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Beamte der Spurensicherung arbeiten am 25.04.2007 in Heilbronn, wo die Polizistin Michèle Kiesewetter getötet wurde.
© dpa

NSU-Prozess - 230. Tag: Eine blutverschmierte Jogginghose als wichtige Spur

Einem Gutachten im NSU-Prozess zufolge klebt an einer Jogginghose das Blut der toten Polizistin Michèle Kiesewetter - aufbewahrt wohl als Trophäe.

Das Asservat ist gruselig und verleitet zu einer zynisch anmutenden Interpretation. In dem mutmaßlich von Beate Zschäpe am 4. November 2011 angezündeten Haus in Zwickau fand die Polizei eine graue Jogginghose, an dem Blut der in Heilbronn erschossenen Polizistin Michèle Kiesewetter klebte. "Das weibliche DNA-Muster stimmte mit den Merkmalen von Michèle Kiesewetter überein", sagte am Mittwoch ein Sachverständiger des Bundeskriminalamts im NSU-Prozess am Oberlandesgericht München. Der BKA referierte beim 230. Prozesstag ein Gutachten zu zahlreichen DNA-Spuren im NSU-Komplex, das Blut an der Jogginghose ist eine der wichtigsten.

Es war vermutlich Uwe Mundlos, der Michèle Kiesewetter in den Kopf schoss

Da sich in den Hosentaschen zwei Papiertaschentücher mit "Antragungen" des NSU-Mörders Uwe Mundlos fanden, wie der Sachverständige sagte, ist im Prozess nun ein weiteres Indiz eingeführt, mit dem sich der Mord an Kiesewetter der rechtsextremen Terrorzelle zuordnen lässt. Laut Anklage waren es Mundlos und sein Komplize Uwe Böhnhardt, die am 25. April 2007 auf der Heilbronner Theresienwiese auf Kiesewetter und ihren Kollegen Martin A. schossen.

Die beiden Beamten saßen in einem Streifenwagen. Mutmaßlich Mundlos schoss Kiesewetter in den Kopf, Böhnhardt feuerte auf den zweiten Polizisten. Kiesewetter starb am Tatort, Martin A. überlebte wie durch ein Wunder den Schuss, der seinen Kopf traf. Dass der Jogginghose in Zwickau noch viereinhalb Jahre nach dem Mord an Kiesewetter deren Blut anhaftete, interpretieren Ermittler als Hinweis auf den Hass der Neonazis auf die Polizei.

Beweise für die Theorie gibt es nicht, dennoch erscheint sie plausibel

Die Hose sei vermutlich nie gewaschen worden, weil Mundlos sie als "Trophäe" aufbewahrt habe, heißt es. Beweise für die Theorie gibt es nicht, dennoch erscheint sie plausibel. Im Bekennervideo des NSU, in dem die Comicfigur Paulchen Panther die Morde und Sprengstoffanschläge der Terrorzelle "präsentiert", werden die Schüsse auf Kiesewetter und ihren Kollegen gefeiert. Als Beutestück wird die Dienstpistole von Martin A. gezeigt. Mundlos und Böhnhardt hatten den beiden Polizisten die Waffen, Handschellen und weitere Gegenstände abgenommen.

Beate Zschäpe zündete mutmaßlich die Wohnung der Komplizen an

Die Dienstpistolen fand die Polizei in Eisenach in dem ausgebrannten Wohnmobil, in dem sich Mundlos und Böhnhardt am 4. November 2011 umgebracht hatten. Die beiden hatten zuvor eine Filiale der Sparkasse in der Stadt beraubt. Als die Polizei die Terroristen aufspürte, die in dem Wohnmobil die Alarmfahndung nach dem Überfall auf das Bankinstitut abwarten wollten, erschoss Mundlos erst Böhnhardt und dann sich selbst. Etwa drei Stunden später zündete mutmaßlich Zschäpe die Wohnung in der Zwickauer Frühlingsstraße an, in der sie mit den beiden Mördern gelebt hatte.

Auf den sichergestellten Pistolen von Kiesewetter und Martin A. hätten sich „Mischspuren“ von DNA, die Mundlos und Böhnhardt zuzuordnen war, sagte der Gutachter des BKA. Das gilt auch für weitere Waffen und eine Handgranate. Bei keinem dieser Asservate nannte der Sachverständige hingegen die Hauptangeklagte Zschäpe als Verursacher einer Spur. So bleibt offen, ob sie die Dienstpistolen aus Heilbronn und weitere Waffen jemals in der Hand hatte. Andererseits ist nicht auszuschließen, dass zumindest ein Revolver von einer Person angefasst wurde, die mit dem NSU in Verbindung stand – und bis heute nicht ermittelt ist. Bei der Waffe gebe es am Lauf und an der Trommel „Merkmalsmuster einer unbekannten Person“, sagte der Sachverständige. Seine Angaben nähren den Verdacht, die Terroristen könnten von Komplizen unterstützt worden sein, die immer noch unbehelligt herumlaufen. Und das ist nur ein Teil des Problems. Den Sicherheitsbehörden ist es auch fast vier Jahre nach dem Ende des NSU noch nicht gelungen, bei allen Waffen der Terrorzelle zu klären, woher sie stammen und wer sie geliefert hat.

Wenig angenehm sind die Untersuchungen zu den DNA-Spuren im NSU-Komplex auch für die Ehefrau des Angeklagten André E. Beide sollen die Terroristen unterstützt haben, gegen Susann E. ist ebenfalls ein Verfahren anhängig. Bei einem der Schuhe, die Zschäpe offenbar in den Tagen ihrer Flucht nach dem Brand in Zwickau trug, entdeckte die Polizei eine „Anhaftung“ von Susann E. Auch das kam am Mittwoch zur Sprache. Am Ende des Verhandlungstages beklagte Nebenklage-Anwalt Sebastian Scharmer in einer Pressemitteilung, dass die Bundesanwaltschaft keine Einsicht in die Akten des Verfahrens gegen Susann E. gewähre. Und es bleibe unklar, „ob jemals eine Anklage erhoben wird“. André E. und Zschäpe sagten am Mittwoch wie an den 229 Prozesstagen zuvor in der Verhandlung kein Wort.

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