Vereinte Nationen: Eine kleine Chance auf Frieden für den Jemen
Die UN nehmen einen neuen Anlauf, um den verheerenden Krieg im Jemen, dem Armenhaus der arabischen Welt, zu beenden. Kann das gelingen?
Martin Griffiths hat einen der schwersten Jobs der internationalen Diplomatie. Der 67-jährige Brite soll als Beauftragter der Vereinten Nationen den Krieg im Jemen beenden, der im ärmsten Land der arabischen Welt einige Millionen Menschen hungern lässt.
Ein kompliziertes Geflecht aus regionalen und internationalen Konflikten hat bisher alle Vermittlungsbemühungen scheitern lassen. Nun hat Griffiths eine neue Verhandlungsrunde angesetzt, die möglicherweise schon an diesem Montag in Stockholm beginnen könnte. Anhaltende Kämpfe trotz einer offiziellen Waffenruhe und großes Misstrauen auf beiden Seiten könnten die Konferenz platzen lassen, bevor sie überhaupt beginnt. Doch es gibt auch einen Hoffnungsschimmer.
Im Jemen kämpft eine vom saudischen Thronfolger Mohammed bin Salman geführte Allianz sunnitischer Staaten seit März 2015 gegen die aufständische schiitische Huthi-Miliz, die vom iranischen Präsidenten unterstützt wird. Auf die Zivilbevölkerung nimmt keine der Kriegsparteien Rücksicht.
Keine Kriegspartei nimmt auf Zivilisten Rücksicht
Bei saudischen Luftangriffen kamen in den vergangenen Jahren tausende Frauen und Kinder ums Leben. Die Huthis beschießen Wohnviertel und greifen Städte in Saudi-Arabien mit Raketen an. UN-Nothilfekoordinator Mark Lowcock sagte bei einem Besuch im Jemen in den vergangenen Tagen, das Land stehe „am Rande einer großen Katastrophe“. Dennoch wird weiter gekämpft.
Ein Grund dafür ist die Rivalität zwischen Saudis und Iranern. Riad wirft der Regierung in Teheran vor, nach einer regionalen Vormachtstellung zu streben. Zusammen mit dem iranischen Engagement im Syrienkrieg ergibt die Einmischung der Iraner im Jemen aus Sicht der Saudis eine gefährliche Zangenbewegung im Norden wie im Süden der Arabischen Halbinsel.
Zudem kommt der Jemen wegen der Lage am Ausgang des Roten Meeres zum Golf von Aden große strategische Bedeutung zu, nicht zuletzt wegen der Öltransporte durch den Sueskanal.
Trotz aller Widrigkeiten hatten die UN die Vertreter der Konfliktparteien im April 2016 in Kuwait an den Verhandlungstisch gebracht, aber die Gespräche wurden einige Monate später ergebnislos abgebrochen. Vor zwei Monaten sollte dann in Genf ein neuer Versuch starten.
Doch die Huthis sagten ihre Teilnahme ab, mit dem Argument, ihre Vorbedingungen – darunter freies Geleit für ihre Verhandlungsdelegation – seien nicht erfüllt worden. Statt Gesprächen gab es heftige Gefechte um die Hafenstadt Houdeida am Roten Meer, durch die ein Großteil der Hilfslieferungen für die notleidende Zivilbevölkerung ins Land kommt.
Auch vor der neuen Verhandlungsrunde gibt es erhebliche Probleme. In Houdeida starben seit Freitag nach Krankenhausangaben mindestens zehn Menschen bei Gefechten. Die Regierung in Riad wiederum meldete den Einschlag einer weiteren Rakete der Huthis auf saudisches Territorium.
Dennoch ist die UN-Friedensinitiative nicht ganz chancenlos. Das liegt vor allem an politischen Veränderungen in den USA. Im Senat wächst die Verärgerung über die Nibelungentreue, mit der Präsident Donald Trump trotz der vielen zivilen Opfer im Jemen-Konflikt zu Saudi-Arabien steht.
