Serie | Krisentagebuch: Jaro Samuel Abraham (17) vermisst den politischen Protest
Wie erleben Potsdamerinnen und Potsdamer die Coronakrise? Das erzählen sie im Krisentagebuch der PNN. Heute berichtet Jaro Samuel Abraham, der in der 10. Klasse lernt, in Umweltbewegungen engagiert ist und in Potsdam-West lebt.
Potsdam - Wie erleben Potsdamerinnen und Potsdamer die Coronakrise? Wie kommen sie im neuen Alltag zurecht? Was bewegt sie – und was macht ihnen Freude? Wir führen ein Krisentagebuch und fragen nach, wie es den Menschen in unserer Stadt geht.
Wie sieht Ihr neuer Alltag aus?
Ich habe seit Mitte März frei. Für mich kam das sehr spontan. Mir war klar, dass wir längere Zeit frei haben, die wir selber gestalten können. Ich erhielt ein paar Homeoffice-Aufgaben von der Schule, die aber überschaubar waren. Ich wollte unbedingt etwas aus der Krise mitnehmen. Ich habe mir also einen Plan gemacht, was ich alles lesen will. Und ich habe mir ein paar Projekte herausgesucht, die schon länger anstanden – etwa mein Zimmer zu streichen. Da ich in der 10. Klasse bin, ging der Unterricht für mich ab dem 27. April wieder los, mein Alltag wurde also wieder normaler.
Was fällt Ihnen am schwersten?
Am schwersten fällt es mir, zuhause viele Schulaufgaben zu machen. Meine vertraute Umgebung ist einfach nicht das Klassenzimmer und es gibt viele Ablenkungsmöglichkeiten. Es gibt auch viele Sachen, die ich lieber machen würde als zuhause zu lernen. Zum Beispiel der politische Protest, der durch die Krise leider in den Hintergrund gerät. Ich denke, dass man auch disparate Krisen, wie die Klimakrise und Covid-19, gleichzeitig bekämpfen kann. Das würde ich zurzeit gerne tun.
Was ärgert Sie am meisten?
Mich ärgert es, dass so mancher Festakt am Ende des Schuljahres leider durch Corona ausfällt, was aber den Umständen entsprechend verständlich ist. Das Krisenmanagement von Bund und Land finde ich auch ärgerlich. Die Milliardenhilfen für Flug- und Autoindustrie halte ich für etwas borniert. Es wirkt ein bisschen wie nach dem Motto „nach uns die Sintflut“. Persönlich hätte ich die Hilfspakete, wenn es schon sein muss, nur mit Umweltauflagen ausgezahlt. Zur Eindämmungspolitik des Landes kann ich nur sagen, dass man nicht ernsthaft gedacht haben kann, dass Freunde, die sich lange nicht gesehen haben, in der Schule den Mindestabstand einhalten.
Worüber haben Sie sich in den letzten Tagen gefreut?
Die Mitteilung, dass wir nach der letzten Prüfung am 27. Mai nicht mehr in die Schule gehen müssen, hat mich sehr beglückt. Ich habe zehn Wochen Ferien und kann ganz das machen, was ich will. Egal, ob es Wissen akkumulieren oder Prokrastinieren ist.
Ihr persönlicher Tipp zum Umgang mit der Krise?
Sich neue Hobbys zu suchen und Fähigkeiten zu lernen, für die man sonst keine Zeit hat. Nehmt so viel mit aus der Krise, wie es geht! Die meisten Schülerinnen und Schüler haben aktuell so viel Freizeit, wie wahrscheinlich lange nicht mehr. Regelmäßigkeit im Alltag hilft dabei enorm. Empfehlen kann ich auch, sich mit der Klimakrise, Politik und Weltliteratur zu befassen.
