NSU-Prozess -125. Prozesstag: Seltsame Verwandte
Im NSU-Prozess hat am Mittwoch der ältere Bruder von Uwe Böhnhardt ausgesagt. Der Zeuge setzte die Serie befremdlicher Aussagen von Angehörigen der toten Mörder Böhnhardt und Mundlos fort.
Als sei er gerade von einem Strand gekommen, präsentierte sich Jan Böhnhardt den Richtern. Weißes, poppig bedrucktes T-Shirt, weiße Shorts mit Cargotaschen, weiße Socken, schwarze Sneaker – der bullige Mann mit dem kahl rasierten Schädel trat am Mittwoch im im NSU-Prozess am Oberlandesgericht München betont unbekümmert auf. Obwohl ihm klar war, dass er sich zu einer tragischen Familiengeschichte äußern musste. Zur Biografie seines toten Bruders, des rechtsextremen Mörders Uwe Böhnhardt, der gemeinsam mit Uwe Mundlos zehn Menschen erschossen und weitere Verbrechen begangen hat. Jan Böhnhardt jedoch begann im Plauderton. Er habe zu seinem Bruder einen „Superkontakt“ gehabt, „er war ja ein kleiner, aufgeweckter Junge“. Und dann sei er „irgendwann ausgerissen“.
Irgendwann ausgerissen. Uwe Böhnhardt war im Januar 1998 mit Uwe Mundlos und Beate Zschäpe untergetaucht, als die Polizei in Jena eine von Zschäpe gemietete Garage durchsuchte, in der sich ein amateurhaftes Sprengstofflabor befand. Fast 14 Jahren blieben die drei verschwunden. In der Zeit sollen sie laut Anklage die Terrorgruppe NSU gebildet und eine Blutspur durch die Republik gezogen haben.
Befremdliche, bedrückende Auftritte von Familienangehörigen
Bei Jan Böhnhardt klang es so, als sei bei seinem acht Jahre jüngeren Bruder nur etwas schief gegangen. „Ich hatte nicht den Eindruck, dass es so schlimm war“, als Uwe in die rechte Szene „reingerutscht“ sei, sagte der 44-jährige Kraftfahrer. Und sein Bruder habe ihn nie bedrängt, auch rechtsextrem zu werden, „er hat mich in nichts reingezogen“. Zur Liebesbeziehung von Uwe und Beate Zschäpe fiel Jan Böhnhardt ein, „er hat sie nicht geschlagen, sie ihn auch nicht, ganz normal, wie ein Pärchen halt“.
So setzte Jan Böhnhardt die Serie befremdlicher, auch bedrückender Auftritte von Familienangehörigen der beiden toten Uwes fort. Im November 2013 hatte Mutter Brigitte Böhnhardt im Gericht über den Umbruch nach dem Ende der DDR lamentiert, auf böse West-Nazis geschimpft - und sich bei Beate Zschäpe dafür bedankt, dass sie bei ihr am Tag nach dem Tod der beiden Uwes angerufen hatte. Vater Böhnhardt wirkte überfordert, wenn nicht gebrochen, als er im Januar sagte, er hätte Uwe mal „eine ordentliche Ohrfeige“ geben sollen. Über Uwes Freundin Beate Zschäpe sagte Jürgen Böhnhardt, sie sei bereit gewesen, „was zu lernen, was eine Frau machen muss, kochen, backen“. Das Gelächter im Saal schien den Vater nicht zu stören.
