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NSU-Prozess gerät ins Stocken: Tritt auf die Bremse

Im NSU-Prozess drängt der Vorsitzende Richter auf Eile, doch die Beweisaufnahme gerät zunehmend ins Stocken. Besonders deutlich wurde das am Mittwoch bei der Befragung eines wichtigen Zeugen, der einem der Angeklagten die spätere Mordwaffe verkauft haben soll.

Der NSU-Prozess gerät offenbar in eine schwierige Phase. Trotz wenig ergiebiger Aussagen werden einige Zeugen stundenlang befragt, andere müssen dann auf neue Termine verteilt werden – so lässt  das Tempo der Beweisaufnahme spürbar nach. Am Mittwoch gab es wieder ein eklatantes Beispiel. Der 6. Strafsenat des Oberlandesgerichts München brach die Befragung von Andreas S. ab, bevor sie richtig begonnen hatte. Andreas S. ist ein wichtiger Zeuge: Der frühere Mitarbeiter des rechten Szeneladens „Madley“ in Jena hatte gegenüber der Polizei zugegeben, dem Angeklagten Carsten S. die Pistole Ceska 83 verkauft zu haben, mit der Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt neun Migranten erschossen. Carsten S. hatte die Waffe Anfang 2000 in Chemnitz an Mundlos und Böhnhardt übergeben.

Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl brach die Vernehmung  von Andreas S. ab, als der Zeuge die Frage bejahte, er wolle sich einen Anwalt als Zeugenbeistand suchen. Götzl hatte zunächst nur den Mann belehrt, er könne die Antwort auf einzelne Fragen verweigern, wenn er sich selbst belasten würde, von einem Zeugenbeistand war keine Rede. Da hakte ein Verteidiger des mitangeklagten Ex-NPD-Funktionärs Ralf Wohlleben ein, scheinbar zugunsten von Andreas S.

Gegen ihn ist allerdings kein Verfahren anhängig, die illegale Weitergabe der Ceska 83 an Carsten S. hält die Bundesanwaltschaft strafrechtlich für verjährt. Aus ihrer Sicht kann Andreas S. nicht vorgehalten werden, an der Mordserie mitschuldig zu sein, da dem Zeugen keine Kenntnis der Pläne des NSU nachzuweisen ist. Doch gleich zu Beginn der Befragung von Andreas S. intervenierte Wohllebens Verteidiger Olaf Klemke  – und trug offenbar dazu bei, den vermutlich aussagewilligen Andreas S. zu verunsichern.

Der Verteidiger Olaf Klemke forderte, Götzl müsse den Zeugen auf sein Recht zur Verweigerung der kompletten Aussage hinweisen und ihm zudem anbieten, sich einen Anwalt als Beistand zu nehmen. Aus Sicht Klemkes kann Andreas S. vor Gericht schweigen, da nicht auszuschließen sei, dass wegen des Verkaufs der Ceska 83 doch noch ein Verfahren gegen den Zeugen in Gang komme. Klemkes Engagement ist offenbar nicht nur reine Menschenfreundlichkeit. Andreas S. hat gegenüber der Polizei Klemkes Mandanten Wohlleben belastet. Der soll die Beschaffung der Waffe eingefädelt haben.

Würde Andreas S. im Prozess die Aussage verweigern, womöglich auf den Rat eines eigenen Anwalts hin, würde Wohlleben von diesem Zeugen nicht belastet – zunächst. Der Strafsenat könnte dann die Polizeibeamten als Zeugen laden, die Andreas S. vernommen hatten. So würden seine Angaben doch noch in den Prozess eingeführt. Allerdings mit zeitlicher Verzögerung. Was sich Klemke davon versprechen könnte, blieb unklar.

Nach längerer Beratung mit den anderen Richtern belehrte Götzl entsprechend Andreas S., der prompt ankündigte, sich einen Anwalt als Zeugenbeistand suchen zu wollen. Damit war die Befragung schon wieder vorbei. Götzl bat Andreas S., bis kommenden Montag einen Anwalt zu benennen. Ob Andreas S. das schafft, ist offen.

So verlangsamt sich die Beweisaufnahme weiter, obwohl Richter Götzl häufig auf das „Beschleunigungsgebot“ pocht. Andererseits befragt auch er selbst über Stunden hinweg Zeugen, obwohl sie  kaum mehr als Erinnerungslücken präsentieren. So war es in der vergangenen Woche, als Frank L., der frühere Chef von Andreas S. im Szeneladen Madley, auf Fragen zur  Weitergabe der Ceska 83 meist nur Antworten wie „weiß ich nicht“ und „ich wollte es auch gar nicht wissen“ von sich gab.

Ähnlich wortkarg und ahnungslos gab sich am Dienstag die Zeugin Silvia S. Sie hatte 2006 ihre AOK-Karte für 300 Euro dem Angeklagten Holger G. verkauft. Der reichte die Karte an Beate Zschäpe weiter, als sie im Untergrund mutmaßlich unter Zahnschmerzen litt und einen Arzt benötigte. Wegen der langwierigen Befragung von Silvia S. sah sich der Strafsenat gezwungen, mehrere Zeugen wieder auszuladen, darunter die Mutter des NSU-Mörders Uwe Böhnhardt. Sie soll nun kommenden Dienstag aussagen. Wenn der Zeitplan nicht noch mehr durcheinander gerät.

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