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Ralf Wohlleben (2.v.l.) im Oberlandesgericht in München mit seiner Anwältin Nicole Schneiders
© Peter Kneffel/dpa
Update

NSU-Prozess: Wohllebens Anwälte keilen gegen alle

Am 425. Verhandlungstag im NSU-Prozess bezichtigt die Verteidigerin von Ralf Wohlleben die Richter erneut der Befangenheit. Und von der Tribüne grüßen Neonazis.

Die Stimme klingt spöttisch klagend. Nicole Schneiders redet, als habe sie es mit lauter verbohrten Menschen zu tun, die ja doch nicht zu belehren sind. „Ich habe lange mit mir gehadert, ob ich überhaupt einen Schlussvortrag halten soll“, sagt die Verteidigerin des Angeklagten Ralf Wohlleben am Dienstag zu Beginn ihres Plädoyers im NSU-Prozess. Aus Sicht der Anwältin steht das Urteil gegen ihren Mandanten schon lange fest, auch wegen der „medialen Vorverurteilung“. So sieht sich Schneiders berechtigt, kräftig auszuteilen. Ein Plädoyer als Anklage.

Der 425. Tag in dem Jahrhundertprozess am Oberlandesgericht München bietet wieder schrille Momente. Schneiders attackiert die Bundesanwaltschaft, den Verfassungsschutz, die Presse, den Mitangeklagten Carsten S. und dessen Anwälte – und am heftigsten die Richter. „Sie meinen, Sie seien nicht befangen? Befangener geht’s doch gar nicht“, die Stimme ist jetzt eine Oktave höher. Schneiders und die Co-Verteidiger Olaf Klemke und Wolfram Nahrath haben den 6. Strafsenat mit Befangenheitsanträgen überzogen wie niemand sonst im Prozess. Ohne Erfolg. Die Konfliktstrategie der Anwälte Wohllebens ist gescheitert.

Ankläger: Beihilfe zu neunfachem Mord

Der 43-Jahre alte Neonazi sitzt trotz aller Manöver seit November 2011 in Untersuchungshaft und wird vermutlich hart verurteilt. Die Bundesanwaltschaft wirft ihm vor, die Beschaffung der Mordwaffe Ceska 83 dirigiert zu haben. Mit der Pistole hatten die Terroristen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos neun Migranten türkischer und griechischer Herkunft erschossen.

Für die Ankläger ist Wohlleben schuldig, Beihilfe zu neunfachem Mord geleistet zu haben. Der Rechtsextremist und seine szenenahen Verteidiger bestreiten den Vorwurf vehement. Bundesanwalt Herbert Diemer hat im September 2017 in seinem Plädoyer zwölf Jahre Haft für Wohlleben gefordert. Das sei „schuld- und tatangemessen“.

Wohlleben war einer der führenden Köpfe der rechten Szene in Thüringen. Der Mann aus Jena inszenierte Rechtsrock-Festivals und brachte es in der NPD zum Vizechef des Landesverbands. Das braune Milieu hält auch heute noch zu ihm. Im Prozess sitzt auch am Dienstag wieder auf der Zuschauertribüne ein Trupp Neonazis und grüßt nach unten.

Verteidigerin insinuiert, Richter hätten politische Vorgaben

In Teilen klingt das Plädoyer von Schneiders perfide. Sie insinuiert, die Richter hätten politische Vorgaben. Und sie deutet an, die Verteidiger des Mitangeklagten Carsten S. könnten ihm eine falsche Aussage eingeredet haben. Carsten S. hatte zu Beginn des Prozesses gestanden, die Tatwaffe zu Böhnhardt und Mundlos gebracht zu haben. Und S. nannte Wohlleben als Drahtzieher.

Die Aussage hat enorme Bedeutung für das Bild, das die Bundesanwaltschaft von Wohlleben hat. Demnach war der Neonazi zumindest in den ersten Jahren nach dem Abtauchen von Böhnhardt, Mundlos und Beate Zschäpe die „steuernde Zentralfigur der gesamten Unterstützerszene“ des NSU. Schneiders hingegen sagt, Wohlleben sei unschuldig. Und „kein Ausländerhasser“, sondern ein „Realo“. Am Ende ihres Plädoyers beantragt sie, ihren Mandanten freizusprechen.

Das fordert auch Olaf Klemke, der zweite der drei Verteidiger Wohllebens. Klemke steigert die Polemik noch. Den Richtern ruft er zu, sie hätten ihr Urteil zu Wohlleben vermutlich „bereits im wesentlichen schriftlich begründet“ und dächten nur noch über das Strafmaß nach. Unter zwölf Jahren Haft würden sie es kaum machen wollen, „wir sind schließlich in Bayern“.

Klemke giftet, „oder sollten es doch lieber 13 Jahre sein, wegen der Lobpreisung in den rot-grün durchsetzten Medien?“ Dann kommt noch ein Schuss Rassismus. Klemke schwafelt über eine „Migrantenlobby“ und behauptet, das deutsche Volk habe sich „dem eigenen Untergang als Abstammungs- und Schicksalskultur zu fügen“. Doch Klemke pöbelt nicht nur. Er nennt in seinem Plädoyer auch Punkte, die ein szeneferner Anwalt thematisieren würde.

Der Verteidiger bezweifelt, dass Carsten S. bei den Vernehmungen durch Bundesanwaltschaft und Bundeskriminalamt nach der Festnahme 2012 die ihm vorgelegte Ceska 83 als die Waffe wiedererkannte, die er im Jahr 2000 mit Schalldämpfer und Munition Böhnhardt und Mundlos geliefert hatte. Die Bundesanwaltschaft, mutmaßt Klemke, habe Carsten S. „freundliche Hilfestellung“ geleistet.

Am Nachmittag bricht Götzl ab

Die Identifikation der Mordwaffe ist für die Frage, ob Wohlleben und Carsten S. schuldig sind, von besonderer Bedeutung. Sollten sich die Richter nicht sicher sein, ob Carsten S. im Auftrag Wohllebens die Ceska 83 oder doch eine andere Pistole dem NSU übergab, könnte Wohlleben nicht zu einer hohen Haftstrafe verurteilt werden. Dass der Strafsenat die Zweifel teilt, ist allerdings wenig wahrscheinlich. Die Richter lehnten Anträge auf Entlassung Wohllebens aus der Untersuchungshaft auch mit dem Argument ab, es sei plausibel, dass Carsten S. 2012 die Mordwaffe wiedererkannt habe.

Am Nachmittag bricht der Vorsitzende Richter Manfred Götzl den Verhandlungstag ab, Klemke hat auf Kopfschmerzen und Konzentrationsproblemen Wohllebens verwiesen. Das Plädoyer soll diesen Mittwoch fortgesetzt werden. Nach Klemke will auch der dritte Verteidiger, Wolfram Nahrath, einen Schlussvortrag halten. Nahrath ist in der rechten Szene ein Prominenter. Er war „Bundesführer“ der neonazistischen, uniformiert auftretenden „Wiking Jugend“, die 1994 der damalige Bundesinnenminister Manfred Kanther (CDU) verbot.

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