Debatte zur Flexibilität im Strommarkt: Die neue Energiewelt – Flexibilität im Strommarkt als Schlüssel
Für Julia Verlinden (Bündnis 90/Die Grünen) steht fest, dass der regenerativen Energie aus Wind und Sonne die Zukunft gehört. Um die nötige Flexibilität für deren Integration zu gewinnen, setzt sie auf Anreize für Strom- und Biogasspeicher sowie Demand-Side-Management. Ein Debattenbeitrag.
Vor 15 Jahren haben wir uns mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) auf den Weg in die neue Energiewelt gemacht. Mittlerweile stammen über 28 Prozent des erzeugten Stroms in Deutschland aus Sonne, Wind, Biomasse, Wasser und Geothermie. Das ist ein Riesenerfolg, der erst durch das EEG möglich geworden ist. Ziel des EEG war es von Beginn an, technologieoffen die geeignetsten Erneuerbaren Energien zu finden, um ein Energiesystem zu entwickeln, das zu 100 Prozent auf Erneuerbaren beruht. Inzwischen wissen wir, dass das Energiesystem der Zukunft in erster Linie von der Windenergie und der Photovoltaik getragen werden wird. Da die Stromerzeugung durch Wind und Sonne sprichwörtlich vom Wetter abhängt, wird erst durch die Flexibilität des gesamten Stromversorgungssystems eine Vollversorgung aus 100 Prozent Erneuerbaren Energien überhaupt möglich.
Um diese Flexibilität zu erreichen, gibt es eine Reihe von Optionen. Zum Beispiel können Wind- und Sonnenstrom in Speichern zwischengelagert werden oder Stromverbraucher animiert werden, ihre Nachfrage auf Zeiten mit mehr Wind und Sonne zu verschieben und in den übrigen Zeiten weniger Strom zu verbrauchen (Lastmanagement). Stromüberschüsse aus Erneuerbaren Energien können durch Umwandlung auch in anderen Versorgungsbereichen genutzt werden. So können Überschüsse zur Wärmeerzeugung genutzt – sogenannte Power-to-Heat-Technologien – oder durch Power-to-Gas in speicherbaren Wasserstoff oder Methan umgewandelt werden.
Die nötige Flexibilität wird im heutigen Energiesystem, welches noch von der alten Erzeugung aus Kohle, Gas und Atomkraft dominiert wird, allerdings nicht bereitgestellt. Der wesentliche Grund hierfür ist, dass Flexibilität zurzeit nicht belohnt wird. Zudem ist der gegenwärtige Kraftwerkspark gekennzeichnet von Überkapazitäten, die zu niedrigen Strompreisen und geringen Preisunterschieden führen. Hierdurch entsteht weder ein Anreiz, seinen Stromverbrauch zu verschieben, noch lohnt es sich Strom zu speichern.
Zur Schaffung ausreichender Preisunterschiede am Strommarkt, auch Preis-Spreads genannt, sehen wir mehrere wichtige Hebel, die es zeitnah umzusetzen gilt: Zum einen brauchen wir den Einstieg in den Kohleausstieg mit einer schrittweisen Stilllegung alter, ineffizienter und klimaschädlicher Kohlekraftwerke über die Einführung eines CO2-Grenzwertes. Hierdurch werden vorhandene Überkapazitäten beseitigt. Zum anderen ist eine ambitionierte und strukturelle Reform des EU-Emissionshandels notwendig, der seinem ursprünglichen Ziel – nämlich mehr Klimaschutz – Rechnung trägt. Durch die viel zu niedrigen CO2-Preise laufen derzeit Braunkohlekraftwerke rund um die Uhr. Die eigentlich durch den europäischen Emissionshandel beabsichtigte Internalisierung externer Kosten der Kohleverfeuerung findet somit nicht statt. Eine Verknappung im Emissionshandel würde größere Preis-Spreads an den Strommärkten nach sich ziehen. Darüber hinaus sind weitere Optionen in der Diskussion, wie etwa eine Flexibilisierung der EEG-Umlage. Diesen Vorschlag gilt es zu prüfen.
Diese Maßnahmen allein werden aber wahrscheinlich noch nicht ausreichen, um Flexibilität anzureizen. Stromspeicher werden durch einen größeren Preisunterschied zwar lukrativer, allerdings gibt es hier noch einige regulatorische Hemmnisse. Zunächst einmal ist eine klare gesetzliche Definition von Speichern notwendig. Denn diese fehlt bisher. Diese Speicher sollen dann weitgehend von Umlagen und Abgaben befreit werden. Darüber hinaus fordern wir Grüne eine Fortführung und Ausweitung der finanziellen Förderung für Batteriespeicher, welche nach den Plänen der Bundesregierung Ende dieses Jahres auslaufen soll (KfW 275 – Erneuerbare Energien - Speicher). Solche Stromspeicher-Techniken, die noch am Anfang stehen, wollen wir mit staatlichen Forschungs- und Entwicklungsgeldern zur Marktreife bringen. Wir wollen im Speicherbereich ein Förderprogramm in Höhe von 400 Millionen Euro.