Jeder hat sich eine Art mentales Kostüm zurecht gelegt
Aggressiv trat im Dezember 2013 Siegfried Mundlos auf. Er nannte seinen mörderischen Sohn Uwe „extrem ehrlich“ und beleidigte den Vorsitzenden Richter Manfred Götzl als „kleiner Klugsch. . .“ Mutter Ilona Mundlos berichtete im April nahezu atemlos, wie sie sich um ihren zweiten, behinderten Sohn kümmert und dass sie eigentlich mit der Arbeit in der Kaufhalle verheiratet war. Aber dafür hatte sie Sohn Uwe seine erste Bomberjacke geschenkt und schwarz-rot-goldene Hosenträger. Die Mutter von Beate Zschäpe hingegen hat die Aussage verweigert. Auch die für diesen Donnerstag geladene Großmutter wird nicht kommen, weil sie krank ist und weil sie sich generell im Prozess nicht äußern will. Die Angehörigen der beiden Uwes scheinen da weniger Probleme zu haben. Jeder hat sich offenbar eine Art mentales Kostüm zurecht gelegt, dass der Öffentlichkeit präsentiert werden soll. Bei Jan Böhnhardt ist es offenbar der coole Trucker, der nur soviel rauslässt, wie er will. Soll der Richter fragen, was ihm einfällt.
„Bei mir zuhause musste er die Stiefel ausziehen“
Manfred Götzl wollte wissen, ob der Zeuge eine Orientierung zur Gewalt bei Bruder Uwe mitbekommen hatte. Jan Böhnhardt: „Mir war nicht aufgefallen, dass er jemanden verhauen hatte“, außerdem sei Uwe nie mit Schürfwunden zu ihm gekommen. Zur politischen Einstellung des Bruders meinte Jan Böhnhardt, „er hat gesagt, dass ihm vieles nicht gefällt in Deutschland, mit Ausländern, na ja“. Und ihm selbst, ergänzte der Zeuge, gefalle auch vieles nicht, „was mit Deutschen zu tun hat“. Aber er selbst sei keineswegs ein Rechter. Vielmehr sei er dagegen gewesen, dass Bruder Uwe in die Szene ging, „bei mir zuhause musste er die Stiefel ausziehen“.
Dass die Eltern die drei Untergetauchten noch heimlich trafen, will Jan Böhnhardt erst im Nachhinein erfahren haben. Vor zehn oder zwölf Jahren hätten seine Eltern gesagt, „ich soll mich damit abfinden, dass ich ihn so schnell nicht wieder sehe“. Später teilten ihm die Eltern auch mit, sie hätten Uwe enterbt. Um möglichen finanziellen Probleme vorzubeugen, die der verschwundene Sohn verursachen könnte. Am Vormittag war im Prozess auch um Geld gegangen. Allerdings so, dass sich die Verteidiger von Beate Zschäpe in ihrer Kritik an der Anklage punktuell bestätigt sehen können. Nach der Aussage eines Polizisten erscheint es fraglich, dass Zschäpe als eine Art Finanzchefin der Terrorzelle aufgetreten ist. Die Bundesanwaltschaft wirft der Hauptangeklagten vor, sie habe die Gelder des NSU verwaltet. Das ist eines der gravierenden Argumente, mit denen in der Anklage begründet wird, Zschäpe sei die Mittäterin bei allen Verbrechen der rechtsextremen Terrorzelle gewesen. Der Polizist jedoch berichtete von der Aussage eines mutmaßlichen Helfers von Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, in der mit Blick auf die Finanzen des NSU ein anderer Eindruck erweckt wird.
Matthias D. schweigt im Gericht
Demnach hat Uwe Mundlos nacheinander für zwei Wohnungen in Zwickau die Mietverträge und Abrechnung von Kosten geregelt. In den Räumen hatten Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt vom Frühjahr 2001 bis zum Ende des NSU im November 2011 unter falschen Namen gelebt. Der mutmaßliche Helfer Matthias D. soll die Wohnungen für die drei Untergetauchten gemietet und mit Mundlos einen Untermietvertrag geschlossen haben. Matthias D. weigerte sich am Mittwoch im Gericht, als Zeuge auszusagen, da die Bundesanwaltschaft ihn als Beschuldigten im NSU-Komplex führt. Die Richter hatten offenbar geahnt, dass Matthias D. schweigen würde und ebenfalls für Mittwoch einen Polizeibeamten aus Zwickau geladen. Er hatte Matthias D. am 6. November 2011 vernommen. Der mutmaßliche Helfer von Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe hatte sich über einen Anwalt bei der Polizei gemeldet, nachdem am 4. November 2011 die von ihm gemietete Wohnung in der Zwickauer Frühlingsstraße 26 in Flammen aufgegangen war. Zschäpe hatte die Räume in Brand gesteckt, nachdem Mundlos und Böhnhardt am selben Tag in Eisenach ihrem Leben ein Ende gesetzt hatten.
