NSU-Prozess, Tag 68: "Mama Zschäpe" und ihre harmonische Gemeinschaft
Was eine Zeugin am 68. Prozesstag berichtet, übertrifft ähnliche Aussagen früherer Urlaubsbekanntschaften des NSU-Trios. Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos gaben sich auf Fehmarn demnach wie eine Familie.
Sie haben fast 14 Jahre im Untergrund zusammen verbracht - und sich offenbar gegenseitig ausgehalten. „Ich würde sie als Familie bezeichnen“, sagte am Mittwoch eine Zeugin im NSU-Prozess am Oberlandesgericht München, „Beate Zschäpe als Mutter, Uwe Böhnhardt als Vater und Uwe Mundlos als Kind, er war so eine Quasselstrippe“. Die kaufmännische Angestellte hatte mit ihrer Familie die drei im Sommer 2011 im Urlaub auf einem Campingplatz auf Fehmarn erlebt. Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt fuhren jahrelang im Sommer für mehrere Wochen auf die Ostseeinsel. Was die Zeugin jetzt berichtete, übertraf noch ähnliche Aussagen früherer Urlaubsbekanntschaften.
Auch andere Zeugen schilderten die drei als eine harmonische Gemeinschaft, die sich zumindest vor anderen nie stritt. Die Zeugin vom Mittwoch ging noch weiter und skizzierte eine familienartige Symbiose von Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos, die sich als „Liese“, Gerri“ und „Max“ vorstellten, ohne einen Nachnamen zu nennen. „Zschäpe hat dafür gesorgt, dass Essen für alle da ist, sie hat sich um die Wäsche gekümmert“, sagte die Frau. Wenn Mundlos später als vereinbart vom Surfen kam, „hat sie Essen für ihn warm gehalten, was man so als Mama macht“. Und Böhnhardt, so beschrieb es die Zeugin, beobachtete wie ein besorgter Vater, wie Mundlos mit dem Surfbrett auf dem Meer unterwegs war.
Die Angaben der Frau, die ihr Mann anschließend als Zeuge weitgehend wiederholte, kommen der Bundesanwaltschaft gelegen. In der Anklage heißt es, Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt hätten sich nach dem gemeinsamen Gang in den Untergrund 1998 zu einem „fest organisierten Verband“ zusammengeschlossen, „ohne dass einem der drei eine Anführerrolle zukam“. Aus Sicht der Bundesanwaltschaft war Zschäpe gleichberechtigtes Mitglied der Terrorzelle sowie Mittäterin bei allen Morden und weiteren Verbrechen des NSU - auch wenn sie nur selten an einem Tatort aufgetaucht sein soll.
Die Aussagen der Urlaubsbekanntschaften scheinen auch den Anklagevorwurf zu stützen, Zschäpe habe das bei den Raubüberfällen von Mundlos und Böhnhardt erbeutete Geld verwaltet. „Wenn sie abends essen gegangen sind, haben die drei aus einem Gemeinschaftsgeldbeutel gezahlt, den hatte die Liese“, sagte die Zeugin. Auch andere Zeugen, die Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt auf Fehmarn kennengelernt hatten, sprachen vor Gericht von einer gemeinsamen Urlaubskasse der drei, über die Zschäpe verfügt hatte. Nur vereinzelt war zu hören, Mundlos oder Böhnhardt hätten selbst etwas bezahlt.
In der kommenden Prozesswoche sind erneut dramatische Stunden zu erwarten
Bei den Zeugenaussagen zu Fehmarn fiel zudem auf, dass Mundlos und Böhnhardt sich ganz anders verhielten als in Zwickau, wo sie von 2000 an mit Zschäpe unter falschen Namen in Mietwohnungen lebten. Dort gingen Mundlos und Böhnhardt den Nachbarn aus dem Weg und ließen sich kaum blicken. Zschäpe hingegen ließ sich mit Hausbewohnern auf Kontakte ein, die zum Teil sogar innig waren. Obwohl die Nachbarn nie erfuhren, mit wem sie es tatsächlich zu tun hatten.
Auf Fehmarn waren Mundlos und Böhnhardt überhaupt nicht scheu. Wie Zschäpe gingen sie auf wildfremde Leute zu, grillten mit ihnen und kümmerten sich sogar um deren Kinder. Die dann den im November 2011 über sie hereinbrechenden Schock, mit rassistischen Mördern eine fröhliche Zeit verbracht zu haben, noch schwerer verkrafteten als ihre Eltern. Die Tochter eines Ehepaares hatte Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe sogar zu ihrem 17. Geburtstag eingeladen. Die Drei kamen auch und übernachteten bei der Familie. Die Tochter musste von einem Psychiater behandelt werden, als die grausige Wahrheit über die netten Urlaubsbekannten heraus kam.
In der kommenden Prozesswoche sind wieder dramatische Stunden zu erwarten. Der 6. Strafsenat hat den Vater von Uwe Mundlos, Professor Siegfried Mundlos, als Zeugen geladen. Außerdem soll per Video eine 91-jährige Frau vernommen werden. Charlotte E. war in Gefahr geraten, als Zschäpe am 4. November 2011 in Zwickau die von der Terrorzelle genutzte, benachbarte Wohnung in Brand setzte. Verwandte retteten die Greisin vor den Rauchgasen. Charlotte E. ist so gebrechlich, dass die Richter darauf verzichteten, sie als Zeugin nach München zu laden. Sie wird nun über eine Videokamera in einem Pflegeheim in Zwickau befragt.