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Lassen die Kurden im Stich: US-Truppen in Syrien.
© AFP

US-Truppenabzug aus Syrien: Warum Trumps Entscheidung Russland und Iran nützt

Ein US-Truppenabzug aus Syrien verschiebt das Gewicht im Nahen Osten empfindlich. Welche Auswirkungen die Entscheidung hat und wer profitiert.

US-Präsident Donald Trump hat Freund und Feind überrascht. Seine Entscheidung, die rund 2000 im Nordosten Syriens stationierten US-Soldaten abzuziehen, kam aus heiterem Himmel. Über Trumps Gründe wird spekuliert: Möglicherweise wollte der innenpolitisch bedrängte Präsident einen außenpolitischen Erfolg vermelden, indem er den Sieg über den Islamischen Staat verkündete.

Einige Beobachter vermuten auch, dass die Ankündigung einer neuen Militärintervention in Syrien durch die Türkei den US-Präsidenten zu der Entscheidung gebracht hat. Fest steht, dass der Beschluss die politischen Gewichte im ganzen Nahen Osten verschieben und weitreichende Konsequenzen für viele Akteure haben wird.

Die USA – Sinkt ihr Einfluss in Nahost?

Trumps plötzliche Entscheidung untergräbt die Glaubwürdigkeit der Supermacht USA im Nahen Osten. Angesichts der Sprunghaftigkeit und Unberechenbarkeit der amerikanischen Politik dürften sich selbst US-Partner wie Ägypten künftig mehr an Russland halten, um ihre eigenen Interessen gegen unabsehbare Kehrtwenden durch das Weiße Haus abzusichern.

Auch in anderer Hinsicht sei Trumps Entscheidung ein Fehler, betont das Washington Institute for Near East Policy in einer Analyse: Anders als von Trump behauptet, sei der Islamische Staat (IS) noch nicht endgültig besiegt. Zudem gebe es keinen belastbaren Ansatz für eine politische Lösung des Syrien-Konfliktes oder eine Versicherung gegen eine weitere Machtausbreitung des Iran. Die Autoren der Analyse, Dana Stroul und Soner Cagaptay, raten der amerikanischen Regierung dringend, den Rückzugsbeschluss zu revidieren. Andernfalls gefährde Washington seine eigenen Ziele im Nahen Osten.

Die Kurden – welche Möglichkeiten haben sie jetzt?

Die syrischen Kurden sind der Hauptverlierer von Trumps Entscheidung. Ihre Miliz YPG, ein Ableger der Terrororganisation PKK, stellte für die Amerikaner die Bodentruppen im Kampf gegen den Islamischen Staat. Im Gegenzug erhielten die YPG und ihre Mutterpartei PYD freie Hand beim Aufbau eines kurdischen Autonomiegebietes entlang der türkischen Südgrenze. Die YPG-Kämpfer wurden von den USA ausgebildet und bewaffnet – sehr zum Ärger Ankaras.

Ohne den Schutz der US-Soldaten sind die Kurden einer möglichen türkischen Militärintervention ausgeliefert. Die Kurden werden so wieder einmal von den USA im Regen stehen gelassen. Von den USA ermuntert, erhoben sich die Kurden im Irak nach dem ersten Golfkrieg 1990 gegen den Diktator Saddam Hussein – doch die erhoffte Hilfe der Amerikaner kam nicht. Im vergangenen Jahr sahen die USA tatenlos zu, wie die irakische Armee die kurdischen Verbände aus der Ölstadt Kirkuk vertrieb.

Nun werden YPG und PYD die Nähe zu Russland und zur syrischen Regierung in Damaskus suchen, um sich gegen die Türkei zu schützen. Ihre Hoffnung auf eine weitreichende regionale Autonomie in einer Nachkriegsordnung für Syrien werden die Kurden jedoch wahrscheinlich aufgeben müssen: Präsident Baschar al-Assad dürfte keinen Grund sehen, den Kurden großzügige Zugeständnisse zu machen.

Die Türkei – ist Erdogan gestärkt?

Die Türkei profitiert von der Schwächung der syrischen Kurden. Als „historischen Erfolg“ feierte die regierungsnahe Zeitung „Sabah“ die Abzugsentscheidung. Präsident Recep Tayyip Erdogan habe Trump mit der Ankündigung der neuen Militärintervention erfolgreich unter Druck gesetzt, sagte Hüseyin Alptekin von der Denkfabrik Seta, die häufig die Positionen der türkischen Regierung reflektiert. Zwar würden YPG und PYD nun die Nähe zu Russland suchen, doch weit kämen die Kurden dabei wahrscheinlich nicht, denn die Türkei sei für Moskau als Partner wichtiger, sagte Alptekin dem Tagesspiegel.

Erdogan hatte sich schon lange über die US-Truppenpräsenz in Syrien und die Zusammenarbeit der Amerikaner mit der YPG geärgert. Nach Trumps Entscheidung dürfte die Türkei mit der geplanten Intervention in Syrien warten, bis der US-Abzug abgeschlossen ist.

