NSU-Prozess: Pflichtverteidiger: „Beate Zschäpe ist keine Terroristin“
In ihrem Plädoyer fordern drei Pflichtverteidiger von Beate Zschäpe ihre sofortige Freilassung – und richten einen Vorwurf gegen die Polizei.
Beate Zschäpe hat 2015 ihre ersten drei Verteidiger rüde ausgebootet, doch die Anwälte versuchen, das Bestmögliche für die Angeklagte herauszuholen. Wolfgang Heer hat am Dienstag im NSU-Prozess am Oberlandesgericht München gleich zu Beginn des Plädoyers der Alt-Anwälte jeglichem Terrorverdacht gegen die Hauptangeklagte vehement widersprochen.
„Beate Zschäpe ist keine Terroristin, sie ist keine Mörderin und keine Attentäterin“, sagt Heer und fordert: „Sie ist wegen aller angeklagter Staatsschutzdelikte freizusprechen und unverzüglich freizulassen“. Und der Verteidiger wirft der Polizei vor, mit verbotenen Methoden Zschäpe zu Aussagen verführt zu haben. Beamten hatten versucht, die Frau abseits von Vernehmungsterminen zum Reden zu bringen. Allerdings mit geringem Erfolg.
Zschäpe bleibt bei Heers Vortrag nahezu regungslos, den Kopf auf die gefalteten Hände gestützt. Die Frau, die mit Heer und seinen Kollegen Wolfgang Stahl und Anja Sturm kein Wort mehr spricht, hört ungerührt ein Plädoyer, das sie noch stärker entlasten soll als das ihrer beiden neuen Verteidiger, die im April ihren Schlussvortrag gehalten hatten.
"Sie hat an den Taten insgesamt nicht mitgewirkt"
Mit Staatsschutzdelikten meint Heer fast alle Straftaten, die der Generalbundesanwalt Zschäpe vorwirft. Aus Sicht des Verteidigers war Zschäpe weder Mittäterin bei den zehn Morden, die ihre Kumpane Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos verübten, auch nicht bei den zwei Sprengstoffanschlägen in Köln der beiden Neonazis und genausowenig bei deren 15 Raubüberfällen. Zschäpe habe keine Morde geplant, sie habe keine Waffen beschafft, „sie hat an den Taten insgesamt nicht mitgewirkt“. Und sie habe die Straftaten von Böhnhardt und Mundlos „auch nicht vom Küchentisch aus gesteuert“, betont der Verteidiger. Auch wegen des „Verbrauchs der Tatbeute“ aus den Überfällen, mehr als 600 000 Euro, könne nicht als Hehlerei oder Geldwäsche geahndet werden.
Für Heer gibt es nur einen Grund, Zschäpe zu bestrafen: die Brandstiftung in der Wohnung in Zwickau nach dem Tod von Böhnhardt und Mundlos. Aber auch in diesem Fall sei die Angeklagte nur wegen „einfacher Brandstiftung“ zu verurteilen. Und der Verteidiger fasst lakonisch zusammen: „Dies ist alles, was von der Anklage des Generalbundesanwalts übrig bleibt“.
Nach Heer sollen Stahl und Sturm das Plädoyer fortsetzen
In der Anklage gilt Zschäpe als gleichwertiges Mitglied der Terrorzelle „Nationalsozialistischer Untergrund“ und somit als Mittäterin bei allen Verbrechen, die Böhnhardt und Mundlos verübten. Die Bundesanwaltschaft bezeichnet die zudem die Brandstiftung
in Zwickau als „besonders schwer“. Außerdem habe Zschäpe den Tod einer Nachbarin und zweier Handwerker in Kauf genommen und damit auch einen dreifachen Mordversuch begangen. Bundesanwalt Herbert Diemer forderte im September 2017 am Ende seines Plädoyers, Zschäpe mit lebenslanger Haft zu bestrafen, die besondere Schwere der Schuld festzustellen und Sicherungsverwahrung anzuordnen. Die 43 Jahre alte Angeklagte käme womöglich nie wieder aus dem Gefängnis heraus.
