Stadtteilspaziergang mit Oberbürgermeister: Sorgen im Norden von Potsdam
Oberbürgermeister Mike Schubert lässt sich bei Besuchen in Neu Fahrland, Fahrland und Marquardt über Probleme von Anwohnern informieren. Immer wieder gibt es auch Streit um Zuständigkeiten.
Potsdam - Peter Roggenbuck ist ein kerniger Typ, der sich von niemandem so leicht die Butter vom Brot nehmen lässt. Der 69 Jahre alte gelernte Maler, Rentner, Betreiber einer Pension und, vor allem, ehrenamtliche Ortsvorsteher von Marquardt steht am Samstagmittag vor dem Landgasthof „Zum alten Krug“ und wartet auf Besuch.
Der Potsdamer Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD), in Jeans, Turnschuhen und kariertem Hemd leger gekleidet, hat sich mit einem Tross von Rathausmitarbeitern und ein paar Dutzend Bürgern in zwei Bussen auf den Weg gemacht, er will sich im Rahmen seiner „Stadtwanderungen“ nun bei Bürgern im Potsdamer Norden über deren Sorgen informieren. In den Ortsteilen Neu Fahrland und Fahrland hat er an diesem Morgen schon erfahren, wo der Schuh drückt: Gefahrenstellen an Fußgängerüberwegen, zugeparkte Wohnstraßen, ein verschlammter Kanal und Ähnliches.
Der Oberbürgermeister hat die vier Beigeordneten seiner Stadtverwaltung mitgebracht. Ortsvorsteher Roggenbuck führt zu den Problemen. Ein großes, unbebautes und verwildertes Grundstück, das der Stadt gehört, möge doch bitte parzelliert und per Konzeptvergabe oder Erbbaurecht an einen Marquardter vergeben werden. Nach Auffassung der Stadt steht EU-Recht im Wege. Ein paar Meter weiter, Am Garten 17, ruht auf einem riesigen Grundstück ein imposantes, verlassenes Gebäude, das einst ein Kindergarten war. „Ich sehe das seit der Wende runtergammeln“, sagt Roggenbuck kopfschüttelnd – „hohe Kosten für den Winterdienst, sonst nichts“. Mitarbeiter der Stadt schreiben alles auf.
Dann geht es weiter zum größten Problem von Marquardt. Eine rostig wirkende, nicht schön anzusehende Eisentreppe führt am Bahnhof über die Gleise. Es klingt wie ein makabrer Witz, als Josef Grütter, ein pensionierter Diplom-Ingenieur und nun engagierter Bürger, aus einer Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage der Landtagsabgeordneten Saskia Ludwig (CDU) zitiert. Von einer „Mobilitätsdrehscheibe“ ist da die Rede, für deren Ausbau die Stadt Potsdam zuständig sei. Das Land sei nur Zuschussgeber und Planungsbeteiligter. Man komme von dieser Haltestelle in 12 Minuten zum Hauptbahnhof und in 45 Minuten zum Berliner Zoo. „Und die Stadt hat kein Konzept vorgelegt“, empört sich Grütter. Ortsteilvertreter fordern Parkplätze beiderseits der Bahntrasse, eine barrierefreie Lösung für das Überqueren der Gleise und einen zusätzlichen Halt für die Regionalbahn. Das Einzugsgebiet des Bahnhofs umfasse Fahrland, Satzkorn, Uetz und Falkenrehde, „immerhin 6000 Leute“. Der Potsdamer Baubeigeordnete Bernd Rubelt (parteilos) signalisiert Unterstützung: Die Stadt wolle „Pendler-Parkplätze einrichten und die Busanbindung verbessern“.
In Neu Fahrland gibt es kleinen Ärger über zugeparkte Straßen nahe der Heinrich-Heine-Klinik – und größeren an der Birnenplantage. Wo vor Jahren Unterkünfte für 250 Flüchtlinge eingerichtet wurden, die aber nie nach Potsdam kamen, sind zwar die Hallen, aber nicht die Fundamente abgerissen worden. Der Ortsbeirat hat über die künftige Nutzung noch nicht entschieden. Die Ausschreibungen für den Rückbau laufen.
In Fahrland werden der Oberbürgermeister und sein Tross an der Rönsahler Straße plötzlich, wie heimlich verabredet wurde, von einem großen Gerätewagen der Freiwilligen Feuerwehr überrascht, der sich an dieser Stelle nur zentimeterweise voran arbeiten kann. „Wir bemängeln das seit Jahren“, sagt Ortsvorsteher Stefan Matz. Die Stadt habe im Bebauungsplan zwar eine verkehrsberuhigte Zone ausgewiesen, zu der ein grundsätzliches Parkverbot gehöre, „aber sie hat das nicht gegenüber dem Investor durchgesetzt“. Die Risiken bei Feuerwehr- und Notarzteinsätzen „nimmt die Stadt billigend in Kauf“, so Matz. „Was kann man dagegen tun?“, wird der Beigeordnete Rubelt gefragt. „Wenig“, antwortet er. Matz versucht eine Lösung mit einer Parkmöglichkeit auf dem unweit gelegenen „Nahkauf“-Parkplatz auszuhandeln.
Die Fahrländer beunruhigt auch die Gefahr für Schulkinder, unter anderem an der kleinen Ladenzeile im alten Ortskern. Ob es ein Fußgängerüberweg oder ein Tempolimit werden soll – „gemacht werden muss was“, sagt Matz.
Auch eine weitere Überraschung haben die Fahrländer für den Besuch aus dem Rathaus parat: Mit den Busfahrern haben sie abgesprochen, dass die Busse mit dem Oberbürgermeister und dessen Begleitern gut zwei Minuten vor einer eigens installierten großen Plakatwand an einer Baustelle an der Ketziner Straße halten. Gezeigt werden Luftbildaufnahmen von 2000, als der Ortsteil noch 2000 Einwohner zählte, bis hin zu einer Prognose für 2025 mit über 20.000 Bürgern. „Unbegrenztes Wachstum?“, steht als stummer Protest gegen das Agieren der Stadtverwaltung darunter. Der Ortsbeirat von Fahrland stimmte im November 2018 gegen die dort geplante Wohnsiedlung mit Eigenheimen. Die Stadt setzte sich darüber hinweg.
Carsten Holm