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Mike Schubert, seit 28. November 2018 Potsdams Oberbürgermeister.
© Sebastian Gabsch

Potsdams neuer Tempomacher: Die Jahresbilanz von Oberbürgermeister Mike Schubert

Der Sozialdemokrat Mike Schubert ist seit einem Jahr Potsdams Oberbürgermeister. Die Opposition ist bedient – und auch die SPD nicht restlos begeistert. Eine Bilanz.

Erst wird mit hoher Schlagzahl Tempo aufgenommen, dann geht es – wenn die optimale Geschwindigkeit erreicht ist – in eine Phase wirkungsvollerer Streckenschläge: Mit der Metapher eines Bootsrennens beschreibt Mike Schubert sein erstes Jahr als Potsdamer Oberbürgermeister. Seit dem 28. November ist der 46-jährige Sozialdemokrat im Amt, gewählt ist er für acht Jahre. Die PNN ziehen eine erste Bilanz – und beantworten die wichtigsten Fragen.

Was macht Schubert anders als sein Vorgänger Jann Jakobs?

So ziemlich alles. Das fängt bei der öffentlichen Präsenz an. Die hat Schubert intensiviert. Er bietet häufiger als Jakobs Stadtteilspaziergänge und Dialogrunden an, bei denen seine vier Dezernenten und oft auch die Chefs der kommunalen Unternehmen den Bürgern Rede und Antwort stehen müssen, stundenlang. Die Stadtrundgänge finden nicht wie bei Jakobs Freitagvormittag statt, wenn die meisten Potsdamer arbeiten müssen, sondern abends oder gleich am Wochenende. Selbst politische Gegner zollen dem OB dafür Respekt. „Er zeigt sich bürgernah“, sagt CDU-Oppositionschef Clemens Viehrig. Schuberts Aktivitäten in den sozialen Netzwerken wie Facebook und Twitter seien ein „wirklicher Schritt nach vorn“, gerade in punkto Reichweite.

SPD-Fraktionschefin Imke Eisenblätter spricht von einer „neuen konstruktiven Gesprächskultur“, einem anderen Arbeitsstil im Rathaus. Schubert hatte bereits in seinem Wahlprogramm eine stärkere Bürgerbeteiligung angekündigt und dies auch umgesetzt. Die Potsdamer wurden dieses Jahr zu Spielplätzen und zur neuen Stadtordnung befragt. Schuberts Plan, mit den Bürgern über einen neuen Wachstumskonsens für die Stadt zu debattieren, blieb aber bislang vage: Eine erste Bürgerrunde im September verlief ohne Nachhall.

Auch politisch tickt Schubert anders als Jakobs: Seit der Kommunalwahl im Mai hat der Rathauschef eine Kooperation aus SPD, Grünen und Linke hinter sich. Unter Jakobs war die Linke jahrelang in der Opposition und bestand auf wechselnden Mehrheiten für die Arbeit im Stadtparlament – kam jedoch wegen der von Schubert als damaligem SPD-Fraktionschef geschmiedeten Rathauskooperation aus SPD, CDU und Grünen nicht zum Zuge.

Trotz einiger Frotzeleien und anfänglicher Abstimmungsprobleme unter den Partnern zeigt sich das neue Bündnis nun zumindest in Kernfragen geschlossen: Keine wichtige Abstimmung hat Schubert bisher verloren. Linke-Fraktionschef Stefan Wollenberg lobt: „Der Zugang zu Informationen hat sich verbessert – der Austausch wird auch von der Verwaltung aktiv gesucht.“ Allerdings stehen die „heißen Fragen“ laut CDU-Fraktionschef Viehrig noch an – von der Garnisonkirche bis zum Klinikum.

Wie ist Schuberts Politikstil?

Zupackend und öffentlichkeitswirksam. Kaum eine Woche vergeht, in der Schubert nicht vor Journalisten ein neues Thema anpackt – das dann in den folgenden Monaten rundum auf Risiken und Nebenwirkungen durchleuchtet wird. Beispiel: das Bergmann-Klinikum. Angesichts des im Sommer begonnenen Bürgerbegehrens für mehr Lohn und bessere Arbeitsbedingungen in dem kommunalen Unternehmen gab Schubert ein Ziel aus: Die Mitarbeiter müssten wieder nach dem Tarif des öffentlichen Dienstes (TVöD) bezahlt werden, auch um im Kampf um Personal konkurrenzfähig mit Berlin zu sein. Dann stellte sich nach einigen Wochen Prüfung heraus, dass das Klinikum diese Erhöhung nur schrittweise finanzieren kann, wenn es nicht gänzlich in die roten Zahlen rutschen soll. In der Folge zerplatzte die von Schubert gepflegte Hoffnung, die neue Landesregierung möge die Krankenhausfinanzierung signifikant erhöhen. Stattdessen muss nun die Tariferhöhung – außer beim Pflegepersonal – sogar über fünf Jahre gestreckt werden. Ungewiss ist zudem, ob die Stadt das Haus dauerhaft alimentieren muss und darf.

