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Bilder einer Dekade: Das waren die Zehner Jahre in Berlin

Wohnungsnot, BER, Behördenversagen, Klimaproteste. 60 Fotos zeigen Höhen und Tiefen des ablaufenden Jahrzehnts in Berlin.

Ist Berlin eine ganz und gar entgleiste Stadt? Im Schnelldurchlauf durch das zu Ende gehende Jahrzehnt drängt sich nicht gerade der Eindruck auf, es sei alles schön und in Ordnung in dieser Stadt. Um ein paar Stichworte zu nennen: Verdrängung durch unablässig steigende Mieten, ein gescheiterter Flughafenbau, Integrationsprobleme und marode Schulen. Als wäre das nicht genug, ging das Clubsterben weiter, mussten Galerien ihre Standorte für neue Hotels und Büros verlassen. Schält sich da langsam eine teure, aber langweilige und kulturell verödete Stadt heraus?

Aber reden wir nicht nur von Schattenseiten. Die Zehner Jahre in Berlin haben auch gezeigt, dass die Bewohner dieser Stadt Großes bewegen können, wenn sie sich zusammentun. Druck von unten ist es zu verdanken, dass Deutschlands erstes Radverkehrsgesetz in Berlin verabschiedet wurde.

Auf dem Tempelhofer Feld hat der Bürgerwille eine riesige Freifläche erhalten, auf der alle Berliner mal tief durchatmen können.

Eine Stadt, die lebenswerter wird durch weniger Verkehr - dieser Wunsch hat sich in den Zehner Jahren langsam zu einem Anspruch verfestigt. Parkplätze oder Grünstreifen, geschützter Radstreifen oder Autospur? Solche Fragen werden immer öfter anders entschieden, als es noch vor wenigen Jahren selbstverständlich war.

Auch die Technik hilft, dass wir am Ende des Jahrzehnts die knappen Räume in der Stadt besser nutzen können, da sich viele Dinge teilen lassen: Autos, Fahrräder, Büros.

Viele Besucher beklagen den ruppigen Umgangston in der Hauptstadt, Müll und Rücksichtslosigkeit auf den Straßen. Nicht ohne Grund, doch es gibt auch andere Töne. Zum Beispiel von jenen Schülern, die gegen Ende des Jahrzehnts regelmäßig für die Rettung des Klimas auf die Straße gingen. Kein schlechtes Zeichen! Und Grund genug für einen ausführlichen Rückblick auf das vergangene Jahrzehnt in Bildern:

Das Jahr 2010 im Rückblick

Jahresanfang. Überfüllte Züge, Verspätungen, Ausfälle. Im Januar konnte die S-Bahn selbst ihren dürftigen Notfahrplan nicht mehr halten, nachdem Schneefall weitere schlampig gewartete Züge außer Betrieb setzte. Im Jahr zwei des epochalen Desasters stellte sich auch heraus, dass die Bahnen die Julihitze schlecht vertrugen.

"Ekelhafte, schreckliche Sachen". Ende Januar wurden Vorwürfe von sexuellem Missbrauch am katholischen Canisius-Kolleg in Tiergarten öffentlich. Mindestens zwei Priester des Jesuiten-Gymnasiums sollen sich in den Siebziger und Achtziger Jahren brutal an Schülern vergangen haben. Erst Jahrzehnte später brach die "Mauer des Schweigens" auf. Ehemalige Schüler hatten den Leiter im Januar überzeugt, einen Brief an 600 Abiturienten der betroffenen Jahrgänge zu schreiben. Wie bei allen Missbrauchsskandalen der katholischen Kirche gestaltet sich die Aufarbeitung schwierig.

6. März. "Da ist eine Million zu machen!" Mit diesen Worten soll der mutmaßliche Drahtzieher vier junge Männer aus dem Umfeld einer polizeibekannten arabischen Großfamilie zu einem waghalsigen Überfall angestiftet haben: Ziel war ein Pokerturnier im Hyatt-Hotel am Potsdamer Platz. Der Coup lief ziemlich schief. Das Foto zeigt den Moment, als die Täter mit Machete, Schreckschusspistole und Gebrüll das Turnier stürmten. Juristisch wurde die Tat weitgehend aufgeklärt. Von der Beute (242.000 Euro) blieb der Großteil verschwunden.

