Debatte zur Flexibilität im Strommarkt: Level-Playing-Field: Flexibilität durch Wettbewerb
Das künftige Strommarktdesign muss ein technologieneutrales Level-Playing-Field für Kraftwerke, Speicher und Demand-Side-Managment zulassen, fordert Dr. Joachim Pfeiffer MdB (CDU/CSU). Beim Lastmanagement muss das Prinzip der Freiwilligkeit oberstes Gebot sein.. Ein Debattenbeitrag.
Deutschland verfolgt mit seinem 2010 vorgelegten Energiekonzept die weltweit ambitioniertesten Ziele zum Umbau und zur Dekarbonisierung des Energiesystems und damit der gesamten Volkswirtschaft. Bis 2020 soll der Primärenergieverbrauch gegenüber 2008 um 20 Prozent reduziert und bis 2050 sogar halbiert werden. Der dann noch verbleibende Rest soll überwiegend durch erneuerbare Energien gedeckt werden. Ihr Anteil an der Stromversorgung soll von 17 Prozent in 2010 über 25 Prozent in 2013 auf mindestens 80 Prozent in 2050 ansteigen. Darüber hinaus sollen die Treibhausgasemissionen bis 2020 um mindestens 40 Prozent und bis 2050 um mindestens 80 Prozent reduziert werden.
Dieses Mammutprojekt stellt die Bundesrepublik vor gewaltige Herausforderungen. Neben der Steigerung der Energieeffizienz und dem Ausbau der Infrastruktur gilt es, die deutlich zunehmende Volatilität im Stromsystem durch den Ausbau erneuerbarer Energien zu bewältigen. Mit dem Umstieg auf regenerative Energien steigt die Zahl schwankender Erzeugungsanlagen erheblich. Bereits heute sind mit über 38 Gigawatt (GW) Onshore Wind und über 38 GW Photovoltaik knapp 80 GW an volatilen Anlagen im Stromsystem. Weitere Tendenz: steigend und zwar exponentiell.
Die unkontrollierte Einspeisung von Solar- und Onshore-Windstrom bringt die Netze und das Stromsystem regelmäßig an den Rand der Belastbarkeit. Die Einspeisung der Wind- und Solarerzeugung unterliegt hohen Schwankungen und variiert innerhalb von acht Stunden um mehr als 30 GW – und das bei einer Spitzennachfrage von 80 GW.
Damit der Strommarkt trotz zunehmender Volatilität weiterhin seine Synchronisierungsaufgabe – also den Ausgleich von Stromerzeugung und -verbrauch rund um die Uhr – erfüllen und damit das hohe Niveau an Systemsicherheit auch in Zukunft gewährleistet, braucht es entsprechende Flexibilitätsoptionen im Stromsystem. Flexibilität kann etwa in Form von flexiblen Kraftwerken, in Form von Speichern oder in Form von Demand-Side-Management bereitgestellt werden.
Zukunftsfähige Stromerzeugung braucht flexible Kraftwerke. Moderne, flexible Gas- und Kohlekraftwerke sind notwendig, die entsprechend schnell hoch- und runtergefahren werden können, um die Schwankungen der regenerativen Energien auszugleichen. Zunehmend steilere Lastrampen, eine reduzierte Anfahrdauer und die Absenkung der Mindestlast bringen neue technische Anforderungen für die Kraftwerke – etwa möglichst geringe Mindest- und Maximallasten, hohe Laständerungsgeschwindigkeiten und kurze Anfahrzeiten. Zusätzlich dazu werden von den Kraftwerken immer stärker Systemdienstleistungen wie Frequenz- und Spannungshaltung oder Blindleistung gefordert. Diese technischen Anforderungen müssen die Kraftwerke erfüllen – unabhängig davon, ob es sich um Gas-, Steinkohle- oder Braunkohlekraftwerke handelt. Der eingesetzte Brennstoff ist absolut nachrangig, Technologieneutralität ist Priorität.
Ein weiteres zentrales Element im zukünftigen Strommarkt ist die Flexibilisierung der Nachfrage. Demand-Side-Management – ob in der Industrie, im Gewerbe oder bei den privaten Haushalten – wird eine signifikante Rolle bei der Systemsicherheit einnehmen – etwa durch Lastabwurf oder Lastverschiebung.
