Debatte zur Flexibilität im Strommarkt: Flexibilität im Verteilnetz: technisch machbar und ökonomisch umsetzbar
Stromspeicher sind mit Blick auf die Netzstabilität und den Strommarkt die in ihrer Nutzung variabelste Flexibilitätsoption, schreiben Dr. Torsten Hammerschmidt und Torsten Knop (RWE Deutschland AG). Aufgrund der zusätzlich anfallenden Investitionskosten für Speicher ist es ökonomisch jedoch sinnvoller, zunächst Flexibilitätspotenziale auf der Nachfrageseite und durch die Umrüstung bestehender Anlagen zu erschließen. Ein Debattenbeitrag.
Die Energiewende stellt auch die Stromverteilnetze vor große Herausforderungen. Schon heute wird eine große Zahl dezentraler Erzeugungsanlagen in die Netze integriert. In wenigen Jahren ist mit einer höheren Gleichzeitigkeit des Stromverbrauchs zu rechnen. Das bedeutet, dass immer mehr Verbraucher in Zeiten hoher Stromproduktion aus erneuerbaren Energien die daraus resultierenden niedrigen Strompreise nutzen. Zudem wird der Stromverbrauch durch innovative Technologien wie Elektromobilität und andere digitale Anwendungen perspektivisch zunehmen. Diese drei Trends werden die Stromverteilnetze grundlegend verändern.
Vor diesem Hintergrund ist ein weiterer Ausbau der Verteilnetze unverzichtbar. Allein für die Integration dezentraler Erzeugungsanlagen rechnen verschiedene Studien übereinstimmend mit einem Investitionsbedarf von rund € 30 Mrd. bis 2030. Hinzu kommen die Effekte aus einer höheren Gleichzeitigkeit des Verbrauches und einer insgesamt steigenden Nachfrage.
In Fachkreisen ist man sich jedoch einig darüber, dass der Einsatz intelligenter Betriebsmittel und Verfahren dazu beitragen kann, diesen Investitionsbedarf zu begrenzen. Insbesondere die „netzdienliche Nutzung von Flexibilitäten“ ist geeignet, den Ausbaubedarf zu reduzieren. Beispiele dafür sind die Vermeidung sehr seltener Einspeisespitzen von Erzeugern, die Nutzung von Speichern, aber auch die zeitliche Verschiebung von Verbrauch (das so genannte „Demand Side Management“).
Mithilfe „netzdienlicher Flexibilitätsnutzung“ soll ein volkswirtschaftlich ineffizienter Netzausbau vermieden werden. Die „netzdienliche Flexibilitätsnutzung“ ist lokal begrenzt, steht aber dennoch in Konkurrenz zur „marktdienlichen und systemdienlichen Flexibilitätsnutzung“, die Ungleichgewichte auf der Ebene des gesamten elektrischen Systems adressieren. Zu den „marktdienlichen Flexibilitätsoptionen“ zählen beispielsweise die Zuschaltung von Verbrauchern bei niedrigen oder die Abschaltung von Verbrauchern bei hohen Strompreisen. Regelenergie wiederum ist eine „systemdienliche Flexibilitätsoption“. Die Allokation der Flexibilität zwischen diesen verschiedenen Verwendungen kann effizient nicht durch staatliche Eingriffe, sondern sollte marktorientiert erfolgen. Darauf basiert der Grundgedanke des so genannten Ampelkonzeptes des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft e.V. (BDEW), dessen Fokus auf der freiwilligen Bereitstellung von „Flexibilitäten für netzdienliche Zwecke“ liegt. Dies erfolgt in funktionierenden Märkten nur, wenn der Wert einer Flexibilität für das Verteilnetz größer ist als bei einer markt- oder systemdienlichen Verwendung.
Entscheidend für das Gelingen dieses Ansatzes ist seine Offenheit für zukünftige Entwicklungen. Niemand wird heute den Markt für „netzdienliche Flexibilitätsprodukte“ im Jahr 2025 oder 2030 konzipieren können. Stattdessen kommt es auf einen ordnungspolitischen Rahmen an, der es Vertrieben und Aggregatoren ermöglicht, in einem dynamischen Prozess schrittweise komplexere „netzdienliche Flexibilitätsprodukte“ zu generieren, die den – ebenfalls in der Komplexität wachsenden – Bedarfen der Netzbetreiber entsprechen. Nur so wird es möglich sein, auf wettbewerblicher Grundlage eine optimale Allokation von Flexibilitäten zwischen Markt, System und Netz zu erreichen.
Ein erster Schritt auf diesem Weg besteht darin, in Forschungsvorhaben und Pilotprojekten zu untersuchen, welche technisch und kommerziell realisierbaren Produkte den Bedürfnissen der Verteilnetzbetreiber entsprechen.
Bietet die Erzeugung zukünftig keine Flexibilität mehr, da regenerative Energie aus Wasser, Sonne und Wind genau zu dem Zeitpunkt genutzt werden muss, wenn sie bereitsteht, so muss entweder der Verbraucher flexibel werden oder der Ausgleich von schwankender Einspeisung und sich zufällig ergebender Last muss durch zusätzliche Anlagen, wie z. B. Speicher, ausgeglichen werden. Letztere haben den Vorteil, dass regenerativer Strom zu Zeiten von Stromüberschüssen besser genutzt werden kann. Allerdings sind sie auch noch verhältnismäßig teuer. Aus ökonomischer Sicht wird daher erst in Speicher investiert werden, wenn andere Flexibilitätsoptionen vollständig genutzt sind.
