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Demonstration zum Gedenken an den 22-jährigen Burak Bektas am 5.4.2014. Bektas wurde in der Nacht zum 5. April 2012 in Berlin-Neukölln erschossen.
© Florian Schuh/dpa

NSU-Prozess/190. Tag: Waren die NSU-Morde Vorlage für grausame Tat in Berlin?

Vor knapp drei Jahren wurde in Berlin-Neukölln der junge türkischstämmige Burak Bektas erschossen. Der Anwalt der Familie glaubt an eine Nachahmertat nach dem Muster der NSU-Verbrechen.

Der NSU hat unfassbar viel Leid angerichtet. Die Neonazis Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt erschossen zehn Menschen, mehr als 20 wurden bei weiteren Anschlägen sowie Raubüberfällen verletzt. Die Angehörigen der Toten und die überlebenden Opfer sind für den Rest ihres Lebens stark belastet, das haben ihre Aussagen im Prozess am Oberlandesgericht München immer wieder verdeutlicht. Doch womöglich ist der Terror noch nicht vorbei. Es lässt sich nicht ausschließen, dass die Morde des NSU auch nach dem Ende der Terrorzelle im November 2011 gewirkt haben. Als Vorlage für eine grauenhafte Tat in Berlin.

Keine heiße Spur

So sehen es zumindest die Mutter und der Bruder von Burak Bektas. Der 22-Jährige wurde in der Nacht zum 5. April 2012 im Bezirk Neukölln von einem Mann getötet, der bis heute nicht gefasst ist. Der Täter kam wortlos auf den türkischstämmigen Bektas und vier Bekannte zu, die sich an der Rudower Straße nahe dem Klinikum Neukölln aufhielten. Mit seiner Waffe schoss der Unbekannte auf Bektas und die Jugendlichen Alex A. und Jamal A. Dann verschwand der Mann. Bektas starb, Alex A. und Jamal A. überlebten schwer verletzt. Eine heiße Spur gibt es nicht.

„Das Motiv ist das gleiche wie beim NSU“, sagt Melek Bektas, die Mutter des Toten, „weil es kein anderes gibt“. Melek Bektas ist am Donnerstag mit ihrem zweiten Sohn Fatih ins Oberlandesgericht München zum NSU-Prozess gekommen, „wir wollen auf Buraks Fall aufmerksam machen“. Mit Tränen in den Augen sitzen Mutter und Sohn sowie ihr Berliner Anwalt Mehmet Daimagüler an einem Tisch im abgetrennten, kargen Aufenthaltsbereich neben der Zuschauertribüne von Saal A 101. Unten, am Platz vor dem Haupteingang, haben junge Antirassisten aus Berlin Transparente zwischen einer Laterne und einem Baum aufgehängt. „Wer hat Burak ermordet?“ steht da. Und „Wir fordern Aufklärung“, „Wir gedenken der vom NSU Ermordeten – Das Problem heißt Rassismus“ sowie „Zum Gedenken an Burak – Rassismus wieder das Motiv?“

Quälende Ungewissheit

Melek und Fatih Bektas sind zermürbt. „Wir haben viel gemacht“, sagt die Mutter, „Mahnwachen, Demonstrationen, aber es hat gar nicht geholfen. Die Polizei hat alle Möglichkeiten, wie haben nichts mehr.“ Nicht nur der Schmerz über den Verlust von Burak quält die Familie. Es ist auch die Ungewissheit, wer der Täter ist, und die Angst, er könnte nochmal zuschlagen.

„Vielleicht sehe ich ihn beim Einkaufen“, sagt Melek Bektas. „Wenn es am Abend dunkel wird, habe ich Angst, nach Hause zu gehen.“ Mehmet Daimagüler sagt, „der Gedanke ist erschreckend, dass der Täter möglicherweise aus der Umgebung kommt“. Der Anwalt hat sich mit dem Fall Bektas wieder eine schreckliche Geschichte aufgeladen. Im NSU-Prozess vertritt er Hinterbliebene der von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt in Nürnberg mit mehreren Schüssen getöteten Abdurrahim Özüdogru und Ismail Yasar.

„Der Mord an Burak Bektas geschah fünf Monate nach dem Auffliegen des NSU“, sagt Daimagüler. Er fordert, „die Polizei müsste in Richtung Rechtsextremismus stärker nachschauen“. Zumal auf Facebook zynische Kommentare zum Mord an Burak Bektas erschienen. „Da wurde der Kanake vor meiner Tür abgeknallt“ gab ein Schreiber von sich, der mutmaßlich nicht weit vom Tatort wohnt.

Der Anwalt sagt aber auch, er mache der Mordkommission und der Staatsanwaltschaft keine Vorwürfe. Doch angesichts der für ihn und Familie Bektas offensichtlichen Parallelen zu den blitzartigen Morden des NSU an neun türkisch- und griechischstämmigen Migranten sowie einer Polizistin erwartet Daimagüler, dass die Ermittlungen intensiviert werden. Auch mit Blick auf die rechte Szene in Brandenburg. Das Land ist vom Tatort in Neukölln nur wenige Kilometer entfernt.