Diese Art von Politik sieht nicht nur Oppositionschef Viehrig kritisch, er attestiert Schubert „Aktionismus“ und eine „fehlende rote Linie“. Selbst seine Kooperationspartner habe der OB mit manchen Vorstößen überrascht. „An der einen oder anderen Stelle war das Tempo auch für uns als Stadtverordnete vielleicht zu hoch“, sagt auch Linke-Fraktionschef Stefan Wollenberg und nennt etwa den von Schubert Ende September ins Spiel gebrachten, einige Millionen Euro teuren Neubau eines Mega-Verwaltungscampus’ an der Heinrich-Mann-Allee. Dieser Plan soll nun bis nächsten Sommer geprüft werden.

Öffentlich macht Schubert auch seine Abneigung gegen die Rechtspopulisten der AfD, die er als Gefahr für die Demokratie ansieht. Er legt sich deutlich häufiger als sein Vorgänger mit der Partei an. Dabei ist das Risiko, als Verlierer dazustehen, nicht gering: Als der OB der AfD im Landtagswahlkampf einen Auftritt im Humboldt-Gymnasium untersagte, setzte er sich vor Gericht erst in zweiter Instanz durch.

Welche Fehler hat der neue OB gemacht?

Schubert hat sehr viele Themen auf einmal angeschoben – und bei manchen bleiben Leerstellen. So sprach er am Jahresanfang überraschend vom lange stiefmütterlich behandelten Stadtkanal als seinem Herzensprojekt, doch erst jetzt im November kam eine Arbeitsgruppe für das Vorhaben zustande. Er will die Wiederherstellung des Kanals als Beitrag zum Klimaschutz modern interpretieren. Dieses zeitweise ungeduldig wirkende Vorgehen sorgt für Angriffsflächen. So wirft die alternative Fraktion Die Andere dem OB vor, er habe sich zu sehr auf den Stadtkanal und zu wenig auf Wohn- und Sozialpolitik konzentriert. Tatsächlich sind die Mieten auch in Schuberts Amtszeit weiter gestiegen, neue Instrumente dagegen werden noch geprüft. Allerdings lobt der Linke-Fraktionschef Wollenberg, dass sich unter Schubert der Umgang mit kommunalem Grund und Boden gewandelt habe – die Stadt kaufe nun Grundstücke, statt sie zu verkaufen.

Erkennbar noch nicht in den Griff bekommen hat Schubert die Personalkrise im Rathaus. Aus seinem Umfeld heißt es, manche Verfahren wie die umständlichen Stellenausschreibungen im öffentlichen Dienst hätten ihn überrascht. Zugleich verlangt Schubert von seiner Verwaltung eine modernere Ausrichtung, wofür aber mehr Personal benötigt wird – was in Potsdam auch wegen des Fachkräftemangels nicht leicht zu finden ist. Zuletzt war Unmut im überlasteten Jugendamt bekannt geworden, das dennoch neue Aufgaben übernehmen soll.

Schuberts Verwaltungsumbau gehe zu schnell und komme zu sehr von oben, kritisiert die Fraktion Die Andere. Der Einzelstadtverordnete Andreas Menzel (Freie Wähler) sagt, auch die Prioritäten würden nicht richtig gesetzt – so sei angesichts der gesperrten Uferwege immer noch kein Beauftragter für das Thema bestellt. Erst diese Woche wurde bekannt, dass auch eine Ausschreibung für einen neuen Behindertenbeauftragten mangels geeigneter Bewerber gescheitert ist.

Schuberts Einsatz für eine bürgernahe Stadtverwaltung sei noch nicht ausreichend zu spüren, findet selbst SPD-Fraktionsvorsitzende Imke Eisenblätter: „Eine moderne Verwaltung und die zügige Neueinstellung vieler Mitarbeiter sind zwar sein Credo, in der Realität geschieht das aber leider immer noch schleppend.“

Welche Erfolge kann Schubert verbuchen?

Einen Coup landete Schubert gleich zwei Monate nach seinem Amtsantritt: Nach einem Gespräch mit Potsdam-Mäzen Hasso Plattner konnte er verkünden, dass der SAP-Mitgründer das von Vorgänger Jakobs längst zum Abriss freigegebene marode Terrassenrestaurant Minsk am Brauhausberg zu einem DDR-Kunstmuseum umbauen will. Die Planungen laufen.

