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Blick in den Gerichtssaal in München während des NSU-Prozesses.
© Peter Kneffel/dpa

NSU-Prozess - 233. Tag: Wampe mit Hassparole

André E. gibt sich im NSU-Prozess cool. Zu den Vorwürfen, die Terroristen Mundlos und Böhnhardt unterstützt zu haben, schweigt er. Umso aussagekräftiger sind seine Tätowierungen.

Der Anblick ist gruselig. Auf dem voluminösen Bauch des Angeklagten André E. prangt eine Art Tattoo-Gemälde, das für einen Horrorfilm mit Nazis angefertigt worden sein könnte. In der Mitte zieht sich der Schriftzug „Die Jew Die“ (Stirb Jude stirb) entlang, darüber stoßen zwei Pistolen aufeinander.

Bei den Waffen handelt es sich offenbar um Exemplare der Walther P 38, einst Dienstpistole der Wehrmacht. Unter „Die Jew Die“ schlängeln sich Runen. „Sie ergeben den Satz, ,Du bist nichts, Dein Volk ist alles’“, erläutert ein Kriminaloberkommissar. Der Beamte des BKA tritt am Mittwoch am Oberlandesgericht München als Zeuge im NSU-Prozess auf und beschreibt betont sachlich, was auf den bizarren Bildern zu sehen ist, die zwei Beamer im Gerichtssaal an die Wände werfen.

Der aus den Runen übersetzte Spruch sei bekanntlich eine Parole des NS-Regimes gewesen, sagt der BKA-Mann. Flankiert werden die germanischen Schriftzeichen  von zwei Flammen, jede kombiniert mit der Zahl 8. Die sich daraus ergebende 88 ist einer der beliebtesten Codes der rechtsextremen Szene. Die Ziffern stehen für das H im Alphabet und bedeuten „Heil Hitler“. Und das ist noch nicht alles, was André E. seiner Haut zumutet. Selbst Hände und Fingerknöchel sind tätowiert.

Der gelernte Maurer gebärdet sich betont subkulturell. Ein Nazi-Freak, auch mit Tunnelohrringen, aber ohne Glatze, die Haare sind einfach nur kurz. Die vier anderen Angeklagten, Beate Zschäpe, der Ex-NPD-Funktionär Ralf Wohlleben, Holger G. und der Aussteiger Carsten S., wirken vergleichsweise bieder.

André E. erscheint auch im Gericht in martialischer Aufmachung: schwarze Lederweste mit Karabiner-Schließen, Armee- oder Zimmermannshose, T-Shirts mit Szene-Motiven. Auf einem Leibchen war sogar der RAF-Terrorist Andreas Baader abgebildet. Doch das schrille Outfit steht in Kontrast zur Rolle des Angeklagten im NSU-Prozess. Um ihn ging es in den bislang 233 Tagen nur am Rande.

Die Bundesanwaltschaft wirft dem 36-Jährigen aus Zwickau vor, den NSU unterstützt zu haben. André E. soll unter anderem das Wohnmobil gemietet haben, das die Terroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt im Dezember 2000 mutmaßlich für den Sprengstoffanschlag auf ein iranisches Lebensmittelgeschäft in Köln nutzten. André E. selbst schweigt zu den Vorwürfen wie auch zu seiner Biografie, in der die Gründung der Rassistentruppe „Weiße Bruderschaft Erzgebirge“ offenbar ein Höhepunkt war.

Seine Verteidiger äußern sich kaum. Sie scheinen zu hoffen, mit einer möglichst leisen Strategie könnten sie ihren Mandanten vor einem harten Urteil und dem erneuten Gang ins Gefängnis bewahren. André E. saß von November 2011 bis Juni 2012 in Untersuchungshaft, in München kann er sich während des Prozesses frei bewegen. Manchmal trifft er seinen ebenfalls rechtsextremen Zwillingsbruder Maik und andere Neonazis. Im Gerichtssaal ist André E. erstaunlicherweise morgens einer der ersten. Aber dann passiert nicht viel. Er blättert gern in Zeitschriften, in denen Motorräder abgebildet sind.

SS-Totenkopf aus der Brust

André E. gibt sich cool. Die Hauptverhandlung sitzt er mit einer Mimik ab, die eher zur lästigen Wartezeit in einem Einwohnermeldeamt passt. Am Mittwoch betrachtet er seine an die Wand projizierten Tätowierungen mit einem spöttischen Grinsen, ähnlich wie bei einer ersten, kurzen Präsentation der Scheußlichkeiten vor anderthalb Jahren im Prozess. Zu sehen sind nun ein SS-Totenkopf an der Brust, eine schwarz-weiß-rote Fahne, einst Flagge des Kaiserreiches und auch von den Nazis als offizielle Farben geführt, dann eine Lebensrune mit dem Schriftzug „Susann“, allerdings nicht in Runenschrift.

Susann E. ist die Ehefrau des Angeklagten und ebenfalls eine der Beschuldigten im NSU-Komplex. Auch sie soll die Terrorzelle unterstützt haben, womöglich bis zu deren Ende im November 2011. Susann E., sagt der BKA-Beamte, habe sich ebenfalls eine Lebensrune tätowierten lassen, im Nacken.

Es folgen weitere Bilder. Auch in die Arme hat sich André E einschlägige Zeichnungen stechen lassen. Das härteste Foto zeigt allerdings eine klassische Familienidylle. André E. sitzt mit nacktem Oberkörper in einem Strandkorb. Neben seinem kleinen Sohn. Der Junge hat noch keine Gruselzeichen auf der Haut. Was er darüber denkt, dass sein Vater derart wüst tätowiert ist und das am Strand auch noch zeigt, ist dem Gesichtsausdruck des Kleinen nicht zu entnehmen.

Die Lichtbilder hat das BKA aus dem Privathaushalt von André E. Er hatte sich nach der Festnahme geweigert, die Tätowierungen auf der Wampe fotografieren zu lassen. Die Bundesanwaltschaft reagierte mild. Um André E. „nicht unnötig zu belasten“, sei auf „unmittelbaren Zwang“ verzichtet worden, sagt der BKA-Mann.

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