100 Tage NSU-Prozess: Thomas Bliwier: „Es ist grauenvoll“
Nebenklage-Anwalt Thomas Bliwier ist zufrieden mit dem Prozessverlauf und dem Vorsitzenden Richter. Für Entsetzen sorgt bei ihm der "absolute Vernichtungswille" der Täter.
Wie fühlen Sie sich nach bald 100 Tagen NSU-Prozess?
Gut. Der Prozess schreitet zügig voran. Es war für mich aus jahrelanger Tätigkeit vor Gericht absehbar, dass ich ein Mammutverfahren vor mir haben würde. Es braucht eben Zeit, ein derart komplexes Tatgeschehen aufzuklären.
Wie ertragen Sie die Bilder der getöteten Opfer?
Schwer. Besonders grauenvoll ist der absolute Vernichtungswille, mit dem die Täter des NSU ihre Opfer getötet haben. Dies kommt in den Bildern immer wieder zum Ausdruck.
Welcher Verhandlungstag war für Sie der härteste?
Es waren die beiden Tage im Oktober, an denen die Eltern von Halit Yozgat selbst das Wort ergriffen haben. Als Herr Yozgat im Gerichtssaal demonstriert hat, wie er seinen sterbenden Sohn gefunden hat und Frau Yozgat einen direkten Appell an Frau Zschäpe gerichtet hat, endlich auszusagen und mit ihrem Wissen den Sachverhalt aufzuklären.
Im Prozess wird ab und zu auch gelacht. Stört Sie das oder lachen Sie
mit?
Das hängt davon ab. Natürlich gibt es in dem Prozess auch unfreiwillig komische Momente. Das ist nur menschlich. Dies relativiert nicht den Respekt vor den Opfern.
Hat die Hauptverhandlung Ihr Leben und das Ihrer Angehörigen verändert?
Der Prozess nimmt einen großen Raum in meinem Leben ein. Das liegt natürlich schon an der zeitlichen Belastung, aber auch an dem Prozessgegenstand. Ich werde auch privat ständig auf das Verfahren angesprochen. Das Interesse an diesem gesellschaftlich so wichtigen Verfahren ist überall sehr groß. Dies führt aber auch zu einer praktisch pausenlosen Beschäftigung mit dem Prozess
Was hat die Beweisaufnahme bislang gebracht? Wo steht der Prozess?
Das lässt sich angesichts der Komplexität hier nicht beantworten. In Hinblick auf die zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklage haben sich aber keine Überraschungen ergeben. Ich möchte aber mein Plädoyer hier nicht vorwegnehmen.
Haben Sie den Eindruck, der Vorsitzende Richter Manfred Götzl ist der Dimension des Verfahrens gewachsen?
Ohne jede Einschränkung: Ja.
Halten Sie es beim jetzigen Stand der Hauptverhandlung für wahrscheinlich, dass Beate Zschäpe und die vier Mitangeklagten
verurteilt werden?
Das Urteil wird das Oberlandesgericht sprechen. Der Respekt vor dem Gericht verbietet an dieser Stelle eine entsprechende Aussage zum Ausgang des Verfahrens. Ich werde mich im Rahmen der Plädoyers zu dieser Frage äußern.
Welche Lehren ziehen Sie für sich und Ihre Arbeit aus dem Prozess?
Man muss in jedem Prozess konsequent, engagiert und mit der gebotenen Härte die Interessen der Mandanten vertreten und den Prozess aktiv durch Beweisanträge und Stellungnahmen gestalten. Natürlich ist das keine neue Erkenntnis, insofern ist dieser Prozess ein Prozess wie jeder andere.
Haben Sie noch Kraft für weitere 100 Tage?
Als ehemaligen Marathonläufer schrecken mich auch weitere 200 Verhandlungstage nicht. Ich verlange für die Familie Yozgat eine vollständige Aufklärung der Umstände, die zum Tod ihres Sohnes geführt haben. Dieses Anliegen gibt mir genug Kraft. Es ist dann gleichgültig, wie viele Tage das Verfahren dauert.
Thomas Bliwier ist Rechtsanwalt in Hamburg. Er vertritt mit Kollegen die Nebenklage der Familie Yozgat.