Wer berät Schubert?

Schubert hat mehrere Vertraute um sich geschart. Gleich zu Beginn seiner Amtszeit hat er den früheren SPD-Bundestagsreferenten und 13 Jahre jüngeren Stadtverordneten Marcel Piest als Leiter des Oberbürgermeisterbüros bestimmt. Piest gilt als wichtigster Stratege und Redenschreiber. Beide sind in Potsdams Plattenbaugebieten groß geworden – und in der Potsdamer SPD. Ohnehin hat Schubert viele Rathausposten mit Sozialdemokraten besetzt: Er holte die frühere Münchner Sozialdezernentin Brigitte Meier, die viele im Rathaus fachlich als Glücksgriff einschätzen, an die Spitze des Potsdamer Sozialdezernats. Den SPD-Mann Dieter Jetschmanegg machte Schubert zum neuen Hauptamtsleiter – auch wenn interne Kritiker Jetschmanegg als zu langsam und entschleunigend wahrnehmen.

Betont harmonisch gestaltet der Oberbürgermeister das Verhältnis zu seinem einstigen innerparteilichen Konkurrenten Burkhard Exner. Der SPD-Finanzdezernent hat mit dem Entwurf für den neuen Doppelhaushalt eine zweistellige Millionensumme mehr eingeplant als bisher. Auch das ist ein großer Unterschied zur von mehr Sparsamkeit geprägten Ära Jakobs. Schubert setzt auf Investitionen, und das Geld ist da – obwohl inzwischen wegen zu hoch angesetzter Kitagebühren insgesamt 45 Millionen Euro an Tausende Potsdamer Eltern zurückgezahlt werden.

Hat Schuberts Vorstoß für ein Jugendzentrum neben der Garnisonkirche Aussicht auf Erfolg?

Das ist noch ungewiss. Fakt ist: Bei keinem anderen Thema ist Schubert so sehr von allen Seiten attackiert worden, von Gegnern wie auch von Befürwortern des Projekts. So wirft Die Andere dem OB sogar „Tricksereien zu Gunsten der Garnisonkirche“ vor, während die Initiative Mitteschön von einem „Schlag ins Gesicht“ der Aufbau-Aktivisten sprach.

Für CDU-Mann Viehrig ist das symptomatisch: Schubert habe offenbar seine Rolle als SPD-Chef noch nicht abgelegt, sein „politisches Verhalten polarisiert an manchen Stellen zu stark, wo ich mir Moderation und Repräsentation als Stadtvater gewünscht hätte“. So seien nach Schuberts Garnisonkirchen-Vorschlag „die alten Gräben aufgeschüttet worden und jetzt munitionieren alle Seiten wieder auf“.

Schubert will seinen Vorstoß, der auch mehr Mitsprache der Stadt bei der Versöhnungsarbeit im Turm der Garnisonkirche vorsieht, von seiner Stadtverordnetenmehrheit beschließen lassen. Offen ist, wie er sich zum Rechenzentrum positioniert. Die laufende Prüfung eines Teilerhalts des DDR-Baus soll bald beendet sein. Dann liegen alle Optionen auf dem Tisch. Daher lobt Linke-Chef Wollenberg: Anders als unter Jakobs sei wieder eine „offene Debatte“ zur Garnisonkirche möglich. Dies zeige, dass Schubert auch solch schwierige Themen anpacke, sagt Grünen-Fraktionsvorsitzende Janny Armbruster. Kritischer klingt SPD-Co-Fraktionschef Daniel Keller: Der OB scheue zwar keine Herausforderung. „Doch am Ende wird es wichtig sein, dass er den Mut beweist, eine Position für die Potsdamer zu finden und diese dann entschlossen vertritt. Denn einfach zu sagen, man lasse ein halbes Rechenzentrum oder ein halbes Kirchenschiff stehen, um Streit zu vermeiden, wäre sicher nicht der richtige Weg. Manche Diskussionen muss man zu Ende führen und am Ergebnis muss sich auch der Oberbürgermeister messen lassen.“

Schafft Schubert es, Potsdam zu einen?

Im Moment spaltet er mehr als er eint. Denn Schubert sagt zwar, dass er die in den vergangenen Jahren sehr schnell gewachsene Stadt wieder stärker zusammenführen will. Doch gelungen ist das noch nicht. Als ein Beispiel sei der Garnisonkirchen-Streit angeführt. Für Empörung bei CDU und AfD sorgte, dass der OB Anfang des Jahres dem linksalternativen Stadtpolitiker Lutz Boede die Ehre zukommen ließ, sich für seine Verdienste um die Demokratie in der Nachwendezeit ins Goldene Buch der Stadt einzutragen.

