Debatte zur Flexibilität im Strommarkt: Netzstabilität und Versorgungssicherheit durch Pumpspeicherwerke
Derzeit wird Strom, der von Pumpspeicherwerken ein und wieder ausgespeichert wird, zweimal mit Netzentgelten belastet, was die Wirtschaftlichkeit dieser zentralen Flexibilitätsoption konterkariert. Pumpspeicher sind aber keine Letztverbraucher und sollten daher von Netzentgelten und weiteren Abgaben befreit werden, fordert Annegret-Cl. Agricola (dena). Ein Debattenbeitrag.
Pumpspeicher sind multifunktional und weisen einen hohen Nutzen für die Energiewende auf. Sie sind derzeit die einzigen erprobten und großtechnisch verfügbaren Stromspeicher. Außerdem stellen sie zuverlässig viele verschiedene Systemdienstleistungsprodukte für einen stabilen Netzbetrieb bereit. Dafür kommt es ihnen zugute, dass sie besonders flexibel einsetzbar sind. So tragen sie zu einer sicheren und flexiblen Stromversorgung bei.
Schwankende Stromerzeugung: Warum das Stromsystem flexibler werden muss.
Zukünftig wird die Stromerzeugung aus Wind- und Sonnenenergie an einigen Tagen weit höher als die Nachfrage – zum Beispiel bei Starkwind und hoher Sonneneinstrahlung – oder geringer als die Last sein – bei Schwachwind und geringer Sonneneinstrahlung. Auch von einer kurzfristig schwankenden Erzeugung durch Wolkenzug, Windfronten und Flauten ist auszugehen. Das sind Wetterereignisse, die sehr schwer prognostizierbar sind. Hinzu kommt, dass die Stromproduktion in Zukunft teilweise weit entfernt von den Lastzentren stattfinden wird. Diese Entwicklungen zeigen, dass unser Stromsystem viel flexibler werden muss, als es derzeit ist, um weiter sicher und stabil betrieben werden zu können.
Um diese Flexibilität zu ermöglichen, müssen vielfältige Maßnahmen ineinander greifen. Der Um- und Ausbau der Stromnetzinfrastruktur muss zügig umgesetzt werden, um einen räumlichen Ausgleich von Erzeugung und Last zu ermöglichen. Die Flexibilisierungspotenziale bei Stromerzeugern und Verbrauchern müssen ausgeschöpft werden. Außerdem müssen mehr Stromspeicher in das System integriert werden, um einen zeitlichen Ausgleich zu schaffen und die Markt- und Systemintegration der erneuerbaren Energien zu unterstützen. Pumpspeicherwerke haben in diesem Zusammenhang eine besondere und wachsende Bedeutung. Dies wird anhand der nachfolgenden Ausführungen deutlich.
Vorteile von Pumpspeicherwerken für einen stabilen Netzbetrieb
Schwankungen erneuerbarer Energien ausgleichen: Im Vergleich zu anderen Kraftwerken können Pumpspeicher im laufenden Betrieb und auch aus dem Stillstand heraus sehr schnell mehrere hundert Megawatt Strom aufnehmen oder abgeben – und damit Schwankungen in der Wind- und Solarstromproduktion ausgleichen. Sie sind in der Lage, innerhalb von Sekunden ihre maximale Leistung zur Stromaufnahme und -abgabe zu erbringen. Viele Kohlekraftwerke benötigen dafür mehrere Stunden, Kernkraftwerke meist sogar mehrere Tage.
Stabilität der Stromnetze wahren: Unvermeidlich eintretende Abweichungen zwischen Stromerzeugung und ‐verbrauch müssen innerhalb kürzester Zeit ausgeglichen werden. Nur so kann die Frequenz im Stromnetz gehalten und die Stabilität der Stromversorgung gesichert werden. Dazu nutzen die Netzbetreiber Regelleistung und Momentanreserve. Pumpspeicher sind so flexibel steuerbar, dass sie besonders schnell Regelleistung bereitstellen können. Über die rotierenden Massen ihrer Generatoren und Motoren tragen sie zudem zur Momentanreserve bei.
Engpässe im Stromnetz vermeiden: Sich abzeichnende Engpässe im Stromnetz vermeiden die Netzbetreiber, indem sie Kraftwerke vor und nach dem Engpass dazu anweisen, ihre geplante Einspeiseleistung anzupassen. Konventionelle Kraftwerke können nur durch Erhöhen und Reduzieren der Stromproduktion zu diesem sogenannten Redispatch beitragen. Pumpspeicher sind hingegen die einzige großindustriell eingesetzte Technologie, die sogar über vier Möglichkeiten zur Bereitstellung von Redispatch verfügt – jeweils durch Erhöhen oder Verringern der Pump- bzw. der Generatorleistung.
Pumpspeicher können zudem, entsprechende Beckenfüllstände vorausgesetzt, im laufenden Betrieb und aus dem Stillstand heraus die angeforderten Arbeitspunkte im Pump‐ oder Turbinenbetrieb sehr schnell anfahren. Je nach Größe der Anlage können somit mehrere hundert Megawatt sehr kurzfristig bereitgestellt werden. Die Maschinen sind in der Regel dazu in der Lage, selbst aus dem Stillstand heraus innerhalb kürzester Zeit ihre maximale Leistung zu erbringen. Hochflexible Pumpspeicher benötigen dafür sogar nur 30 Sekunden. Zusätzlich sind bei Pumpspeichern, im Gegensatz zu vielen thermischen Kraftwerken, sehr niedrige Teillastzustände von unter 30 Prozent der Nennleistung beherrschbar. Aus der Teillast heraus kann die maximale Leistung dann bereits innerhalb von wenigen Sekunden abgefordert werden.
