Carsten S. vernommen: Erstes Geständnis im NSU-Prozess
Nach einer zweiwöchigen Pause wird in München der NSU-Prozess fortgesetzt. Der Angeklagte Carsten S. gab zu, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt eine Waffe besorgt zu haben. Und die Anwälte von Beate Zschäpe überraschten mit einer Forderung, die den Prozess für diese Woche schon wieder beenden könnte.
Im NSU-Prozess am Münchener Oberlandesgericht hat der Angeklagte Carsten S. am Dienstag ein Geständnis abgelegt. Er habe in einem Abbruchhaus in Chemnitz Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt getroffen und ihnen eine Handfeuerwaffe überbracht, sagte der 33 Jahre alte Ex-Neonazi vor dem 6. Strafsenat. Den von ihm mitgelieferten Schalldämpfer habe einer der beiden in der Ruine auf die Pistole geschraubt. Die Übergabe soll im Frühjahr 2000 erfolgt sein. Bei der Waffe handelte es sich um die Ceska 83, mit der Mundlos und Böhnhardt neun Migranten türkischer und griechischer Herkunft erschossen. Die Bundesanwaltschaft wirft Carsten S. vor, er habe Beihilfe zu neunfachem Mord geleistet. Der Angeklagte hatte bereits im Ermittlungsverfahren gestanden, die Waffen besorgt zu haben.
Wie schon gegenüber der Bundesanwaltschaft belastete Carsten S. auch im Prozess den Mitangeklagten Ralf Wohlleben, ehemals Vizechef der Thüringer NPD. Wohlleben habe ihm gesagt, wo er die Waffe in Jena bekommen könne und ihm Geld gegeben. Der Betreiber eines rechtsextremen Szeneladens beschaffte die Ceska und händigte sie gegen Bezahlung an S. aus. Er habe die Waffe dann zu Wohlleben gebracht, der mit Lederhandschuhen den Schalldämpfer aufschraubte, sagte S. Wohlleben und die anderen Angeklagten hörten ohne auffällige Regungen zu. Die Bundesanwaltschaft hält auch Wohlleben der Beihilfe zu neunfachem Mord für schuldig.
Die Order, eine Waffe zu besorgen, bekam S. nach seinen Angaben in einem konspirativen Telefonat von Mundlos und Böhnhardt, die 1998 untergetaucht waren. Die beiden hätten allerdings ein deutsches Fabrikat gewünscht, sagte der Angeklagte. Der Mann aus dem Szeneladen habe aber nur die tschechische Pistole besorgen könnrn. Auf die Frage des Vorsitzenden Richters Manfred Götzl, warum er Mundlos und Böhnhardt die Waffe gab, zeigte sich S. naiv - „ich hatte so ein Gefühl, die armen Verfolgten, denen muss man helfen.“
Zuvor hatte S. den Richtern geschildert, wie er 1996 in die rechte Szene geriet und zum Vizevorsitzenden der Nachwuchsorganisation der NPD in Thüringen aufstieg. Da er aber seine Homosexualität bei den Neonazis nicht ausleben konnte, stieg er im Herbst 2000 aus. Der Strafsenat will an diesem Mittwoch Carsten S. weiter befragen.
Am ersten Verhandlungstag im NSU-Prozess nach der zweiwöchigen Pfingstpause lehnte der 6. Strafsenat des Oberlandesgerichts München außerdem sämtliche noch vorliegende Anträge von Verteidigern ab. Die Anwälte von Beate Zschäpe hatten unter anderem die Aussetzung des Verfahrens verlangt, weil Unterlagen der NSU-Untersuchungsausschüsse der Landtage Bayerns und Thüringens nur beim OLG eingesehen werden können. Der Strafsenat wies auch den Antrag der Verteidiger Zschäpes zurück, die Richter sollten Generalbundesanwalt Harald Range auffordern, Bundesanwalt Herbert Diemer und Oberstaatsanwältin Anette Greger ablösen. Auch den Antrag der Verteidiger von Ralf Wohlleben, das Verfahren einzustellen, da ihr Mandant durch die Medien vorverurteilt werde und Geheimdienste in den NSU-Komplex verwickelt seien, wies der Strafsenat ab.
Zschäpes Anwältin Anja Sturm trug einen weiteren Antrag auf Einstellung des Verfahrens vor. Sturm sprach von einer „beispiellosen Vorverurteilung“ ihrer Mandantin durch die Strafverfolgungsbehörden und andere staatliche Stellen. Die Anwältin betonte jedoch, es gehe ihr explizit nicht um die Vorverurteilung Zschäpes durch die Medien. Sturm monierte vor allem, dass der Generalbundesanwalt und das Bundeskriminalamt schon lange vor Beginn des Prozesses von einem „Terrortrio“ und einer „Mörderbande“ ausgingen, der Beate Zschäpe zugerechnet werde. Aus Sicht der Verteidiger wurde Zschäpe die Unschuldsvermutung verwehrt. Als weiteres Beispiel nannte Sturm die „geradezu kanonisch“ an Zschäpe gerichteten Aufforderungen, ihr Schweigen zu brechen.
Außerdem hätten sich mehrere Politiker vorverurteilend über Zschäpe geäußert. Sturm erwähnte die von der Bundesregierung als Ombudsfrau für die Opfer des NSU-Terrors bestellte Barbara John sowie Mitglieder und Zeugen des NSU-Untersuchungsausschusses des Bundestages, darunter den ehemaligen Bundesinnenminister Otto Schily (SPD).