Trump in Bedrängnis - die Saudis auch
Trumps Weigerung, nach dem Mord an dem Journalisten Jamal Khashoggi mehr Druck auf Thronfolger bin Salman zu machen, brachte weitere Senatoren gegen die Regierung auf. Diese Woche stimmte der Senat deshalb mit breiter Mehrheit für eine Resolution, die ein Ende der US-Unterstützung für Riads Krieg im Jemen fordert. Das Votum war eine politische Ohrfeige für Trump.
Zwar werde das Weiße Haus alles tun, um eine Änderung der Politik gegenüber Saudi-Arabien zu vermeiden, sagt Nahost-Expertin Francesca Fabbri von der Brüsseler Denkfabrik EPC. Doch sollte die solide Mehrheit im Senat im weiteren Gesetzgebungsverfahren halten, müsse sich Trump möglicherweise dem Druck beugen. Wenn die USA ihren saudischen Partnern die volle Rückendeckung versagen, könnte die Golfmonarchie in Stockholm gesprächsbereiter sein als bei früheren Gelegenheiten.
Die weltweit schlimmste humanitäre Katastrophe
Noch will aber niemand von Optimismus sprechen. Er wolle keine hohen Erwartungen wecken, sagte UN-Generalsekretär Antonio Guterres. Aus seiner Sicht wäre es schon ein Erfolg, wenn die Verhandlungen noch vor Jahresende überhaupt zustande kommen.
Für die Menschen im Jemen geht es bei den geplanten Friedensgesprächen ums Überleben. Denn der Krieg hat für die Jemeniten verheerende Folgen. Die Vereinten Nationen und Hilfsorganisationen sprechen schon lange von der weltweit schlimmsten humanitären Katastrophe.
Dennoch hat sich die Situation für Kinder, Frauen und Männer in den vergangenen Monaten nochmals dramatisch verschlechtert. Täglich fallen Menschen den Luftangriffen der saudischen Militärallianz zum Opfer. Mehre tausend Jemeniten sind dadurch bereits ums Leben gekommen. Bis zu zwei Millionen Menschen wurden aus ihren Heimatdörfern vertrieben.
Doch zu einer mörderischen Geißel ist vor allem der Hunger geworden. Schon immer herrschte im Jemen große Armut. Der Krieg hat allerdings zu einer regelrechten Hungerkatastrophe mit unvorstellbaren Ausmaßen geführt. Durch die von Saudi-Arabien verhängte Blockade der Grenzen und Häfen sind Lebensmittel ohnehin Mangelware.
Hinzu kommt, dass die Jemeniten keine Jobs finden und zugleich die Währung extrem an Wert verloren hat. Die Preise für Grundnahrungsmittel sind in die Höhe geschnellt und damit für die große Mehrheit der Bevölkerung unerschwinglich.
85.000 Kinder sind seit Kriegsbeginn verhungert
Daraus entsteht eine tödliche Lage. Dem Welternährungsprogramm der UN (WFP) zufolge droht fast sieben Millionen Jemeniten eine Hungersnot. Prognosen gehen davon aus, dass die Zahl sogar auf zwölf Millionen steigen könnte. Dies würde bedeuten, dass fast die Hälfte der Bevölkerung so wenig zu essen hat, dass sie nur einen Schritt vom Verhungern entfernt ist.
In erster Linie trifft das die Schwächsten und Schutzbedürftigsten: Kinder. „Wir schätzen, dass ungefähr 85.000 Mädchen und Jungen seit Kriegsbeginn vor mehr als dreieinhalb Jahren an Hunger gestorben sind“, sagt Susanna Krüger von Save the Children im Gespräch mit dem Tagesspiegel.
Solange dieser Konflikt anhalte, müsse alles unternommen werden, um die Zivilbevölkerung zu versorgen. „Jedes einzelne Kind im Jemen, das an Hunger stirbt, ist eines zu viel.“ Das sieht Bettina Luescher, Chefsprecherin des Welternährungsprogramms, genauso: „Was die Kleinen durchmachen, ist eine Schande des 21. Jahrhunderts.“