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Beim March for Science in München am 14. April solidarisieren sich Teilnehmer mit der Central European University.
© imago/ZUMA Press

Central European University in Budapest: Die akademische Freiheit in Ungarn bleibt bedroht

Für die Central European University dürfte sich die Lage nach Viktor Orbáns Wahlsieg kaum entspannen. Im Gegenteil werden noch krassere Drohungen ausgesprochen, kritisiert unser Gastautor.

Nachdem Viktor Orbáns Fidesz-Partei bei den ungarischen Parlamentswahlen eine überraschend deutliche Mehrheit errungen hatte, hofften viele Beobachter, dass die überlegene Seite ihre aggressiven Kampagnen zügeln würde, ja sich vielleicht sogar Gesten der Großzügigkeit gegenüber dem politischen Gegner leisten könnte. Diese Erwartungen sind binnen einer Woche enttäuscht worden.

Dem Wahlsieg Orbáns war eine beispiellose Kampagne vorausgegangen, die sich weniger gegen die konkurrierenden Parteien als gegen den aus Ungarn stammenden amerikanischen Investor George Soros richtete. Auf ihn projizierte die ungarische Regierung alle möglichen Befürchtungen, die in der Bevölkerung vorhanden waren. Antisemitische Untertöne waren dabei unverkennbar. Vor allem wurde Soros die Absicht zugeschrieben, die Tore Ungarns für Migranten aus aller Welt öffnen zu wollen.

Der Osteuropa-Historiker Martin Schulze Wessel.
Unser Gastautor, der Osteuropa-Historiker Martin Schulze Wessel.
© Daniel Reinhardt/picture alliance / dpa

Auch die Central European University (CEU) in Budapest, die von Soros gegründet wurde und unter anderem durch ein von ihm gestiftetes Endowment finanziert wird, spielte in dieser Kampagne eine Rolle: Orbán betrachtet sie als Vorposten des US- Investors in Ungarn. Die Position der CEU in Ungarn ist prekär, seitdem die Fidesz-Regierung im März 2017 ein Gesetz einbrachte, das sich gegen den Betrieb „ausländischer“ Universitäten in Ungarn richtete.

Die CEU, die bei ihrer Gründung in den USA akkreditiert wurde, könnte ihr Bleiberecht in Ungarn durch einen Vertrag mit dem amerikanischen Bundesstaat New York sichern. Doch müsste die ungarische Regierung den Vertrag mit dem Staat New York unterschreiben, darauf wartet der Präsident der CEU Michael Ignatieff nun schon neun Monate. Unterdessen bereitet die Uni die Eröffnung eines weiteren Campus auf dem Areal des Wiener Otto-Wagner-Spitals vor, dessen Betrieb im Herbst 2019 aufgenommen werden soll.

CEU nun doch vor dem erzwungenen Rückzug aus Budapest?

Für die CEU ist das eigentlich eine gute Nachricht: Mit dem Budapester und dem Wiener Campus sowie ihrer Partneruni im Staat New York hätte sie drei hochattraktive Standorte. Vielleicht bedeutet aber auch die neue Einrichtung in Wien den ersten Schritt zu ihrem erzwungenen Rückzug aus Budapest.

Während die Lehrenden und Studierenden der renommierten Universität im Ungewissen darüber gelassen werden, wo sie im kommenden Jahr lehren und forschen werden, veröffentlichte die regierungsnahe Wochenzeitung „Figyelö“, die im Besitz der Historikerin und Orbán-Vertrauten Maria Schmidt ist, jetzt eine Liste von 200 Personen, die als „Söldner“ des amerikanischen Finanzinvestors Soros bezeichnet werden. Neben NGOs wie Transparency International und Amnesty International richtet sich die Aktion vor allem gegen die CEU.

Die wie in einem Steckbrief aufgelisteten Namen lesen sich wie ein „Who is Who“ ungarischen und europäischen Geisteslebens. Zu den „Söldnern“ werden hochrenommierte Wissenschaftler wie der Politikwissenschaftler Will Kymlicka, der Ökonom János Kornai und der Historiker Viktor Karady gerechnet, aber auch nicht mehr lebende Wissenschaftler wie der weltberühmte Nationalismusforscher Ernest Gellner. In dieser Liste aufzutauchen, kann man als eine große Ehre betrachten. Das Ziel der Aktion ist aber zweifellos die Einschüchterung der Wissenschaftler und NGO-Mitarbeiter, wie der CEU-Präsident in einer Presseerklärung bemerkte. Der flagrante Akt bedrohe die akademische Freiheit in ganz Ungarn.

Politik der Dämonisierung des politischen Gegners

Während des Wahlkampfs hatte Orbán bereits wiederholt seine Gegner dämonisiert und Maßnahmen gegen sie angekündigt. So ließ er im staatlichen Radio am 30. März verlauten: „Wir wissen genau, wer diese Menschen sind, wir kennen ihre Namen … und wissen, wie und warum sie daran arbeiten, Ungarn in ein Einwanderungsland zu verwandeln.“

Dass nach dem Wahltag die hasserfüllte Mobilisierung gegen den „Feind“ Soros, gegen die CEU als „Soros-Universität“ und das vermeintliche Geheimprogramm einer „Überfremdung“ Ungarns nicht nachlässt, sondern im Gegenteil sofort nach dem Sieg in einer „schwarzen Liste“ konkret wird, zeigt: Orbáns Kampagne war keineswegs nur Wahlkampfgetöse. Die Politik der Dämonisierung des politischen Gegners und eines bedeutenden Teils der ungarischen Kultur geht offenbar ungebremst weiter.

Der Autor ist Professor für die Geschichte Ost- und Südosteuropas an der LMU München.

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