Die Mitte wird weiblich: Potsdam verzichtet auf historische Straßennamen
Rund um den Alten Markt in Potsdam werden die Straßen nach Frauen benannt - das haben die Stadtverordneten am Mittwochabend beschlossen. Dem vorausgegangen war eine emotionale Debatte.
Potsdam - Nach heftiger Debatte ist am Mittwochabend die Benennung von Straßen in der neuen Potsdamer Mitte nach drei Frauen beschlossen worden. Die einstige Kaiserstraße soll demnach nach der SPD-Stadtverordneten Anna Flügge benannt werden, die Fortsetzung der Schlossstraße nach der einstigen Vorsitzenden des israelitischen Frauenvereins, Anna Zielenziger, und die Verlängerung der Schwertfegerstraße nach der CDU-Politikerin Erika Wolf. Der Abstimmung war eine auch für Potsdamer Verhältnisse ungewöhnlich lange und emotionale Debatte vorausgegangen – fast zwei Stunden lang diskutierten die Stadtverordneten darüber, ob die Frauennamen zum Zuge kommen oder die alten Namen wieder zurückkehren sollen. Am Ende fiel das Ergebnis aber eindeutig aus: 31 Stadtverordnete stimmten dafür, 15 dagegen und sieben enthielten sich.
Die Ehrung der drei Frauen sei längst überfällig, sagte Jenny Pöller von Die Andere, die auch Vorsitzende des Kulturausschusses ist. Sie dürften nicht „in der Unsichtbarkeit zurückgelassen werden“, fügte sie mit Blick auf den Vorschlag an, die Namen in anderen neuen Wohngebieten zu vergeben. Die Linke-Stadtverordnete Anja Günther sieht die Benennung als Chance, auch denjenigen eine Identifizierung mit der Potsdamer Mitte zu ermöglichen, die der historischen Rekonstruktion kritisch gegenüber stünden. Sie selbst habe den Abriss des FH-Gebäudes, das für die Rekonstruktion weichen musste, als schmerzlich empfunden. „Es wurde dort Platz gemacht für neue Straßen, und ich finde neue Straßen brauchen neue Namen.“
Kritiker sprechen von "Stummelstraßenfortsätzen"
Es handele sich um ehrwürdige Straßennamen aus dem 17. und 18. Jahrhundert, argumentierte hingegen CDU-Fraktionschef Clemens Viehrig. Es gebe in der Potsdamer Mitte noch viele Bereich, die neu entwickelt würden und wo die Namen vergeben werden könnten. Dort könnten es auch ganze Straßen sein und nicht wie hier nur „Stummelstraßenfortsätze“.
Dieses Argument brachte auch Frank Paul aus dem Vorstand des Stadtschlossvereins vor, dem vor Beginn der Debatte ein Rederecht eingeräumt worden war. Er nannte die Benennung zudem eine „Unsittlichkeit gegenüber den Potsdamern“. Die Rückkehr der alten Namen hätten aus seiner Sicht Identifikation, Heimat, Vertrautheit und ein Gefühl von Zu-Hause-Sein bedeutet. Paul sagte außerdem, ihm dränge sich der Eindruck auf, dass es auch um eine „Sabotierung der historischen Mitte“ gehe. Er bezeichnete es außerdem als inakzeptabel, eine Frau zu ehren, die 22 Jahre lang Mitglied in der SED war – und spielte damit auf die Biografie Anna Flügges an.
"Längst überfällige Würdigung"
Dem widersprach Sabine Hering, ehemalige Professorin für Frauen- und Wohlfahrtsgeschichte, die ebenfalls ein Rederecht hatte. Anna Flügge dafür zu verurteilen, dass sie sich 1946 nicht der Eingliederung in die SED widersetzt hat, sei unlauter. Sie nannte die Benennung nach den drei Frauen als „längst überfällige Würdigung am Ort ihres Wirkens“.
Anna Flügge war von 1929 bis 1933 eine der wenigen weiblichen Abgeordneten für die SPD in der Stadtverordnetenversammlung. Nahe des Alten Marktes betrieb sie eine Licht- und Seifen-Handlung. 1944 wurde sie von der Gestapo ins KZ Ravensbrück deportiert, kam aber nach wenigen Tagen wieder frei. Anna Zielenziger war Leiterin des jüdischen Frauenvereins in Potsdam, 1943 wurde sie von den Nationalsozialisten getötet. Erika Wolf wiederum war 1945 Mitgründerin der CDU in Potsdam und von 1946 bis zu ihrer Flucht nach Westdeutschland 1950 Stadtverordnete. 1965 bis 1976 gehörte sie dem Deutschen Bundestag an. Nach 1989 unterstützte sie den Wiederaufbau des CDU-Landesverbandes Brandenburg, wurde dessen Ehrenvorsitzende.
"Die SED hat unserer Familie viel Schreckliches angetan"
Deren Tochter Maria von Pawelsz-Wolf war ebenfalls in der Stadtverordnetenversammlung und hatte ebenfalls Rederecht. Ihre Mutter würde sich „im Grabe umdrehen“, wenn eine nach ihr benannte Straße neben einer Anna-Flügge-Straße läge, sagte sie. „Die SED hat unserer Familie viel Schreckliches angetan“, so die Seniorin. Der fingierte Autounfall 1948, bei dem ihr Vater ums Leben kam, sei bis heute ungeklärt. 1950 habe zudem ihre Mutter fliehen müssen, weil ihr als Stadtverordnete die Haft drohte und sie diese wegen einer Erkrankung womöglich nicht überlebt hätte.
Gegen die Umbenennung hatte schon vor Beginn der Sitzung übrigens auch die Initiative Mitteschön protestiert. Gegen 14.30 Uhr hatten sich etwa 20 Mitglieder versammelt, die Schilder mit Losungen wie „Straßen sind das Gedächtnis unserer Stadt“ oder „Stoppt diesen Wahnsinn“ hochhielten. Allerdings war die Demonstration nicht angemeldet, weshalb sie nach kurzer Zeit von der Polizei aufgelöst wurde. Daraufhin stellten sich die Mitteschön-Aktivisten in die Eingangshalle des Stadthauses auf und wurden erneut von der Polizei aufgefordert, ihre Versammlung zu beenden. Das taten sie dann auch. (mit EW)
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