Pressefreiheit: "Kritik gilt in Ungarn als Landesverrat"
Unreflektierte Staatspropaganda, gleichgeschaltete Medien, die Opposition am Boden – der ungarische Journalist Zsolt Bogár zeichnet ein düsteres Bild der Lage seines Landes.
Herr Bogár, Sie haben nach langjähriger Tätigkeit als Journalist in Ungarn Ihren Beruf an den Nagel gehängt, zumindest vorerst. Ähnlich haben sich nicht wenige Ihrer Kolleginnen und Kollegen entschieden. Warum befinden sich die Medien in Ungarn in der Krise, warum verzweifeln Journalisten an ihrem Beruf?
Aus Frustration. Journalisten in Ungarn werden von der Macht nicht im geringsten respektiert. Sie bekommen so gut wie nie ehrliche Antworten auf ihre Anfragen. Daten von öffentlichem Interesse werden verschwiegen. Wer nicht die Regierungslinie verfolgt, wird als Feind angeschwärzt, der angeblich „Fake news“ verbreitet, und im Auftrag der Opposition oder von György Soros handelt. Wer über die wundersame Bereicherung von Orbáns Oligarchen berichtet, wird von Rechtsanwälten bedroht. Viele hören zwangsweise auf, weil ihre Zeitung aufgekauft und geschlossen wurde oder ihnen wurde gekündigt. Die wenigen kritischen Zeitungen, die es noch gibt, arbeiten unter hohem finanziellem Druck. Aber das schlimmste ist, dass Journalisten immer wieder das Gefühl haben, dass ihre Arbeit eigentlich keinen Sinn mehr hat: Korruption, Nepotismus, Hasspolitik, die Aushöhlung der Demokratie, die Krise des Bildung- und Gesundheitssystems und krasse soziale Unterschiede in der Gesellschaft bleiben weitgehend ohne Konsequenzen.
Gibt es überhaupt noch Pressevielfalt in Ungarn? Welche wichtigen Zeitungen wurden geschlossen?
Bis auf die linke Tageszeitung „Népszava“ wurden alle regionalen und überregionalen Tageszeitungen von Fidesz-nahen Oligarchen aufgekauft, ihre Ausrichtung umgestellt, also jenen, die treu zur Regierungspartei stehen. Oder sie wurden einfach geschlossen, wie es der liberalen Tageszeitung „Népszabadság“ passierte.
Wie nimmt die Fidesz-Regierung von Viktor Orbán Einfluss auf die Medienlandschaft?
Die Medienlandschaft von heute ist mit der vor acht Jahren, als Orbán die Macht das zweite Mal ergriff, nicht mehr zu vergleichen. Die öffentlich-rechtlichen Medien wurden komplett umstrukturiert, Tausende von Mitarbeitern entlassen. Alles wurde der politischen Themensetzung und der Propaganda der Regierungspartei untergeordnet. Bei der Vergabe von Radiofrequenzen wurden Orbáns Auserwählte begünstigt. Viele ausländische Eigentümer haben ihre Investitionen in Ungarn aufgegeben: Das hat ermöglicht, dass Fidesz-nahe Oligarchen in den Medienmarkt einsteigen konnten. So gerieten das einst größte unabhängige Internetportal Origo und das zweitgrößte kommerzielle Fernsehen TV2 von deutschen Eigentümern über Strohmänner zu Orbáns Oligarchen. Im Fall Origo verzichtete der Telekom-Konzern als Eigentümer auf eine Intervention. Insbesondere zwei Titel, die nicht der Parteilinie folgen, stören die Regierungsparteien infolge ihres Einflusses: die zum Bertelsmann-Konzern gehörende ungarische RTL-Gruppe im Fernseh- und die größte Online Zeitung Index.hu im Internetbereich. Im Internetbereich gilt es noch eine eingeschränkte Vielfalt, faktisch aber ist die ganz überwiegende Zahl der Medien gleichgeschaltet. Besonders besorgniserregend ist die Situation auf dem Lande: In kleinstädtischer und dörflicher Umgebung, wo die öffentlich-rechtlichen Medien, also sowohl das staatliche Fernsehen als auch der öffentlich-rechtliche Nachrichtensender Kossuth Radio, die sogenannten „Komitatszeitungen“ und die lokalen Radios traditionell am beliebtesten sind, gibt es fast gar keine kritischen Medien mehr. Die Gleichschaltung verlief hier flächendeckend. Die Staatspropaganda bleibt unter solchen Umständen in unzähligen Haushalten unreflektiert. Entsprechend fiel der Sieg der Fidesz-Partei auf dem Lande besonders deutlich aus.
