Prozess gegen Beate Zschäpe: Der lange Weg der Ceska zum NSU
Zeugen weigern sich auszusagen oder haben Erinnerungslücken. Dennoch glaubt die Staatsanwaltschaft am 139. Tag des Prozesses, den Weg der Mordwaffe aus der Schweiz zum NSU nachweisen zu können.
Die Schweizer Polizei bekam von den deutschen Kollegen einen schwierigen Fall präsentiert. Nach den Morden an acht türkischstämmigen Migranten und einem Griechen von 2000 bis 2006 in der Bundesrepublik führte eine heiße Spur ins Land der Eidgenossen – von hier, das hatte das Bundeskriminalamt herausgefunden, musste die Ceska 83 stammen, die mutmaßlich bei den Attentaten zum Einsatz gekommen war. Damals wussten zwar weder die Schweizer noch die deutsche Polizei, dass die rechtsextreme Terrorzelle NSU die Morde verübt hatte, aber der zumindest nominelle Erstkäufer der Tatwaffe, vermutlich ein Strohmann, wurde ausfindig gemacht. Der tischte allerdings den Schweizer Beamten jahrelang eine seltsame Geschichte auf. Ihr geht nun der 6. Strafsenat des Oberlandesgerichts München im NSU-Prozess nach.
In dieser Woche sind zwei Beamte der Polizei des Kantons Bern geladen. Auch wenn nur der zweite sich einigermaßen an Vernehmungen des mutmaßlichen Strohmannes erinnern kann, ist doch ein trübes Milieu zu ahnen. Der Schweizer Peter G. besorgte sich in den 1990er Jahren in seinem Land legal zwei Waffenerwerbsscheine, beschaffte sich aber offenbar selbst kein Schießgerät. Die deutsche Polizei und ihre Kollegen in der Alpenrepublik fanden jedoch nach den Morden an den neun Migranten heraus, dass die Ceska 83 im April 1996 mutmaßlich von der Waffenfirma Schläfli & Zbinden in Bern an Peter G. verkauft worden war. Auf Bitte des Bundeskriminalamts vernahmen Schweizer Beamte 2007, 2008 und 2009 den Mann. Und der log offenkundig jedes Mal.
Die Waffenscheine seien ihm "abhanden gekommen"
Obwohl der Name von Peter G. im Waffenbuch von Schläfli & Zbinden beim Kauf von gleich zwei Ceska 83 vermerkt ist, behauptete er immer wieder, damit nichts zu tun zu haben. Die Waffenerwerbsscheine seien ihm „abhanden gekommen“, erzählte Peter G. den Beamten. Erst im Januar 2012, als der NSU zwei Monate zuvor aufgeflogen war, änderte er seine Aussage. Er habe wegen fnanzieller Probleme die Scheine für 400 Franken verkauft, sagte er den Schweizer Beamten, „das war die Scheiße, die ich gemacht habe“. Und Peter G. nannte einen Namen: Hans-Ulrich M. Der war ein Motorradkumpel von Peter G. Die beiden hatten gemeinsame „Töff-Fahrten“ unternommen, wie Ausflüge mit dem Motorrad in der Schweiz genannt werden. Hans-Ulrich M. ist eine zentrale Figur auf dem Weg der Ceska 83 nach Deutschland.
Über die Waffenerwerbsscheine, auf denen weiterhin der Name Peter G. stand, kam Hans-Ulrich M. an die zwei Ceska 83 heran. Obwohl der Waffenkauf 1996 in der Schweiz einfach und legal zu machen war, wollte Hans-Ulrich M. wohl nicht als Käufer in Erscheinung treten. Es ging ihm offenbar um einen Weiterverkauf nach Deutschland, wo das Waffenrecht erheblich schärfer ist und Interessenten aus dubiosen Kreisen nach Möglichkeiten suchen, illegal an Pistolen zu gelangen.
Hans-Ulrich M. habe ihm gesagt, es sei besser, er wisse nicht, wohin die Waffen gegangen seien, sagte Peter G. im Januar 2012 der Schweizer Polizei. Peter G. will dann auch nicht weiter gefragt haben. Und er beteuerte, wie schon 2007, 2008 und 2009, er habe keine der mit den Waffenerwerbsscheinen gekauften Ceska 83 „in den Fingern gehabt“.
Der Weg der Ceska, mit der die NSU-Mörder Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt die neun Migranten erschossen, ist aus Sicht der Bundesanwaltschaft einigermaßen klar. Hans-Ulrich M. soll die Pistole an den Thüringer Jürgen L. verkauft haben. Den Kontakt soll ein gemeinsamer Bekannter, Enrico T., hergestellt haben. Jürgen L. verscherbelte die Waffe dann laut Bundesanwaltschaft an Andreas S., der in Jena in einem Laden für rechte Szenebekleidung tätig war. Andreas S. hat bei der Polizei zugegeben, die Waffe an einen der Angeklagten im NSU-Prozess, Carsten S., verkauft zu haben. Carsten S. gestand zu Beginn der Hauptverhandlung, er habe im Frühjahr 2000 die Ceska für 2500 D-Mark erworben und zu Mundlos und Böhnhardt nach Chemnitz gebracht. Dort hielten sich die beiden Männer gemeinsam mit Beate Zschäpe versteckt. Die Übergabe der Waffe soll in einem Abbruchhaus erfolgt sein.
Die Zeugen verweigern sich
Carsten S. hat zudem den mitangeklagten Ex-NPD-Funktionär Ralf Wohlleben belastet. Wohlleben soll den Erwerb der Ceska über den Szeneladen in Jena eingefädelt und die 2500 D-Mark gegeben haben. Die Verteidiger Wohllebens bestreiten das, der Angeklagte selbst schweigt beharrlich. Die Richter haben jedoch im Juni in einem Beschluss mitgeteilt, sie sähen weiterhin einen dringenden Tatverdacht gegen Wohlleben und hielten das Geständnis von Carsten S. für glaubwürdig. Für den Strafsenat kam deshalb eine Entlassung Wohllebens aus der Untersuchungshaft nicht infrage. Die Bundesanwaltschaft wirft Wohlleben und Carsten S. die Beihilfe zu neun Morden vor.
Weder Peter G. noch Hans-Ulrich M. sind bereit, als Zeugen im NSU-Prozess aufzutreten. Auf Ersuchen des Oberlandesgerichts München hat die Staatsanwaltschaft Bern im Juni die beiden Männer in Thun vernommen. Anwesend waren auch zwei Vertreter der Bundesanwaltschaft, Verteidiger der Angeklagten Zschäpe, Wohlleben und Carsten S. sowie Anwälte von Opferfamilien. Der Termin brachte nicht viel. Hans-Ulrich M. behauptete, er habe die Ceska 83 weder bestellt noch nach Deutschland verkauft.
Wenig ergiebig waren auch die Auftritte der Männer, die in der Bundesrepublik in die Weitergabe der Ceska eingebunden gewesen sein sollen. Jürgen L. bestritt als Zeuge im NSU-Prozess, die Ceska an Andreas S. verkauft zu haben. Andreas S. weigerte sich, überhaupt etwas zu sagen. Und Enrico T., der das Bindeglied zwischen Jürgen L. und Hans-Ulrich M. gewesen sein soll, präsentierte in München reihenweise Erinnerungslücken. Die Bundesanwaltschaft ist dennoch sicher, in der Anklage den Weg der Ceska 83 von der Schweiz zu Mundlos und Böhnhardt nachweisen zu können.