76. Tag im NSU-Prozess: Ehefrau von André E. verweigert Aussage
Zusammen mit ihrem Mann soll sie bis zum Ende des NSU Kontakt mit Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt gehalten und ihnen geholfen haben. Der Auftritt von Susann E. am 76. Verhandlungstag am OLG München war reichlich kurz.
Sie ist die Ehefrau des Angklagten André E. und soll ebenfalls den Terroristen geholfen haben. Gleich zwei Gründe für Susann E., im NSU-Prozess am Oberlandesgericht München als Zeugin die Aussage zu verweigern. Genau das tat die 32-Jährige am Dienstag dann auch. Und nicht nur das. Mit einem schlichten „nein“ verwehrte Susann E. dem 6. Strafsenat, ihre Vernehmung bei der Polizei vom Februar 2012 als Beschuldigte in den Prozess einzuführen. André E. folgte dem Kurzauftritt mit einem Grinsen. Er selbst weigert sich auch beharrlich in der Verhandlung auszusagen.
Susann E. hat mutmaßlich mit ihrem Ehemann bis zum Ende des NSU Kontakt zu Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt gehalten. Ermittler vermuten sogar, Zschäpe habe sich zu Beginn ihrer Flucht aus Zwickau am 4. November 2011 noch bei Susann E. mit Kleidung versorgen können. Zschäpe hatte am frühen Nachmittag die Wohnung in der Frühlingsstraße 26 angezündet, in der sie seit 2008 mit Mundlos und Böhnhardt gelebt hatte. Die beiden Männer waren da bereits tot. Nach einem Banküberfall in Eisenach hatte Mundlos in einem Wohnmobil erst Böhnhardt erschossen und dann sich selbst. Die Neonazis wollten sich nicht der Polizei ergeben, die ihr Fluchtfahrzeug entdeckt hatte.
Laut Anklage konnte Zschäpe eine Bahncard nutzen, die auf den Namen Susann E. ausgestellt war. Im Jahr 2007 soll Zschäpe zudem mit André E. als dessen Ehefrau Susann zur Polizei in Zwickau gekommen sein. Zschäpe sollte als Zeugin aussagen, nachdem es in der damaligen Wohnung von ihr, Mundlos und Böhnhardt in der Polenzstraße einen Wasserschaden gegeben hatte und der Verdacht bestand, in den Räumen darüber seien Gegenstände gestohlen worden. Mit dem Auftritt haben Zschäpe und André E. nach Ansicht der Bundesanwaltschaft verhindert, dass die Polizei die wahre Identität der Bewohner herausbekam. Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt waren 1998 untergetaucht und lebten von 2000 an mit falschen Namen in Zwickau.
Wurden Michèle Kiesewetter und Martin A. nur zufällig zu Opfern?
Am Nachmittag stütze dann ein Zeuge die Auffassung der Bundesanwaltschaft, dass bei dem Mordanschlag des BSU auf Polizisten in Heilbronn eher zufällig die Beamten Michèle Kiesewetter und Martin A. die Opfer waren. Der Mann berichtete, er habe am 25. April 2007 gegen 13.30 Uhr zwei große, schlanke Radfahrer mit Mountainbikes gesehen, die in der Nähe des späteren Tatorts Theresienwiese standen und „angeregt“ diskutiert hätten. Möglicherweise hätten die beiden auch gestritten. Der Zeuge verlor die Männer dann aus den Augen. Gegen 14 Uhr hörte er ein Knallgeräusch oder auch zwei und dachte, irgendwo sei ein Reifen geplatzt. Mundlos und Böhnhardt waren zu den früheren Morden an neun Migranten wie auch bei anderen Verbrechen meist mit Mountainbikes zum Tatort gefahren.
