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215. Verhandlungstag im NSU-Prozess: Hinweise auf "drei sächsische Skinheads" blieben zu wenig beachtet

Es war ein Novum im NSU-Prozess: Bei der Aussage eines brandenburgischen Verfassungsschutz-Mitarbeiters wurden Publikum und Medien ausgeschlossen.

Der Zeuge aus dem Brandenburger Innenministerium verhüllte seinen Kopf mit einer Kapuze, antwortete knapp und sagte auch inhaltlich wenig. Dennoch kam es am Mittwoch im NSU-Prozess am Oberlandesgericht München zu einer makaberen Premiere. Auf Antrag der Verteidiger des Angeklagten Ralf Wohlleben schloss der 6. Strafsenat am Nachmittag die Öffentlichkeit von der weiteren Befragung des Beamten aus, der im Verfassungsschutz einen V-Mann geführt hatte. Erstmals in der nun schon mehr als zwei Jahren dauernden Hauptverhandlung mussten Journalisten und Zuschauer ihre Sachen packen und die Tribüne des Saales A 101 verlassen.

Warum Wohllebens Anwälte bei ihren Fragen keine öffentlichen Zuhörer dabei haben wollten, blieb unklar. Der Zeuge war bereits stundenlang und mit magerem Ertrag dazu befragt worden, was er 1998 als V-Mann-Führer von dem Spitzel Carsten Sz. alias „Piatto“ über die untergetauchten Rechtsextremisten Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe erfahren hatte. Die Geschichte, um die es geht, klingt allerdings brisant.

Carsten Sz. war in den 1990er Jahren mit viel Eifer in der rechten Szene aktiv. Im Sommer 1998 berichtete er seinem V-Mann-Führer, „drei sächsische Skinheads“, zwei Männer und eine Frau, seien wegen Straftaten auf der Flucht und wollten sich nach Südafrika absetzen. Die Rechtsextremistin Antje P. aus Sachsen habe angeboten, ihren Pass für die Frau  zur Verfügung zu stellen. Und ein Jan W., ebenfalls Rechtsextremist aus Sachsen, solle Waffen für die drei Untergetauchten besorgen – damit sie sich bei einem „weiteren“ Raubüberfall Geld für die Flucht nach Südafrika beschaffen.

Die Namen der drei erfuhr Carsten Sz. aber offenbar nicht. Außerdem waren Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe weder  Skinheads noch Sachsen, sondern mehr oder minder politisierte Rechtsextreme aus dem thüringischen Jena. Dennoch waren die Angaben von Carsten Sz. wertvoll. Sie hätten die Sicherheitsbehörden auf die Spur der drei Flüchtigen bringen können. Der Brandenburger Verfassungsschutz informierte denn auch die Kollegen in Sachsen und Thüringen, doch Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe blieben auf freiem Fuß. Mit furchtbaren Folgen: Mundlos und Böhnhardt erschossen zehn Menschen und verübten mindestens zwei Sprengstoffanschläge sowie 15 Raubüberfälle. Zschäpe, Hauptangeklagte im NSU-Prozess, soll laut Bundesanwaltschaft bei allen Verbrechen die Mittäterin gewesen sein.

Als die Öffentlichkeit am Mittwoch vom Prozess ausgeschlossen war, passierte dort offenbar nicht viel. Nach Informationen des Tagesspiegels wurde in der halben Stunde erörtert, ob Prozessbeteiligte dem Brandenburger Beamten im Beisein des Publikums Vorhalte aus seinen Aussagen beim NSU-Untersuchungssausschuss des Bundestages machen können. Die Vernehmung damals war nicht öffentlich, doch die Protokolle sind nach Angaben der Bundesanwaltschaft inzwischen „offen“.

Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl ließ Zuschauer und Journalisten dann wieder herein – und beendete kurz darauf die Sitzung. Der Zeuge muss nochmal kommen und wird demnächst weiter befragt. Vermutlich auch zu einem Detail, das einige Unruhe in den Reihen der Nebenklage-Anwälte verursachte. Der Beamte hatte am Nachmittag angegeben, er habe vor dem Auftritt in München acht große Aktenordner zum Fall Carsten Sz. gesichtet. In den Unterlagen des Brandenburger Verfassungsschutzes befinden sich auch Berichte über Treffen des V-Mann-Führers mit dem Spitzel. Vom Inhalt der acht Ordner, empörten sich Anwälte, hätten sie bislang nur wenig zu sehen bekommen.

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