8. Mai. Berlins ehemaliger Flughafen wurde ab diesem Tag zum größten Park der Stadt. Nach Jahren intensiver Diskussionen kamen am ersten Wochenende rund 235.000 Besucher auf das Tempelhofer Feld. Vier Jahre später stimmte eine deutliche Mehrheit der Berliner in einem Volksentscheid gegen eine Wohnbebauung. Am Ende des Jahrzehnts sprachen sich die Sozialdemokraten dennoch für eine "sozialverträgliche Randbebauung" aus.

30. August. Start für "Deutschland schafft sich ab!" Thilo Sarrazins Bestseller wurde zur Provokation des Jahrzehnts. Kaum jemand, der keine Meinung hatte zu Thesen wie: Muslimische Migranten bedrohen Deutschlands Zukunft, während der Staat geistige Armut fördert und das Volk über die Geburtenrate an durchschnittlicher Intelligenz verliert. Schon als Berliner Finanzsenator hatte Sarrazin erregte Debatten ausgelöst, beispielweise mit Menü-Plänen für Arbeitslose. Auch ein Jahr später wurde immer noch leidenschaftlich über das Buch gestritten.

Das Jahr 2011 im Rückblick

2. Februar. 2.500 Polizisten, Wasserwerfer, Hubschrauber. In Friedrichshain wurde die Liebigstraße 14 geräumt, eines der letzten Häuser der einst großen Besetzerszene Berlins. Krawalle begleiteten die massive Polizeiaktion am "Dorfplatz", der berüchtigten Kreuzung Liebig- Ecke Rigaer Straße.

11. Februar. "Aus purer Lust an der Gewalt" traten vier junge Männer einen 30-jährigen Malergesellen ist Koma. So sah es später der Richter. Das Opfer überlebte den Vorfall im U-Bahnhof Lichtenberg nur mit Glück. Der Fall um die vier Jugendlichen mit Migrationshintergrund löste eine Debatte um Jugendgewalt aus. Im Laufe des Jahres lösten zwei weitere Taten am U-Bahnhof Friedrichstraße und am U-Bahnhof Kaiserdamm bundesweit Entsetzen aus.

14. Februar. "Ein Freispruch erster Klasse", so freute sich Klaus-Rüdiger Landowsky über das Ergebnis des letzten großen Strafprozesses in der Berliner Bankenaffäre. Der CDU-Politiker hatte sich stets als Opfer gesehen. Die Richter sprachen von Fehlern und Versäumnissen, doch für eine Verurteilung reichte das nicht.

19. März. Knut ist tot. Mit nur vier Jahren starb Berlins berühmter Eisbär an einer Autoimmunkrankheit des Gehirns. Bei einem epileptischen Anfall stürzte er in einen Wassergraben und ertrank. Entsetzte Zoobesucher mussten zusehen.

19. September. Eine Sensation schafften die Piraten mit ihrem Einzug ins Abgeordnetenhaus und alle Bezirksparlamente. Den "Dilettantenbonus" würden sie nur einmal haben, schwante damals Christopher Lauer.

Das Jahr 2012 im Rückblick

9. März. "Die Reichen sollten sich auch mal ärgern". 102 Autos soll André H. angezündet haben. Vor Gericht gestand der 28-Jährige die Taten ein. Der gelernte Maler und Lackierer hatte es als ungerecht empfunden, dass andere sich teure Autos kauften, während er in Schulden steckte.

Bis heute brennt fast in jeder Nacht ein Auto in Berlin.

