251. Verhandlungstag im NSU-Prozess: Ralf Wohlleben sagt aus - mit Powerpoint und Gruselfotos
In einem bizarren Auftritt hat Ralf Wohlleben, Mitangeklagter im NSU-Prozess, versucht sich zu entlasten. Ein Bericht aus dem Gerichtssaal in München.
Die Stimme klingt etwas heiser, aber klar. Ralf Wohlleben, Mitangeklagter im NSU-Prozess, liest seine Aussage Blatt für Blatt ab und hat sogar eine Powerpoint-Präsentation mit Gruselfotos vorbereitet. Zu sehen sind ausgebrannte Fahrzeuge, eines war Wohllebens Pkw, die mutmaßlich von Linken angezündet wurden.
Und der Ex-Vizechef der NPD hat auch ein Video mitgebracht, in dem junge Rechte gegen den Kapitalismus wettern. Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl lässt es geschehen. Der teilweise makabere Auftritt des Angeklagten wird nicht unterbrochen. Der Trupp Neonazis auf der Zuschauertribüne, darunter ein früherer Terrorist, wirkt zufrieden.
Eine Woche nach der Einlassung von Beate Zschäpe hat am Mittwoch im NSU-Prozess am Oberlandesgericht München auch der Ex-Vizechef der Thüringer NPD sein Schweigen beendet. Er redete auf die Minute zwei Stunden lang. Wie zu erwarten war, bestreitet der 40-Jährige, der seit November 2011 in Untersuchungshaft sitzt, die Vorwürfe der Bundesanwaltschaft.
Laut Anklage war Wohlleben maßgeblich an der Beschaffung der Pistole Ceska 83 beteiligt, mit die NSU-Terroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt neun Migranten türkischer und griechischer Herkunft erschossen. Die Bundesanwaltschaft spricht von Beihilfe zu neunfachem Mord. Außerdem hat der mitangeklagte Carsten S. gleich zu Beginn des Prozesses Wohlleben schwer belastet.
Ob ihm die Aussage nützt, ist fraglich
Wohlleben kontert nun, „ich war erschrocken“, als Carsten S. plötzlich mit der Waffe bei ihm vor der Tür gestanden habe. Und er sei überrascht gewesen über den Schalldämpfer. Wohlleben betont, Böhnhardt habe ihn nach einer scharfen Waffe gefragt, doch das sei für ihn nicht in Frage gekommen. Schon weil er sich überwacht fühlte, auch zuhause. Deshalb habe er sich die Waffe mit Carsten S. in einem „toten Winkel“ der Wohnung angeschaut.
Wohlleben gibt zu, den Schalldämpfer aufgeschraubt zu haben, doch „ich habe zu keiner Zeit Überlegungen angestellt, wozu er eingesetzt werden könnte“. Und er weise den Anklagevorwurf zurück, Geld für den Kauf der Waffe gegeben zu haben. Angeblich hatte er damals, es muss das Frühjahr 2000 gewesen sein, gar nicht die finanziellen Möglichkeiten dazu.
Ebenso widerspricht Wohlleben den Angaben des Angeklagten Holger G. Dieser hatte auch in der Startphase des Prozesses berichtet, er habe von Wohlleben eine Waffe bekommen und sie 2000 oder 2001 zu Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe nach Zwickau gebracht. Wohlleben gibt nur zu, den dreien beim Untertauchen im Januar 1998 geholfen, später mit ihnen telefonisch Kontakt gehalten und sie auch mehrmals getroffen zu haben. Doch er sei „nicht schuldig im Sinne der Anklage“. Vom „Thema NSU“ will er erstmals im November 2011 erfahren haben, als die Medien über den Tod von Mundlos und Böhnhardt berichteten. Er sei entsetzt, dass die beiden „kaltblütig Menschen getötet haben“, sagt Wohlleben. Den Angehörigen der Opfer gelte sein „Mitgefühl“.
Dass die Aussage Wohlleben nützt, ist fraglich. Der 6. Strafsenat hat Anträge auf Entlassung aus der Untersuchungshaft abgelehnt, wegen weiterhin dringenden Tatverdachts. Der Bundesgerichtshof hat im Februar mit einem gleichlautenden Beschluss die Münchener Kollegen bestätigt.
Nebenanwalt nimmt Stellung
Der Nebenanwalt einer Opferfamilie, Sebastian Scharmer, sagte im Anschluss der Aussage Wohllebens: „Es steht Aussage gegen Aussage. Carsten S. hat Wohlleben schwer belastet. Wohlleben widerspricht ihm. Die Frage ist, wem das Gericht am Ende glaubt. Plausibel ist die Erklärung von Wohlleben nicht. Denn er stilisiert sich und die gesamte Jenaer Naziszene selbst zu Opfern von staatlicher Verfolgung und angeblicher "linker Gewalt". Gewalt und Militanz wollen sie angeblich abgelehnt haben.
Das ist nicht nur plumpe rechte Propaganda, sondern auch durch zahlreiche Beweise, die in dieser Verhandlung schon erhoben worden sind, bereits widerlegt. Die Aussage von Carsten S., die er - anderes als Wohlleben - ganz am Beginn des Verfahrens abgegeben und auch nicht vom Blatt abgelesen hat, belastet Wohlleben weiterhin. Daran ändert die heutige Erklärung nichts.“
Heer, Stahl und Sturm widersprechen Grasel scharf
Unterdessen geht der Streit zwischen Zschäpes neuem Verteidiger Mathias Grasel und den Anwälten Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm weiter. Grasel hatte vergangene Woche erst die Einlassung der Angeklagten verlesen und dann noch einen Antrag auf Entpflichtung von Heer, Stahl und Sturm gestellt.
Den Vorwürfen, die Grasel in dem Antrag vorbrachte, haben die drei Anwälte nun in scharfem Ton widersprochen. „Von einem unkooperativen und unkollegialem Verhalten unsererseits sowie einem Boykott einer Zusammenarbeit mit Rechtsanwalt Grasel“ könne keine Rede sein, trägt Heer am Mittwoch aus einer Stellungnahme aller drei Verteidiger vor. Der Vorwurf eines bewusst schädigenden Verhaltens sei „derart absurd, dass er keines weiteren Kommentars bedarf“.
Grasel war im Juli in den Prozess eingestiegen, nachdem Zschäpe sich mit Heer, Stahl und Sturm überworfen und jegliche Kommunikation mit ihnen eingestellt hatte. Der Kontakt zwischen den drei Anwälten und Grasel sowie seinem Kanzleikollegen Hermann Borchert, der inzwischen auch Zschäpe im Prozess verteidigt, ist offenbar minimal.
Heer, Stahl und Sturm hatten Zschäpe von Beginn an geraten, zu schweigen. Die Angeklagte hielt das auch durch, überlegte es sich jedoch im vergangenen Sommer anders. Grasel und Borchert bereiteten dann die Aussage vor. Der Bruch mit der Strategie von Heer, Stahl und Sturm, die sich an den Rand gedrängt sehen, macht eine Kooperation aller Verteidiger Zschäpes extrem schwierig. Die drei Anwälte haben selbst bereits zweimal ihre Entpflichtung beantragt.
Die schriftlichen Erklärungen der Nebenanwälte Scharmer und Stolle lesen Sie hier.
Eine Chronik des NSU-Prozesses finden Sie hier.