zum Hauptinhalt
Ihr Plädoyer hat Substanz: Die Altverteidiger Wolfgang Stahl (rechts), Wolfgang Heer und Anja Sturm.
© Matthias Schrader/dpa

Plädoyer im NSU-Prozess: Zschäpes Altverteidiger sieht „Feindstrafrecht“ am Werk

War Beate Zschäpe bei allen Verbrechen des NSU eine Mittäterin? Wolfgang Stahl seziert die Argumentation der Bundesanwaltschaft - und wirft ihr mangelnde Empathie vor.

Die Anwälte sind gedemütigt, dennoch zeigen sie vollen Einsatz für ihre Mandantin. Am Dienstag plädiert im NSU-Prozess am Oberlandesgericht München auch Wolfgang Stahl, der zweite Altverteidiger von Beate Zschäpe, mit Akribie und Ausdauer. Dass Zschäpe ihn wie seine Kollegen Wolfgang Heer und Anja Sturm im Sommer 2015 verstoßen hat, lässt sich Stahl nicht anmerken. Genauso wenig wie schon Heer, der vergangene Woche drei Tage lang den ersten Part des gemeinsamen Plädoyers vorgetragen hat.

Stahl seziert nun den Vorwurf der Bundesanwaltschaft, Zschäpe sei bei allen Verbrechen des NSU die Mittäterin gewesen. Obwohl ihr nicht nachzuweisen ist, bei einem der zehn Morde, der zwei Sprengstoffanschläge oder der 15 Raubüberfälle am Tatort gewesen zu sein. Aus Sicht von Stahl praktiziert die Bundesanwaltschaft gegenüber Zschäpe ein „Feindstrafrecht“.

Der Verteidiger spricht von einer „ausgenommen subjektiven und von fehlender Empathie für die individuelle Situation von Frau Zschäpe“ geprägten Sicht der Ankläger. Für den Anwalt ist die Bundesanwaltschaft auf die „Grundprämisse“ festgenagelt, „wer über so lange Zeit mit Verbrechern zusammenlebt, muss selbst Verbrecher sein“.

Zschäpe war im Januar 1998 gemeinsam mit den späteren Mördern Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos aus Jena abgetaucht. Erst im November 2011 endete die Zeit in der Illegalität, als die beiden Männer sich nach einem Banküberfall in Eisenach erschossen, um einer Festnahme durch nahende Polizisten zu entgehen. Zschäpe zündete die gemeinsame Wohnung in Zwickau an, setzte sich ab und stellte sich vier Tage später der Polizei in Jena.

Fingerabdrücke wertet Stahl als entlastend - weil es wenige waren

Für Stahl reichen die Indizien nicht aus, die die Bundesanwaltschaft als Belege für die Mittäterschaft nennt. Der Verteidiger nennt unter anderem den Vorwurf der Ankläger, Zschäpe habe daran mitgewirkt, für den NSU ein Archiv mit Pressemeldungen zu den Anschlägen der Terrorzelle zu erstellen. Doch bei den im Brandschutt der von Zschäpe angezündeten Wohnung in Zwickau gefundenen 68 Zeitungsartikeln seien nur zwei Fingerabdrücke der Angeklagten und eine DNA-Mischspur gefunden worden, sagt Stahl.

Die geringe Anzahl sieht er für Zschäpe vielmehr als entlastend an. Und keineswegs als Beweis für den Vorwurf der Bundesanwaltschaft, die Angeklagte sei an der Produktion der Bekenner-DVD des NSU beteiligt gewesen. In einer frühen Version des berüchtigten Videos wird einer der beiden Zeitungsartikel gezeigt, auf dem Zschäpe einen Fingerabdruck hinterlassen hatte.

Ähnlich argumentiert Stahl zu weiteren Vorwürfen der Bundesanwaltschaft. Die Indizien für eine Mitwirkung an der Beschaffung von Waffen und die Rolle als „Kassenwart des NSU“ erscheinen ihm viel zu schwach. Und Zschäpes Lügengeschichten gegenüber Nachbarn über sich selbst, Böhnhardt und Mundlos hält Stahl für „denklogisch“, um auf der Flucht vor den Strafverfolgungsbehörden anonym bleiben zu können.

Einen Beitrag zu Morden, Sprengstoffanschlägen und Raubüberfällen kann Stahl auch da nicht erkennen. Er zitiert zudem demonstrativ aus negativen Entscheidungen des 3. Strafsenats des Bundesgerichtshofs zu Gerichtsurteilen, in denen es um die Mittäterschaft von Angeklagten ging. Die Richter in Karlsruhe werden sich wahrscheinlich auch nach dem Urteil im NSU-Prozess mit der zu erwartenden Revision von Verteidigern befassen.

Zum Plädoyer der neuen Verteidiger geht er auf Abstand

Zum Schluss lässt Stahl erkennen, was er vom Plädoyer der neuen Verteidiger Zschäpes hält. Er wendet sich gegen den Antrag von Hermann Borchert und Mathias Grasel, Zschäpe wegen psychischer Beihilfe zu den 15 Raubüberfällen zu verurteilen. Eine Strafbarkeit Zschäpes könnte, wenn überhaupt, nur bei der ersten Tat festgestellt werden, sagt Stahl. Das generelle „Einverstandensein“ mit der Begehung weiterer Raubtaten „genügt zur Annahme jeweils eigenständiger Beihilfehandlungen nicht“.

Zschäpe hatte in ihrer von Borchert formulierten Einlassung zugegeben, die Überfälle gebilligt zu haben, weil mit der Beute das Leben im Untergrund finanziert wurde. Borchert und Grasel baten dann bei ihrem Plädoyer im April den Strafsenat, Zschäpe zu höchstens zehn Jahren zu verurteilen. Stahl und die beiden weiteren Altverteidiger hingegen fordern die sofortige Freilassung der Angeklagten aus der Untersuchungshaft und nur eine Strafe für die Brandstiftung in Zwickau.

Zschäpe hört bei Stahls Plädoyer zu, manchmal beobachtet sie den Anwalt kurz von der Seite. So war es vergangene Woche auch beim Schlussvortrag von Wolfgang Heer. Was die Frau denkt, bleibt unklar. Abneigung gegen ihre geschassten Anwälte ist allerdings nicht zu erkennen. Auch Zschäpe dürfte wahrnehmen, dass das Plädoyer von Heer, Stahl und Sturm mehr Substanz hat als der Vortrag, den Borchert und Grasel gehalten haben. Anja Sturm wird von diesem Mittwoch an den letzten Teil des Plädoyers der drei Altverteidiger präsentieren.

Frank Jansen

Zur Startseite