Nach der Aussage des Zeugen sind zwei Szenarien denkbar. Entweder wussten die Neonazis, dass Polizisten mit ihren Streifenwagen öfter am Mittag den Festplatz Theresienwiese ansteuerten, um dort am Trafohaus eine Pause einzulegen. Oder Mundlos und Böhnhardt radelten dort am 25. April 2007 vorbei und sahen erstmals, dass am Trafohaus ein Streifenwagen stand. Die Türen vorne waren an dem ungewöhnlich warmen Tag offen. Auf dem Fahrersitz saß Michèle Kiesewetter, neben ihr Martin A. Dass Mundlos und Böhnhardt zumindest die wie sie aus Thüringen stammende Kiesewetter gekannt haben könnten, hält die Bundesanwaltschaft für unwahrscheinlich.
Welches Tatszenario auch stimmen mag - die Aussage des Zeugen lässt vermuten, dass Mundlos und Böhnhardt eine günstige Gelegenheit sahen, Polizisten anzugreifen. Möglicherweise waren sich die beiden NSU-Mörder, die schon neun Migranten erschossen hatten, aber nicht sofort einig, ob sie jetzt das Risiko eingehen sollten, am helllichten Tag bewaffnete Polizeibeamte zu attackieren. Sie taten es dann doch.
Mundlos und Böhnhardt schlichen sich beim Trafohaus von hinten an den Streifenwagen an. Ein Terrorist schoss Kiesewetter in den Kopf, der andere feuerte auf Martin A. Die Polizistin starb noch am Tatort, Martin A. überlebte schwer verletzt. Vergangene Woche sagte er im Prozess als Zeuge aus, seine Erinnerung an die Tat ist allerdings gering.
Was spricht für die These, dass Mundlos und Böhnhardt die Beamten spontan überfielen?
Für die These, dass Mundlos und Böhnhardt spontan die beiden Beamten überfielen, spräche das enorme Risiko, das die Terroristen eingingen. Die Theresienwiese war belebt, außerdem schossen die Neonazis diesmal ohne Schalldämpfer. Und das Projektil, das Kiesewetters Kopf durchschlug, hätte beinahe nicht nur zusätzlich Martin A. getroffen, sondern auch den Schützen, der gerade auf ihn feuerte. Mundlos und Böhnhardt schossen vermutlich gleichzeitig - einer von der Fahrertür aus auf Kiesewetter, der andere an der Beifahrertür auf den zweiten Polizisten. Das Geschoss, das aus Kiesewetters Kopf austrat, flog quer durch den Wagen und trat an der Beifahrertür aus. Dann prallte es an die nahe Wand des Trafohauses. Auch von da hätte der Neonazi, der bei Martin A. stand, das Projektil noch als Querschläger abbekommen können.
Vor den Morden an den Migranten hatten Mundlos und Böhnhardt nach Erkenntnissen der Ermittler intensiv den Tatort ausgespäht, um Risiken kalkulieren zu können. Das könnte in Heilbronn anders gewesen sein. Offen bliebe dann allerdings, was die zwei Neonazis ursprünglich in der Stadt geplant hatten. Bei dem Mordanschlag auf die Polizisten fällt zudem auf, dass die Terroristen darauf verzichteten, die Pistole Ceska 83 einzusetzen, mit der sie die Migranten getötet hatten. Außerdem gab es danach keinen weiteren Mord mehr, obwohl die Bundesanwaltschaft glaubt, die Terrorzelle habe mit der Tat in Heilbronn einen Feldzug gegen Repräsentanten des Staates beginnen wollen.
Dass die vielen Fragen im Prozess beantwortet werden, ist nach bisherigem Stand kaum zu erwarten. Die Hauptangeklagte Beate Zschäpe schweigt, auch der Ex-NPD-Funktionär Ralf Wohlleben sowie André E. sagen nichts. Der ebenfalls angeklagte Holger G. hat in seinem Geständnis betont, er habe von den Verbrechen des NSU nichts gewusst. Und der fünfte Angeklagte, Carsten S., der die Übergabe der Ceska 83 an Mundlos und Böhnhardt zugegeben hat, will nach seinem Ausstieg aus der rechtsextremen Szene Ende 2000 nichts mehr vom Treiben der untergetauchten Ex-Kameraden mitbekommen haben.