Würde das Gericht jedoch dem Plädoyer von Heer, Stahl und Sturm folgen, hätte Zschäpe mit mehr als sechseinhalb Jahren Untersuchungshaft längst genug gebüßt. Da waren sich allerdings selbst Zschäpes neue Anwälte Hermann Borchert und Mathias Grasel nicht sicher. Sie forderten, Zschäpe solle nicht mehr als zehn Jahre Haft bekommen. Und die beiden Verteidiger glauben auch, ihre Mandantin habe bei den 15 Raubüberfällen psychische Beihilfe geleistet. In ihrer Einlassung im Prozess hatte Zschäpe zugegeben, die Überfälle befürwortet zu haben, um im Untergrund mit Böhnhardt und Mundlos finanziell überleben zu können.
Die schriftliche Aussage zur Anklage der Bundesanwaltschaft hatten Borchert und Grasel initiiert. Für Heer, Stahl und Sturm, die eine Schweigestrategie verfolgt hatten, ist die Einlassung, die im Dezember 2015 begann, bis heute problematisch. Borchert und Grasel hätten bis zum Juli 2015 „nicht über originäre Kenntnisse der Beweisaufnahme“ verfügt, sagt Heer. Der Strafsenat hatte Grasel damals als vierten Pflichtverteidiger der Angeklagten beigeordnet. Borchert, der im Hintergrund die Fäden zog, stieg erst später als Wahlverteidiger in den Prozess ein.
Heer wirft im Plädoyer dem Vorsitzenden Richter Manfred Götzl vor, er habe die neuen Verteidiger „im Unklaren über die bis dato erfolgten Beweiserhebungen“ gelassen. Als Grasel sich im Saal A 101 neben Zschäpe setzte, waren bereits 215 Verhandlungstage vergangenen – und mehr als 400 Zeugen hatten ausgesagt. Götzl gewährte Grasel nur wenig Zeit, sich einzuarbeiten. Der Richter hielt daran fest, Zschäpe werde weiterhin auch angemessen von Heer, Stahl und Sturm verteidigt.
Was die Altverteidiger von Zschäpes Einlassung halten, äußert Heer indirekt, aber deutlich genug. „Frau Zschäpe baute auf den Rat ihrer neuen Verteidiger und war selbst nicht imstande, Risiken bei der Abfassung der Erklärung durch Rechtsanwalt Borchert zu überblicken“, sagt Heer. Borchert hatte sich in seinem Plädoyer damit gebrüstet, die Einlassung formuliert zu haben. Dass er damit die Authentizität der Aussage Zschäpes in Frage stellte, war ihm offenbar nicht bewusst. Die Einlassung selbst wirkte zudem in Teilen widersprüchlich. Heer will nun retten, was aus seiner Sicht noch zu retten ist. Er beschwört die Richter, „die Annahme, eine schlecht erarbeitete Erklärung zur Sache stelle einen Tatnachweis dar, ist schlicht juristischer Unsinn“.
Viel Vertrauen in die Fairness des Strafsenats hat Heer allerdings nicht. Er wirft Götzl vor, die „Verteidigerkrise“ nicht verhindert und damit gebilligt zu haben, „dass weder die eine noch die andere Verteidigergruppe ordnungsgemäß würde verteidigen können“. Der Senat habe die Krise sogar „aktiv für seine Zwecke befördert“, sagt Heer. Für ihn haben die Richter von Anfang an die Vorverurteilung Zschäpes durch Polizei und Bundesanwaltschaft fortgesetzt.
Nach Heer sollen Stahl und Sturm das Plädoyer fortsetzen. Dafür werde die ganze Verhandlungswoche benötigt, sagt Heer. Wenn das Plädoyer beendet ist, sollte in dem mehr als fünf Jahre dauernden Prozess der Weg zum Urteil frei sein.