Polizei das Pamphlet auf einer Festplatte im Brandschutt der mutmaßlich von Zschäpe angezündeten Wohnung in Zwickau.

Die Gutachterin des BKA prüfte anhand von Zschäpes in der Untersuchungshaft geschriebenen Anträgen an die Gefängnisleitung und einem privaten Brief an einen in Bielefeld einsitzenden Rechtsextremisten, ob die Angeklagte die Autorin des NSU-Manifests sein könnte. Doch es fanden sich in Schreibstil, Grammatik und Schreibfehlern zu wenig vergleichbare Merkmale, zumal das Pamphlet mit einem Textprogramm erstellt worden war. "Die Autorenidentität kann weder festgestellt noch ausgeschlossen werden", fasste die Gutachterin das Resultat ihrer Analyse zusammen. Wäre sie zum Ergebnis gekommen, der NSU-Brief sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit von Zschäpe verfasst worden, hätte der Vorwurf der Bundesanwaltschaft beträchtlich an Gewicht gewonnen, die Angeklagte sei Mitglied der terroristischen Vereinigung  gewesen.

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