Mächtige Männer: Wer im Nahen Osten das Sagen hat
Das Jahr 2018 war ein gutes für Machtmenschen im Nahen Osten. Wer sind die wichtigsten Akteure und was haben sie vor? Eine Analyse.
Wladimir Putin, Russland
Russlands Präsident hat im ablaufenden Jahr seine Schlüsselposition im Nahen Osten ausbauen können.
Wladimir Putin unterstützte den syrischen Präsidenten Baschar al Assad, arbeitete eng mit dem türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdogan zusammen, führte Gespräche mit dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu und solidarisierte sich mit dem umstrittenen saudischen Thronfolger Mohammed bin Salman mit einem demonstrativen Handschlag beim G-20-Gipfel in Argentinien.
Putin untermauerte die neue Stärke Russlands im Nahen Osten zu einer Zeit, in der die Bedeutung der USA in der Region weiter zurückgeht. Anders als westliche Spitzenpolitiker steht der 66-Jährige nicht unter innenpolitischem Druck, beim Umgang mit Problemen im Nahen Osten auf rechtsstaatliche Kriterien zu achten. Syrien ist so zu einem russischen Vorposten in Nahost geworden. Der Moskauer Einfluss reicht mittlerweile bis nach Ägypten und Libyen.
Im neuen Jahr warten jedoch schwierige Aufgaben auf Putin. Der Kremlchef dringt darauf, den Konflikt in Syrien zu beenden, dürfte dabei jedoch auf gegenläufige Interessen in der Region stoßen, die unter anderem seine Kooperation mit Erdogan auf eine harte Probe stellen könnten.
Auch wollen die USA ein wichtiger Faktor in Syrien bleiben. Allerdings gibt es am entsprechenden Willen seit dem 19. Dezember ernsthafte Zweifel. An diesem Tag ordnete Donald Trump den Rückzug der 2000 Soldaten starken amerikanischen Streitkräfte an. Seine Begründung: Der „Islamische Staat“ sei besiegt – was Experten allerdings mit Nachdruck zurückweisen.
Baschar al Assad, Syrien
Der syrische Präsident darf sich zu den Gewinnern des Jahres rechnen. Mit Offensiven gegen diverse Rebellen-Hochburgen hat er mit russischer und iranischer Hilfe den seit 2011 anhaltenden Krieg militärisch zu seinen Gunsten entschieden. Die Provinz Idlib, die einzige Machtbastion der Assad-Gegner, ist umzingelt. Russlands Beistand wird garantieren, dass Idlib keine ernsthafte Bedrohung für den 53-Jährigen im Präsidentenpalast von Damaskus mehr darstellt.
Außenpolitisch konnte Baschar al Assad ebenfalls punkten. Mehrere mit ihm verfeindete Golfstaaten arbeiten an einer Wiedereröffnung ihrer Botschaften in der syrischen Hauptstadt; zum ersten Mal seit 2011 empfing Assad den sudanischen Präsidenten Omar al Baschir, der wie der syrische Staatschef international als Massenmörder gilt.
Selbst die türkische Regierung, die in den vergangenen Jahren Assad besonders ablehnend gegenüberstand, deutete an, sie könne sich eine erneute Zusammenarbeit mit dem syrischen Machthaber unter bestimmten Voraussetzungen vorstellen.
Ähnlich wie Putin wird Assad im neuen Jahr jedoch die Frage beantworten müssen, wie er seine Erfolge in praktische Politik umsetzen will. Bisher deutet nichts darauf hin, dass Syriens Herrscher auf seine Gegner zugeht, im Gegenteil: Viele der rund fünf Millionen syrischen Flüchtlinge im Ausland müssen damit rechnen, bei einer Rückkehr enteignet oder verhaftet zu werden.
Niemand weiß, wie Assad die nötigen 400 Milliarden Dollar für einen Wiederaufbau auftreiben will. Russland kann eine solche Summe nicht zahlen, und der Westen reagiert sehr zurückhaltend. Im neuen Jahr könnte Assad also den Krieg endgültig gewinnen – aber den Frieden verlieren.
Mohammed bin Salman, Saudi-Arabien
Für den ehrgeizigen saudischen Kronprinzen, genannt MBS, begann 2018 mit einigen Erfolgen. Der 33-jährige Königssohn hatte 2017 bereits seine Position als Thronanwärter mit der Festnahme potenzieller Konkurrenten gefestigt.
