Debatte zur Flexibilität im Strommarkt: Erneuerbare stärker integrieren
Der Netzausbau zwischen Nord- und Süddeutschland sowie die Weiterentwicklung der Regelenergiemärkte sind dringend geboten. Kurzfristig kann eine Kapazitätsreserve helfen, Erzeugung und Verbrauch auszugleichen und die Versorgung zu sichern, schreibt Dr. Urban Keussen (TenneT). Ein Debattenbeitrag.
Die Frage ist einfach: Wie schaffen wir es, dass die Versorgung mit Strom auch in Zukunft zu jeder Minute sichergestellt und die Systemstabilität gewährleistet werden kann? Die Antworten stellen uns vor große Herausforderungen:
Flexible Kraftwerkskapazität bleibt notwendig
Die flexiblen Kraftwerkskapazitäten, auf die wir bei geringer Erneuerbaren-Einspeisung zurückgreifen müssen, nehmen ab. Und mit der von der Bundesregierung geplanten schrittweisen Reduzierung von Braunkohle-Erzeugung wird diese Entwicklung rasant Fahrt aufnehmen. Aufgrund der Volatilität der Erneuerbaren werden wir aber auf absehbare Zeit nicht auf flexible gesicherte Kraftwerkskapazität verzichten können. Daher muss der Strommarkt optimiert und gestärkt werden, damit er genügend Kraftwerkskapazität vorhalten und die Versorgung sichern kann. Zwei Punkte sind besonders wichtig: Zum einen sollten Stromversorger und -händler verpflichtet werden, sich darum zu kümmern, ausreichend Strom einzukaufen. Tun sie dies nicht, müssen sie die Kosten für den Ausgleich der Versorgungslücke tragen. Zum anderen sollte in der Übergangszeit, bis der Markt sich eingependelt hat, eine Kapazitätsreserve zur Verfügung stehen. Sie darf erst dann eingesetzt werden, wenn es ein Ungleichgewicht zwischen Erzeugung und Verbrauch gibt, das mit vorhandenen Kapazitäten, Regelleistung und anderen Maßnahmen nicht beherrscht werden kann. Das Weißbuch „Strommarktdesign“ geht hier in die richtige Richtung.
Transportengpässe beseitigen
Weniger gesicherte, flexible Kraftwerkskapazität und mehr dezentrale, volatile erneuerbare Energien lassen auch die Belastung für Stromnetze und Versorgungssicherheit steigen. Besonders in Zeiten hoher Wind- und Solareinspeisung kann es zu Transportengpässen kommen. Um das Netz unter diesen Bedingungen stabil zu halten, werden wir in diesem Jahr gut 1.000-mal in die konventionelle Erzeugung eingreifen und zusätzlich voraussichtlich eine Million Megawattstunden Windenergie abregeln müssen.
Entspannung wird erst der Netzausbau bringen. Er löst bestehende Transportengpässe auf und reduziert Eingriffe und Abregelungen. Von besonderer Bedeutung sind dabei die Nord-Süd-Verbindungen wie etwa die Gleichstromverbindung SuedLink, die Windstrom aus Norddeutschland in den Süden bringen kann. Wichtig sind auch die Verbindungen in die europäischen Nachbarländer. So machen neue Verbindungen von Niederbayern nach Österreich die Speicherung des bayerischen Solarstroms in den alpinen Pumpspeicherkraftwerken möglich. Die Seeverbindung von Schleswig-Holstein nach Norwegen öffnet den Zugang zu den dortigen Wasserkraftspeichern und die Leitung von Niedersachsen nach Dänemark verbindet die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energiequellen in Dänemark und Schleswig-Holstein mit den Lastzentren im Großraum Hamburg und in Niedersachsen.
Mehr Systemverantwortung für die Erneuerbaren
Zwar wächst die Rolle der Erneuerbaren bei der Erzeugung – ihre Verantwortung für die Versorgungssicherheit hält damit aber noch nicht Schritt. Zum Beispiel die Regelleistung, die die Übertragungsnetzbetreiber benötigen, um zu jedem Zeitpunkt ein Gleichgewicht zwischen Stromerzeugung und Verbrauch sicherzustellen: Hier liegt der Anteil der nicht konventionellen Anlagen erst bei bis zu 20 Prozent. Anbieter sind Wasserkraftspeicher vor allem aus dem benachbarten Ausland, Biogasanlagen und einige Batteriespeicher. Die Regelleistungsmärkte müssen weiterentwickelt und für neue Anbieter geöffnet werden wie es auch das Weißbuch „Strommarktdesign“ vorsieht. Wir arbeiten an neuen Konzepten mit. Ergebnisse sind unter anderem die Zulassung der ersten großen Power-to-Gas-Anlage sowie eines Verbunds privat genutzter Solarstromspeicher für den Regelleistungsmarkt. Außerdem werden aktuell für Windanlagen einheitliche Kriterien erarbeitet, damit sie negative Regelleistung anbieten können. Daneben laufen auch Untersuchungen zur Einbeziehung von Solaranlagen.
Dranbleiben
Die Energiewende wird die Übertragungsnetzbetreiber weiter vor große Herausforderungen stellen. Es bleibt noch viel zu tun, bis die Versorgung mit Strom auch in Zukunft zu jeder Minute und in ausreichendem Maße sichergestellt und die Systemstabilität gewährleistet werden kann. Aber auch wenn wir noch einen weiten Weg zu gehen haben, sind Fortschritte schon heute sichtbar. Wir müssen jetzt nur alle miteinander dranbleiben.
Dr. Urban Keussen ist Vorsitzender der Geschäftsführung der TenneT TSO GmbH. Sein Beitrag erscheint im Rahmen der Debatte des Tagesspiegel Politikmonitorings zur Flexibilität im Strommarkt. Alle Debattenbeiträge finden Sie hier.
Carsten Körnig: Die Rollen im Strommarkt werden neu verteilt
Eberhard Holstein: Flexibilität ist Chance für smartes Agieren am Strommarkt
Hermann Albers: Flexibilität ist der Schlüssel für den Erfolg der Energiewende
Robert Busch: Ein Marktmodell für Flexibilität
Clemens Triebel: Speicher statt Kohle
Jochen Schwill und Hendrik Sämisch: Die Erneuerbaren regeln das schon selbst
Hans-Joachim Reck: „Nichts ist umsonst“
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