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NSU Prozess in München: Beate Zschäpe und die Stille im Gerichtssaal

Keine Schreie, keine Flüche, kein inszenierter Schmerz für die Kameras. Am ersten Tag des NSU-Prozesses vor dem Oberlandesgericht in München, reagieren die Hinterbliebenen der Opfer mit stummer Trauer auf Beate Zschäpe.

André E. ist der Erste. Es ist etwa zehn Uhr am Morgen, als der Angeklagte den Saal A 101 des Oberlandesgerichts in München betritt und zielstrebig zu seinem Platz geht. E. trägt die Haare kurz geschnitten und glatt zurückgekämmt, im Gesicht einen Vollbart. Er setzt sich. Breitbeinig. Die Arme vor der Brust verschränkt. Ein Rockertyp mit einem kleinen Tellerohrring im rechten Ohrläppchen. Es folgt Holger G., er hält einen Pappordner vor sein Gesicht. Und plötzlich erscheint auch Beate Zschäpe. Nur kurz schaut sie auf die vielen Fotografen im Saal, dann dreht sie ihnen demonstrativ den Rücken zu. Wie sie da steht, mit nachtblauem Sakko, weißer Bluse und schwarzer Jeans ähnelt sie gar nicht Zschäpe, der Angeklagten, der Frau, die seit Mitte der 90er Jahre im rechtsradikalen „Thüringer Heimatschutz“ und der noch radikaleren „Kameradschaft Jena“ aktiv gewesen, die 1997 mit Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos abgetaucht sein und als Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) ein Leben zwischen Banküberfällen, Morden und Bombenanschlägen geführt haben soll, in diesem Augenblick sieht sie selber aus wie ihre eigene Anwältin. Ihr Gesicht ist bleich, die Lippen sind schmal, ihre dunklen Haare trägt sie offen.

Sie wirkt genervt, verschränkt die Arme, wirft den Kopf kurz nach hinten. Doch dann lächelt sie ihre Verteidiger an. Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm haben sich um sie gestellt, die Fotografen und Kameraleute dehnen und strecken sich vergeblich, um eine Aufnahme von Beate Zschäpes Gesicht machen zu können. Die Anklagen lauten auf Mord beziehungsweise Beihilfe zum Mord, auf besonders schwere Brandstiftung, Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, Unterstützung einer terroristischen Vereinigung, Raub und Beihilfe zum Raub.

Die etwa 80 Nebenkläger, Journalisten und Zuschauer blicken so gebannt auf Beate Zschäpe, dass fast unbemerkt bleibt, wie auch die beiden weiteren Angeklagten den Saal betreten. Ralf Wohlleben hat sich neben seine Anwältin gesetzt. Mit mäßig interessiertem Gesichtsausdruck blättert er in Unterlagen. Vom Kopf des fünften Angeklagten, Carsten S., ist gar nichts zu sehen. Er trägt die Kapuze seines dunkelblauen Pullis weit heruntergezogen, den Kopf hält er gesenkt, setzt sich, faltet die Hände auf dem Tisch. Carsten S., der sich schon lange von der rechten Szene losgesagt hat, wäre wohl am liebsten unsichtbar. Beate Zschäpe dreht sich erst um, als eine knappe halbe Stunde später der Vorsitzende Richter Manfred Götzl mit seinen Kollegen erscheint und die Fotografen hinausschickt. Selbstbewusst blickt sie in die Runde, schaut auch zu den Nebenklägern, als Götzl diese bei der Vorstellung aller Prozessbeteiligten auch einzeln nennt. Es sind längst nicht alle Hinterbliebenen der Mordopfer des NSU und die überlebenden Opfer erschienen, und ob es Zschäpe etwas ausmacht, mit diesen Menschen konfrontiert zu werden, ist nicht zu erkennen.

80 Nebenkläger, 101 Journalisten schauen auf Beate Zschäpe

Eine Kamera filmt den Bereich der Nebenkläger und projiziert die Bilder auf zwei Wände. Bei Beate Zschäpe ist keine Scheu zu entdecken, keine Hektik. Den schwarzen Laptop, den sie vor sich aufgestellt hat, klappt sie bald wieder zu. Ihr gegenüber, genau über einem der beiden Eingänge zum lindgrün gestrichenen Saal A 101, hängt ein schlichtes, dunkelbraunes Holzkreuz. Beate Zschäpe und die vier weiteren Angeklagten sitzen mit ihren Verteidigern an drei Tischreihen. Zschäpe vorne rechts, weiter links dann André E., dahinter Ralf Wohlleben und seine Ehefrau. In der letzten Reihe die Angeklagten Holger G. und Carsten S. Die acht Richter haben erhöht an einem schweren, halbrunden Tisch Platz genommen. Links davon die vier Vertreter der Bundesanwaltschaft. Vor der Riege der etwa 80 Nebenkläger und ihrer Anwälte sitzen in einer Linie die Sachverständigen. Die Reihen der Nebenkläger reichen in die Tiefe des Saales hinein, weit unter die Empore mit den insgesamt 101 Journalisten und Zuschauern.

