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Nur Beate Zschäpe kann zur vollständigen Aufklärung des NSU-Skandals beitragen.
© dpa

258. Tag im NSU-Prozess: Richter bringt Zschäpe in Bedrängnis

War Beate Zschäpe regelmäßig betrunken? Dies könnte Auswirkungen auf das Strafmaß haben. Am Dienstag fragte Richter Götzl nach Mitwissern, Alkoholkonsum und Schlägen durch Böhnhardt.

Mehr als 50 Fragen hat Beate Zschäpe bereits beantwortet. Nun, am 258. Verhandlungstag im NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht München, stellt Richter Manfred Götzl Dutzende weitere. Nach dem Tod der mutmaßlichen Rechtsterroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt ist Zschäpe die einzige, die die ganze Wahrheit über den „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) kennen könnte. Nur sie kann Auskunft über das Zusammenleben und Wirken im Untergrund geben.

Am 9. Dezember 2015 hatte Zschäpe im NSU-Prozess ihr Schweigen gebrochen. Ihr Anwalt verlas eine Erklärung in ihrem Namen. Darin bestätigte sie, dass Mundlos und Böhnhardt zehn Menschen ermordet, zwei Sprengstoffanschläge und 15 Raubüberfälle verübt haben. Sie selbst will von den Morden und Anschlägen immer erst hinterher erfahren haben.

Sie sprach von finanzieller und emotionaler Abhängigkeit, die sie daran gehindert hätte, dem Morden ein Ende zu setzen und Böhnhardt und Mundlos zu verlassen. Zschäpe blieb in ihrer Erklärung vage, unpräzise, ließ reichlich Fragen offen. Götzl hakte nach. Am 21. Januar überraschte Zschäpe mit erstaunlich konkreten Antworten. Sie belastete sogar Andre E., der mit ihr auf der Anklagebank sitzt und als einziger Angeklagter nach wie vor schweigt.

Zschäpe sitzt aufrecht, schaut den Richter offen an

Zschäpe hatte ihren Verteidiger auch sagen lassen, sie habe im Untergrund reichlich Alkohol getrunken, zuletzt mehrere Flaschen Sekt am Tag. Sie habe dies heimlich getan und in solchen Mengen, „dass ich angetrunken oder sogar betrunken war“. Götzl fragt nun: „Was meinen Sie mit den Begriffen ,betrunken', was mit ,angetrunken'?“ Ihr jüngster Pflichtverteidiger, Mathias Grasel, schreibt mit. Zschäpe sitzt rechts neben ihm. Sie sitzt sehr aufrecht und schaut den Richter recht offen an. Götzl fragt weiter. Seine Fragen hat er vorab notiert. Während er sie abliest, schaut er immer wieder zu Zschäpe, spricht sie direkt an.

Auch am Vormittag des 4. November 2011 will Zschäpe getrunken haben, bevor sie im Radio von dem Tod von Mundlos und Böhnhardt erfahren habe, die Wohnung in der Zwickauer Frühlingsstraße in Brand setzte, sich mit André E. traf und anschließend mit dem Zug durch Nord- und Mitteldeutschland irrte. Eine Alkoholisierung zum Zeitpunkt der Brandstiftung, die die Bundesanwaltschaft zugleich als versuchten Mord wertet, könnte für Schuldfrage und Strafmaß relevant sein. Also fragt der Richter: „Von wann bis wann haben Sie am 4. November 2011 getrunken? Zeigte der genossene Sekt Wirkung auf Sie? Gegebenenfalls welche?“

Ablehnungsantrag gegen Richter

Zschäpe hatte auch gesagt, Böhnhardt sei auch ihr gegenüber gewalttätig geworden. Götzl fragt nach Details: „Wie waren die Situationen, als Uwe Böhnhardt Ihnen gegenüber ,handgreiflich' geworden ist? Wann war das?“ Schließlich folgen Fragen, die – je nach Zschäpes Antwort – gravierende Folgen für Andre E. und seine Frau haben könnten. „Hatte Andre E. Kenntnis von den Raubüberfällen und Tötungsdelikten?“, fragt der Richter. Und Susann E., Zschäpes beste Freundin? Wusste sie von den Morden? André E. ist wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung angeklagt, Susann E. bisher noch nicht.

Der Prozess geht an diesem Tag weiter, obwohl Zschäpe den Richter für voreingenommen hält. Am Wochenende hatte Verteidiger Grasel dem Senat ein Ablehnungsantrag gefaxt. Götzl hatte es zuvor erneute abgelehnt, Zschäpes Pflichtverteidiger Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm zu entpflichten. Nach Überzeugung des Gerichts sei das Vertrauensverhältnis keineswegs endgültig zerrüttet.

Zschäpes neue Anwälte widersprechen. „Der Richter entscheidet über bestehendes oder nicht bestehendes Vertrauen, obwohl er an keinem Gespräch zwischen Angeklagter und Verteidiger teilgenommen hat und obwohl er nicht wissen kann, wie es im Kopf und im Herzen einer Angeklagten ausschaut“, trägt Wahlverteidiger Hermann Borchert vor. Götzl ignoriere Fakten, damit der Prozess einfach weitergehen könne. Das sei nach 258 Verhandlungstagen zwar verständlich, sagt Borchert, fair aber sei dies nicht. Der Antrag führt dazu, dass der Prozess an diesem Mittwoch ausfällt. Nun geht es am Donnerstag weiter. Wann mit Zschäpes Antworten zu rechnen ist, ist ungewiss.

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