8. Mai. Es sollte der Glanzpunkt des Jahres werden, die Eröffnung des Großflughafens BER. Stattdessen wurde das Projekt mit diesem Tag zum Sinnbild des Scheiterns der Hauptstadt und der Deutschen allgemein. Die beiden Länderchefs Klaus Wowereit und Mathias Platzeck (beide SPD) saßen betreten auf einer heute legendären Pressekonferenz. Sie sollten erklären, warum die Eröffnung in knapp vier Wochen nicht klappen würde und sie davon als Aufsichtsräte der Flughafengesellschaft (Wowereit war sogar der Vorsitzende) erst jetzt Wind bekamen. Die Reaktionen: Ungläubiges Staunen, Ärger, Wut! Und bis heute: jede Menge Spott! In BER-Witzesammlungen finden sich Gags wie: "Mal was Positives: Der Flughafen BER ist zum achten Mal in Folge der sauberste Flughafen der Welt!"

In den Folgejahren purzelte ein Termin nach dem anderen. Im Dezember 2019 regten sich wieder Zweifel, ob der Oktober 2020 zu halten ist.

4. September. Kunsthaus Tacheles endgültig geräumt. Die Kaufhausruine an der Oranienburger Straße wurde zum prominenten Beispiel für steigenden Verwertungsdruck auf dem Berliner Immobilienmarkt. Dem hatten die Künstler 22 Jahre lang getrotzt. Ein Jahr später musste auch die mit anspruchvollen Fotoausstellungen bekannt gewordene C/O Galerie in der Nachbarschaft das kaiserliche Postfuhramt räumen.

14. Oktober. Auf dem Heimweg von einer Geburtstagsfeier wurde der 20-jährige Johnny K. zu Tode geprügelt, hier eine Aufnahme der Trauerfeier. Zwischen Fernsehturm und Rotem Rathaus traten sechs Jugendliche auf ihn ein, als er einen Streit schlichten wollte. Im Prozess vor dem Landgericht übernahm später keiner der gebürtigen Berliner mit türkischen und griechischen Pässen Verantwortung für den Tod des Schülers. Eine Folge der brutalen Tat war eine höhere Polizeipräzenz am Alexanderplatz, der ein Brennpunkt im Kriminalatlas blieb.

Das Jahr 2013 im Rückblick

14. Januar. Ein Brand in einer Volksbank-Filiale nahe der Steglitzer Schloßstraße brachte es an den Tag: Über Wochen oder Monate hatten Unbekannte einen 45 Meter langen Tunnel von einer Tiefgarage in den Schließfachraum der Bank gegraben. Dort lösten sie sogar Alarm aus, doch das Wachpersonal glaubte an einen Fehlalarm: Schließlich waren die Türen zu! Die Täter erbeuteten Bargeld, Münzen Schmuck und Goldbarren im Wert von zehn Millionen Euro. Anschließend legten sie Feuer in Bank und Tiefgarage, um ihre Spuren zu verwischen. Der spektakuläre Raub blieb bis heute ungeklärt.

17. März. "The Hoff" an der East Side Gallery. Weil weitere Teile des weltbekannten Mauerstreifens an der Mühlenstraße versetzt werden sollten, mischte sich David Hasselhoff unter die Demonstranten. Der US-Star, der in der Silvesternacht 1989/90 einen legendären Auftritt an der Berliner Mauer hatte, sprach sich gegen weitere Hochhäuser im ehemaligen Todesstreifen aus. Unantastbar solle das letzte Stück Mauer bleiben. Wie ein Gartenzaun wirke die einst so beklemmende Mauer vor den Neubauten, ergänzte der damalige grüne Bezirksbürgermeister von Friedrichshain-Kreuzberg, Franz Schulz. Gebaut wurde trotzdem.

8. Mai. Erster Spatenstich für die Verlängerung der Stadtautobahn A100 an der Grenzallee in Neukölln. Über die 3,2 Kilometer lange Strecke bis zum Treptower Park wurde seit Jahren leidenschaftlich gestritten. 2011 waren die rot-grünen Koalitionsverhandlungen an diesem Thema gescheitert. Für den Bund, der den Weiterbau finanziert, war das Projekt alternativlos, um den wachsenden Verkehr in den östlichen Bezirken zu bündeln. Umweltschützer befürchten einen großen Rückschritt in den Bemühungen, die Zahl der Autos in den Kiezen zu verringern. Warum Kleingärten und Wohnhäuser räumen für eine aus der Zeit gefallene Autobahn? 2023 soll das teuerste Stück Autobahn, das in Deutschland je gebaut wurde (ca. 500 Millionen Euro), fertig sein. Dann richtet sich der Blick auf den letzten geplanten Teilabschnitt, der Weiterbau bis zur Storkower Straße.