Alle Teile unserer Serie zum Nachlesen
Teil 1: Christian Neusser (42) über kleine Freuden im Corona-Alltag
Teil 2: Bei Eszter Kalmár (44) ist bisher alles entspannt
Teil 3: Jann Jakobs (66) über nervige Ignoranten und Panikmacher
Teil 4: Jihan Alam (44) nutzt die Zeit mit ihren Töchtern
Teil 5: Ute Parthum (54) freut sich über Kulturangebote im Internet
Teil 6: Wolfgang Bivour (70) ärgert sich über Hamsterkäufer
Teil 7: Uta Gerlant (54) freut sich über Menschen mit Improvisationstalent
Teil 8: Susanne Halke (41) tut der Dank der Kunden gut
Teil 9: Julien Norman Melke (26) meistert den harten Alltag
Teil 10: Jenny Gartemann (32) hat endlich Zeit zum Planen
Teil 11: Christine Anlauff (49) entdeckt Park Sanssouci neu
Teil 12: Ariane Füchtner (53) setzt auf Hüpfen und Yoga
Teil 13: Sven Stricker (49) bleibt ruhig und freundlich
Teil 14: Susanne Fienhold Sheen (53) wünscht sich mehr Contenance
Teil 15: Matthias Michel (49) behält seinen Galgenhumor
Teil 16: Lydia Poppe (59) geht gegen Ängste vor
Teil 17: Gisela Rüdiger (72) beschäftigt sich viel im Garten
Teil 18: Mathias Selbach (43) wünscht sich Licht am Ende des Tunnels
Teil 19: Björn O. Wiede (58) fehlen die Proben mit dem Nikolaichor
Teil 20: Marie-Luise Glahr (48) hat gut zu tun
Teil 21: Renate Schmidt-Reichstein hört auf das Glockenläuten
Teil 22: Marcus Golter (54) freut sich über Selfies und Spargel
Teil 23: Mytran Xhyra (44) hofft, dass weniger gemeckert wird
Teil 24: Else Vösgen (92) fehlen Umarmungen
Teil 25: Simon Plate (33) blickt zum Himmel
Teil 26: Anna Tauschke (38) geht raus in die Natur
Teil 27: Jenne Baule-Prinz (53) hat eine Liste zum Freuen
Teil 28: Christoph Freytag (37) ärgert sich über Panikmache
Teil 29: Jan Kretzschmar (49) versucht Ruhe zu bewahren
Teil 30: Carolin Huke (33) engagiert sich vielseitig
Teil 31: Nadja von Saldern (53) übt sich in Selbstliebe
Teil 32: Julia Förster (26) kommen die Belange der Kinder zu kurz
Teil 33: Fabian Vallone (24) ruft zu Unterstützung auf
Teil 34: Erich Benesch (57) radelt in Ruhe
Teil 35: Nina Gummich (28) hat ihre letzte Gage gespendet
Teil 36: Andrea Peters (56) freut sich, wenn es wieder losgehen kann
Teil 37: Matthias Müller (56) ist im Tiefschlaf
Teil 38: Anne Braun (34) gestaltet den Balkon opulent
Teil 39: Christine Handke (53) fehlt die Mimik
Teil 40: Claire Dörfer (43) wird nicht resignieren
Teil 41: Ludger Brands (63) steigt aufs Rennrad
Teil 42: Marianne Seibert (71) fehlt der Kontakt zu anderen Menschen
Teil 43: Thomas Drachenberg (57) bleibt gelassen
Teil 44: Jörg Schröder (60) freut sich über die kleinen Dinge des Lebens
Teil 45: Max Schäfer (17) empfiehlt, sich ein Projekt zu suchen
Teil 46: Annette Paul (49) will mehr lachen
Teil 47: Raimund Jennert (59) genießt die Pausen im Garten
Teil 48: Jaro Samuel Abraham (17) vermisst den politischen Protest
Teil 49: Antje Michel (46) simuliert ihren Arbeitsweg
Teil 50: Karin Junkel (69) bleibt gelassen
Teil 51: Werner Ruhnke (73) handelt tatkräftig
Teil 52: Herrmann A. Kremer (76) freut sich über die neue Atmosphäre
Teil 53: Daniel Vetter (39) genießt die kleinen Momente
Teil 54: Gunnar Belden (46) kann wieder mit den Kollegen Mittag essen
Teil 55: Matthias Noack (33) grüßt täglich das Murmeltier
Teil 56: Julia Ziemann (26) bringt die Tropenwelt ins Netz
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