zum Hauptinhalt
„Die steigenden Anforderungen der Energiewende sind allerdings mit der zersplitterten Verteilnetzstruktur nicht zu bewältigen.“
© dpa

Debatte zur Flexibilität im Strommarkt: Ein Marktmodell für Flexibilität

Ein Marktmodell für die Erschließung von Flexibilitätsoptionen muss regionale Wetter- und damit Erzeugungsbedingungen im Blick haben und für einen freien Wettbewerb sorgen – reine Preisanreize reichen nicht aus. Robert Busch (bne) plädiert daher für die Einführung des Flexmarkt-Modells. Ein Debattenbeitrag.

Von der Nordsee bläst ein kräftiger Wind über Schleswig-Holstein und Niedersachsen. Die Windparks produzieren auf Hochtouren, lassen den Strompreis an der Börse purzeln und die Leitungen glühen. In Sekundenschnelle werden zusätzliche Verbraucher wie Speicher aktiviert, um das Netz zu entlasten, Industriebetriebe nutzen den günstigen Strom und ziehen ihre Produktion vor.

Robert Busch, Geschäftsführer des Bundesverbandes Neue Energiewirtschaft
Robert Busch, Geschäftsführer des Bundesverbandes Neue Energiewirtschaft
© bne

So oder ähnlich könnte die Energiewelt in wenigen Jahren aussehen. In einem Strommarkt 2.0, wie ihn das Bundeswirtschaftsministerium nun im Weißbuch vorgeschlagen hat, kommt der Flexibilisierung eine große Rolle zu: Sie ist das Mittel, um die wetterabhängige Stromproduktion aus erneuerbaren Energien mit dem ebenfalls wechselhaften Verbrauch in Einklang zu bringen. „Erzeuger und Verbraucher sollten auf das fluktuierende Angebot von Strom aus Wind und Sonne zunehmend flexibel reagieren. Die Marktpreise signalisieren, welche Art von Flexibilität in welchem Umfang benötigt wird“, heißt es dazu im Grünbuch.

Um dieses Ziel zu ermöglichen, müssen allerdings die Weichen richtig gestellt werden. Denn wenn viele Verbraucher gleichzeitig auf ein einheitliches Marktpreissignal reagieren, geraten die Verteilnetze schnell an Grenzen. Sie sind aus Effizienzgründen schlicht nicht darauf ausgelegt, dass alle angeschlossenen Verbraucher gleichzeitig die maximal mögliche Leistung beziehen. In der alten Energiewelt war dies auch nie der Fall. Die lokalen Netze müssten also massiv zur vielzitierten Kupferplatte ausgebaut werden. Allein aus Kostengründen ist dies nicht wirklich erstrebenswert.

Strompreis allein reicht als Signal nicht aus

Ein weiterer Grund, warum der bundeseinheitliche Strompreis nicht als alleiniger Taktgeber der Flexibilisierung taugt: Er sagt nichts über die Wetter- und Erzeugungssituation in einer bestimmten Region aus. Anders gesagt: Wenn viel Windstrom aus dem Norden die Preise sinken lässt und damit das Signal zum Verbrauch gibt, kann in Südbaden zeitgleich ein Wolkenfeld durchziehen und die Solarstromproduktion dimmen. Ist dann ein Ausgleich über das Übertragungsnetz nicht möglich, ist in dieser Region ein geringerer statt ein höherer Verbrauch angezeigt, um das Netz stabil zu halten. Auch der Bundesnetzagentur ist das Risiko bekannt, das ein regional undifferenziertes Signal zur Lasterhöhung für regionale Netze haben kann, wie in einem aktuellen Evaluierungsbericht zu lesen ist.

Wie kann also ein Marktmodell aussehen, das regionale Bedingungen im Blick hat und einen Wettbewerb um Flexibilitätsoptionen ermöglicht? Hier kommt der bne-Flexmarkt ins Spiel. Die Idee: Ein regionales Signal zeigt zusätzlich zum Börsenstrompreis an, ob, in welchem Umfang und zu welcher Uhrzeit ein flexibles Verbrauchsverhalten in einer Region angezeigt ist. Ein Beispiel: Wenn absehbar ist, dass etwa viel Windstrom den Börsenstrompreis am Folgetag drücken wird, gleichzeitig in einer Region im Netz aber Überlastungen drohen, wirkt das regionale Signal des Flexmarktes dem entgegen. Netzbetreiber fragen über regionale Leitwarten oder Verbünde an, wo und in welchem Umfang Flexibilitäten vorhanden sind. So kann ein Kühlhaus die Kälteproduktion für kurze Zeit zurückfahren, ohne dass eingelagerte Waren verderben, ein Hausbesitzer kann auf Signal einen Speicher im Keller oder sein Elektroauto laden oder entladen.