11. Juni. Mit dem Baubeginn für das Berliner Schloss kamen 20 Jahren Diskussion samt Palast-Abriss und Architekturwettbewerb zu einem Ende. Architekt Franco Stella entwarf den Neubau der alten Preußen-Residenz. Zur Grundsteinlegung von Deutschlands wichtigstem kulturellen Bauprojekt kam Bundespräsident Joachim Gauck. Ab September 2020 soll das Gebäude schrittweise eröffnet werden. Das zweite Bild zeigt Ost- und Südfassade im Juli 2019.

18. Juni. Zum ersten Mal kam Barack Obama als US-Präsident nach Berlin. So euphorisch wie 2008, als ihm als Kandidat 200.000 Menschen an der Siegessäule zuhörten, verlief die Begrüßung nicht. Der NSA-Abhörskandal schürte Misstrauen. Hattten die Amerikaner auch Merkels Diensthandy abgehört?

Das Jahr 2014 im Rückblick

14. Juli. Im "Siegerflieger" landeten die Fußball-Weltmeister in Tegel, nach einer Ehrenrunde über der Stadt. Hunderttausende jubelten dem deutschen Nationalteam zu, das dann auf einem Truck zum Brandenburger Tor fuhr. Auf der Fanmeile entstand auch dieses Foto: Bastian Schweinsteiger mit dem Pokal.

16. Juli. Mit fünf Frauen und fünfzehn Männern begann die Fahrradstaffel der Berliner Polizei. Ansprechbare Beamte, ganztägig und ganzjährig unterwegs zwischen Regierungsviertel und Alexanderplatz. Nach drei Jahren Testphase bilanzierte die Polizeibehörde, dass die Verkehrsregeln etwas besser beachtet würden. Eine Erfolgsgeschichte: Ab 2021 sollen 100 Beamte auf dem Rad durch Berlin fahren.

19. September. Nach einem schweren Brand auf der Cuvrybrache ließ die Polizei das Grundstück an der Kreuzberger Cuvrystraße einzäunen. Dort war in den vergangenen Jahren eine Art Slum entstanden, bewohnt von Aussteigern, Flüchtlingen und Roma-Familien. Bald darauf wurden die bekannten Wandgemälde des Künstlers Blu übermalt, aus Protest gegen die Gentrifizierung der Stadt. Ende 2020 soll der neue Cuvry Campus mit Büro- und Geschäftsgebäuden fertig sein.

9. November. Zum 25. Mauerfall-Jubiläum zog sich eine Kette aus rund 8.000 Stelen mit weißen Ballons durch die Stadt. Die "Lichtgrenze" zeichnete den Mauerverlauf nach. Zum Höhepunkt der Feierlichkeiten stiegen die leuchtenden Ballons in den Nachthimmel auf.

11. Dezember. Amtsübergabe im Roten Rathaus. Nach gut dreizehneinhalb Jahren bekam Berlin wieder einen neuen Regierenden Bürgermeister. Klaus Wowereit, hier mit SPD-Genossen und Nachfolger Michael Müller im geräumten Amtszimmer, hatte seinen Rücktritt im August angekündigt.

Das Jahr 2015 im Rückblick

Lageso. Im ganzen Land war die Abkürzung des Berliner Landesamts für Gesundheit bekannt, sie wurde Symbol für das Behördenversagen in der Flüchtlingskrise. Ab dem Sommer wurden die Schlangen vor der Zentralen Aufnahmestelle auf dem Gelände länger. Die Flüchtlinge mussten tage- und nächtelang anstehen, mit wenig Nahrung - bei Hitze und Kälte. Immer wieder gab es Berichte über prügelnde Sicherheitsleute. Im Chaos auf dem Gelände wurde der vierjährige Mohamed entführt, missbraucht und ermordet. Der Täter hatte auch den sechsjährigen Elias aus Potsdam getötet.

