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Der Angeklagte Carsten S. im Oberlandesgericht München.
© AFP
Update

45. Verhandlungstag im NSU-Prozess: Carsten S. lässt sich nicht einschüchtern

Trotz der zermürbenden Fragen der Verteidigung hat der Angeklagte Carstens S. auch am 45. Tag im NSU-Prozess den Mitangeklagten Ralf Wohlleben schwer belastet. Er bleibt bei seiner Aussage: Der Ex-NPD-Funktionär habe ihm Geld für die Mordwaffe des NSU gegeben.

Obwohl er am Donnerstag zermürbenden Fragen ausgesetzt war, hat der Angeklagte Carsten S. im NSU-Prozess am Oberlandesgericht München erneut den Ex-NPD-Funktionär Ralf Wohlleben schwer belastet. Carsten S. sagte, der mitangeklagte Wohlleben habe ihm Geld gegeben, um eine Waffe für Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt zu besorgen. Die Pistole mit Munition und Schalldämpfer habe er dann in einem Abbruchhaus in Chemnitz Mundlos und Böhnhardt übergeben. Mit der Waffe, einer Ceska 83, erschossen Mundlos und Böhnhardt von 2000 bis 2006 neun Kleinunternehmer türkischer und griechischer Herkunft.

Die Bundesanwaltschaft wirft Carsten S. und Wohlleben vor, sie hätten Beihilfe zu neunfachem Mord geleistet. Carsten S. befindet sich in einem Zeugenschutzprogramm des Bundeskriminalamts, Wohlleben sitzt seit November 2011 in Untersuchungshaft.

Carsten S. hatte bereits im Juni im Prozess ein Geständnis abgelegt, sich aber geweigert, Fragen der Verteidiger Wohllebens zu beantworten. Er mache sich „nackich“, während Wohlleben schweige, hielt Carsten S. dem ehemaligen Freund vor. Während Wohlleben weiterhin nichts sagt, erklärte sich Carsten S. nun doch bereit, Fragen der Verteidiger des Mitangeklagten zu beantworten, um die Glaubwürdigkeit seines Geständnisses vom Juni zu bekräftigen. Die beiden Anwälte von Carsten S. hatten ihn darin bestärkt.

Waffenkauf und –übergabe an Mundlos und Böhnhardt fanden offenbar im Frühjahr 2000 statt. Carsten S. will die Pistole bei dem Betreiber eines Geschäfts für rechtsextreme Szenekleidung in Jena abgeholt haben. Er habe die Waffe zu Wohlleben gebracht, sagte Carsten S. Wohlleben habe in seinem Arbeitszimmer den Schalldämpfer auf die Pistole geschraubt und diese dann lachend auf ihn gerichtet, sagte S. Er habe das „zwischen lustig und unangenehm“ empfunden.

Wohllebens Verteidiger Olaf Klemke stocherte stundenlang in Erinnerungslücken von Carsten S., um dessen Glaubwürdigkeit zu erschüttern. Klemke machte zudem Bemerkungen, die seltsam klangen. So fragte er Carsten S. nach dem Sohn seiner Schwester, dessen Vater „nicht gerade rein deutschen Blutes“ sei. Carsten S. antwortete knapp, der Vater seines Neffen stamme aus Ghana.

Carsten S. der sich längst von der rechten Szene gelöst hat, ließ sich nicht iirritieren und blieb im Kern bei seinen Aussagen vom Juni. Wohlleben selbst folgte der Befragung ohne erkennbare Regung. Beate Zschäpe hingegen drehte sich mehrmals zu dem zwei Reihen hinter ihr sitzenden Carsten S. um und beobachtete ihn.  

Am Ende des Prozesstages wurde Zschäpe allerdings selbst kurz ein Thema. Aus einer Äußerung des  Vorsitzenden Richters Manfred Götzl ergab sich der Verdacht, Zschäpe könnte bei dem von Mundlos und Böhnhardt im Juni 2004 in Köln verübten Sprengstoffanschlag in der Nähe des Tatorts gewesen sein. Götzl teilte mit, er habe beim Bundeskriminalamt  „Maßnahmen zur Verbesserung“ von Aufnahmen aus dem Video einer Überwachungskamera in der Kölner Keupstraße in Auftrag gegeben. Es gebe Bilder einer Passantin, „bei der man an eine gewisse Ähnlichkeit“ mit Zschäpe denken könnte, sagte Götzl. Zschäpe verzog keine Miene. In dem bereits im Prozess gezeigten Film sind mitten im Straßenpublikum Mundlos und Böhnhardt mit Fahrrädern zu sehen, kurz vor dem Nagelbombenanschlag nahe einem türkischen Friseursalon. Bei dem Anschlag wurden mehr als 20 Menschen verletzt.

Zschäpe hatte sich auch nicht geregt, als kurz zuvor der Berliner Nebenklage-Anwalt Peer Stolle einen Beweisantrag vortrug, in dem um die mutmaßliche Radikalisierung von Zschäpe, Mundlos, Böhnhardt, Wohlleben und des Mitangeklagten Holger G. geht. Stolle, der zusammen mit seinem Kollegen Sebastian Scharmer Hinterbliebene des in Dortmund vom NSU ermordeten Mehmet Kubasik vertritt, beschreibt im Antrag eine neonazistische „Geburtstagspost“ von 1998. Im Januar des Jahres waren Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt untergetaucht.

In dem Pamphlet wird von der Beschädigung einer Justitia-Statue durch Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe berichtet und über die „Umfunktionierung des KZ Buchenwald in eine Tankstelle für Gas“. Das Machwerk ist ein Heft mit elf Seiten, das die Polizei während einer Wohnungsdurchsuchung bei dem Jenaer Rechtsextremisten André K. sichergestellt hat. An der Hetzschrift  soll Ralf Wohlleben mitgewirkt haben, sie wurde offenbar zum 23. Geburtstag von André K. im August 1998 fabriziert.

André K. ist einer der Beschuldigten im parallel zum Prozess weiter laufenden Ermittlungsverfahren der Bundesanwaltschaft zum NSU-Komplex.  Der Neonazi gehörte Ende der 1990er Jahre mit Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt sowie Wohlleben, Holger G. und Carsten S. zum harten Kern der rechten Szene in Jena. André K. soll Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt nach dem Gang in den Untergrund geholfen haben.  

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