Generell sehen es auch SPD-Mitglieder kritisch, dass Schubert mit seiner Politik bisher vor allem linke Befindlichkeiten bedient und sich vom konservativen Lager in der Stadt faktisch abgekoppelt hat. CDU-Mann Viehrig sagt, gerade bei der Garnisonkirche sei das „Aufeinanderzugehen gründlich in die Hose gegangen“. Auch bei der Abschaltung des Glockenspiels auf der Plantage regte sich Protest.

Schubert selbst sieht seine Politik eher als ausgleichende Gerechtigkeit: Die Befürworter der Potsdamer Mitte hätten sich jahrelang in jeder Debatte durchgesetzt, heißt es aus seinem Umfeld – nun gelte es, auch die Potsdamer mit der Stadtentwicklung zu versöhnen, die zum Beispiel den umstrittenen Abriss der Fachhochschule ablehnten.

Dagegen sagt CDU-Fraktionschef Viehrig, Vorgänger Jakobs habe es besser verstanden, „alle demokratischen Kräfte einzubinden und nicht nur auf die eigene Mehrheit zu schauen“. So habe Schubert zuletzt in der Stadtverordnetenversammlung im Streit um die weiblichen Straßennamen für die Mitte öffentlich gegen die CDU-Stadtverordnete Anna Lüdcke agitiert, „wenig souverän“ und „eher überheblich“: „So kenne ich ihn gar nicht.“

Sind die Weichen auf eine erfolgreiche Amtszeit gestellt?

Das scheint unklar. In der Opposition jedenfalls ist man nach dem ersten Jahr bedient. Vor allem mit Symbolpolitik sei der OB aufgefallen, kritisiert die FDP, ein wirtschaftspolitisches Profil fehle weiterhin. Auch bei Herausforderungen wie auf dem Feld Mobilität fehle der Mut. Allerdings hat Schubert für den nächsten Haushalt schon deutlich mehr Geld für den öffentlichen Nahverkehr und auch für Radwege angekündigt.

CDU-Politiker Viehrig bilanziert, Schubert versuche zu stark, „es auch allen recht zu machen“. Dagegen sagt Grünen-Fraktionschefin Janny Armbruster, Respekt habe sie vor Schuberts Bemühen zum Ausgleich von widerstreitenden Interessen. So gilt insbesondere das unter Jakobs zerrüttete Verhältnis zur Schlösserstiftung unter ihrem neuen Chef Christoph Martin Vogtherr als befriedet.

Doch viele Fragen sind offen. Angeschoben ist die Neukonzeption für die defizitäre Tropenhalle Biosphäre – doch wird das funktionieren? Ungewiss ist auch der Ausgang von mehreren Gerichtsverfahren, etwa beim „geerbten“ Konflikt um den Uferweg am Griebnitzsee oder die juristischen Querelen um die hohen Wassergebühren in Potsdam. Wenig Kompromissbereitschaft zeigt Schubert beim Konflikt um die geräumte Kleingartensparte Angergrund in Babelsberg – auch dieser Streit wird vor Gericht landen.

Und manches benötigt eben Zeit: Mit den Umlandgemeinden hat Schubert eine Vereinbarung für regelmäßige Treffen unterzeichnet, um Lösungen für die Verkehrsprobleme der Region zu finden. Ebenso gibt es ein neues Bündnis für den Schlaatz, mit dem das Problemviertel aufgewertet werden soll – ähnlich wie die Gartenstadt Drewitz.

Eines der gravierenden Probleme, die gelöst werden müssen, ist die Finanzierung der bis zu 300 Millionen Euro teuren Tramtrasse für das als autoarm geplante Viertel Krampnitz. Auch aus Frust über den Planungsstand feuerte Schubert im Frühsommer die Chefetage der Verkehrsbetriebe – und machte den Baudezernenten Bernd Rubelt (parteilos) zum Chefplaner. Und dies, obwohl das Verhältnis von Schubert und Rubelt als schwierig gilt, der ehrgeizige Rathauschef laut seinem Umfeld die nötige Führungsstärke und Entscheidungsfreude bei Rubelt vermisst. Oder müsste sich ein Oberbürgermeister selbst mehr um ein so wichtiges Projekt kümmern? Die Balance, weder sich noch andere zu überfordern, ist nicht einfach zu finden. Weniger wäre manchmal mehr.

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