Die Flüchtlinge bezogen Notunterkünfte in Turnhallen, Containern, Traglufthallen oder dem Tempelhofer Flughafengelände.

31. März. Wie kann der Görlitzer Park zu einem Ort der Ruhe und Entspannung werden? Bis zum Ende der Zehner Jahre sind alle Versuche gescheitert, die Dealer zu vertreiben. Immer wieder kam es zu schweren Gewalttaten. Im März versuchte es Innensenator Frank Henkel (CDU) mit Nulltoleranz. Konsumenten und Händler sollten bereits bei geringen Mengen strafrechtlich verfolgt werden. Zwei Jahre später kassierte der rot-rot-grüne Senat diese Strategie, weil sie das Problem nur an andere Orte verlagere. 2019 probierte es der Senat mit mobilen Wachen.

1. Juni. Auf die unablässig steigenden Mieten reagierte der Senat im Juni. Mit der Mietpreisbremse sollten die Preise bei Neuvermietung nicht mehr als zehn Prozent steigen. Den Druck vom Kessel nehmen konnte das nicht. Auch das Zweckentfremdungsverbot im Kampf gegen zunehmende Privatvermietung von Ferienwohnungen (2018) verpuffte weitgehend.

Kopftuchstreit in Neukölln. Der Fall Betül Ulosoy löste eine breite Debatte aus. Die Rechtsreferandarin im Bezirksamt war wegen ihres Kopftuchs abgelehnt worden, mit Verweis auf das Berliner Neutralitätsgesetz. Demnach soll keine religiöse Kleidung tragen, wer den Staat repräsentiert.

Dezember. Dino-Attraktion im Naturkundemuseum. Ab Dezember konnten dort Besucher das Skelett von Tristan Otto bestaunen, des wohl besterhaltenen Tyrannosaurus Rex. Die zwölf Meter lange Leihgabe sollte eigentlich nur drei Jahre bleiben, ist jedoch am Ausgang des Jahrzehnts immer noch vor Ort - zusammen mit zahlreichen anderen beeindruckenden Dinosaurier-Skeletten.

Das Jahr 2016 im Rückblick

10. Januar. Blumen, Kerzen und ein falsches Straßenschild in Schöneberg. Die Nachricht vom Tod David Bowies ließ auch Menschen in Berlin trauern. Ein Ort des Gedenkens war die Hauptstraße 155. In dieses Haus war der britische Musiker 1976 für zwei Jahre eingezogen. Vier Monate später hing eine Gedenktafel vor Ort. Die spontane Straßenumbenennung hatte allerdings keinen Bestand.

1. Februar. Tödliches Autorennen. Mit bis zu 170 Stundenkilometern rasten Hamdi H. und Marvin N. in ihren Sportwagen über 20 Querstraßen und elf Ampeln auf dem Ku'damm. An der Tauentzienstraße rammte Hamdi H. einen Jeep, der bei Grün über die Kreuzung fuhr. Dessen Fahrer starb. Wie nach einer Explosion sah der Tatort aus. Im ersten Prozess des Landgerichts wurden die beiden Männer wegen Mordes schuldig gesprochen, bundesweit ein Novum. Obwohl der Bundesgerichtshof das Urteil aufhob, stand auch am Ende des neuen Prozesses 2019 ein Mordurteil mit lebenslangen Freiheitsstrafen.

Als Folge der tödlichen Raserei entstand der sogenannte Raser-Paragraf, der hohe Strafen für illegale Autorennen vorsieht: Bis zu zwei Jahre Gefängnis und Einziehung der oft teuren Sportwagen.

18. September. Berlin-Wahl. Den kleinsten Wahlsieg bei einer Landtagswahl überhaupt fuhr die SPD ein (21,6 Prozent). Am Ende der Verhandlungen stand ein rot-rot-grünes Bündnis. Fast mehr Aufmerksamkeit galt dem starken Abschneiden der AfD (14,2 Prozent): Die Rechtspopulisten konnten ins Abgeordnetenhaus und sämtliche Bezirksparlamente einziehen. Die meisten Stimmen holte die AfD im Osten der Stadt.