Wie finanzieren sich die Fidesz-nahen Medien?
Die Orbán-Regierung hat mit der manipulierten Verteilung staatlicher Ressourcen auch „das Geschäftsmodell“ für regierungsfreundliche Medien erschaffen. Nur ein Beispiel: In Ungarn wurde allein 2015 mehr Geld für die staatliche Anti-Einwanderungs-Propaganda ausgegeben, als für die ganze Brexit-Kampagne in Großbritannien gekostet hat. Riesige Summen gingen davon an Orbán nahe stehende Medien. Die Kampagnen gegen Einwanderung, gegen Brüssel und gegen Soros in den vergangenen drei Jahren wurden mit Anzeigen des Staates in den Fidesz-nahen Medien vorangetrieben. Zudem gab es Rabatte für diese Medien: Sie konnten günstige Darlehen von staatlichen Banken, billige Druckkapazitäten oder neue Radiofrequenzen durch die Medienbehörde erhalten. Viele Firmen verzichten inzwischen auf Anzeigen in regierungskritischen Medien, aus Angst, dass es schädlich für sie werden kann. Im eigenen Lager hat Orbán inzwischen einen kleinen Medienkrieg gewonnen: Vor drei Jahren zerstritt er sich mit einem Verbündeten, dem damals größten Fidesz-Oligarchen, der die einflussreichsten konservativen Fidesz-Medien besaß, von der Tageszeitung bis zum Nachrichtenfernsehen. Die Journalisten durften eine Weile lang autonom arbeiten, aber nach den Wahlen im April gab der Oligarch den Kampf auf und verzichtete auf alle Investitionen in Ungarn.
Journalisten sollen nach Forderung der Regierung „ausgewogen berichten“ und die „menschliche Würde“ nicht verletzen – was ist daran schlecht?
So hat die Regierung ihre neuen Mediengesetze tatsächlich vor acht Jahren begründet. Letztlich ein Hohn: Denn sogar in den öffentlich-rechtlichen Medien wird unausgewogen und tendenziös berichtet und es werden massiv Nachrichten manipuliert. Im „System der nationalen Zusammenarbeit“, wie Orbán sein Regime nennt, sollen nun alle am Erfolg des Landes mitwirken, also auch die Presse. Der Journalismus kontrolliert nicht mehr die Macht, sondern soll die Regierung unterstützen. Kritik gilt quasi als Landesverrat.
Im Zuge der Entwicklung wurde auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk mit der staatlichen Nachrichtenagentur MTI verschränkt. Was hat das konkret für Auswirkungen?
Es konnte sich eine erhebliche Vetternwirtschaft etablieren. Beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk gingen Milliarden an Fidesz-nahe Produktionsfirmen, um dort technische oder menschliche Kapazitäten oder Medieninhalte zu kaufen. Die ungarische Nachrichtenagentur MTI, die früher unabhängig von dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk agierte, gehört nun zum staatlichen Medienkonglomerat. MTI passte sich dem politischen Klima an: Sie arbeitet unausgewogen und verschweigt manchmal wichtige Nachrichten, die der Regierung nicht passen. Vermeldet wurde zum Beispiel nicht, als ungarische Intellektuelle massenhaft ihre staatlichen Auszeichnungen zurückgaben, nachdem einem bekannten Hasspublizisten einer der wichtigsten staatlichen Verdienstorden verliehen wurde. Derweil prägen fertige Soundfile-Pakete von MTI, die unverändert ausgestrahlt werden, das Programm vieler Lokalradios.
In den meisten ungarischen Zeitungen kommen bestimmte Begriffe wie „Flüchtling“ gar nicht mehr vor, stattdessen ist nur von „Migranten“ die Rede. Wie wirkt sich das auf die Stimmung in der Bevölkerung aus, wenn es um Fragen von Asyl und Migration geht?
