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Die vermutliche Tatwaffe des NSU. Nach der Pistole wurden deren Taten von Medien zwischenzeitlich "Ceska-Mordserie" genannt, bevor die Urheberschaft des NSU herauskam.
© dpa

NSU-Prozess: Der Weg der Waffe

Noch immer ist unklar, wie die Mörder des NSU eigentlich an ihre Waffe kamen. Ein Schweizer Zeuge wirft jetzt neue Fragen auf.

Im November ist es drei Jahre her, dass die Terrorzelle „Nationalsozialistischer Untergrund“  aufflog. Dennoch lässt sich bis heute nicht zweifelsfrei klären, wie die Pistole Ceska 83, mit der die NSU-Mörder Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt von 2000 bis 2006 neun Migranten türkischer und griechischer Herkunft erschossen, von der Schweiz nach Deutschland gelangt ist. Möglicherweise war die Waffe viel früher in der Bundesrepublik und vielleicht sogar in Jena, als bislang vermutet worden war. Die Aussage eines Schweizer Staatsanwalts warf jedenfalls am Donnerstag im NSU-Prozess am Oberlandesgericht München neue Fragen auf.

David Steimer von der Staatsanwaltschaft Berner Oberland hatte 2012 auf Bitte der deutschen Behörden zwei Schweizer vernommen, die mutmaßlich für den ersten privaten Kauf der Ceska 83 verantwortlich waren. Anton G. sagte aus, er habe in den 1990er Jahren Waffenerwerbsscheine, die auf seinen Namen lauteten, wegen finanzieller Probleme an Hans-Ulrich M. verkauft, für 400 Franken. Mit den Papieren soll M. 1996 zwei Ceska-Pistolen bei der Schweizer Firma Schläfli & Zbinden bestellt haben. Dass M. offenbar nicht auf eigenen Namen kaufte, ist bereits ungewöhnlich.

"Mehr musst du nicht wissen - zu gefährlich"

Das Schweizer Waffenrecht war damals so liberal, dass Einheimische eine solche Pistole mühelos erwerben konnten. Doch M. habe die Waffe nach Deutschland exportieren wollen, sagte Anton G. 2012 dem Staatsanwalt. Für „gewisse Kreise“ in der Bundesrepublik sei es schwierig, an Waffen heranzukommen, habe M. angedeutet. Anton G. gab auch an, M. habe ihm gesagt, mehr müsse er nicht wissen, das sei sonst zu gefährlich.

Anton G. erhielt, nach seiner Erinnerung, ein Paket des Berner Waffengeschäfts Schläfli & Zbinden.  Das war laut einem Eintrag im Waffenbuch der Firma im April 1996. Die Ware will Anton G. dann an Hans-Ulrich M. weitergegeben haben. Die Ceska 83, mit der Mundlos und Böhnhardt mordeten, kam allerdings erst im Frühjahr 2000 in ihren Besitz.

Der Angeklagte Carsten S. hat zu Beginn des NSU-Prozesses zugegeben, damals die Pistole samt Schalldämpfer und 50 Schuss Munition nach Chemnitz gebracht zu haben, wo er sie den untergetauchten Mundlos und Böhnhardt gab. Aber was geschah mit der Waffe in den vier Jahren zuvor?

In einem Abbruchhaus findet die Übergabe statt

Die Bundesanwaltschaft geht in ihrer Anklage von einer Linie mit mehreren Stationen zwischen der Schweiz und Thüringen aus. Station eins: Hans-Ulrich M. kommt über den aus Jena stammenden Enrico T. in Kontakt zu dem Jenaer Jürgen L., der dann an die Ceska gelangt. Für einen unbekannten Betrag. Und wann, bleibt offen.

Station zwei: Jürgen L. verkauft die Pistole Anfang 2000 an Andreas S., der in Jena im rechten Szeneladen „Madley“ tätig ist. Station drei: Andreas S. reicht die Ceska 83 für 2500 D-Mark an Carsten S. weiter. Station vier: Carsten S. bringt die Pistole nach Chemnitz und drückt sie in einem Abbruchhaus Mundlos oder Böhnhardt in die Hand. So könnte es gewesen sein. Für die  Bundesanwaltschaft ist diese Linie plausibel. Und sie reicht noch weiter.

In seinem Geständnis hat Carsten S. den mitangeklagten Ex-NPD-Funktionärs Ralf Wohlleben beschuldigt, ihn mit dem Erwerb der Ceska beauftragt zu haben. Mundlos und Böhnhardt sollen Ende 1999, Anfang 2000 bei einem konspirativen Telefonat eine Pistole bestellt haben. Wohlleben soll dann Carsten S. in Jena zum Szeneladen „Madley“ geschickt haben. Weil unter Rechtsextremisten bekannt war, dass man dort nach einer scharfen Waffe fragen könnte.

Haben die Schweizer die Pistole übersehen?

Die Anklage der Bundesanwaltschaft lässt vermuten, erst die Anfrage von Carsten S. im „Madley“ habe den verschlungenen Deal mit dem Schweizer Hans-Ulrich M. ausgelöst. Doch möglicherweise war die Ceska 83 längst in Jena. Staatsanwalt Steimer sagt am Donnerstag als Zeuge im NSU-Prozess, 1997 seien bei einer Durchsuchung im Haus von Hans-Ulrich M. mehrere Waffen gefunden worden – aber nicht die Ceska 83. Haben die Schweizer Polizisten die Pistole übersehen? Oder war sie längst weg?

Möglicherweise hatte Hans-Ulrich M., der in Deutschland „gewisse Kreise“ kannte, die Pistole plus Schalldämpfer schon 1996 in Deutschland verkauft. Womöglich an seinen Bekannten Enrico T. oder gleich an Jürgen L. Dann hätte die Ceska 83 bereits in Jena gelegen, als Ende 1999 oder Anfang 2000 Mundlos und Böhnhardt nach einer Pistole verlangten. Der lange Weg in die Schweiz wäre nicht nötig gewesen. Wenn es denn so war.

Hans-Ulrich M. hat Staatsanwalt Steimer gesagt, er wisse nichts von einem Handel mit einer Ceska 83. Jürgen L. hat im Prozess bestritten, die Pistole weitergegeben zu haben. Enrico T., der Uwe Böhnhardt in der Schulzeit kennengelernt hatte, gab sich im Oberlandesgericht äußerst erinnerungsschwach. Bei einer Vernehmung durch das Bundeskriminalamt hatte T. jedoch gesagt, nach dem aufsehenerregenden Ende des NSU im November 2011 habe er 1000 Euro abgehoben, um im Falle einer Inhaftierung genug Bargeld im Gefängnis zu haben. Ihm sei klar gewesen, dass die Sache mit dem Schweizer Hans-Ulrich M. „und den ganzen Waffen auf mich zurückfällt“. Das Vernehmungsprotokoll wollte Enrico T. aber nicht unterschreiben. Womöglich schwante ihm, sich verplappert zu haben.

Woher stammen die Waffen?

Strafrechtliche Konsequenzen müssen allerdings weder Enrico T. noch Jürgen L., Andreas S. oder die Schweizer Hans-Ulrich M. und Anton G. fürchten. Keinem ist nachzuweisen, dass sie die mörderischen Absichten von Mundlos und Böhnhardt ahnten. Und es bleibt fraglich, wo die Ceska länger lag,  wurde, bevor sie in Richtung NSU geschoben wurde. Eine Antwort könnte auch ein anderes großes Problem lösen helfen. Die Ermittler wissen immer noch nicht, wie die Terrorzelle an die meisten ihrer 20 Waffen herangekommen ist.

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