Nach fünf Jahren im Abgeordnetenhaus verschwanden die Piraten, die FDP zog wieder ein.

19. Dezember. Terroranschlag mitten in Berlin. Zwölf Menschen starben und 60 wurden verletzt, als der Tunesier Anis Amri einen schweren Lastwagen in den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz lenkte. Der Islamist hatte zuvor den Fahrer des Sattelzugs getötet. Amri konnte zunächst entkommen, wurde aber am Tag vor Weihnachten von einer Polizeistreife in Italien erschossen. Auch am Ende des Jahrzehnts kommen noch neue Erkenntnisse zu der Tat ans Licht. Als sichtbare Folge des Anschlags wird am Breitscheidplatz Weihnachten hinter Gitterkörben mit Sandsäcken, Pollern und mobilen LKW-Sperren gefeiert.

Weihnachten 2019 am Breitscheidplatz

Das Jahr 2017 im Rückblick

27. März. Gegen halb vier Uhr morgens stiegen mindestens drei Täter in ein Fenster des Bodemuseums. Ihr Ziel: Eine 100 Kilo schwere Goldmünze, die sie schließlich auf den Bahndamm warfen und mit einer Schubkarre wegschafften. Die Spuren des kuriosen Einbruchs führten wieder mal zu einer arabischen Großfamilie. Die Münze wurde vermutlich zerteilt und verkauft.

13. April. Die Internationale Gartenausstellung (IGA) eröffnete in Marzahn-Hellersdorf. Highlights wie die Aussichtsplattform Wolkenhain und Berlins einzige Gondel-Seilbahn sollen dem Bezirk erhalten bleiben. Es gibt Überlegungen, die 1,5 Kilometer lange Strecke vom U-Bahnhof Kienberg übers Wuhletal in den öffentlichen Nahverkehr zu integrieren. Dann würde dort ein einfaches BVG-Ticket reichen.

Mai. Tulpen-Massaker von Prenzlauer Berg. Liebevoll hatten Anwohner Baumscheiben gepflegt. Dann geschah etwas, das leider nicht untypisch ist für Berliner Behörden: Das Ordnungsamt ließ sie roden, unter Verweis auf die Verkehrssicherungspflicht. Offenbar ohne Warnung. Die Hobby-Gärtner sollten sich zuerst registrieren lassen, hieß es. "Zu viel Bürokratie, zu kompliziert für das bisschen Bunt", kommentierte eine Anwohnerin.

29. Juni. Jahrhundertregen in Berlin. In weniger als 24 Stunden fiel an einigen Orten mehr als doppelt soviel Regen wie sonst im ganzen Monat. BVG-Busse schoben Bugwellen vor sich her, Ampeln ragten wie Bojen aus dem Wasser. Im Oktober fegte Sturmtief "Xavier" über die Stadt und verursachte Schäden in Millionenhöhe. Sieht so der Klimawandel aus? Es sollten nicht die einzigen Wetterextreme des Jahrzehnts bleiben, die als "Jahrhundertereignisse" durchgingen.

15. August. Air Berlin ging in die Insolvenz, 8.000 Mitarbeiter verloren ihren Job. Die Bundesregierung half mit einem Kredit, den Betrieb der Airline bis Oktober 2017 fortzuführen. Berlin als internationales Drehkreuz im Wettbewerb der Metropolen, das erschien nun ferner denn je. Die letzte Air-Berlin-Maschine wurde in Tegel am 27. Oktober mit Wasserfontänen der Feuerwehr begrüßt.

1. September. 53 Prozent der neu eingestellten Lehrer an den Berliner Grundschulen waren Quereinsteiger. Die Zahl illustriert die Probleme an Berlins öffentlichen Schulen, die sich im Laufe des Jahrzehnts zuspitzten. Neben dem akuten Lehrermangel, durch den pädagogisch völlig unerfahrene Menschen in die Klassenzimmer gestellt wurden, gibt es noch andere Mängel. Marode Schulen, Brennpunktschulen, schlechtes Essen. Und auf manchem Schulhof stehen "modulare Ergänzungsbauten". Für all die Kinder der wachsenden Stadt, an deren Schullaufbahn nicht rechtzeitig gedacht wurde. Wer kann, versucht seine Kinder in Schulen privater Trägerschaft zu retten.

