NSU-Prozess: Zschäpe-Verteidiger beanstanden "politische Reden" der Nebenklage
Mehmet Daimagüler vertritt die Angehörigen der vom NSU ermordeten Türken und spricht von Rassismus in der deutschen Polizei. Der Verteidigung geht das zu weit.
Kaum haben im NSU-Prozess am Oberlandesgericht München nach monatelangem Hickhack die Plädoyers der Nebenkläger begonnen, gibt es wieder Komplikationen. Zwei Verteidiger von Beate Zschäpe verhinderten am Donnerstagvormittag schon nach wenigen Minuten mit einer „Beanstandung“, dass der Berliner Anwalt Mehmet Daimagüler seinen am Mittwoch begonnenen Schlussvortrag fortsetzen konnte. Daimagüler vertritt Angehörige der in Nürnberg vom NSU ermordeten Türken Abdurrahim Özüdogru und Ismail Yasar. Zschäpes Anwälte Wolfgang Heer und Wolfgang Stahl hielten Daimagüler vor, er halte eine „politische Rede“, das sei unzulässig. Daimagüler hatte im Zusammenhang mit den Ermittlungen zu den Morden des NSU an neun Migranten über „institutionellen Rassismus“ bei der Polizei gesprochen.
Die Ausführungen seien „sachwidrig“, warf Stahl dem Opferanwalt vor. Dessen Kollegen reagierten empört und sehen einen generellen Angriff auf die Plädoyers der Nebenkläger, es kam zum verbalen Schlagabtausch. Daimagüler selbst betonte, er gebe die „ungefilterte Sicht“ seiner Mandanten wieder. „Sie werden diese Stimme nicht zum Verstummen bringen können“, sagte er zu Heer und Stahl. Das Plädoyer wurde allerdings durch die Intervention der Verteidiger Zschäpes für mehrere Stunden unterbrochen.
Solche Manöver sind in Hauptverhandlungen selten, im hochgradig konfliktbeladenen NSU-Prozess erscheinen sie allerdings logisch. Zschäpes Verteidiger waren bereits mehrfach mit Opferanwälten aneinandergeraten. Die Angeklagte selbst hat sich zudem geweigert, nach ihrer Einlassung zu den Tatvorwürfen auch Fragen der Nebenkläger und ihrer Anwälte zu beantworten.
Polizei verdächtigte jahrelang die Opfer
Bereits am Mittwoch hatten Heer und Stahl mehrmals Daimagülers Vortrag beanstandet. Die beiden Verteidiger Zschäpes finden jedoch kaum Unterstützung. Am Mittwoch wie nun auch am Donnerstag bekam Daimagüler sogar Rückendeckung von der Bundesanwaltschaft, obwohl er sie im Plädoyer bereits mit schweren Vorwürfen eingedeckt hatte. Es gebe keine Zweifel daran, „dass sich die Ausführungen im Rahmen des Zulässigen bewegen“, sagte Oberstaatsanwalt Jochen Weingarten. Der Vertreter der Nebenklage habe das Recht, „die zuständigen Ermittlungsbehörden scharf zu kritisieren“. Daimagüler verweist im Plädoyer darauf, dass die Polizei nach den Morden an den Türken jahrelang die Opfer und ihre Familien verdächtigte, selbst in kriminelle Machenschaften verwickelt zu sein.
Andere Opferanwälte warfen Zschäpes Verteidigern vor, sie wollten die Wirkung von Daimagülers Plädoyer zerstören. „Ihr Reinreden ist nicht nur rechtswidrig, sondern ungehörig, es ist respektlos“, monierte der Berliner Opferanwalt Sebastian Scharmer. Auch ein Verteidiger des Angeklagten Carsten S. stellte sich an die Seite Daimagülers. „Die Beanstandungen erfolgen völlig grundlos“, sagte der Kölner Anwalt Jacob Hösl. Er bat den Strafsenat, das „in aller Deutlichkeit auszuführen“.
Verteidiger intervenieren erneut
Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl tat das dann auch, konnte aber zunächst die Fortsetzung des Plädoyers nicht erreichen. Götzl verkündete in dem von Heer und Stahl beantragten Gerichtsbeschluss, einem Verfahrensbeteiligten solle bei seinem Schlussvortrag „größtmöglicher Freiraum gelassen werden“. Es sei in Daimagülers Plädoyer „keine Weitschweifigkeit zu sehen, auch keine Herabsetzung von Personen“. Die Ordnung der Sitzung werde nicht beeinträchtigt, sagte Götzl. Doch Zschäpes Verteidiger intervenierten erneut.
Heer, Stahl und ihre Kollegin Anja Sturm verlangten eine Unterbrechung, um eine Gegenvorstellung zum Beschluss des Strafsenats zu formulieren. Zwei Stunden später trug Sturm den Inhalt des Papiers vor. Sie hielt Götzl vor, er entziehe sich seiner „Sachleitungspflicht“, indem er Daimagülers Ausführungen „in dieser allgemeinen Art“ zulasse. Und das Plädoyer eines Nebenkläger unterliege engeren Grenzen als dem eines Angeklagten. Der Strafsenat akzeptierte jedoch auch die Gegenvorstellung nicht. Mehr als vier Stunden nach seinen ersten Worten am Vormittag konnte Daimagüler sein Plädoyer fortsetzen. Er äußerte sich erneut ausführlich zum Thema Rassismus und sprach im Zusammenhang mit den Ermittlungen zu den Morden des NSU an acht Migranten türkischer und griechischer Herkunft von einer „Kernschmelze des Rechtsstaats“.
Außerdem übt er scharfe Kritik am Verfassungsschutz. Dieser habe rechtsextreme V-Leute gefördert und damit unter anderem in Thüringen den Aufbau von Neonazi-Strukturen gefördert. Daimagüler fragt auch, ob der NSU mit Geld des Thüringer Verfassungsschutzes die Pistole Ceska 83 gekauft haben könnte. Die Waffe hatten Böhnhardt und Mundlos bei den Morden an den Migranten eingesetzt. Angesichts der mehrstündigen Blockade wird Daimagüler mit seinem Plädoyer nicht fertig und soll es kommenden Dienstag fortsetzen.