Spannung im Stromnetz stabil halten: Für die Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit muss auch die Spannung im Stromnetz jederzeit stabil gehalten werden. Dafür wird Blindleistung eingesetzt. Pumpspeicher können durch den möglichen Wechsel zwischen Pump- und Generatorbetrieb Blindleistungsprodukte sehr flexibel bereitstellen, sogar im Teillastbetrieb. Konventionelle Kraftwerke können unter Teillast nicht mehr zur Blindleistungsregelung herangezogen werden.
Netzwiederaufbau ermöglichen: Die Mehrzahl der Pumpspeicher kann bei einem Zusammenbruch des Stromnetzes ohne externe Stromversorgung aus dem abgeschalteten Zustand heraus sehr schnell wieder in Betrieb genommen werden und den Netzwiederaufbau einleiten (Schwarzstartfähigkeit).
Benachteiligung von Pumpspeichern beenden
Stromspeicher werden nach heute geltendem Energiewirtschaftsrecht als Letztverbraucher eingeordnet, da Strom aus dem Netz entnommen wird. Diese Definition wird der Marktrolle von Stromspeichern jedoch nicht gerecht. Bei der Stromentnahme durch Letztverbraucher wird Strom dem Netz endgültig entnommen. Stromspeicher hingegen nehmen beispielsweise die fluktuierende Einspeisung aus erneuerbaren Energien in Zeiten niedriger Last auf und speisen sie in Zeiten hoher Nachfrage wieder in das Netz zurück. Die Energie bleibt somit abzüglich der Wirkungsgradverluste im Stromsystem erhalten. Pumpspeicher sind somit keine Letztverbraucher, deshalb müssen Netzentgelte und andere Abgaben entfallen.
Das aktuell in Deutschland praktizierte Netzentgeltmodell benachteiligt Pumpspeicherkraftwerke gegenüber anderen Erzeugern, obwohl diese durch die Bereitstellung von Systemdienstleistungsprodukten einen positiven Beitrag zur Netzstabilität leisten. Im gesamten Prozess der Pumpspeicherung fällt das Netzentgelt doppelt an. Das Pumpspeicherwerk zahlt Netzentgelt beim Bezug von Strom zum Pumpen und der Abnehmer des aus dem Pumpspeicherwerk ausgespeicherten und in das Netz eingespeisten Stroms zahlt nochmals Netznutzungsentgelt. Der Gesetzgeber sollte sich dieser Problematik annehmen, denn sie gefährdet die Wirtschaftlichkeit der Technologie. Stromspeicher müssen daher neben Erzeugern, Netzen und Verbrauchern als 4. Element im Stromsystem anerkannt werden.
dena-Plattform „Pumpspeicherwerke – Partner der Energiewende“
Die dena hat die Plattform „Pumpspeicherwerke – Partner der Energiewende“ initiiert, um gemeinsam mit Stakeholdern auf die hohe energiewirtschaftliche Bedeutung von Pumpspeicherwerken in einem Energiesystem mit hohen Anteilen erneuerbarer Energien aufmerksam zu machen und auf die Schaffung geeigneter energiewirtschaftlicher Rahmenbedingungen hinzuwirken. Ziel ist es, die Herausforderungen für den Einsatz von Pumpspeicherwerken im Stromsystem zu analysieren und Lösungsvorschläge für den zukünftigen Betrieb von Pumpspeicherwerken im Strommarkt zu erarbeiten. Durch die Aktivitäten der dena-Plattform Pumpspeicher sollen sowohl der Betrieb bestehender Pumpspeicher als auch die Erschließung neuer Pumpspeicherkapazitäten in Deutschland, Österreich und der Schweiz unterstützt und deren energiewirtschaftlich sinnvoller Einsatz sichergestellt werden.
Mit der Plattform ist gelungen, Energieversorger, Kraftwerks- und Netzbetreiber, Anlagenbauer und Technologiehersteller auch über Ländergrenzen hinweg zusammenzubringen und gemeinsame Positionen sowie Handlungsempfehlungen an die Politik zu erarbeiten. Als aktuellste Publikation haben die Partner der Plattform ein Ergebnispapier vorgelegt, in dem sie die Alleinstellungsmerkmale von Pumpspeicherwerken und ihren vielfältigen Nutzen herausstellen.
Annegret-Cl. Agricola ist Bereichsleiterin Energiesysteme und Energiedienstleistungen bei der Deutschen Energie-Agentur (dena). Ihr Beitrag erscheint im Rahmen der Debatte des Tagesspiegel Politikmonitorings zur Flexibilität im Strommarkt. Alle Debattenbeiträge finden Sie hier.
Barbara Lempp: Energiehändler rufen laut nach Flexibilität – aber bitte auf den starken Schultern des Marktes
Dr. Urban Keussen: Erneuerbare stärker integrieren
Carsten Körnig: Die Rollen im Strommarkt werden neu verteilt
Eberhard Holstein: Flexibilität ist Chance für smartes Agieren am Strommarkt
Hermann Albers: Flexibilität ist der Schlüssel für den Erfolg der Energiewende
Robert Busch: Ein Marktmodell für Flexibilität
Clemens Triebel: Speicher statt Kohle
Jochen Schwill und Hendrik Sämisch: Die Erneuerbaren regeln das schon selbst
Hans-Joachim Reck: „Nichts ist umsonst“
Urban Windelen: Flexibilität im Strommarkt muss sich rechnen - Speicher spielen entscheidende Rolle
Hermann Falk: Flexibilität als Schlüssel für das Energiesystem der Zukunft
Eva Bulling-Schröter: Gesucht wird: Verlässlicher Partner von Sonne und Wind
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Julia Verlinden: Die neue Energiewelt – Flexibilität im Strommarkt als Schlüssel
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Annegret-Cl. Agricola