Wo wir gerade beim Thema wachsende Stadt sind: Auch die Suche nach einem Kitaplatz wurde zunehmend schwierig in Berlins Zehner Jahren. Das zeigte unter anderem dieser im Frühjahr 2017 geschriebene Zettel. Eine Mutter aus Prenzlauer Berg verteilte über 40 Buddelförmchen auf Spielplätzen, um auf diese Weise Hinweise für einen Kitaplatz zu erhalten. Ähnlich wie in den Schulen bleiben auch Erzieherstellen unbesetzt. Knapp 12.000 Fachkräfte bräuchte Berlin zusätzlich in der Kinderbetreuung, hat im September 2019 eine Studie der Bertelsmann-Stiftung errechnet.

November. Im BND-Neubau gingen die Lichter an, erste Büros wurden bezogen. Feierlich eröffnet wurde das kolossale Gebäude an der Chausseestraße allerdings erst im Februar 2019, sechs Jahre später als ursprünglich geplant. Die Bauzeit seit 2006 begleiteten Meldungen wie diese: Diebstahl von Bauplänen, Wasserschaden durch mutmaßliche Sabotage, Pfusch am Bau, insolvente Baufirmen. Fremd wie ein abgeriegeltes Raumschiff bleibt die neue Geheimdienstzentrale in ihrem Quartier.

Das Jahr 2018 im Rückblick

14. März. Franziska Giffey als Familienministerin. 2015 hatte Giffey die Nachfolge von Neuköllns Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky (SPD) angetreten. Nun ging ihre steile Karriere im Bundeskabinett weiter. Eine Plagiatsaffäre um ihre Doktorarbeit überstand die SPD-Politikerin im Oktober 2019 mit einer Rüge der FU Berlin. Ihren Titel durfte sie behalten.

Mai. Typisches Berlin-Schlamassel: Auto gekauft und fünf Wochen kein Termin bei der Zulassungsstelle. Nun gilt der Wagen als "illegal abgestellt". Doch keine Angst vor Abschleppwagen: Ordnungsämter arbeiteten ähnlich effizient in den Zehner Jahren.

26. Juni. Zu den Bildern des Jahres gehört dieser teure Protest: Als Zeichen für den Kohleausstieg verschüttete Greenpeace 3.500 Liter Farbe am Großen Stern. 14.000 Euro musste die Umweltschutzorganisation an die Stadtreinigung zahlen.

28. Juni. Deutschlands erstes Radverkehrsgesetz. Der Volksentscheid Fahrrad brachte 2016 die Dinge ins Rollen und konnte nach nur dreieinhalb Wochen Sammelzeit bereits über 100.000 Unterschriften vorweisen. Zum Volksbegehren kam es nicht, da der neue rot-rot-grüne Senat die Forderungen des Radentscheids mit in ein Mobilitätsgesetz aufnahm. Das trat nun mit dem Ziel in Kraft, die Vorrangstellung des Autoverkehrs Schritt für Schritt abzuschaffen. Zugunsten sicherer Rad- und Fußwege und besser ausgebauten Bus- und Bahnverkehrs. Ein Jahr später war von der Mobilitätswende allerdings noch wenig zu sehen. Berlins erster von Pollern geschützte Radweg wurde im November an der Holzmarktstraße in Mitte fertig. Über den Zickzack-Radweg von Zehlendorf lachte man in ganz Deutschland.

Oktober. Großinvestition von Siemens. Bis zu 600 Millionen Euro will der Konzern in seinen Gründungsstandort Siemensstadt stecken, um dort einen Innovationscampus zu gründen. 2021 könnten die Bauarbeiten beginnen. Ob dann auch die 1980 stillgelegte Siemensbahn wieder fährt?