Diese Erkenntnis führt uns gedanklich zu einer technisch und ökonomisch sinnvollen Einsatzreihenfolge von Flexibilitäten:
Potenziale bestehender Anlagen auf der Nachfrageseite
Können bestehende Anlagen beim Stromkunden Energie speichern? Und wie kann die Energielieferung zeitlich an die Erfordernisse des Stromnetzes angepasst werden, sofern der Kunde hierdurch keine Komforteinbußen hat? Das Speichern von Strom kann zum Beispiel mit Nachtspeicherheizungen oder Elektrofahrzeugen durch eine geeignete Steuerung erreicht werden. RWE Deutschland testet diese Art der innovativen Ansteuerung von Kundengeräten mit dem Projekt Smart Operator derzeit in drei Ortsnetzen.
Es ist jedoch zu erwarten, dass die Erschließung dieser Potenziale nicht im Haushalt, sondern bei Industrieprozessen beginnen wird. In Betrieben ist eine solche Stromspeicherung in größerem Maße möglich und bietet dadurch größeres Kosteneinsparpotential.
Anlagen mit geringen Umrüstungskosten
Im zweiten Schritt werden Anlagen Flexibilitätsbeiträge liefern, die mit geringen Kosten für die Speicherung regenerativer Energie umgerüstet werden können. Dabei ist sowohl die Aufnahme wie die Abgabe regenerativer Energie möglich. Im Rahmen des Projektes Smart Country betreibt RWE Deutschland in der Eifel den bundesweit ersten Biogasspeicher mit netzgeführter Betriebsweise. Dieser vermeidet beispielsweise die Stromproduktion aus Biogas in Zeiten eines regenerativen Überangebotes. Das gespeicherte Biogas wird immer dann zur Stromproduktion eingesetzt, wenn Wind und Sonne nicht genug Strom für den aktuellen Verbrauch liefern. Seit vier Jahren arbeitet der Biogasspeicher zuverlässig mit einem Gesamtwirkungsgrad von über 98 Prozent.
Eine weitere Möglichkeit zur effizienten Speicherung von regenerativem Strom besteht in der Speicherung von Wärme. Das bei der Wärmeerzeugung substituierte Erdgas kann ebenfalls effizient und in großtechnischem Maßstab gespeichert und dann zur Stromerzeugung eingesetzt werden, wenn regenerative Quellen zur Deckung der Nachfrage nicht genug Strom liefern. Energiespeicher müssen derzeit für Strom, den sie aus dem öffentlichen Netz beziehen, jedoch „Letztverbraucherabgaben“ und Steuern entrichten. Diese Abgaben auf den zur Wärmeerzeugung in dieser Prozesskette eingesetzten Strom verhindern jedoch im Vergleich zur direkten Wärmeerzeugung aus Erdgas die wirtschaftliche Umsetzung dieser Flexibilitätsoption.
Anlagen zur Stromspeicherung mit mittleren Investitionskosten
Speicheranlagen, die nur zum Zweck der Stromspeicherung installiert werden, bieten aus Sicht der Netzstabilität und des Strommarktes zwar die größte Variabilität in der Nutzung, sie belasten das Stromsystem aber mit zusätzlichen Investitionskosten. Batterien werden die wesentliche technische Ausführung dieser Flexibilitätsoption sein.
Die Kosten für Batterien sinken kontinuierlich. In wenigen Jahren könnten sie zunächst für Verbraucher mit einer Eigenerzeugung wirtschaftlich werden, da „Letztverbraucherabgaben“ auf den eigengenutzten Strom eingespart werden können. Technisch und volkswirtschaftlich sind viele kleine Batterien am Ende der Verteilnetze jedoch nicht vorteilhaft. Zum einen gibt es auch bei Batterien eine relevante Kostendegression bei größeren Einheiten. Zum anderen findet über das Stromnetz eine statistische Vergleichmäßigung von Erzeugungs- und Lastspitzen statt, die kostenlos ist. Das heißt, Batterien an zentralen Knoten im Stromnetz könnten kleiner ausgelegt werden als beim Stromkunden. Zudem sind sie in den spezifischen Investitionskosten preiswerter. Die von einem Speicherbetreiber für gespeicherten Strom zu zahlenden Letztverbraucherabgaben benachteiligen jedoch die Realisierung dieser Speicher.
Anlagen zur Langzeit-Stromspeicherung mit hohen Investitionskosten
Erst wenn die vorgenannten Flexibilitätsoptionen ausgereizt sind, werden weitere Flexibilitätsoptionen benötigt, die zudem eine Langzeitspeicherung von regenerativem Strom ermöglichen. Eine nutzbare Technologie ist Power to Gas. Dieses Verfahren wird von RWE Deutschland in einer Demonstrationsanlage in Ibbenbüren getestet. Dabei wird aus Windstrom und Wasser in einem Elektrolyseverfahren Wasserstoff erzeugt, der anschließend in das Erdgasnetz eingespeist wird. Dieses mit regenerativem Wasserstoff angereicherte Erdgas kann später wieder zur Erzeugung von Elektrizität verwendet werden. Allerdings belasten auch in diesem Fall Steuern auf den eingesetzten regenerativen Strom die Prozesskette im Vergleich zur Stromerzeugung aus konventionellem Erdgas.
Dr. Torsten Hammerschmidt ist Leiter des Projekts Smart Country, Torsten Knop Leiter Regulierung Netzentgelte bei der RWE Deutschland AG in Essen. Ihr Beitrag erscheint im Rahmen der Debatte des Tagesspiegel Politikmonitorings zur Flexibilität im Strommarkt. Alle Debattenbeiträge finden Sie hier.
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