Uwe Mundlos nutzte Aliasnamen
Der Polizist berichtete ausführlich, was Matthias D. am 6. November 2011 ausgesagt hatte. Matthias D. will über seinen langjährigen Kumpel André E. – er ist einer der Angeklagten im NSU-Prozess - in Kontakt zu einem „Max-Florian Burkhardt“ gekommen sein. Der habe eine Wohnung gesucht, aber wegen Schulden und entsprechender Auskünfte der Schufa keine Räume mieten können. Max-Florian Burkhardt war der Name eines weiteren, mutmaßlichen Helfers der Terrorzelle. Uwe Mundlos nutzte dessen Identität als Aliasnamen.
Matthias D. soll eine Wohnung in der Zwickauer Polenzstraße gemietet und sie an „Burkhardt“ untervermietet haben. Dem Polizisten erzählte Matthias D. im November 2011 auch, er selbst habe ein Zimmer in der Wohnung gehabt. Die Mitbewohner wollte Matthias D. nur als jenen „Max-Florian Burkhardt“ sowie „Gerri“ und „Liese“ gekannt haben. „Gerri“ war ein Aliasname von Uwe Böhnhardt, Zschäpe nannte sich auch nach Angaben weiterer Zeugen „Liese“. Die Mietzahlungen habe „Burkhardt“ übernommen, sagte Matthias D. dem Polizeibeamten. Und Matthias D. gab an, er habe überschüssige Betriebskosten, die auf sein Konto vom Vermieter überwiesen wurden, abgehoben und „Burkhardt“ gebracht. Zschäpe erwähnte Matthias D. in seiner Aussage nur indirekt, wenn er über „die Drei“ sprach.
Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt beklagen sich über „Hartz-IV-Mieter“
Im Frühjahr 2008 zogen Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt in die Frühlingsstraße 26. Der Polizist zitierte Matthias D. mit einem makaberen Anlass für den Umzug. Das Umfeld in der Polenzstraße habe „den Dreien“ nicht mehr gepasst. Angesichts der „Hartz-IV-Mieter“ hätten sie sich dort nicht mehr wohl gefühlt. Eine ehemalige Nachbarin der Drei aus der Polenzstraße hat allerdings im Prozess angegeben, als es ihr an Geld mangelte, habe Zschäpe alias „Liese“ für sie Einkäufe bezahlt. In der neuen Wohnung, berichtete Matthias D. dem Beamten, habe er zudem auf Bitten der Drei einen Internet-Anschluss auf seinen Namen installieren lassen. Das Geld dafür habe er von „Burkhardt“ bekommen.
Ob die Angaben von Matthias D. alle stimmen, ist allerdings fraglich. In der Aussage stimmte eine Jahreszahl nicht, außerdem halten es Ermittler für denkbar, Matthias D. habe schon gewusst, auf was er sich bei der Hilfe für die Drei einließ. Zschäpes Verteidiger Wolfgang Stahl äußerte allerdings in einer Erklärung nach der Aussage des Polizisten harte Kritik an der Bundesanwaltschaft. Sie werfe Zschäpe vor, das Geld der Drei verwaltet zu haben - ohne zu berücksichtigen, dass die jahrelange „Anmietung von Wohnraum“ und die Verwaltung von Geldern über Mundlos alias „Burkhardt“ gelaufen seien. „Ich kann nicht verstehen, wie man das machen kann“, rief Stahl den drei Vertretern der Bundesanwaltschaft zu.