13. Oktober. Unteilbar-Demo. Gegen Rassismus und Ausgrenzung gingen mehr als 240.000 Menschen auf die Straße.

Das Jahr 2019 im Rückblick

29. März. Greta Thunberg in Berlin. Die junge Schwedin, die im August 2018 den Klimastreik ins Leben gerufen hatte, kam zu einem der "Fridays for Future" nach Berlin. "Die älteren Generationen haben es nicht geschafft, die größte Krise der Menschheit zu meistern", sagte Thunberg in einer kurzen Rede auf Englisch. 

1. Mai. Fast friedlich, endlich! Die berüchtigte Gewalt, für die einst zum Tag der Arbeit Krawall-Touristen aus dem ganzen Bundesgebiet anreisten, war seit Jahren rückläufig. Den großen Ärger gab es nun nicht mehr. Willkommen in der Partyzone Kreuzberg!

28. Mai. Erstmals in seiner Geschichte schaffte Berlins 1. FC Union den Sprung in die Fußball-Bundesliga. Ein Unentschieden gegen den VfB Stuttgart reichte aus. Dann stürmten Fans das Stadion an der Alten Försterei in Köpenick. Endlich auf Augenhöhe mit den Nachbarn von Hertha BSC im Westen der Stadt.

15. Juni. In Deutschland wurden Elektroroller auf Radwegen legal. Ganze Flotten von Leihrädern und Mietwagen hatten in den letzten Zehner-Jahren die Mobilität in Berlin verändert. Allerdings wurde auch viel "Gerät" unglücklich geparkt.

16. Juli. Häuserkampf in Berlin. Das Land Berlin kaufte 670 Wohnungen an der Karl-Marx-Allee. Seitdem Rot-Rot-Grün regiert, wird das kommunale Vorkaufsrechts verstärkt genutzt. Die Idee: Häuser dem Markt entreißen, damit zu vertretbaren Mieten darin gewohnt werden kann. Seit 2015 wurden in Berlin von den Bezirken 1.671 Wohnungen im Zuge des Vorkaufsrechts erworben (Stand November) - mehr als ein Drittel davon in Friedrichshain-Kreuzberg.

Oktober 2019. Neuer Bußgeldkatalog. Wer seine Coffee-To-Go-Becher in den öffentlichen Raum wirft, muss nach dem neuen Bußgeldkatalog zwar mehr zahlen als bisher. Bis zu 300 Euro. Doch wenn - wie in Neukölln - im ganzen Jahr 2017 nur 560 Euro Bußgeld für weggeworfene Kippen eingenommen oder anderswo gar nicht kontrolliert wurde, bleiben Strafen graue Theorie.

9. November. 30 Jahre Mauerfall. Sieben Tage lang feierte Berlin mit spektakulärer Lichtkunst, Konzerten, multimedialen Ausstellungen und Diskussionen. Ein Höhepunkt war die Kunstinstallation "Visions in Motion" des US-Künstlers Patrick Shearn. Über der Straße des 17. Juni schwebten Bänder und Transparente, auf die vorab 30.000 Menschen ihre Wünsche und Hoffnungen notiert haben.

25. November. Die ersten der lange angekündigten und stark diskutierten Diesel-Fahrverbote traten in Kraft: Durchfahrtbeschränkungen und Tempo-30-Zonen auf 33 Straßenabschnitten. Unklar blieb, wie die Maßnahmen kontrolliert werden sollten.

Dezember. Deckel drauf und gut ist? Der Mietendeckel sollte endlich etwas Ruhe in ein aufgeheiztes Thema bringen. Doch geht das so einfach, darf der Senat die Mieten auf dem Stand von 2019 einfrieren? Die geplante Regelung könnte gegen das Grundgesetz verstoßen. Nach unzähligen Demonstrationen gegen Spekulanten und Miethaie im ganzen Jahrzehnt ging nun die Berliner Wohnungswirtschaft gegen das Gesetz auf die Straße.

Dezember. Die beiden bekannten Berliner Clubs Kitkat und Sage standen zum Jahresende vor der Kündigung. Das Clubsterben ist ein großes Thema der Zehner Jahre, denn schließlich kommt ein Teil der Berlin-Besucher auch, um dort zu feiern. Die Clubs sind deshalb auch ein wichtiger Wirtschaftsfaktor.

Henning Onken

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