NSU-Prozess 153. Tag: Neues von der Mordwaffe Ceska 83
Die Geschichte der Pistole Ceska 83 ist eigentlich abgründig genug, doch jetzt kommt noch ein obskures Kapitel hinzu. Ein zwielichtiger Betreiber eines Eiscafés in Thüringen soll die Waffe in der Schweiz erworben haben.
Die Geschichte der Pistole Ceska 83 ist eigentlich abgründig genug, doch jetzt kommt noch ein obskures Kapitel hinzu. Der mutmaßlich erste private Käufer der Mordwaffe der Terrorzelle NSU, der Schweizer Hans-Ulrich M., hat einen neuen Verdacht in Umlauf gebracht. M. habe erzählt, nicht er, sondern der zwielichtige Betreiber eines Eiscafés in Thüringen habe die Pistole bei einem Schweizer Waffengeschäft erworben, berichtete am Mittwoch ein Opferanwalt im NSU-Prozess am Oberlandesgericht München. Sollte diese Variante stimmen, sähe der Weg der Ceska 83 zu den NSU-Mördern Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt in Teilen anders aus, als die Bundesanwaltschaft ihn skizziert.
Die Frage nach den Stationen der Ceska ist im Prozess von großer Bedeutung. Der 6. Strafsenat verwendet viel Mühe darauf, die Herkunft der Waffe lückenlos zu klären. Mit der Ceska hatten die Neonazis Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt neun ihrer zehn Morde verübt.
Im Juni sprach Hans-Ulrich M. überraschend den Nebenklage-Anwalt Turan Ünlücay an. Der Stuttgarter Jurist hatte in Thun (Kanton Bern) an der Vernehmung von M. und einem weiteren Schweizer teilgenommen. Das Oberlandesgericht München hatte die Berner Staatsanwaltschaft gebeten, die Schweizer zu befragen, da die beiden Männer nicht als Zeugen beim NSU-Prozess erschienen waren. Bei dem Termin in Thun waren Vertreter der Bundesanwaltschaft, Verteidiger und neben Ünlücay weitere Opferanwälte anwesend. Ünlücay vertritt Angehörige des vom NSU im April 2006 in Dortmund getöteten Mehmet Kubasik.
Krimineller Betreiber eines Eiscafés im Zentrum
Nach der Unterhaltung mit Hans-Ulrich M. hatte Ünlücay den Inhalt in einem Brief an die Bundesanwaltschaft geschildert. Am Mittwoch sagte Ünlücay nun als Zeuge im NSU-Prozess aus. Das war eine Premiere: erstmals in der Hauptverhandlung befragte der Vorsitzende Richter Manfed Götzl einen Anwalt der Nebenklage.
Vor einem Imbiss in Thun sei Hans-Ulrich M. auf ihn zugekommen, sagte Ünlücay. Der Schweizer habe erzählt, „die Waffe“ sei von dem Betreiber des Eiscafés in Thüringen gekauft worden. Der Kleinunternehmer gilt als kriminelle Figur, Ünlücay nannte auch dessen Namen und Wohnort. Ein Datum des angeblichen Deals erwähnte Ünlücay jedoch nicht. Es müsste sich um den Zeitraum zwischen der Lieferung der tschechischen Pistole im Jahr 1996 an das Schweizer Waffengeschäft Schläfli & Zbinden und der mutmaßlichen Ankunft der Ceska bei den untergetauchten Neonazis Mundlos und Böhnhardt im Frühjahr 2000 in Chemnitz handeln.
Laut Hans-Ulrich M. haben seine Ex-Freundin und ein Bekannter die Waffe in der Schweiz für den Mann vom Eiscafé abgeholt. Die Ex-Freundin hat allerdings am Dienstag als Zeugin im NSU-Prozess jede Verbindung zur Ceska bestritten. Die Aussage der Frau war allerdings nicht frei von Widersprüchen. Andererseits klingt auch die Geschichte, die Hans-Ulrich M. dem Nebenklage-Anwalte schilderte, abenteuerlich. Möglicherweise hat Hans-Ulrich M. versucht, über Ünlücay seine Ex-Freundin und den Betreiber des Eiscafés zu diskreditieren.
Hans-Ulrich M. habe ihm gesagt, er werde von seiner früheren Lebensgefährtin belästigt und sie habe zu DDR-Zeiten für die Stasi gearbeitet, berichtete Ünlücay. Und er zitierte Hans-Ulrich M. mit den Worten, dem Betreiber des Eiscafés hätten Rechtsradikale bei der Renovierung seines Hauses geholfen.
Schweizer bietet Aussage an - gegen Straffreiheit
Der Schweizer habe auch behauptet, seine Ex-Freundin und der Mann vom Eiscafé handelten mit Waffen, sagte Ünlücay . Die politische Einstellung der Kunden spiele keine Rolle. Die Zahl der Waffen, die der Betreiber des Eiscafés bei der Firma Schläfli & Zbinden bezogen haben soll, bezifferte Hans-Ulrich M. mit 15 bis 20.
Warum Hans-Ulrich M. die Geschichte dem Anwalt erzählte, nachdem er sie zuvor bei der Befragung durch die Berner Staatsanwaltschaft verschwiegen hatte, bleibt unklar. Möglicherweise will er seinen Freund Enrico T. schützen. Der habe mit der Ceska nichts zu tun gehabt, sagte M. dem Opferanwalt. Die Bundesanwaltschaft hält Enrico T. für einen Mittelsmann bei der Weitergabe der Pistole.
Hans-Ulrich M. behauptete gegenüber Ünlücay, er fühle mit den Opfern des NSU und wolle bei der Aufklärung helfen. Der Schweizer bot sogar an, in Deutschland auszusagen, wenn ihm zugesichert werde, keine strafrechtlichen Probleme zu bekommen.
Die Gefahr ist allerdings gering, auch wenn die Bundesanwaltschaft Hans-Ulrich M. für das erste Glied in der Lieferkette der Ceska von der Schweiz zum NSU hält. Gegen M. wurde bereits ermittelt, doch es ließ sich nicht nachweisen, er könnte Beihilfe zu den Morden von Mundlos und Böhnhardt geleistet haben.
Wohlleben soll Kauf eingefädelt haben
Aus Sicht der Bundesanwaltschaft ließ Hans-Ulrich M. die Ceska im April 1996 bei Schläfli & Zbinden von einem Schweizer Strohmann kaufen. Dann soll die Ceska über Enrico T. an den Jenaer Jürgen L. gelangt sein. Er hat laut Bundesanwaltschaft die Pistole an Andreas S. weiter gereicht, den Mitarbeiter eines Geschäfts für rechte Szenetextilien in Jena. Andreas S. hat bei der Polizei zugegeben, die Ceska an Carsten S. für 2500 D-Mark verkauft zu haben. Carsten S. ist einer der Angeklagten im NSU-Prozess.
Er hat gestanden, die Waffe zu Mundlos und Böhnhardt in Chemnitz gebracht zu haben. Carsten S. hat zudem den mitangeklagten Ex-NPD-Funktionär Ralf Wohlleben belastet. Wohlleben soll den Kauf der Waffe über den Mitarbeiter des Szenegeschäfts in Jena eingefädelt haben. Wohlleben schweigt, seine Verteidiger bestreiten die Version von Carsten S. Die Richter haben allerdings in einem Beschluss zur Fortdauer der Untersuchungshaft von Wohlleben signalisiert, dass sie die Aussage von Carsten S. für glaubwürdig halten.