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Im Südwesten Syriens tötete der IS im Juli bis zu 200 Menschen.
© Delil SOULEIMAN / AFP

Syrien: Die Rückkehr des Islamischen Staates

In Syrien verbreiten die Terroristen mit ihren Anschlägen wieder Angst und Schrecken. Im Osten des Landes erzielt der IS ein blutiges Comeback.

Sie nutzten dichten Nebel für einen überraschenden Gegenangriff. Belagerte Kämpfer des „Islamischen Staates“ (IS) töteten kürzlich im Osten Syriens mindestens 92 Mitglieder der mit den USA verbündeten und kurdisch beherrschten Miliz SDF sowie 51 Zivilisten. Bei den Kämpfen starben auch über 60 der Dschihadisten, wie die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte mitteilte. Die Gefechte waren Teil eines blutigen Comebacks des IS. Das Herrschaftsgebiet der Extremisten in Syrien und im Irak ist zwar auf wenige Gebiete zusammengeschrumpft. Doch die Führung des IS hat es geschafft, wichtige Geldquellen und Kommunikationswege zu sichern.

Die Gegend um die Stadt Hajin an der Grenze zum Irak ist die letzte Machtbastion des IS in Syrien. Sie wird seit September von SDF-Truppen mit amerikanischer Unterstützung belagert. Doch trotz ihrer militärischen Überlegenheit kommen SDF und die US-Luftwaffe nur langsam voran. Im Süden des Landes halten sich ebenfalls noch Widerstandsnester des IS. Dort töteten US-Kampfflugzeuge vergangenes Wochenende einen hochrangigen Kommandeur der Terroristen.

Auch weit weg von den Wüstengebieten im Süden und Südosten Syriens verbreitet der IS wieder Terror. In der früheren Hauptstadt seines „Kalifats“, der nordsyrischen Stadt Rakka, tötete eine Autobombe Anfang November mehrere SDF-Kämpfer. In einigen Berichten war von bis zu 50 Toten die Rede. Zudem bekannte sich der IS in Rakka zur Ermordung eines wichtigen arabischen Clanchefs.

Dass die Dschihadisten in einer Gegend, die nominell von der SDF kontrolliert wird, solche Gewalttaten verüben können, zeigt die Schwierigkeiten der von Amerika geführten Anti-IS-Koalition bei der Stabilisierung von befreiten Gebieten. Zu den militärischen Problemen kommen politische hinzu. Die USA sehen die kurdisch dominierte SDF als wichtigsten Verbündeten im Kampf gegen die „Gotteskrieger“, doch der Nato-Partner Türkei betrachtet die Kurdenkämpfer als Terroristen und verlangt ein Ende der amerikanischen Hilfe.

Politische Spannungen und neue Geldquellen geben wieder Aufwind

Diese Spannungen nützen den IS-Extremisten. So stellte die SDF vor Kurzem den Kampf gegen den IS vorübergehend ein, weil die türkische Armee kurdische Gebiete im Norden Syriens unter Beschuss nahm. Die Terroristen haben diese Gelegenheiten offenbar genutzt und trotz des Verlustes großer Gebiete in Syrien und dem Irak in den vergangenen zwei Jahren wichtige Ressourcen gerettet. IS-Chef Abu Bakr al Baghdadi meldete sich im August mit einer Audiobotschaft, in der er seine Anhänger zum Durchhalten aufrief. Angesichts der militärischen Niederlagen der vergangenen Jahre betonte Baghdadi, das Kriegsglück könne sich auch wieder wenden.

Der Optimismus des „Kalifen“ stützte sich auf mehrere Faktoren. Brandon Wallace und Jennifer Cafarella von der amerikanischen Denkfabrik ISW betonen in einer Analyse, dass der IS rund 400 Millionen Dollar aus dem Irak ins Ausland geschafft habe und zudem mit Drogenhandel sowie Lösegeldforderungen nach Entführungen viel Geld verdiene. IS-Befehlsstrukturen seien zum Teil wieder neu aufgebaut worden. Auch der Handel mit Öl bringt dem IS offenbar Geld ein. Das russische Militär verfüge über Hinweise auf Ölexporte in die Türkei und in den Irak, von dem die Islamisten profitierten, meldete kürzlich die türkische Oppositionszeitung „Cumhuriyet“.

Dann sind da noch die Kämpfer. Nach Einschätzung der UN verfügt die Extremistenorganisation trotz aller Niederlagen über rund 30.000 Mitglieder. Für einen wirksamen Kampf gegen den IS müssten deshalb Beobachtern zufolge die politischen Voraussetzungen im Irak, in Syrien und im türkisch-amerikanischen Verhältnis geschaffen werden. Da dies aber in der nächsten Zeit kaum zu erwarten ist, dürfte der „Islamische Staat“ den Wiederaufbau seines Terrorsystems weiter vorantreiben.

Thomas Seibert

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