Debatte zur Flexibilität im Strommarkt: Internationaler Stromhandel: Das Potential ist noch nicht ausgeschöpft
Im Lichte der Energiewende hat sich der Strommarkt für den Kurzfristhandel in Deutschland und Europa schnell gewandelt. Anstelle von stündlichen Verträgen rücken 15-Minuten-Kontrakte nach und nach in den Fokus, schreibt Wolfram Vogel (EPEX SPOT). Doch die Entwicklung steht erst am Anfang – und die europäische Dimension wird zu oft vergessen. Dabei ist sie entscheidend für die Versorgungssicherheit. Ein Debattenbeitrag.
An den Küsten Deutschlands kann so manches Mal eine steife Brise wehen. Die pustet nicht nur die Gemüter durch, sondern bringt auch die mittlerweile zahlreichen Windanlagen dort gehörig auf Touren. Und lässt damit auch – eine besonders kräftige Sturmfront oder plötzliche Böe vorausgesetzt – Preiskurven auf den europäischen Strommärkten tanzen.
Denn schon längst macht der Strom nicht mehr an Landesgrenzen halt. Genaugenommen hat er das nie, denn rein physikalisch nimmt Strom bekanntlich den Weg des geringsten Widerstands. Zudem ist der deutsche Strommarkt seit 2010 unter dem Schlagwort Marktkopplung schrittweise in den europäischen Binnenmarkt eingebettet worden. Die Idee: das Preissignal auf den verschiedenen Märkten nutzen, um die knappen Übertragungskapazitäten an den Landesgrenzen optimal zu nutzen.
Grenzüberschreitender Handel ist einer der wesentlichen Schlüssel für erhöhte Flexibilität am Strommarkt – dieses Motto gilt insbesondere für den Handel mit Strom am Tag vor der Lieferung, dem sogenannten Day-Ahead-Markt. Hier decken die miteinander gekoppelten Märkte mittlerweile die Länder zwischen Portugal und Polen, zwischen Finnland und Italien ab. Sie repräsentieren 85 Prozent des europäischen Stromverbrauchs. Jahrelang haben Börsen zusammen mit Übertragungsnetzbetreibern daran gearbeitet, seit Anfang 2015 steht die Kopplung der europäischen Strommärkte quasi in Gänze.
Dieses zutiefst europäische Projekt ist kein Selbstzweck, denn es erspart den Verbrauchern durch Effizienzgewinne zwischen den Märkten Kosten in Milliardenhöhe. Auch und besonders die deutsche Energiewende profitiert davon, denn starke Schwankungen in der Erzeugung – und im Preis im Großhandel – können teilweise durch den hocheffizienten Austausch an den Grenzen ausgeglichen werden. Erhöhte Netzsicherheit und sich angleichende Preise sind die Folge.
Neben der Marktkopplung rückt ein anderes Instrument in den Fokus, um die Flexibilität an den Strommärkten zu erhöhen: kürzere Kontrakte. Bisher wird Strom auf Stundenbasis gehandelt. Böen dauern aber nicht eine Stunde, sondern vielleicht nur eine Viertel- oder halbe Stunde. Und hier kommt der sogenannte Intraday-Handel ins Spiel.
Dieser Markt erlaubt den kontinuierlichen Handel mit Strom bis 30 Minuten vor Lieferung. Sukzessive hat die EPEX SPOT diesen Markt ausgebaut, um ihn für Händler flexibler zu gestalten: durch impliziten, also automatisch optimalen grenzüberschreitenden Handel; durch verkürzte Zeiten zwischen Handelsende und Lieferung; und, insbesondere mit Hinblick auf die deutsche Energiewende, durch 15-Minuten-Kontrakte. Diese sind mitunter ideal für den Handel mit den fluktuierenden Erneuerbaren – besonders im Hinblick auf die häufig schnelle Veränderung bei der Erzeugung aus Photovoltaik-Anlagen.
Der Erfolg dieser kürzeren Kontrakte seit ihrem Start 2011 in Deutschland und 2013 in der Schweiz ist unübersehbar. Ein Fünftel des gesamten Intraday-Stromhandelsvolumens stammt mittlerweile aus 15-Minuten-Kontrakten. Zuletzt startete die EPEX SPOT im Dezember 2014 eine Auktion mit 15-Minuten-Kontrakten auf dem deutschen Intraday-Markt – das Ziel: ein klarer Preis für Flexibilität, bereits einen Tag im Voraus. Denn so sehen Händler Veränderungen von Angebot und Nachfrage auf Viertelstundenbasis – und können flexible Kapazität zuschalten, sobald es sich lohnt.
Natürlich können die kurzen Kontrakte auch über Grenzen hinweg gehandelt werden – bisher zwischen Deutschland und der Schweiz. Schon bald soll Österreich dazustoßen. Damit würden 15-Minuten-Kontrakte in drei Ländern gehandelt.
Gleichwohl ist das Potential noch nicht ausgeschöpft, denn Flexibilität wird grenzüberschreitend zur Schlüsselkomponente eines effizienten europäischen Strommarktes. Somit wird auch die Dimension, in der Versorgungssicherheit gedacht werden muss, zunehmend europäisch sein.
Dr. Wolfram Vogel ist Director Public Affairs & Communications bei der Europäischen Strombörse EPEX SPOT. Sein Beitrag erscheint im Rahmen der Debatte des Tagesspiegel Politikmonitorings zur Flexibilität im Strommarkt. Alle Debattenbeiträge finden Sie hier.
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