Dritter Jahrestag des NSU-Verfahrens: 500 Zeugen, juristische Scharmützel - ein zäher Prozess
Der größte Terrorprozess seit der Wiedervereinigung schleppt sich hin. Aber der dritte Jahrestag dürfte wohl der letzte gewesen sein. Ein Überblick
Der Auftakt ließ schon ahnen, wie schwierig der NSU-Prozess werden könnte. Vor drei Jahren, am 6. Mai 2013, begann am Oberlandesgericht München die Hauptverhandlung gegen Beate Zschäpe und vier weitere Angeklagte mit Befangenheitsanträgen gegen den Vorsitzenden Richter Manfred Götzl. Prompt unterbrach er den Prozess und setzte gleich weitere Verhandlungstage ab. Und es sollten viele Scharmützel zwischen dem 6. Strafsenat und Verteidigern sowie Opferanwälten folgen. Sowie ein zäher Konflikt zwischen Zschäpe und drei Verteidigern. Dennoch vermuten Prozessbeteiligte, der dritte Jahrestag dürfte auch der letzte sein in diesem Verfahren zu zehn Morden, zwei Sprengstoffanschlägen, 15 Raubüberfällen und einer besonders schweren Brandstiftung. Der größte Terrorprozess seit der Wiedervereinigung bewegt sich langsam, aber stetig auf das Urteil zu.
Ein Ausblick. Nach 280 Verhandlungstagen, an denen mehr als 500 Zeugen gehört wurden, müssen alle Angeklagten mit einer Strafe rechnen. Es erscheint undenkbar, dass es auch nur einen einzigen Freispruch gibt. Eine Prognose, wie viele Jahre Haft der Hauptangeklagten Beate Zschäpe, dem Ex-NPD-Funktionär Ralf Wohlleben sowie Holger G., Carsten S. und André E. bevorstehen, ist aber schwierig. Am schlechtesten sieht es jedenfalls für Wohlleben aus, dem die Bundesanwaltschaft Beihilfe zu neunfachem Mord vorwirft. Der Angeklagte soll mit Carsten S. die Pistole Ceska 83 beschafft haben, mit der die NSU-Mörder Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt neun Migranten türkischer und griechischer Herkunft erschossen.
Ralf Wohlleben muss mit harter Strafe rechnen
Mehrere Anträge Wohllebens auf Entlassung aus der Untersuchungshaft sind gescheitert. Und im Februar 2015 wies der Bundesgerichtshof (BGH) eine Beschwerde des Angeklagten ab. Die Richter in Karlsruhe sahen weiter dringenden Tatverdacht und bescheinigten Wohlleben, bei einer Verurteilung sei eine Strafe zu erwarten, die "nicht nur unwesentlich" die Dauer der Untersuchungshaft übersteige. Wohlleben sitzt seit 2011 in einer Zelle. Der Spruch des BGH klingt wie ein vorweggenommenes Urteil. Dass Wohlleben im Dezember 2015 sein Schweigen brach, hat ihm offenbar kaum genutzt. Er verstrickte sich in Widersprüche und gab sich unbeugsam rechts.
Carsten S., der die Ceska im Frühjahr 2000 den in Chemnitz untergetauchten Mundlos und Böhnhardt brachte, kann trotz desselben Tatvorwurfs wie bei Wohlleben eine relativ milde Strafe erwarten. Er hat zu Beginn umfassend ausgesagt und Wohlleben als Drahtzieher der Waffenbeschaffung belastet. Die Richter glauben ihm. Außerdem ist Carsten S. der einzige Angeklagte, der nachvollziehbar mit der rechten Szene gebrochen hat. Und er kann hoffen, noch nach Jugendstrafrecht verurteilt zu werden. Im Frühjahr 2000 war Carsten S. erst 20 Jahre alt. Das Gericht kann ihn für die Tatzeit als unreifen Heranwachsenden einstufen. Womöglich bleibt Carsten S., der nicht lange in Untersuchungshaft herauskam, nach dem Urteil auf freiem Fuß.