Anwendungsfall für digitale Infrastruktur

All diese Prozesse müssen automatisiert und digital laufen. Wer am Flexmarkt teilnimmt, muss daher über eine digitale Infrastruktur verfügen, damit sich entsprechende Signale empfangen und Daten übermitteln lassen können. Der Vorteil für den Kunden: Wer Flexibilität zur Verfügung stellt und sich somit systemdienlich verhält, wird dafür vom Netzbetreiber entlohnt. Für den Verteilnetzbetreiber vor Ort bietet die Flexibilisierung einen großen Vorteil: Mit der intelligenten Vernetzung von Verbrauch und Erzeugung lässt sich der Ausbaubedarf deutlich reduzieren.

Die steigenden Anforderungen der Energiewende sind allerdings mit der zersplitterten Verteilnetzstruktur nicht zu bewältigen. Der Flexmarkt sieht daher als bessere Organisation vor, dass sich die über 900 Stromverteilnetzbetreiber zu maximal 25 regionalen Verbünden zusammenschließen. Das Eigentum an den lokalen Netzen bleibt dabei unverändert, wichtige Informationen zu Einspeisung und Verbrauch vor Ort laufen jedoch in den Netzclustern zusammen. Das Management der Stromnetze wird damit effizienter, sicherer und letztlich günstiger.

Netzentgeltsystematik reformieren

Ein bestehendes Hindernis, wie auch das Bundeswirtschaftsministerium im Grünbuch feststellt, ist das alte System der Netzentgelte. So werden große Energieverbraucher dafür belohnt, dass sie kontinuierlich Strom verbrauchen. Wer sich flexibel verhält und mitunter für kurze Zeit sehr viel Überflusstrom aus dem Netz entnimmt, wird nach der geltenden Logik über dann teurere Netzentgelte dagegen bestraft. Aus der Welt von schwerfälligen fossilen Grundlastkraftwerken stammen zudem Regelungen, die einen Verbrauch in Schwachlastzeiten, sprich nachts, anreizen. Die Windstromproduktion richtet sich aber eben nicht nach Tag- und Nacht-Fenstern. Selbst die Bundesnetzagentur stellt in einer aktuellen Bewertung fest, dass diese Regelungen einen geringen Nutzen im Hinblick auf Netzkostensenkungen oder Netzstabilität entfalten. Zusammengenommen haben diese Fehlanreize einen Gegenwert von mehreren Hundert Millionen Euro. Mit diesem Geld ließe sich eine Flexibilisierung sinnvoll anreizen.

Eine Debatte des Tagesspiegel Politikmonitorings
Eine Debatte des Tagesspiegel Politikmonitorings
© TPM

Für die Unternehmen der neuen Energiewirtschaft bietet die Flexibilität die Möglichkeit, viele neue und digitale Geschäftsmodelle zu entwickeln, indem sie Steuerungspotentiale aus Speichern, Lastmanagement oder Power-to-Heat vernetzen und im Wettbewerb anbieten. Der Flexmarkt ist damit nicht zuletzt eine Blaupause für die Energiewirtschaft 4.0.

Robert Busch ist Geschäftsführer des Bundesverbandes Neue Energiewirtschaft (bne). Sein Beitrag erscheint im Rahmen der Debatte des Tagesspiegel Politikmonitorings zur Flexibilität im Strommarkt. Alle Debattenbeiträge finden Sie hier.

Clemens Triebel: Speicher statt Kohle

Jochen Schwill und Hendrik Sämisch: Die Erneuerbaren regeln das schon selbst

Barbara Minderjahn: Flexible industrielle Lasten – ein wesentlicher Beitrag im Stromsystem der Zukunft

Hans-Joachim Reck: „Nichts ist umsonst“

Urban Windelen: Flexibilität im Strommarkt muss sich rechnen - Speicher spielen entscheidende Rolle

Cordelia Thielitz: Batteriespeicher als Beitrag zu Flexibilität und Versorgungssicherheit im Strommarkt

Dirk Becker: Versorgungssicherheit: Die Energiewende darf nicht ohne eine Flexibilisierung von Erzeugung und Verbrauch gedacht werden

Hermann Falk: Flexibilität als Schlüssel für das Energiesystem der Zukunft

Eva Bulling-Schröter: Gesucht wird: Verlässlicher Partner von Sonne und Wind

Alexandra Langenheld: Mehr "Flex-Efficiency" für den Strommarkt

Julia Verlinden: Die neue Energiewelt – Flexibilität im Strommarkt als Schlüssel

Hildegard Müller: Die Energiewende braucht intelligente Lösungen

Hendrik Köstens: Die Rolle der Flexibilität im Strommarkt der Zukunft - Eine Einführung in die Debatte

Robert Busch

Zur Startseite