"Unsere Mandantin wurde nahezu von Beginn des Ermittlungsverfahrens an zum Objekt desselben degradiert“, sagte Sturm. Zschäpe habe bereits bei Übernahme der Ermittlungen durch den Generalbundesanwalt als Täterin, als Mitglied einer „Mörderbande“ und als Mitglied einer terroristischen Vereinigung festgestanden. „Die gesamten Ermittlungen wurden unter dieser Prämisse geführt, nur noch die Täterschaft unserer Mandantin zu belegen – eine Nullhypothese wurde gar nicht erst gebildet“, trug die Anwältin vor.
Als weitere nicht behebbare Verfahrenshindernisse sehen Zschäpes Verteidiger die Vernichtung von Akten durch das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV). Das BfV hatte im vergangenen Jahr zugegeben, dass Ende 2011 ein Beamter Unterlagen zu einem Einsatz von V-Leuten in Thüringen schreddern ließ, als der NSU-Terror bekannt wurde. Sturm zählte zudem mehrere V-Leute auf, die mit dem NSU-Komplex in Verbindung gestanden haben sollen, aber in den Ermittlungsakten kaum oder gar nicht auftauchen. „Durch den jedenfalls für die Prozessbeteiligten intransparenten Einsatz von Vertrauenspersonen einerseits und die unvollständigen Unterlagen der Verfassungsschutzämter wird unsere Mandantin in ihrem Recht, aktiv auf Gang und Ergebnis des Strafverfahrens Einfluss zu nehmen, massiv behindert“, sagte die Verteidigerin.
Trotz des Antrags will der Strafsenat offenbar noch an diesem Dienstag damit beginnen, Angeklagte zu den Tatvorwürfen zu hören. Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl fragte alle Angeklagten, ob sie sich äußern wollen. Die Verteidiger von Zschäpe, Wohlleben und André E. verneinten, die Angeklagten Carsten S. und Holger G. zeigten sich zur Aussage bereit. Carsten S. hatte in der Untersuchungshaft gestanden, dem NSU die Pistole der Marke Ceska 83 beschafft zu haben. Mit ihr erschossen Mundlos und Böhnhardt neun Migranten. Holger G. gab gegenüber dem Bundeskriminalamt zu, dem NSU geholfen zu haben, sich mit falschen Papieren ausweisen zu können. Das BKA hält beide Angeklagten versteckt, um sie vor Racheakten der rechtsextremen Szene zu schützen.
Die Bundesanwaltschaft bezeichnete den Einstellungsantrag als unbegründet. Die Unschuldsvermutung sei für Generalbundesanwalt Harald Range „das oberste Credo“, sagte Bundesanwalt Herbert Diemer. Auch mehrere Anwälte der Nebenkläger äußerten sich ablehnend zum Antrag der Verteidiger Zschäpes. Dennoch konnte der Strafsenat die geplante Befragung von Angeklagten noch nicht starten – ein Anwalt der Familie des vom NSU in Kassel erschossenen Halit Yozgat überraschte mit einem Antrag, dem sich sogar die Verteidiger Zschäpes und Wohllebens anschlossen. Der Nebenklage-Anwalt forderte den Strafsenat auf, er solle feststellen, ob Prozessbeobachter von Bundeskriminalamt, Landeskriminalämter, Bundesamt für Verfassungsschutz und Verfassungsschutzbehörden der Länder im Saal seien. Wenn ja, sollte der Strafsenat die Beamten von der Hauptverhandlung ausschließen. Der Nebenklage-Anwalt befürchtet, die Prozessbeobachter würden Informationen aus der Hauptverhandlung intern weitergeben. Die jeweilige Behörde könne dann die Aussage ihrer Beamten, die im Prozess als Zeugen geladen sind, beeinflussen. Das wäre die „Gefährdung einer authentischen Beweisaufnahme“, sagte der Anwalt.
Richter Götzl fragte in den Saal hinein, ob sich unter den Zuschauern Prozessbeobachter von Kriminalämtern und Verfassungsschutz befänden. Niemand meldete sich. Eine Nebenklage-Anwältin forderte, die Saalkameras sollten das Publikum zeigen, „damit wir jemanden outen können". Die Verteidiger Zschäpes forderten eine kurze Unterbrechung, um den Antrag des Nebenklage-Anwalts mit einem ähnlichen abzugleichen, den sie vorbereitet hatten.
Zschäpes Verteidigerin Sturm ergänzte dann den Antrag des Nebenklage-Anwalts mit einer Forderung, die den Prozess für diese Woche beenden könnte. Sturm forderte, Götzl solle BKA, Landeskriminalämter, BfV und Landesbehörden für Verfassungsschutz „um Auskunft ersuchen, ob von dort Prozessbeobachter entsandt werden“. Es sei davon auszugehen, dass bei einer einfachen Frage in den Saal hinein sich Beamte nicht zu erkennen gäben, da sie dafür keine Aussagegenehmigung hätten. Außerdem beantragte ein weiterer Nebenklage-Anwalt, der Antrag zu möglichen Prozessbeobachtern aus Sicherheitsbehörden solle sich auf den Militärischen Abschirmdienst erstrecken, den Nachrichtendienst der Bundeswehr.