Hinsichtlich des Potentials von Demand-Side-Management besteht Unklarheit. Bei der Industrie reichen die Schätzungen von einem GW bis hin zu 40 GW. Hier rate ich zu einer realistischen Betrachtung und dazu, das Potential nicht zu überschätzen. Die Bereitschaft der Industrieunternehmen zu Lastmanagement unterliegt schließlich vielseitigen ökonomischen, technischen und rechtlichen Restriktionen. Unter Berücksichtigung dieser Restriktionen liegt das Lastmanagement-Potential etwa bei 5 GW bis 2030. Dieses Potential von Demand-Side-Management auf freiwilliger Basis gilt es zu heben – durch Anreize, den Abbau regulatorischer Hemmnisse und durch eine angemessene Vergütung.
Mit der Verordnung zu abschaltbaren Lasten (AbLaV) gibt es bereits seit 2013 ein Instrument für industrielles Lastmanagement. Die AbLaV hat sich bewährt und muss über 2015 hinaus fortgeführt werden. Insgesamt umfasst die AbLaV 3 GW an schnell und sofort abschaltbaren Lasten. Die Bereitschaft zum Lastmanagement wird den Unternehmen mit einem Leistungspreis – für die Bereithaltung – und einen Arbeitspreis – für den tatsächlichen Einsatz – vergütet. Aktuell werden ca. 1,2 GW ausgeschöpft. Der Beitrag der Industrie zur Sicherung der Systemstabilität wird deutlich am Beispiel der Sonnenfinsternis im März diesen Jahres: Während der Sonnenfinsternis haben die Netzbetreiber vier Aluminiumwerke gleich mehrmals vom Netz genommen, um Schwankungen im Stromnetz auszugleichen. Der Umfang der Abschaltung lag bei ca. 800 MW was der Leistung von zwei Kraftwerksblöcken entspricht.
Auch im Gewerbe – etwa durch Pooling von Kühlhäusern o.Ä. – besteht Potential für Lastmanagement. Gleiches gilt für die Haushalte. Mit der weiteren Entwicklung von lastvariablen Tarifen werden sich zunehmend Anreize bei den Haushalten finden, den Stromverbrauch zunehmend am Strompreis zu orientieren und somit Geld zu sparen. Jedoch ist auch hier eine realistische Betrachtung notwendig, schließlich gelten auch hier Restriktionen, etwa zeitlicher und praktischer Art.
Die Zukunft der Energieversorgung liegt im intelligenten und vernetzten Energiesystem. Es ist deshalb absolut zu begrüßen, dass das Bundeswirtschaftsministerium mit dem Gesetzentwurf zur „Digitalisierung der Energiewende“ nun endlich die rechtliche Grundlage für den Roll-out von Intelligenten Zählern und Smart Metern vorlegt. Kosten und Nutzen müssen beim Roll-Out in einem angemessenen Verhältnis stehen. Der Verbraucher darf einerseits nicht über Gebühr belastet werden, andererseits eröffnen intelligente Messeinrichtungen die Chance Strom und Geld zu sparen. Moderne Messeinrichtungen sind der Türöffner für Intelligenz und Kostentransparenz beim Verbraucher. Damit sind sie der Schlüssel zu mehr Flexibilität der Haushalte hinsichtlich ihres Stromverbrauchs.
Oberstes Gebot beim Demand-Side-Management ist das Prinzip der Freiwilligkeit – sowohl bei den Haushalten als auch bei der Industrie. Der Strommarkt ist für die Verbraucher da und nicht umgekehrt. Der Takt der Produktion darf der volatilen Einspeisung von Windkraft und PV ebenso wenig untergeordnet werden, wie der Betrieb der Waschmaschine.