Auch bei den regelbaren Erneuerbaren Energien sind intelligentere Rahmensetzungen notwendig. In wind- und sonnenarmen Zeiten können flexibilisierte Bioenergieanlagen einen Teil der Stromnachfrage decken. Hierzu bedarf es aber einer Weiterentwicklung der politischen Rahmenbedingungen. Die Begrenzung des Zubaus von Neuanlagen auf 100 Megawatt installierter Leistung jährlich ist zu gering. Zudem ist es unabdingbar, dass auch weite Teile des Anlagenbestandes durch größere Gasspeicher und eine nachfrageorientierte Stromproduktion flexibilisiert werden. Für die notwendige technische Nachrüstung wollen wir insbesondere für Bestandsanlagen, die ab 2020 nach 20 Jahren aus der EEG-Finanzierung herausfallen, passende Anreize entwickeln.
Auch Erzeugungsanlagen mit Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) können dazu beitragen, die schwankende Erzeugung aus Wind- und Solarkraftwerken flexibel und ressourcenschonend auszugleichen. Wenn die Anlagen entsprechend ausgelegt sind, ist es innerhalb kürzester Zeit möglich, sie ans Netz zu bringen und damit auf Erzeugungsschwankungen zu reagieren. Erforderlich dafür ist allerdings eine bedarfsangepasste Stromeinspeisung – bei gleichzeitiger Wärmerzeugung. Falls die Wärme gerade nicht benötigt wird, muss sie in entsprechenden Wärmespeichern zwischengespeichert und bei Bedarf später verbraucht werden, um insgesamt eine effiziente Brennstoffnutzung zu gewährleisten. Die anstehende Novelle des Kraft-Wärme-Kopplungsgesetzes muss daher verstärkte Anreize für hochflexible Gaskraftwerke mit Wärmeauskopplung setzen und eine Förderung für Wärmespeicher enthalten.
Diese KWK-Anlagen können dann bei Stromknappheit Strom und Wärme erzeugen. Bei temporären Stromüberschüssen aus Wind- und Solaranlagen können die KWK-Anlagen dagegen abgeschaltet und der überschüssige Strom über Power-to-Heat-Technologien (z.B. Tauchsieder oder Wärmepumpen) in Wärme umgewandelt werden. Solche Power-to-Heat Anwendungen, in denen Erneuerbaren-Strom direkt in Wärme umgewandelt wird, können sich heute schon lohnen. Sie werden an Bedeutung zunehmen und stellen so ein weiteres Flexibilitätsmoment an der Schnittstelle zwischen Strom- und Wärmeversorgung dar.
Ein weiterer Hebel zur Flexibilisierung des Strommarkts besteht in angepasstem Verbraucherverhalten, dem so genannten Demand-Side-Management. So können Stromverbraucher ihren Stromverbrauch bei Bedarf zeitlich verschieben. Das gilt allen voran für die Industrie. Im Gegensatz zu Privatkunden bezahlen große Stromverbraucher schon heute zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedlich hohe Strompreise. In einem Strommarkt, der nicht von Überkapazitäten gekennzeichnet ist, würden Stromverbraucher bei deutlichen Preisspitzen ihre Produktion unterbrechen. Um zusätzliche Anreize zu setzen, wollen wir einen Markt für temporär abschaltbare Lasten schaffen, etwa durch eine Novelle der Lastabschaltverordnung. Ein solcher Markt könnte das Stromnetz bei hoher Nachfrage entlasten. Dazu müsste er so ausgestaltet sein, dass auch viele kleinere Akteure ihren Strombedarf temporär senken können und nicht nur die größten Stromverbraucher.
Die unterschiedlichen Optionen für mehr Flexibilität im Strom- und Wärmemarkt stehen technisch bereits zu Verfügung. Nun gilt es, diese durch die richtigen politischen Weichenstellungen im Versorgungssystem zu verankern und so die nächste Etappe auf dem Weg zu 100 Prozent Erneuerbare Energien zu ermöglichen. Wir Grüne werden uns dafür weiterhin mit Nachdruck einsetzen.
Dr. Julia Verlinden gehört seit 2013 für Bündnis 90/Die Grünen dem Deutschen Bundestag an. Sie ist Sprecherin für Energiepolitik und Mitglied im Ausschuss für Wirtschaft und Energie. Ihr Beitrag erscheint im Rahmen der Debatte des Tagesspiegel Politikmonitorings zur Flexibilität im Strommarkt. Alle Debattenbeiträge finden Sie hier.
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