63. Tag im NSU-Prozess: Ex-Verfassungsschützer wird erneut vernommen
Der frühere Verfassungsschutz-Mitarbeiter Andreas T. saß am 6. April 2006 in dem Kasseler Internetcafé, als die Terroristen Mundlos und Böhnhardt den Betreiber Halit Yozgat erschossen. Vor der Vernehmung erhoben die Nebenkläger aber erst einmal schwere Vorwürfe gegen die Richter.
Der Zeuge ist eine dubiose Figur, die den Verdacht der Komplizenschaft von Staat und Terroristen erregt. Der Verfassungsschützer Andreas T. saß am Nachmittag des 6. April 2006 in einem Kasseler Internetcafé und bekam möglicherweise mit, dass zwei Männer hereinstürmten und den Betreiber Halit Yozgat erschossen. Die Mörder waren die NSU-Terroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, der 21-jährige Deutschtürke war ihr letztes Opfer in der Serie von Attentaten auf neun Migranten. Die Anwesenheit eines Verfassungsschützers am Tatort und zumindest zeitnah zum Verbrechen ist eine spektakulär klingende Geschichte, die dem im NSU-Komplex heftig kritisierten Staat in den Ruch dunkler Machenschaften gebracht hat. Obwohl Andreas T. bis heute beteuert, er habe vom Mord nichts bemerkt.
Harter Vorwurf an den Richter
Er hat das auch im Oktober im NSU-Prozess dem 6. Strafsenat des Oberlandesgerichts München erzählt. Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl ließ jedoch deutliche Zweifel am Wahrheitsgehalt der Aussage erkennen, Andreas T., schon länger nicht mehr beim hessischen Verfassungsschutz, wurde für einen weiteren Termin geladen. Doch bevor er an diesem Dienstag auftreten konnte, stellten sich mehrere Anwälte quer und widersprachen der Vernehmung. Götzl sah sich mit einem seltenen Bündnis aus Nebenklage und den Verteidigern von Beate Zschäpe und Ralf Wohlleben konfrontiert.
Die Richter hätten zu Unrecht „die Beiziehung der gesamten Aktenbestände“ der Bundesanwaltschaft zu Andreas T. abgelehnt, sagte Alexander Kienzle, der mit zwei Kollegen die Hinterbliebenen des Kasseler Mordopfers vertritt. Einen Antrag der Anwälte hatte der Strafsenat mehrmals und zuletzt vergangene Woche als unnötig zurückgewiesen. Das brachte Kienzle und seine Kollegen in Rage. Der Strafsenat mache deutlich, „dass auch dieses Gericht eine vollständige Aufklärung der Tat zum Nachteil Halit Yozgat nicht wünscht“. Einen härteren Vorwurf kann man den Richtern kaum machen.
Emotionaler Appell der Eltern
Die Bundesanwaltschaft äußerte sich nur knapp. Die Vertreter der Nebenkläger seien in der Lage gewesen, die gesamten Akten zu Andreas T. am Sitz der Behörde in Karlsruhe einsehen können, werden, sagte Bundesanwalt Herbert Diemer. Doch das genügt den Anwälten nicht. Die Bundesanwaltschaft habe ihnen im Sommer untersagt, Kopien anzufertigen, sagte Kienzle und holte erneut aus. Es entstehe der Eindruck, dass der Generalbundesanwalt „aus sachfremden Erwägungen“ Akten vorenthalten wolle. Kienzle und Kollegen hegen den Verdacht, der Verfassungsschutz habe auf die Bundesanwaltschaft Druck ausgeübt. Die Vertreter der Anklage im Prozess sollen nun, so beantragte es Kienzle, sich in dienstlichen Erklärungen dazu äußern, ob sie von hessischen Verfassungsschutz oder dem Bundesamt für Verfassungsschutz Weisungen erhalten haben. Oder ob zumindest eine „Einflussnahme“ stattgefunden habe.
Dem Antrag und dem Widerspruch gegen die Vernehmung von Andreas T. schlossen sich die Verteidiger von Beate Zschäpe und Ralf Wohlleben an. Und die Eltern des ermordeten Halit Yozgat appellierten mit emotionalen Worten an den Strafsenat, die Herausgabe aller Akten zu Andreas T. zu bewirken. Vater Ismail Yozgat beschwor Götzl persönlich: „Sehr geehrter Herr Vorsitzender, ich habe volles Vertrauen in ihre Person“.
Der Strafsenat ließ sich jedoch nicht beeindrucken. Nach längerer Beratung verkündete Götzl einen Beschluss, in dem die Argumente der Anwälte abgewiesen werden. Und so sieht der Senat auch keine Notwendigkeit, dienstliche Erklärungen der vier Vertreter der Bundesanwaltschaft einzuholen. Aus Sicht des Strafsenats verlässt der Verdacht, es gebe beim Mord des NSU an Halit Yozgat ein staatliches Mitverschulden, nicht den „Bereich der Spekulation“. Auch eine Einflussnahme einer Behörde auf die Bundesanwaltschaft schließen die Richter aus.
So kam Andreas T. dann doch noch – und wurde von Götzl hart befragt. Doch der Ex-Verfassungsschützer gab mit monotoner Stimme nicht viel mehr von sich, als was er schon lange sagt: Er habe an jenem Tag in dem Internetcafé, als er gehen wollte, niemanden am Tresen angetroffen und 50 Cent darauf gelegt, für die Benutzung eines Computers. Offen bleibt, ob Andreas T. tatsächlich Halit Yozgat nicht gesehen hat. Der Deutschtürke lag hinter dem Tresen in einer Blutlache. Der Tresen hatte nur die Höhe eines Schreibtischs. Andreas T. ist 1,90 Meter groß. Er habe, sagte der Zeuge am Dienstag, erst am Sonntag nach der Tat aus einem Blatt namens „Extra-Tip“ erfahren, dass der Betreiber des Internetcafés ermordet wurde.
In dem Ermittlungsverfahren, dass gegen Andreas T. wegen möglicher Mitschuld an dem Verbrechen geführt wurde, ergab sich kein Hinweis, der frühere Verfassungsschützer könnte an der Tat beteiligt gewesen sein. Auch wenn er der einzige mögliche Augenzeuge war, der sich nicht bei der Polizei gemeldet und damit verdächtig gemacht hatte. Die Ermittler rekonstruierten zudem, der Zeitpunkt, an dem sich Andreas T. aus dem Computer im Internetcafé ausloggte, sei kaum eine Minute vom Mord entfernt. Denkbar erscheint, dass Andreas T. das Mordopfer gesehen hatte, sich aber bedeckt hielt, weil er mit einer halbseidenen Chat-Bekannten kommuniziert hatte. Zuhause wartete seine schwangere Frau. Der Verfassungsschutz wäre auch nicht begeistert gewesen.