Und er erhielt später internationalen Zuspruch für die Lockerung rückständiger gesellschaftlicher Regeln. So erlaubte der Prinz saudischen Frauen endlich das Autofahren. Zugleich traf sein wirtschaftliches Reformprogramm „Vision 2030“ auf viel wohlwollendes Interesse.
Doch schon bald zeigten sich die Schattenseiten der Politik von MBS. Um klarzustellen, dass er keinerlei Widerspruch duldet, ließ der Prinz einige bekannte Frauenrechtlerinnen einsperren. Den brutalen Krieg im Jemen trieb er trotz vieler ziviler Opfer weiter voran.
Dann folgte der Mord an dem regimekritischen Journalisten Jamal Khashoggi im saudischen Konsulat in Istanbul am 2. Oktober durch Vertraute des Thronfolgers – das Entsetzen über das Verbrechen ließ die Stimmung gegen Saudi-Arabien endgültig kippen.
Auf bin Salman wartet deshalb ein schwieriges Jahr. Obwohl sein Vater, König Salman, zu ihm steht, wächst Medienberichten zufolge am Hof in Riad der Unmut über den Thronfolger. Im Westen will ihm kaum noch ein Politiker die Hand schütteln. Der lange angekündigte Börsengang des staatlichen Ölunternehmens Aramco – ein wichtiges Instrument zur Finanzierung des Reformprogramms – ist auf unbestimmte Zeit verschoben worden.
Recep Tayyip Erdogan, Türkei
Der türkische Präsident konnte im ablaufenden Jahr einen seiner größten Erfolge feiern. Bei der Wahl im Juni wurde der 64-Jährige als Staatsoberhaupt mit weitreichenden Machtbefugnissen im Amt bestätigt.
Das Parlament verlor wichtige Befugnisse zur Kontrolle der Regierung. Recep Tayyip Erdogan ist jetzt in Personalunion Staats- und Regierungschef, Vorsitzender der Regierungspartei AKP, Oberbefehlshaber der Streitkräfte sowie Chef eines 200-Milliarden-Dollar-Fonds aus Staatsunternehmen.
Erdogans Beziehungen zum Westen bleiben zwar schwierig. Dennoch konnte er sein Verhältnis zu Europa und den Vereinigten Staaten zumindest etwas entspannen. Gleichzeitig leitete er mit Putin die bislang engste Zusammenarbeit zwischen der Türkei und Russland ein.
Dabei geht es nicht nur um Syrien, sondern auch um wirtschaftliche und militärische Kooperation. Die Türkei ist eine wichtige Zwischenstation russische Gaslieferungen nach Westeuropa und will zum Ärger ihrer Nato-Partner ein russisches Raketenabwehrsystem kaufen.
Das neue Jahr könnte allerdings weniger rosig für Erdogan werden. Die Wirtschaft steht vor einer Rezession. Ende März gibt es Kommunalwahlen, bei denen Erdogans AKP so sehr um ihre Herrschaft in Metropolen wie Istanbul und Ankara bangt, dass sie erneut ein Bündnis mit der Nationalistenpartei MHP eingegangen ist.
Einige Wirtschaftsexperten rechnen damit, dass sich die Erdogan-Regierung nach der Wahl mit der Bitte um Wirtschaftshilfe an den Internationalen Währungsfonds wenden wird.
Benjamin Netanjahu, Israel
Es ist wohl nicht übertrieben: In den vergangenen Monate hatte Israels Premier einen richtig guten Lauf. Vieles von dem, was Benjamin Netanjahu sich erhoffte, ist Wirklichkeit geworden. Vorbei die bleierne Zeit mit einem US-Präsidenten Barack Obama als immer nörgelndem Verbündeten.
Stattdessen hat er mit Donald Trump einen Wesensverwandten gefunden. Einen, der bereit scheint, ohne großes Zaudern und Rücksicht auf Verluste Altes über Bord zu werfen: Amerikas Botschaft wird symbolträchtig von Tel Aviv nach Jerusalem verlegt; die US-Administration entzieht den Palästinensern ihre finanzielle Unterstützung; das Netanjahu verhasste internationale Atomabkommen mit dem Iran wird von Trump einseitig aufgekündigt.
Grund zur Freude gab es für Israels Regierungschef ebenfalls beim Knüpfen neuer, bis dahin kaum vorstellbarer Bündnisse. Oman, Sudan, Tschad, die Vereinigten Emirate und vor allem Saudi-Arabien – muslimische Länder machen immer häufiger mit dem jüdischen Staat gemeinsame Sache. Dieses diplomatische Kunststück kann Benjamin Netanjahu für sich verbuchen.