Es ist unmöglich, sich in diesem Saal nicht nahe zu sein. Vor allem welche Medienvertreter hinein dürfen und welche nicht, darum hatte es im Vorfeld viel Streit gegeben. In einem ersten Anlauf war das Zuteilungsverfahren vom Verfassungsgericht als unzulässig verworfen worden. Die türkische Zeitung „Sabah“ hatte sich bei der Vergabe benachteiligt gesehen und Verfassungsbeschwerde eingereicht. Bei einem zweiten Vergabeprozess entschied das Los. So dass nun etliche Berichterstatter, die leer ausgingen, sich in der Nacht zu Montag, manche bereits am Sonntagnachmittag, auf gut Glück in die Schlange für den Zuschauerraum einreihten, um doch noch einen Platz zu bekommen. Das enorme Interesse von Medien und Zuschauern gilt an diesem Tag Beate Zschäpe.

NSU-Prozess wird am ersten Tag vertagt

Die blasse 38-Jährige im bürgerlichen Jackett ist das prägende Bild des ersten Prozesstages. Aber das ist nicht die Geschichte, um die es geht. Ebenso wenig ist es das Theater um die Akkreditierung von Journalisten und das ungeschickte Verhalten des 6. Strafsenats. Es geht um Rechtsextremismus, um Terror, um zehn Morde, zwei Sprengstoffanschläge mit mehr als 20 Verletzten, um 15 Raubüberfälle auf Geldinstitute und einen Supermarkt, um die dabei von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt attackierten Personen. Es geht um ein abgebranntes Haus in Zwickau, und es geht um eine DVD mit einem an Zynismus kaum zu überbietenden Paulchen-Panther-Video, in dem sich der NSU zu seinen Verbrechen bekennt. Die Nebenkläger drängen sich an diesem ersten Tag nicht in den Vordergrund. Gekommen sind unter anderem die Angehörigen der vom NSU mit Kopfschüssen hingerichteten Türken Enver Simsek, Halit Yozgat, Yunus Turgut und des Griechen Theodoros Boulgarides. Vielleicht zeigen sich der Schrecken und das Leid, das der NSU angerichtet hat, gerade in der Abwesenheit vieler Opfer. Und in der Stille, mit der die nach München gekommenen Hinterbliebenen auf Beate Zschäpe reagieren. Keine Schreie, keine Flüche, kein inszenierter Schmerz für die Kameras. Nur stille Trauer. Und die Hoffnung auf eine Form von Gerechtigkeit. Einer, der in die Seelen von Angehörigen der Ermordeten geblickt hat, ist Ayhan Sefer Üstun. „Wir erwarten eine gerechte Strafe“, sagt der Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses im türkischen Parlament. „Und wir erwarten, dass im Urteil gesagt wird, wie schlimm Rassismus ist.“

NSU-Prozess: Die Frage nach Schuld und Verantwortung

Auch vor dem Gerichtsgebäude fordern Demonstranten die rückhaltlose Aufklärung rechtsextremer Strukturen im Land. Doch noch bevor die Bundesanwälte den Anklagesatz verlesen können, trägt Zschäpes Verteidiger Wolfgang Stahl den Befangenheitsantrag gegen den Vorsitzenden Richter vor. Den Anwälten missfällt, dass Manfred Götzl auch ihnen auferlegt hat, sich wie Nebenkläger, Nebenklageanwälte, Journalisten und Zuschauer bei Betreten des Gerichts durchsuchen und abtasten lassen zu müssen – die Bundesanwälte und das Justizpersonal davon aber ausgenommen sind. In der Sorge des Richters, den Anwälten könnten vor Beginn der Verhandlung gefährliche Gegenstände zugesteckt werden, sehen die Verteidiger einen Affront. Stahl sagt, die Durchsuchung bedeute, die Verteidiger seien „zu dumm zu erkennen, dass sie einen verbotenen Gegenstand in den Sitzungssaal mitnehmen“. Dies rufe bei Zschäpe „erhebliches Misstrauen“ gegenüber der Unvoreingenommenheit des Vorsitzenden Richters hervor. Zschäpe hört zu, verschränkt die Arme und schaut durch den Raum. Ein Nebenklageanwalt spricht von „verletzter Eitelkeit“ der Verteidiger und nennt den Antrag „Bohei“.

Dieser Auftakt lässt die Strategie erahnen, die Zschäpes Verteidiger verfolgen. Die Opfer und ihre Anwälte wollen, dass der Prozess vorankommt, dass die Fragen nach Schuld und Verantwortung geklärt werden. Das Verständnis für Anträge der Verteidigung, auch wenn sie rechtlich einwandfrei und prozesstaktisch nachvollziehbar erscheinen, ist bei den Nebenklägern gering. Sie haben jahrelang gelitten, sie fühlten sich vom Staat diffamiert. Der Mangel an Geduld zeigt sich in den Reaktionen auf den Befangenheitsantrag. Zwei Nebenklageanwälte kritisieren Zschäpes Anwälte in harschem Ton. Götzl stellt den Antrag „vorläufig“ zurück. Am ersten Tag gibt sich der Richter wortkarg und wird seinem Ruf als Grantler mit Hang zu cholerischen Ausfällen, nicht gerecht. Aber er lässt Beate Zschäpes Verteidiger spüren, dass sie ihn nicht treiben können. Trotzdem geht es kurz darauf wieder nicht weiter. Denn nun beantragt ein Verteidiger Wohllebens eine Unterbrechung, um sich mit seinem Mandanten über die neue Lage zu beraten. Auf der Empore werden Sitze frei, zwei Neonazis nehmen Platz. Nicht weit entfernt sitzt der türkische Botschafter. Es sei wichtig, dass der Prozess nun endlich angefangen habe, sagt er. Aber dann hört der Prozess gleich wieder auf, wird vertagt auf Mitte Mai, um über die Anträge der Verteidigung zu beraten.

Frank Jansen

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