Mit dem amerikanischen Rückzug wächst aber auch der Einfluss von Russland auf das bisherige Einsatzgebiet der Amerikaner in Syrien. So ist unsicher, ob Wladimir Putin einer türkischen Militärintervention zustimmen würde. Max Hoffman von der Washingtoner Denkfabrik Center for American Progress betont zudem, dass eine Annäherung zwischen den syrischen Kurden und Assad für die Türkei gefährlich werden könnte: Assad werde versuchen, die Kurden zu benutzen, um sich an seinem Gegner Erdogan zu rächen, etwa durch Terroranschläge, schrieb Hoffman auf Twitter.

Russland und Baschar al-Assad – können sie einen großen Sieg feiern?

Für Russland ist Trumps Beschluss eine sehr gute Nachricht. Schon jetzt ist Kremlchef Putin der wichtigste Mann im Syrien-Konflikt – mit dem Abschied der Amerikaner aus dem Land wächst sein Einfluss noch weiter. Der Truppenrückzug kommt zudem dem russischen Ziel entgegen, den Syrien-Konflikt möglichst bald zu beenden, indem die Handlungsfähigkeit der Assad-Regierung im ganzen Land wieder hergestellt wird. Da das bisherige Einsatzgebiet der Amerikaner wichtige syrische Ölfelder und gutes Ackerland umfasst, werden Putin und Assad alles daran setzen, diese Gegenden rasch unter ihre Kontrolle zu bringen.

Auch der syrische Präsident darf sich deshalb zu den Gewinnern zählen. Bis auf die Provinz Idlib im Nordwesten und das von den Kurden und Amerikanern kontrollierte Gebiet im Osten hat Assad alle Teile Syriens wieder unter seiner Herrschaft gebracht.

Ob Assad, die Türkei oder die syrischen Kurden: Alle sind ab sofort noch mehr auf das Wohlwollen Moskaus angewiesen. Auch wächst das Prestige der neuen Nahost-Macht Russland in der ganzen Region. Seit Putin vor drei Jahren mit der militärischen Hilfe für Assad begann, profitiert er vom schrittweisen Rückzug der Amerikaner aus der Weltgegend. Trump Entscheidung beschleunigt diesen Trend.

Der „Islamische Staat“ – Wird der IS wieder an Schlagkraft gewinnen?

Das ist sehr wahrscheinlich. Denn mit dem Abzug der amerikanischen Streitkräfte – und der damit einhergehenden Schwächung der Kurden – wird der militärische Druck deutlich abnehmen. Dem IS kommt das sehr gelegen. Er mag sein „Kalifat“ verloren haben und damit geschwächt sein. Doch anders als Trump tönt, sind die Terroristen keineswegs besiegt. In einigen Gegenden Syriens sind sie nach wie vor aktiv, beherrschen ganze Landstriche und wehren sich erfolgreich gegen ihre Gegner.

Beobachter gehen davon aus, dass der IS in seinem Kerngebiet über mehrere tausend kampferfahrene und fanatisierte Männer verfügt. Die verbreiten vor allem mit Anschlägen Angst, Schrecken und Tod. Sie operieren im Untergrund und führen eine Art Guerillakrieg. Die Islamisten sind damit nach dem Verlust ihres „Staats“ zu ihren terroristischen Ursprüngen zurückgekehrt. Wenn sich die USA jetzt zurückziehen und dem IS das Feld überlassen, dürften die militanten Fundamentalisten diese Chance nutzen, um ihre Macht zu konsolidieren und ihren Einfluss wieder auszuweiten.

Israel und Iran – wächst jetzt die Gefahr einer Konfrontation zwischen Jerusalem und Teheran?

Schon lange waren die Bande zwischen Amerika und Israel nicht mehr so eng wie unter Donald Trump und Benjamin Netanjahu. Doch der von Washington angekündigte Rückzug aus Syrien wird beim israelischen Premier wohl kaum Begeisterung ausgelöst haben. Denn der enge Verbündete war bisher einer, auf den im Kampf gegen den Erzfeind Iran Verlass war. Trump wurde nicht müde zu betonen, Teheran müsse seine eigenen Einheiten und die der Hisbollah-Miliz aus Syrien abziehen. Die dort operierenden US-Soldaten waren denn auch das Signal an die Mullahs, dass Amerika nicht alles hinnehmen werde. Nun dürfte die Freude bei der Führung in Teheran groß sein – ein schöneres Geschenk als den Abzug der amerikanischen Truppen hätten die USA dem Iran kaum machen können.

Nach Lesart des Irans ist das ein klares Zeichen der Schwäche des „großen Teufels“. Und diese Schwäche gibt Teheran die Chance, ungestörter als bisher über Syrien einen Landkorridor Richtung Libanon aufzubauen, um die dortige Hisbollah hochzurüsten. Den Feind Iran gleich an zwei Grenzen – der syrischen und libanesischen – zu wissen, ist für Israel eine Horrorvorstellung.

Mehrfach hat Netanjahu daher unmissverständlich klargemacht, dass er alles tun wird, um Teherans Einfluss in Syrien zu begrenzen. Mit dem Abzug der Amerikaner wächst deshalb die Gefahr einer direkten Konfrontation zwischen Israel und dem Iran. Denn der jüdische Staat sieht im Streben der Mullahs nach mehr Macht in der Region seine eigene Sicherheit bedroht.

Christian Böhme, Thomas Seibert

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