Neben flexiblen Kraftwerken und der Flexibilisierung der Nachfrage brauchen wir Speichertechnologien. Speicher können Strom in Zeiten von Erzeugungsüberschüssen aufnehmen und dann in Zeiten von Knappheit abgeben – und somit fluktuierende regenerative Energiequellen ausgleichen. Bislang sind Speichermöglichkeiten jedoch faktisch kaum vorhanden. Derzeit können Speicher den kompletten Strombedarf Deutschlands nur für weniger als eine Stunde decken. Deutschland verfügt momentan über eine Speicherleistung von 0,04 TWh im Strombereich. Benötigt wird jedoch eine Speicherkapazität von etwa 10 TWh. Dies entspricht in etwa 250fachen der bestehenden Kapazitäten. Hier ist also deutlich Luft nach oben. Interessante, vielversprechende Technologien sind derzeit in der Entwicklungsphase, etwa die Power-to-Gas-Technologie. Es finden erste Pilotprojekte statt, wie die Anlage von Audi in Werlte. Insbesondere das Speicherpotential, dass sich durch die Nutzung der Gasinfrastruktur heben lässt, ist beeindruckend. Über 200 TWh Strom könnte das bestehende Gasnetz in seinen knapp 500.000 km speichern, wenn die Verknüpfung von Strom- und Gasnetz durch Power-to-Gas gelingt. Ein großflächiger Einsatz dieser Technologie wird jedoch erst erfolgen, wenn der Wirkungsgrad weiter gesteigert wird und die Kosten deutlich reduziert werden. Damit Power-to-Gas wettbewerbsfähig ist, gilt es die Kosten mindestens um den Faktor 10 zu senken.
Aufgabe der Politik bei der Entwicklung von Speichertechnologien ist es, mit gezielter Forschungsförderung Innovationen anzureizen und einen geeigneten Marktrahmen zu schaffen. Dabei gilt das Primat der Technologieoffenheit. Zu diskutieren ist aus Sicht der AG Wirtschaft und Energie der CDU/CSU- Fraktion auch die derzeitige Definition von Speichern. Derzeit sind Speicher unzutreffend als Letztverbraucher definiert und damit mit sämtlichen Letztverbraucherabgaben belastet, was die dringend notwendige Entwicklung von Speichertechnologien deutlich bremst.
Knackpunkte für ein adäquates Maß an Flexibiltät im Stromsystem sind Markt und Wettbewerb. Die Bereitstellung von Flexibilitäten im zukünftigen Energiesystem muss wettbewerblich erfolgen. Das zukünftige Strommarktdesign muss ein technologieneutrales Level-Playing-Field zulassen, in dem die unterschiedlichen Flexibilitätsoptionen – Kraftwerke, Speicher und Demand-Side-Management – in einem fairen Wettbewerb zueinander stehen.
Hierbei bedarf es insbesondere auch der weiteren Markt- und Systemintegration der erneuerbaren Energien. Nur, wenn sich die Betreiber von EE-Anlagen– also die zukünftigen Hauptakteure im Strommarkt – den Herausforderungen des Energiemarkts stellen und das Vermarktungsrisiko für ihre Produkte tragen, werden sie innovative Stromprodukte entwickeln, die dem Anspruch an Flexibilität auch genügen. Nur, wenn sich die Stromproduzenten am Strompreis orientieren müssen, werden sie komplexe Lieferportfolios anbieten, in denen neben regenerativen Quellen auch (gesicherte) regelbare Leistung – also Kraftwerke, Speicher sowie Demand-Side-Lösungen – enthalten ist. Ein wichtiger Schritt in diese Richtung war die EEG-Novelle 2014. mit der Einführung der verpflichtenden Direktvermarktung. Weitere Schritte müssen folgen, etwa die Ausweitung der Direktvermarktungspflicht für alle Anlagen oder die Umstellung auf die fixe Marktprämie.
Dr. Joachim Pfeiffer ist wirtschafts- und energiepolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Sein Beitrag erscheint im Rahmen der Debatte des Tagesspiegel Politikmonitorings zur Flexibilität im Strommarkt. Alle Debattenbeiträge finden Sie hier.
Sönke Tagermann: Windgas, ein unverzichtbarer Treibstoff für die Energiewende
Dr. Wolfram Vogel: Internationaler Stromhandel: Das Potential ist noch nicht ausgeschöpft
Annegret-Cl. Agricola: Netzstabilität und Versorgungssicherheit durch Pumpspeicherwerke
Barbara Lempp: Energiehändler rufen laut nach Flexibilität – aber bitte auf den starken Schultern des Marktes
Dr. Urban Keussen: Erneuerbare stärker integrieren
Carsten Körnig: Die Rollen im Strommarkt werden neu verteilt
Eberhard Holstein: Flexibilität ist Chance für smartes Agieren am Strommarkt
Hermann Albers: Flexibilität ist der Schlüssel für den Erfolg der Energiewende
Robert Busch: Ein Marktmodell für Flexibilität
Clemens Triebel: Speicher statt Kohle
Jochen Schwill und Hendrik Sämisch: Die Erneuerbaren regeln das schon selbst
Hans-Joachim Reck: „Nichts ist umsonst“
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