Nachahmertat im NSU-Stil vorstellbar

Doch wie ähnlich sind sich die Mordserie der Terrorzelle und das Attentat auf Bektas und seine Bekannten? Es fällt auf, dass der Täter in Neukölln genauso wie Mundlos und Böhnhardt plötzlich auftauchte, sofort feuerte und gleich wieder weg war. Da ist eine Nachahmertat im Stil des NSU vorstellbar, zumindest für die Situation des Angriffs. Andererseits haben Mundlos und Böhnhardt die meisten Anschlagsziele, kleinere Läden und Imbisse, längere Zeit ausgespäht. Burak Bektas und die vier weiteren jungen Männer hingegen waren auf der Rudower Straße lediglich unterwegs, der Tatort war für sie kein fester Treffpunkt. Stieß der Todesschütze also zufällig auf die Gruppe und zog seine Waffe – aus Hass auf Migranten? Und damit dann doch im selben Ungeist wie der NSU?

„Wir haben keine Hinweise auf das Motiv“, sagt Stefan Redlich, Sprecher der Berliner Polizei. „Wir haben immer gesagt, wir ermitteln in alle Richtungen“, betont er, „dazu zählt ausdrücklich auch eine rechtsextreme Motivation“. Das Dezernat Rechtsextremismus der Abteilung Staatsschutz sei nach wie vor in die Ermittlungen einbezogen.

Im Sommer 2014 befasste sich die Polizei mit einem mutmaßlichen Sympathisanten der rechten Szene, bei dem auch eine Waffe gefunden wurde. Doch der Verdacht ließ sich nicht erhärten. Und die Ermittlungen erschwert, dass die Zeugen des Mordes an Bektas den Täter nur ungenau beschreiben konnten. Etwa 1,70 bis 1,80 Meter groß, Alter zwischen 40 und 60. Das ist zu wenig für ein Phantombild. Auch ein Beitrag in der Sendung „Aktenzeichen XY“ und die ausgelobte Belohnung in Höhe von 15 000 Euro brachten nichts. Doch die Polizei, sagt Redlich, bleibe an dem Fall dran.

Nur kurz auf der Zuschauertribüne

Melek Bektas und Sohn Fatih setzen sich nach dem Gespräch mit dem Tagesspiegel auf die Zuschauertribüne. Es ist der 190. Tag im NSU-Prozess. Lange bleiben die beiden allerdings nicht. Die Verhandlung ist auch wieder schwer erträglich.

Ein Zeuge aus Chemnitz, ein gelackter Typ, der zumindest in seiner Jugend ein Rechtsextremist war, gibt dem Vorsitzenden Richter Manfred Götzl arrogante Antworten. „Es war nicht so, dass alle gesagt haben, ei, mein Gott“, sagt der 39-Jährige auf die Frage, ob das nicht etwas Besonders war, dass Mundlos, Böhnhardt und Beate Zschäpe 1998 in Chemnitz bei Bekannten aus der Szene untertauchen konnten.

Er nennt Mundlos einen Freund, „ich kann nichts Negatives über ihn sagen, er war aufgeschlossen, lustig, hatte eine gewisse Ironie, er war politisch orientiert, sportlich“. Als der Richter die politische Orientierung von Uwe Mundlos erläutert haben will, sagt der Zeuge lapidar „eher rechtskonservativ“. Als Götzl ungläubig blickt, schiebt er nach, „mehr so in der rechten Szene“. Sein eigenes Weltbild, behauptet der Zeuge, „kann ich nicht beschreiben“. Eben rechts orientiert, „ich sehe nichts Verwerfliches darin“. Melek und Fatih Bektas hören es nicht. Sie haben den Saal bereits verlassen.

Beate Zschäpe - Hauptangeklagte im NSU-Prozess.
Beate Zschäpe - Hauptangeklagte im NSU-Prozess.
© Peter Kneffel/dpa

Weniger Termine bis Ostern

Der Prozess selbst wird in den kommenden Wochen verlangsamt. Da Zschäpe seit Februar angeschlagen wirkt, hat der Strafsenat für die drei Wochen bis zur Osterpause nur noch je zwei statt drei Verhandlungstage terminiert. Die Richter folgen damit einer Empfehlung von Professor Norbert Nedopil, der an der Universitätsklinik München die Abteilung Forensische Psychatrie leitet. Er hatte Zschäpe untersucht. Laut Nedopil ist sie verhandlungsfähig, dennoch sollte die Zahl der Prozesstage vorübergehend reduziert werden.

Der vergangene Dienstag und ein Tag im Februar waren bereits wegen einer Erkrankung der Angeklagten ausgefallen. Die Richter haben zudem den Zugang von Fotografen und Fernsehteams zum Prozess eingeschränkt, um Zschäpe zu schonen. Ihre Verteidiger hatten in einem Antrag gefordert, das tägliche Blitzlichtgewitter zu beenden. Die Anwälte sahen die Menschenwürde ihrer Mandantin verletzt. Seit dieser Woche dürfen Fotografen und Kameraleute nur noch am ersten und siebten Verhandlungstag morgens die Angeklagten ablichten. Der Strafsenat will allerdings bei „besonderen Prozesssituationen“ Aufnahmen zulassen.  

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