Nicht nur die Politiker, sondern auch die Polizei und andere Staatsorgane haben in der öffentlichen Kommunikation schon sehr früh und sehr bewusst von Migranten statt von Flüchtlingen gesprochen. Es sollte der Bezug entfallen, dass es um Opfer und Vertriebene geht. Ziel war, dass die Bevölkerung möglichst kein Mitleid empfinden und keine Solidarität mit den Geflüchteten zeigen sollte. So war es dann auch leichter, Migration mit Bedrohungen kultureller, wirtschaftlicher und religiöser Art zu verknüpfen, sogar mit terroristischer Gefahr. Festzuhalten ist allerdings auch, dass sich viele Ungarn schämten wegen der Anti-Flüchtlings-Politik ihrer Regierung. Vor allem im Sommer gab es viele Freiwillige, die an ungarischen Bahnhöfen mit ehrenamtlicher Arbeit und Spenden geholfen haben. Orbán indes schaltete seine gesamte Propagandamaschinerie ein, um den Begriff „Migrant“ durchzusetzen. Er verbreitete das Gefühl eines Ausnahmezustandes, obwohl sie Zahl der nach Europa kommenden Flüchtlinge doch längst deutlich zurückgegangen ist.
Wie macht sich der Regierungseinfluss auf die Medien sonst noch bemerkbar?
Mit Siegesgefühl und Schadenfreude stellen die Fidesz-nahen Publizisten fest, dass sie sich um Political Correctness nicht mehr kümmern müssen. Nach dem erneuten Wahlsieg von Orbán verlangen sie immer lauter, dass liberale Intellektuelle und liberale Künstler endlich in Abseits gestellt werden. Es gibt im Umkreis der Regierung ein großes Bedürfnis nach einem totalen Elitenwechel in allen Bereichen, der sich in den Medien im wesentlichen schon vollzogen hat. Jetzt sind die Richter und die Wissenschaftler der Akademie der Wissenschaften dran. Das hat auch einen gewissen antisemitischen Zug, weil viele Intellektuelle jüdischer Abstammung zu den Liberalen gerechnet werden und nun quasi als Landesverräter gelten.
Welche Chancen haben von der Regierung unabhängige Medien in Ungarn noch? Gibt es überhaupt noch welche mit Einfluss und Reichweite?
Wie die Wahlen im April gezeigt haben, muss sich Orbán eigentlich keine Sorgen mehr machen: Die unabhängigen Medien haben praktisch so gut wie keinen politischen Einfluss mehr.
In der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen ist Ungarn inzwischen abgerutscht auf Platz 73 von 180 – ein sehr schlechter Wert für ein europäisches Land. Wie unterscheidet sich die Medienlandschaft Ungarns von denen der Nachbarländer? In welchen Ländern sehen Sie vergleichbare problematische Entwicklungen?
Die Situation in den anderen kleinen mittel- und südosteuropäischen, postsozialistischen Ländern scheint mir ähnlich mit der in Ungarn zu sein. Im digitalen Zeitalter gibt es erhebliche Probleme mit der Wirtschaftlichkeit des Mediensektors. Ausländische Investoren halten sich zurück, die Medien werden anfällig für politische Einflüsse, oft sind sie diesen sogar ausgeliefert. Das ist auch eine europäische Herausforderung, weil die Situation den politischen Pluralismus und die liberale Demokratie gefährdet. Europa sollte Wege finden, den unabhängigen Journalismus irgendwie zu unterstützen.
Zusammengefasst: Ist die Demokratie in Ungarn in Gefahr?
Orbáns Macht ist stabil. Er wird wohl auch dann noch Ministerpräsident sein, wenn Angela Merkel längst nicht mehr Bundeskanzlerin ist. Er ist nicht mehr abzuwählen. Die Opposition ist völlig zersplittert und zerstritten. Alle Herausforderer Orbáns in den vergangenen 20 Jahren sind am Boden - persönlich, politisch, materiell. Viele denken ans Auswandern oder sind schon weg. Erst am vergangenen Wochenende hat Orbán mit seiner Rede vor ethnischen Ungarn im rumänischen Tusnádfürdő, bei der jährlichen Sommerakademie der Fidesz-Partei, klar gemacht, worum es ihm geht: Er hat sich vorgenommen, die Generation der 68er in Europa zu stoppen. Er führt einen Kulturkampf gegen liberal gesinnte Intellektuelle, gegen Multikulti und Zuwanderung. Was Orbán als „illiberale christliche Demokratie“ auslegt, will er bei den kommenden Europawahlen nach Europa exportieren.
Zsolt Bogár, Jahrgang 1973, studierte Deutsch und Geschichte in Budapest und Heidelberg. Er arbeitete viele Jahre als Journalist in Ungarn für verschiedene Medien, darunter das öffentlich-rechtliche Kossuth Radio und die Online-Ausgabe der Wirtschaftszeitung "HVG". Seit März 2017 ist er Mitarbeiter des Regionalprojekts "Flucht, Migration und Integration in der EU" der Friedrich-Ebert-Stiftung Budapest.
Das Gespräch führte Matthias Meisner.
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