Debatte zur Flexibilität im Strommarkt: Die Rollen im Strommarkt werden neu verteilt
Die größte Hürde bei der Erschließung von Flexibilität bilden fehlende ökonomische Anreize und niedrige Preisspreads am Strommarkt. Darüber hinaus sieht Carsten Körnig (BSW-Solar) in der Belegung der Eigenstromerzeugung mit der EEG-Umlage eine Belastung, die dem Ziel der Flexibilisierung klar entgegen steht. Ein Debattenbeitrag.
Es ist die Zeit der Weichenstellungen in der Energie- und Klimapolitik. Bereits kurzfristig entscheidet sich, wie stark die Menschheit die globale Erwärmung noch eindämmen kann. Dem Klimagipfel im Dezember in Paris wird dabei eine wichtige Rolle beigemessen. Mindestens ebenso wichtig ist es jedoch, dass ein Industrieland wie Deutschland der internationalen Staatengemeinschaft beweist, dass ein weitgehender Umstieg auf Erneuerbare Energien und eine Dekarbonisierung der Wirtschaft ohne Komfort- und Wohlstandsverlust praktizierbar ist.
Deutschland hat sich dazu verpflichtet, bis 2020 mindestens 18 Prozent seines Endenergieverbrauchs aus erneuerbaren Energiequellen bereitzustellen. Vieles deutet derzeit leider darauf hin, dass wir dieses Ziel unter den aktuellen Bedingungen ebenso verfehlen werden wie unsere selbst gesetzten nationalen Klimaschutzziele.
Was leitet sich daraus für die deutsche Energiewende ab? Das „Man to the Moon-Projekt“, wie es Außenminister Frank-Walter Steinmeier im März auf der internationalen Energiekonferenz Berlin Energy Transition Dialogue nannte, kann nur erfolgreich weitergeführt werden, wenn die Rahmenbedingungen einen stärkeren Ausbau der Erneuerbaren Energien ermöglichen.
Im Elektrizitätssektor, der für etwa 25 Prozent des Endenergieverbrauchs steht, sind die Erneuerbaren Energien mit einem Anteil von gut einem Viertel der Nische entwachsen. Nach und nach ändert sich das Kräfteverhältnis auf dem Strommarkt. So wie der Anteil von Sonne und Wind wächst, muss der Anteil von Kohle und Kernenergie schrumpfen. Das heißt: Das Paradigma der Grundversorgung steht vor dem Ende. Die Rollen im Strommarkt werden neu verteilt. Die künftigen Hauptdarsteller sind Solar- und Windkraftanlagen. Alle weiteren Akteure werden sich ihnen anpassen müssen. Das bedeutet jedoch auch, dass Erneuerbare Energien mehr Systemverantwortung übernehmen müssen.
Nicht zuletzt dank der Fortschritte in der Photovoltaik-Technologie ist dies mittlerweile möglich. PV-Anlagen können Blindleistung bereitstellen oder die Spannung halten. Vor allem aber können die Betreiber von Erneuerbare-Energien-Anlagen Flexibilitätsoptionen in erheblichem Umfang bereitstellen: Sie können Strom ins Netz abgeben, wenn er dort benötigt wird, und sie können Strom aus dem Netz aufnehmen, wenn er dort im Überschuss vorhanden ist. Damit entlasten sie das Stromnetz und verhindern teuren Netzausbau. Technisch wird das mithilfe moderner Leistungselektronik, optimierter Anlagenplanung, der Kombination verschiedener Erneuerbarer Energien, Lastmanagement und durch die immer günstiger werdende Speichertechnologie zunehmend möglich.
Der wichtigste Hinderungsgrund für die Nutzung von Flexibilitätsoptionen ist der gegenwärtige Mangel an ökonomischen Anreizen beziehungsweise zu niedrige Preisspreads. Neben dem Abbau der konventionellen Überkapazitäten muss auch dafür gesorgt werden, dass es zu einer dauerhaften Spitzenlastreduktion kommt. Ein Strommarkt 2.0 muss hierfür geeignete Maßnahmen enthalten. Darüber hinaus empfiehlt es sich dringend, die Belastung von Eigenerzeugung mit der EEG-Umlage rückgängig zu machen, um weitere Potenziale für Flexibilisierung und Versorgungssicherheit zu erzielen.
Carsten Körnig ist Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Solarwirtschaft e.V. (BSW-Solar). Sein Beitrag erscheint im Rahmen der Debatte des Tagesspiegel Politikmonitorings zur Flexibilität im Strommarkt. Alle Debattenbeiträge finden Sie hier.
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Carsten Körnig