60. Tag im NSU-Prozess: Wie die Neonazi-Mörder ahnungslose Camper täuschten
Als Max, Gerri und Liese machte das NSU-Trio regelmäßig Urlaub auf der Ostseeinsel Fehmarn. Im Prozess erinnern sich Zeugen an gemeinsame Grillabende und Quizspiele.
Sie haben alle getäuscht. Auf der Ostseeinsel Fehmarn fielen ahnungslose Camper auf die Geschichte von Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe herein, die als „Max“, „Gerri“ und „Liese“ Urlaub machten. „Max und Liese“ seien „sehr redselig“ gewesen, sagte am Dienstag ein Zeuge im NSU-Prozess am Oberlandesgericht München. Die beiden hätten erzählt, sie seien zu DDR-Zeiten zusammen zur Schule gegangen, und dass die Wende und die Zeit danach chaotisch gewesen sei.
Der Zeuge, ein Bauingenieur aus Niedersachsen, verbringt mit seiner Familie den Sommerurlaub regelmäßig auf einem Campingplatz mit zu mietenden Wohnwagen auf Fehmarn. Von 2007 bis 2011 traf man Max, Gerri und Liese. Sie hatten den benachbarten Wohnwagen, der neben dem der niedersächsischen Familie stand. Aber etwas unheimlich war Gerri alias Böhnhardt dem Zeugen damals schon. Der junge Mann habe „eine gruselige Tätowierung“ gehabt, sagte der Zeuge, „einen Totenkopf und einen Stahlhelm“. Gerri habe von einer „Jugendsünde“ gesprochen und sie damit erklärt, dass in der Wendezeit „einiges chaotisch war“.
Böhnhardt übermalte Tätowierung
Der Zeuge und seine Familie stellten aber keine Fragen zu dem Tattoo, ein Verdacht auf eine rechtsextreme Gesinnung bei Gerri kam nicht auf. Böhnhardt selber, den der Zeuge als „etwas stiller“ beschrieb, schien aber zu merken, dass seine Tätowierung Aufmerksamkeit erregte. Bei einem weiteren Urlaub sei sie übermalt gewesen, sagte der Bauingenieur. „Das war für uns auch okay, anders ging sie ja nicht weg.“
Enger war der Kontakt des Zeugen zu Uwe Mundlos alias Max. Er habe Max beim Surfen einiges beigebracht, sagte der Bauingenieur. Mundlos nahm ihn auch mit, um sich ein Surfbrett und ein Segel zu kaufen. Der Zeuge war überrascht, dass Mundlos die Beträge, jeweils mehrere hundert Euro, bar bezahlte und nicht mit einer Karte.
Bundesanwaltschaft hält Zschäpe für NSU-Kassenwärterin
Das Thema Geld ist für den Prozess wichtig, weil die Bundesanwaltschaft Zschäpe vorhält, sie habe die Kasse der Terrorzelle NSU verwaltet. Mundlos und Böhnhardt hatten bei ihren Überfällen auf Bankinstitute mehr als 600 000 Euro erbeutet. Der Zeuge konnte sich allerdings nicht mehr an seine brisante Aussage vom November 2011 erinnern. Da hatte er der Polizei berichtet, seine Familie habe den Eindruck gehabt, Mundlos und Böhnhardt hätten Zschäpe gefragt, wenn sie Geld brauchten. Der Bauingenieur konnte auch nicht mehr sagen, wer die Rechnung beglich, wenn man mit den dreien ins Restaurant ging.
Die Ehefrau des Zeugen, die nach ihm aussagte, hatte jedoch im Gedächtnis, Zschäpe hat das Geld der drei verwaltet, „das war ganz klar“. Einer der beiden Männer habe erzählt, sie zahlten in die Urlaubskasse ein und „Liese“ verwalte das Geld. Sie habe Max und Gerri „bemuttert“, sagte die Zeugin.
Erinnern konnte sich der Zeuge an gemeinsame Grillabende und Quizspiele auf Fehmarn. Als der NSU aufflog, sei die Familie jedoch überrascht gewesen, „wie wenig wir tatsächlich wussten“. Die drei hätten von sich nicht viel Persönliches erzählt. Nur Mundlos wagte sich offenbar einmal erstaunlich weit vor. Er berichtete, er habe einen behinderten Bruder und sein Vater sei Informatikprofessor. Das stimmte.
Der Nachname von „Max“ fiel dem Zeugen nicht mehr ein. Er wusste aber noch, dass Zschäpe sich Liese Eminger nannte. Der Nachname ist identisch mit dem eines der Angeklagten im Prozess, der die Terrorzelle lange unterstützt haben soll, möglicherweise zusammen mit seiner Frau. Böhnhardt habe auf Fehmarn erzählt, sein Spitzname Gerri sei auf seinen Nachnamen Gerlach zurückzuführen, sagte der Zeuge. Der NSU-Mörder hatte sich als Holger Gerlach ausgegeben. Im Prozess sitzt ein Angeklagter, der so heißt. Er hat zugegeben, Böhnhardt einen manipulierten Reisepass verschafft zu haben.
Streit zwischen Zschäpes Verteidigern und psychiatrischem Sachverständigen
Unterdessen schwelt im Prozess ein Konflikt zwischen den Verteidigern Zschäpes und dem psychiatrischen Sachverständigen Henning Saß. Er hat den Auftrag, die Hauptangeklagte, die jegliche Angaben verweigert, bei jedem Verhandlungstag zu beobachten und ein Gutachten zu erstellen. Die Anwälte sind von Saß genervt, weil er auch in Pausen versucht, sich in Zschäpes Nähe aufzuhalten. Verteidiger Wolfgang Heer stellte am Mittwoch den Antrag, der Strafsenat solle den Psychiater „leiten, seinem Gutachten keine Feststellungen zugrunde zu legen, die er anhand von Gesprächen der Mandantin mit ihren Verteidigern innerhalb und außerhalb der Hauptverhandlung sowie durch Inaugenscheinnahme der Mandantin in Sitzungspausen erlangt“.
Die Verteidiger verlangten auch, Saß solle im Sitzungssaal ein Platz weiter entfernt von der Anklagebank zugewiesen werden. Die Distanz zwischen Gutachter und Zschäpe beträgt etwa etwa zwei Meter. Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl reagierte ironisch und forderte Saß auf, sich ein klein wenig wegzubewegen. Der Psychiater stand auf und setzte sich auf einen Stuhl gleich neben seinem alten.