Prozess: Serien-Autozündler: "Die Reichen sollten sich mal ärgern"
André H. hat 102 Wagen in Berlin in Brand gesteckt. Im Prozess gestand der 28-Jährige umfassend - und bat um Vergebung. Er hatte es als ungerecht empfunden, dass andere sich teure Autos kauften, während er in Schulden steckte.
Seine Feuerspur zog sich durch halb Berlin. Fast jede Nacht standen Fahrzeuge in Flammen. Einmal geriet beinahe ein Wohnhaus in Brand, am nächsten Tag bestand Gefahr für eine Seniorenresidenz. Eine Serie mit erschreckendem Rekord: 102 Autos, fast ausschließlich teure Modelle der Marken Mercedes, BMW, und Audi, gingen durch die Hand von André H. in Flammen auf.
Als endlich die Handschellen klickten, sprach der 28-Jährige von Frust und Neid. Vor Gericht saß er am Freitag voller Reue. Mit roten Ohren lauschte André H., als der Verteidiger eine Erklärung im Namen seines Mandanten verlas. Ein umfassendes Geständnis. „Ich habe neben den unmittelbar Geschädigten die ganze Stadt, die ich liebe, über Monate in Angst und Schrecken versetzt“, gab er zu. „Ich bitte die Öffentlichkeit nachhaltig und ernsthaft um Vergebung.“ Ihm sei klar, dass die Besitzer der Autos hart dafür arbeiten mussten. André H. wurde Mitte Oktober festgenommen und hat mehr gestanden, als die Polizei mit ihm in Verbindung brachte. „Ich fand es ungerecht, dass sich andere teure Autos kaufen können und ich in Schulden stecke.“ Deshalb hatte er es vor allem auf hochwertige Wagen abgesehen. „Reiche sollten sich auch mal ärgern.“
Außerdem habe ihn eine Frau, in die er „irgendwie verliebt“ war, abblitzen lassen. Die Ermittler nannten das: Taten aus „diffusem Sozialneid“. Der gelernte Maler und Lackierer lebte mit seiner älteren Schwester und der schwer kranken Mutter in einer kleinen Wohnung in Moabit. Ab und zu fand André H. einen Mini-Job, aber keine feste Anstellung. Er engagierte sich in einer mormonischen Gemeinde in Tiergarten. Er trank keinen Alkohol, nahm keine Drogen, hat keine Vorstrafen.
Am 7. Juni 2011 um drei Uhr aber begann seine brennende Frustphase: Ein Audi, der nur ein paar Schritte von der Wohnung seiner Mutter entfernt stand. „Ich nahm Grillanzünder“, sagte der Angeklagte. Am Anfang sei ihm der Preis des Autos noch egal gewesen. Aufgeregt und zittrig habe er sich gefühlt. Er sah angeblich nicht zu, wie das Auto in Flammen stand. Erst zwei Tage später habe er einen Blick auf das Wrack geworfen. „Ich war erschrocken“, sagte der Täter. Abgeschreckt hat es ihn nicht.
Bis zu zwölf brennende Fahrzeuge in einer Nacht gehen auf sein Konto. Eine Spur der Zerstörung, die sich vor allem durch Moabit, Tiergarten, Mitte, Charlottenburg und Wilmersdorf zog. „Ich wollte Rekorde brechen und dass es ins Fernsehen kommt“, gab er bei der Polizei zu Protokoll. Der Autozündler verursachte erhebliche Unruhe. Eine Sonderkommission ermittelte, Bundespolizisten waren im Einsatz. Und im Wahlkampf um das Abgeordnetenhaus hatte vor allem die CDU das Thema aufgegriffen. Als Ende August die Brandstiftungen zwischenzeitlich abrupt aufhörten, hofften die Ermittler, dass der richtige Verdächtige gefasst und der Spuk vorbei sei. Tatsächlich hatte André H. nur anderes zu tun: „Ich hatte einen Job bei einer Catering-Firma.“
Im Oktober wurde H. dann nach Auswertung von Überwachungsvideos in Bussen und U-Bahnen observiert und verhaftet. Ein Mann, der nichts mit der linken Szene zu tun hat, ein frustrierter Einzeltäter. „Mein Mandant hat unter seiner Arbeitslosigkeit gelitten und war generell mit seinen sozialen Verhältnissen unzufrieden“, sagte der Verteidiger.
Die Serie massenhafter Autobrandstiftungen war mit der Festnahme zwar gestoppt. Doch nach wie vor werden Autos in Berlin angezündet. Zuletzt ging am Freitag früh am Saatwinkler Damm in Siemensstadt ein Krankentransporter in Flammen auf. Die Polizei geht auch in diesem Fall von Brandstiftung aus. Das Geständnis von André H. wird sich strafmildernd auswirken. Doch Brandstifter müssen mit hohen Strafen rechnen. Im Januar bekam ein Zeitungsbote, der aus Sozialneid in Hausfluren Kinderwagen angesteckt hatte, knapp sechs Jahre Haft. Der Prozess geht Dienstag weiter.
Kerstin Gehrke
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