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Die Angeklagte Beate Zschäpe betritt am 24.09.2015 den Gerichtssaal in München (Bayern), in dem ihr Anwalt Mathias Grasel auf sie wartet.
© dpa

NSU-Prozess - Tag 232: "Jetzt ist klar: das Urteil steht"

Der 232. Prozesstag ist eine Wegmarke, denn Richter Manfred Götzl vermittelte vor allem einen Eindruck: Wir wissen genug.

Die Aussage klang brisant. Er könne Angaben zu zwei Mordwaffen des NSU machen, sagte ein Rechtsextremist im Dezember 2011 der Polizei in Dortmund. Knapp sechs Wochen zuvor war die Terrorzelle aufgeflogen, Polizei und Bundesanwaltschaft ermittelten mit großem Aufwand zu den zehn Morden und weiteren Verbrechen, die dem NSU zugeschrieben wurden. Der Rechtsextremist erwähnte zwei Pistolen, eine Bruni Modell 315 Auto und eine Tokarew TT 33. Außerdem sprach der Mann von einer belgischen Waffen-Connection. Eine interessante Spur, so scheint es – doch geschehen ist wenig.

Mit der Bruni hatten die NSU-Terroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt bei den Morden an zwei Türken geschossen, die Tokarew kam in Heilbronn beim Attentat auf die Polizistin Michèle Kiesewetter und ihren Kollegen zum Einsatz. Dennoch gingen die Behörden der Aussage des Dortmunder Rechtsextremisten und mutmaßlichen V-Mannes des Verfassungsschutzes offenbar kaum nach. Und eine Klärung ist nun auch im NSU-Prozess am Oberlandesgericht München nicht mehr zu erwarten.

Mehrere Opfer-Anwälte hatten gefordert, den Mann als Zeugen zu hören. Am Dienstag wurden sie enttäuscht. Die Anträge seien abgelehnt, sagte der Vorsitzende Richter Manfred Götzl. Der Begründung war zu entnehmen, dass der Strafsenat in der Aussage über Lieferanten von Waffen keine Bedeutung für die Frage sieht, ob die fünf Angeklagten schuldig sind und wenn ja, wie sie zu bestrafen wären.

Der Beschluss erstaunt. Immerhin wurden im Prozess im Fall der Mordwaffe Ceska 83, mit der Mundlos und Böhnhardt bei jedem der neun Anschläge auf Migranten türkischer und griechischer Herkunft gefeuert hatten,  monatelang Zeugen zum Lieferweg der Pistole von der Schweiz zu den Tätern gehört. Paradoxerweise könnte das aber einer der Gründe sein, warum die Stationen von Bruni und Tokarew jetzt nicht mehr wichtig sind.

Offenbar wissen die Richter nach 28 Monaten Beweisaufnahme genug, um über die fünf Angeklagten urteilen zu können. Dieser Eindruck verfestigte sich am Dienstag nahezu im Minutentakt. Götzl präsentierte noch zehn weitere Beschlüsse sowie eine Verfügung. Der Tenor war trotz unterschiedlicher Themen immer derselbe: die Anträge von Nebenklage-Anwälten, vereinzelt auch von Verteidigern, werden abgelehnt. Mehrmals betonte Götzl, eine Beweisaufnahme zu den Fällen, die in den Anträgen genannt sind, sei für die „Entscheidung“, also das Urteil, bedeutungslos.

Der 232. Prozesstag war demnach eine Wegmarke. „Jetzt ist klar: das Urteil steht“, vermutete ein Anwalt. Mehrere Kollegen äußerten sich ähnlich. „Wir sind jetzt in der Endphase angekommen“, sagte ein Anwalt, „die Richter machen den Schreibtisch leer“. Die drei Vertreter der Bundesanwaltschaft waren sichtlich zufrieden. Sie haben sich im Prozess gegen fast alle Beweisanträge von Nebenklage-Anwälten und Verteidigern ausgesprochen und viel Kritik auf sich gezogen. Es hat die Bundesanwaltschaft kaum gestört. Sie will ihre Anklage durchbringen und hält es für unnötig, die rechtsextreme Szene stärker zu durchleuchten, als das bereits in der Anklageschrift geschieht. Doch in den Reihen der Opfer-Anwälte, fast 50 waren am Dienstag im Saal, ist zumindest bei einem harten Kern der Wille ungebrochen, bei den vielen offenen Fragen im NSU-Komplex Antworten einzufordern.

„Wir lassen uns das nicht gefallen“, sagte der Berliner Anwalt Sebastian Scharmer zum Beschluss des Senats, auf den Dortmunder Rechtsextremisten als Zeugen zu den Mordwaffen Bruni und Tokarew zu verzichten. Scharmer vertritt mit Kollegen die Familie des Türken Mehmet Kubasik, den Mundlos und Böhnhardt 2006 in Dortmund erschossen hatten. Die Anwälte wollen nun mit einer „Gegenvorstellung“ den Beschluss anfechten. Dass ein Dortmunder Rechtsextremist mit womöglich wertvollen Hinweisen zu zwei Mordwaffen nicht gehört werden soll, halten die Vertreter der Angehörigen eines Dortmunder Opfers für inakzeptabel, und nicht nur sie. Auch wenn Mehmet Kubasik lediglich mit der Pistole Ceska 83 getötet wurde.

Doch Scharmer und die weiteren Anwälte befürchten, im Prozess werde die Chance vertan, weiteren Unterstützern der Terrorzelle auf die Spur zu kommen. Obwohl die Juristen das nicht hinnehmen wollen, setzen sie nun noch mehr Hoffnungen auf den Untersuchungsausschuss, den der Bundestag vermutlich im November zum NSU-Komplex einsetzen wird.

Die Richter in München hingegen sehen offenbar nach fast zweieinhalb Jahren Prozess nicht mehr viel Spielraum für weitere Aufklärung. Etwa 450 Zeugen wurden bislang gehört, dazu zahlreiche Sachverständige. Dass dem Strafsenat allmählich die Geduld ausgeht, wurde schon am Dienstagmorgen deutlich. Götzl kanzelte einen Nebenklage-Anwalt ab, dessen Mandantin bislang nicht im Prozess erschienen ist und womöglich nie kommen wird.

Die Frau hatte beim Nagelbombenanschlag des NSU in der Kölner Keupstraße mehrere Schnittwunden erlitten. Götzl wollte von dem Anwalt wissen, wann er zuletzt Kontakt zu der Frau hatte, die sich vermutlich in der Türkei aufhält. „Im Juni“, lautete die Antwort. Das war Götzl viel zu lange her. „Wir müssen doch mal weiterkommen“, herrschte er den Anwalt an. Und der Richter verlangte von ihm, bis zu diesem Mittwoch „eine ausführliche Darstellung des Sachverhalts zu geben“. Andernfalls werde es Ermittlungen geben.

Getrübt war Götzls Laune allerdings schon vorher. Gleich nach Beginn der Verhandlung teilte der Richter mit, in Köln sei auf der Straße eine DVD mit Unterlagen gefunden worden, die der Strafsenat kürzlich den Prozessbeteiligten geliefert hatte. Vermutlich hat ein Anwalt die Scheibe verloren. Sie kann nun beim Fundbüro in Köln-Ehrenfeld abgeholt werden.

Die Chronik zum NSU-Prozess finden Sie hier.

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