Aber was ist mit Zschäpe? Ihre Lage ist zumindest nicht besser geworden, seit sie im Dezember mit der Einlassung begann, die der neue Pflichtverteidiger Mathias Grasel vom Papier ablas. Seitdem werden häppchenweise Fragen der Richter beantwortet. Zschäpe spricht nicht selbst, Grasel trägt die schriftlich formulierten Angaben vor. Von einem Geständnis kann aber nur teilweise die Rede sein. Zschäpe hat zugegeben, am 4. November 2011 die Wohnung in Zwickau angezündet zu haben, in der sie mit Mundlos und Böhnhardt gelebt hatte. Angeblich hat Zschäpe versucht, eine gebrechliche Nachbarin vor dem Brand zu warnen. Die Rentnerin entkam aber aus dem brennenden Haus nur mithilfe von Verwandten. Die Bundesanwaltschaft spricht von besonders schwerer Brandstiftung und versuchtem Mord, das würde schon für "lebenslänglich" reichen.
Und der härteste Vorwurf kommt noch: Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und Mittäterschaft bei allen Verbrechen, die Mundlos und Böhnhardt verübt haben. In ihrer Einlassung betonte Zschäpe, sie habe weder die zehn Morde noch die beiden Sprengstoffanschläge in Köln gewollt, bei denen mehr als 20 Menschen verletzt wurden. Andererseits hat Zschäpe gebilligt, dass sie im Untergrund von dem Geld leben konnte, das Mundlos und Böhnhardt bei den Raubüberfällen erbeuteten – mehr als 600.000 Euro. Und Zschäpe gab zu, nach dem Selbstmord der zwei Kumpane am 4. November 2011 mehrere DVDs mit dem Bekennervideo des NSU verschickt zu haben. Angeblich ohne den Inhalt zu kennen.
Beate Zschäpe weiß offenbar noch viel mehr
Dass der Strafsenat statt einer Mitgliedschaft Zschäpes in der Terrorzelle "nur" eine Beihilfe zu den Taten von Mundlos und Böhnhardt erkennen wird, ist schwer vorstellbar. Zumal Zschäpe offenbar längst nicht alles berichtet hat, was sie in den fast 14 Jahren im Untergrund mit Mundlos und Böhnhardt erlebte. So droht der Hauptangeklagten weiterhin die Höchststrafe: lebenslänglich mit besonderer Schwere der Schuld. Das wären ungefähr 20 Jahre Haft. Und womöglich anschließend Sicherungsverwahrung.
Bleiben noch Holger G. und André E. Kurz nach dem Start des Prozesses hat Holger G. ein schriftlich verfasstes Geständnis vorgetragen, seitdem schweigt er. Holger G. hatte Böhnhardt Reisepass und Führerschein verschafft, für Zschäpe besorgte er eine AOK-Karte. Dass er einer Terrorzelle half, will G. nicht gewusst haben. Eine Verurteilung wegen Unterstützung des NSU ist dennoch wahrscheinlich. Holger G. drohen maximal zehn Jahre Haft. Ebenso wie André E., der gar nichts sagt. Doch Zeugenaussagen und Indizien belasten den üppig tätowierten Neonazi, der unter anderem für den NSU Wohnmobile gemietet und manipulierte Bahncards beschafft haben soll. Außerdem gab Zschäpe an, E. habe sie, Mundlos und Böhnhardt unterstützt.
Theoretisch dürfte es bis zum Urteil nicht mehr lange dauern, die Beweisaufnahme ist in der Endphase. Doch die Verteidiger Wohllebens und Zschäpes haben mit Befangenheitsanträgen gegen Götzl und seine Kollegen den Prozess mehrmals ins Stocken gebracht. Vor allem Wohllebens Anwälte scheinen mit den Attacken Argumente für die Revision nach dem zu erwartenden harten Urteil gegen ihren Mandanten zu sammeln. Und wenn eines Tages alles verhandelt ist, werden die Plädoyers der Bundesanwaltschaft, der 14 Verteidiger und der mehr als 50 Opferanwälte viel Zeit beanspruchen. Richter Götzl hat vorsorglich die Liste der Prozesstage verlängert. Bis zum 12. Januar 2017.