Debatte zur Flexibilität im Strommarkt: Industrielles Lastmanagement: Potenziale realistisch einschätzen, bürokratische Hürden abbauen
Die Industrie kann durch Lastmanagement einen wichtigen Beitrag zum Gelingen der Energiewende erbringen, schreibt Hans Jürgen Kerkhoff (WV Stahl). Dabei sollte allerdings nicht vergessen werden, dass die Hauptaufgabe der Unternehmen ist, ihre Kunden und nicht die Energiemärkte zu bedienen. Ein Debattenbeitrag.
Angesichts des zunehmenden Anteils fluktuierender Einspeisung aus erneuerbaren Energien setzt die Politik verstärkt auch auf die Erschließung von Flexibilitätspotenzialen, die in Zeiten einer hohen Last bei gleichzeitig niedriger Einspeisung aus Erneuerbaren Energien zur Absicherung der Versorgung beitragen sollen. Umgekehrt sollen sie bei niedriger Last die erneuerbaren Strommengen kostengünstig aufnehmen.
Eine unter anderem diskutierte Flexibilitätsoption stellt das Lastmanagement insbesondere bei industriellen Verbrauchern dar. Tatsächlich kann die Flexibilisierung der industriellen Nachfrage einen Beitrag zur Versorgungssicherheit leisten. Zugleich dürfen die Potenziale in der Industrie nicht überschätzt werden.
Auch die Stahlindustrie ist bereit, im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu einer stabilen Stromversorgung und somit zur Energiewende beizutragen. Energiekosten haben bei den Stahlunternehmen schon immer eine wichtige Rolle gespielt, und folglich sind die Möglichkeiten, diese durch eine Optimierung des Verbrauchs zu senken, kontinuierlich untersucht worden. Die Stahlerzeugung ist sehr stromintensiv. Ihre Anlagen – etwa die Elektrolichtbogenöfen, in denen Schrott zu neuem Stahl geschmolzen wird – weisen einen erheblichen Leistungsbedarf auf.
Das Potenzial für flexiblen Stromverbrauch unterliegt jedoch auch limitierenden Faktoren. So dürfen die technischen Prozesse durch Unterbrechungen nicht gestört und die Verpflichtungen gegenüber den Kunden müssen eingehalten werden. Auch geht es um die Sicherheit der Mitarbeiter. Schließlich kann Lastmanagement sogar die Energieeffizienz beeinträchtigen: Das Hoch- und Herunterfahren einzelner Produktionsprozesse sowie der Stand-By-Betrieb von Anlagen erhöht den spezifischen Energiebedarf für die Produktion einer Tonne Stahl.
Bei der Flexibilisierung industrieller Lasten ist zu unterscheiden zwischen Lastverschiebung und Lastverzicht – letzteres hätte eine Verringerung der Produktion zur Konsequenz und wäre mit hohen Opportunitätskosten insbesondere aufgrund der entgangenen Erlöse verbunden. Es sollte dabei auch bedacht werden, dass der Kern der industriellen Tätigkeit die Produktion und nicht die Anpassung an Energiemärkte und die je aktuelle Verfügbarkeit erneuerbarer Energien ist.
Um Anreize zu einer Erschließung von Flexibilitätspotenzialen in der Industrie zu geben, muss auf die individuelle betriebswirtschaftliche Attraktivität und somit die Freiwilligkeit bei der Anwendung des Lastmanagements gesetzt werden. Eine Zwangs-Flexibilisierung oder eine Konditionierung, beispielsweise das Knüpfen an energiepolitische Belastungen, würde nicht zum gewünschten Ergebnis führen, sondern im Gegenteil den Industriestandort Deutschland deutlich schwächen. Verbraucher, die aus technischen Gründen ihren Verbrauch nur sehr begrenzt nach dem Strompreis richten können, würden massiv benachteiligt.
Im existierenden politischen Rahmenwerk sind im Übrigen bürokratische Hürden zu identifizieren, die die Nutzung von Abschaltmöglichkeiten beispielsweise in Elektrostahlwerken bislang verhindert haben. So schließen übertriebene Anforderungen im Rahmen der Verordnung für abschaltbare Lasten die Stahlindustrie bisher von einer Vergütung von Flexibilität aus. Durch Korrekturen in diesem Bereich können Flexibilitätsoptionen der Stahlindustrie besser erschlossen werden.
Hans Jürgen Kerkhoff ist Präsident der Wirtschaftsvereinigung Stahl. Sein Beitrag erscheint im Rahmen der Debatte des Tagesspiegel Politikmonitorings zur Flexibilität im Strommarkt. Alle Debattenbeiträge finden Sie hier.
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