Bedrohlich dagegen sind die vielen Ermittlungen gegen ihn. In mehreren Fällen wird Netanjahu Korruption, Betrug und Bestechung vorgeworfen. Ihm drohen deshalb Anklagen und Verfahren vor Gericht. Über seine weitere Karriere entscheiden also womöglich nicht die Wähler – am 9. April gibt es vorgezogene Parlamentswahlen –, sondern eher Staatsanwälte und Richter. Sie werden bei entsprechender Beweislage auch einen Ministerpräsidenten nicht verschonen.
Ajatollah Ali Chamenei, Iran
Die beste Nachricht für den iranischen Revolutionsführer kam zum Jahresende – vom verhassten Erzfeind. Donald Trumps Ankündigung, die 2000 amerikanischen Soldaten aus Syrien abzuziehen, dürfte Ajatollah Ali Chamenei – der mächtigste Mann der Islamischen Republik – mit großer Genugtuung zur Kenntnis genommen haben.
Denn mit diesem Schritt macht der US-Präsident den Weg für den Iran frei. Die Mullahs können noch ungestörter als bisher in Syrien schalten und walten. Teherans Ziel: den Einfluss in der Region weiter ausbauen und so einen „schiitischen Halbmond“ der Macht schaffen, der vom Persischen Golf bis ans Mittelmeer reicht.
Doch es gab auch herbe Rückschläge. Für den folgenreichsten ist wiederum Erzfeind Amerika verantwortlich. Trumps Ausstieg aus dem internationalen Atomabkommen kam zwar nicht überraschend, traf den Iran jedoch hart. Denn die damit einhergehenden Sanktionen setzen der ohnehin angeschlagenen Wirtschaft des Landes schwer zu.
Die Leidtragenden sind vor allem die Iraner. Immer mehr der 80 Millionen Einwohner finden keinen Job und leben in Armut. Der Unmut wächst von Tag zu Tag – und richtet sich nicht zuletzt gegen das Regime. Die Machthaber, so der Vorwurf, würden sich nicht um die Belange des Volkes kümmern.
Kein Wunder, dass sich der Zorn in offenen Protesten äußert. Doch bisher ist nicht zu erkennen, dass die Mullahs wanken. Sie haben das Land dank eines gut funktionierenden Sicherheitsapparats fest im Griff.
Abdel Fattah al Sisi
Er herrscht mit harter Hand, unterdrückt jede Form der Opposition und braucht nicht mehr um seine Macht nicht zu fürchten. Vorbei auch die Zeiten, als Präsident Abdel Fattah al Sisi außerhalb Ägyptens ein eher unliebsamer Gast war.
Heute wird der frühere Militär gerade in Europa mit offenen Armen empfangen. Stephan Roll von der Stiftung Wissenschaft und Politik zählt denn auch die sich verstetigende internationale Anerkennung zu Sisis größten Erfolgen. „Das gelingt ihm vor allem, weil er sich bei der Migration als Beschützer der europäischen Südgrenze präsentiert.“
Sisi hat es Roll zufolge zudem geschafft, seine Macht im Innern zu konsolidieren, vor allem auf Ebene der Eliten. So seien wichtige Posten im Sicherheitsapparat mit engen Vertrauten des Präsidenten besetzt worden.
Wenig erfolgreich war Sisi – trotz aller Anstrengungen wie Massenmobilisierung durch Staatsmedien und Androhung von Geldstrafen für Nichtwähler – bei der Wahl im März. „Zwar hat der Herrscher 97 Prozent der Stimmen erhalten, aber die Wahlbeteiligung lag lediglich bei 42 Prozent. Der Rückhalt und das Ansehen in der Bevölkerung haben offenkundig gelitten.“
Was vor allem mit der schlechten wirtschaftlichen Entwicklung des Landes zu tun haben dürfte. „Die Lebensbedingungen haben sich verschlechtert“, sagt Ägypten- Experte Roll. Viele der propagierten Erfolge seien teuer erkauft und gingen mit einer höheren Staatsverschuldung einher. „Es mangelt nach wie vor an grundlegenden Strukturreformen.“ Ebenso wie an Demokratie und Freiheitsrechten.
Christian Böhme, Thomas Seibert